Protokoll der Sitzung vom 17.06.2010

Die Vorstellung, dass eine Berufsausbildung für ein Leben reicht, ist überholt und entspricht schon lange nicht mehr der Realität des Berufslebens. Für Menschen ohne Ausbildung oder mit geringer Qualifizierung stehen immer weniger Arbeitsplätze zur Verfügung, und in vielen Branchen ist inzwischen ein Hochschulabschluss Voraussetzung für die Einstellung. Die Arbeitswelt hat sich also in den letzten Jahren so stark verändert, dass eine kontinuierliche Weiterbildung zu einem Muss geworden ist, wenn jemand seinen Arbeitsplatz erhalten oder behalten will.

Dem Berufsstand der Lehrerinnen und Lehrer soll Weiterbildung zur Pflicht gemacht werden. Das bedeutet dann aber, dass die Politik auch in der Pflicht ist, allen Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen einen Zugang zu allgemeiner und beruflicher Aus-, Fort- und Weiterbildung zu ermöglichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Schleswig-Holstein hat seit 1990 das Bildungsfreistellungs- und Qualifizierungsgesetz, das BFQG. Dieses Gesetz sichert das Recht jedes Menschen

(Ines Strehlau)

auf Weiterbildung und auf die berufliche Freistellung dafür. Das war eine gute Idee und ein richtiger Ansatz. Wir haben auch ein Trägeranerkennungsverfahren, dass das Verfahren zur Anerkennung von Trägern in der Weiterbildung regelt.

Aber beide reichen unserer Meinung nach nicht aus, wenn wir uns über die große Bedeutung lebenslangen Lernens einig sind. Denn es geht nicht allein darum, einen gesetzlichen Rahmen herzustellen, der Trägerschaften oder Möglichkeiten zur Anmeldung eines Bildungsurlaubes benennt. Es müssen klare Bildungsziele und Zielvereinbarungen benannt und getroffen werden.

Weiterbildung ist aber nicht nur für die Arbeitswelt dringend notwendig. Es müssen auch Versorgungsleistungen der kompensatorischen Grundbildung sichergestellt werden. Angebote in den Bereichen Alphabetisierung, Deutschkurse für Migrantinnen und Migranten und schulabschlussbezogene Lehrgänge sind unverzichtbar.

Während die Bedeutung der Weiterbildung und der Bedarf danach in den letzten Jahren kontinuierlich anstieg, waren das Interesse der politisch Verantwortlichen an dem Thema und die Bereitschaft zur Finanzierung deutlich rückläufig. Die Pläne der Haushaltsstrukturkommission stehen gerade gegen das Recht aller Bürgerinnen und Bürger auf Bildung mit den vielfältigen Angeboten, die wir zurzeit noch haben. Es wird stattdessen versucht, einige anerkannte Träger von Weiterbildung handlungsunfähig zu machen. Deshalb ist ein Weiterbildungsgesetz, dass das Recht auf lebenslanges Lernen einräumt und die Aufgaben von Land, Kreisen und Kommunen in diesem Zusammenhang klar definiert, unerlässlich. Andere Bundesländer sind uns da weit voraus und haben diese wichtige Säule im Bildungssystem längst gesetzlich geregelt. Nur Schleswig-Holstein und Bremen stehen noch außen vor. Da wird es doch Zeit, dass sich die Landesregierung dieser unstrittig wichtigen Aufgabe annimmt.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion des SSW erteile ich der Frau Fraktionsvorsitzenden Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal ist es von Vorteil, wenn man schon seit einigen Jahren dabei ist. Bestimmte Themen wie

derholen sich, ebenso die Diskussionen und die Argumente. Als ich 1996 kurz nach meinem Eintritt in dieses Parlaments auf der Jahrestagung des Volkshochschulverbandes war, sagte Herr de Jager, damals gerade zum weiterbildungspolitischen Sprecher der CDU aufgestiegen,

(Beifall bei CDU und FDP)

dass wir unter dem Eindruck eines ständig verschlechternden Haushalts stünden und es unter diesem Gesichtspunkt wenig sinnvoll sei, ein Weiterbildungsgesetz zu verabschieden. Wie Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat sich seitdem wenig verändert. Die Haushaltslage ist immer noch schlecht, und auch die Argumente gegen ein Weiterbildungsgesetz sind heute genauso schlecht wie damals. Wir haben es also mit einer Diskussion zu tun, die alt und bekannt ist.

In dem vorliegenden Antrag fordert die SPD ein Weiterbildungsgesetz, in dem die Aufgabenverteilung, die Anerkennung von Einrichtungen, die Weiterbildungsverbünde, das Recht auf Bildungsurlaub und die Berichtspflichten geregelt werden. Ich finde den Antrag gut und will ihn bestimmt nicht schlechtreden, aber eine kleine Spitze sei mir dennoch erlaubt; denn es gehört zu der Geschichte hinzu, dass die SPD dies schon in einigen Koalitionsverträgen verankert hatte. Von daher ist das also auch eine alte Forderung.

Das darf aber nicht davon ablenken, dass die Forderung nach einem Weiterbildungsgesetz auch 30 Jahre nach dem allerersten Weiterbildungsgesetz immer noch aktuell und auch notwendig ist. Weiterbildung hat in den meisten Bundesländern Verfassungsrang. 14 von 16 Bundesländer - das haben wir schon gehört - haben Weiterbildungsgesetze, die im Kern alle die Weiterbildung als eigenständigen und gleichberechtigten Teil des Bildungswesens sehen. Innovative Gesetze, die wirklich eine strukturelle und finanzielle Entwicklung der Erwachsenen- und Weiterbildung sichern, gibt es jedoch kaum. Im Kern dienen die Gesetze vielmehr dem Ausdruck eines politischen Stellenwertes und der Verortung von Weiterbildung in der Landespolitik.

Irgendwie ist mir auch rätselhaft, warum es in Schleswig-Holstein nie gelungen ist, ein Erwachsenen- und Weiterbildungsgesetz zu verabschieden. Kaum ein anderes gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Ziel findet so einen breiten Konsens wie die Forderung, Weiterbildung auszubauen. Mit dem Bildungsurlaubsgesetz wird diese Forderung aller

(Ellen Streitbörger)

dings nicht erfüllt, und das Gesetz ist auch kein Ersatz für ein Weiterbildungsgesetz.

In Schleswig-Holstein herrscht irgendwie in Sachen Weiterbildung seit vielen Jahren Stillstand. Mit anderen Worten, Schleswig-Holstein ist hier noch ein Entwicklungsland, das von einer Politik des Nichteinmischens geprägt ist.

Auf der bereits angesprochenen Jahrestagung sagte der damalige Vorsitzende des Volkshochschulverbandes, Herr Hutterer: Wer heute ein Gesetz fordert, gilt entweder als verantwortungsloser Glücksspieler oder als naiver politischer Träumer. - Damals wie heute denke ich, dass gerade diejenigen, die ein Gesetz fordern, verantwortungsvolle Realisten sind. Zunehmend ist die Weiterbildung geprägt von Entstaatlichung, Kommerzialisierung, Individualisierung und Projektorientierung. Es gibt haufenweise wissenschaftliche Analysen dazu, welche langfristigen Konsequenzen diese Entwicklung für die Weiterbildung hat.

Um es kurz zusammenzufassen: Wenn wir so weitermachen, wird Weiterbildung zum privaten Gut, das sich nur noch die Reichen leisten können. Darum kann es keinem von uns gehen.

Für den SSW sage ich in aller Deutlichkeit: Wir brauchen ein Erwachsenen- und Weiterbildungsgesetz, in dem nicht nur die berufliche Weiterbildung gesichert wird, sondern auch die Erwachsenenbildung an den Volkshochschulen und Bildungsstätten. Ein Weiterbildungsgesetz ist dabei nicht nur ein Struktur- oder Leistungsgesetz. Es geht auch darum, ein Weiterbildungsgesetz als Gestaltungsgesetz zu nutzen, um die Erwachsenenund Weiterbildung in Schleswig-Holstein weiterzuentwickeln.

(Beifall bei SSW, SPD und der LINKEN)

Für die Landesregierung erteile ich dem Herrrn Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Verkehr, Jost de Jager, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal, Frau Spoorendonk, ist es nett, dass Sie das Zitat von mir rausgesucht haben. Ich hatte das nicht mehr in Erinnerung. Es ist bedauerlich, dass 15 Jahre Debatten um das Thema Weiterbildung durch das Parlament gegangen sind, ohne dass wir beide unsere Position dazu verändert haben.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Das ist traurig, Herr Minister!)

Da kann man sich natürlich die Frage stellen, wie sinnvoll diese Debatten insgesamt sind. Ich muss allerdings sagen, dass ich heute das Bildungsfreistellungs- und Qualifizierungsgesetz tendenziell freundlicher sehe, als ich es zu dem Zeitpunkt 1996/97 gesehen habe, aus dem das Zitat stammt.

(Zuruf der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

- Da kann man sehen, wie man durch das Amt auch ein Stück geprägt wird.

(Beifall des Abgeordneten Christopher Vogt [FDP])

Das Bildungsfreistellungs- und Qualifizierungsgesetz passt übrigens ganz gut als Bezugspunkt, weil es am 1. Juli 2010 20 Jahre alt wird.

(Christopher Vogt [FDP]: Herzlichen Glück- wunsch!)

Das BFQG hat Schattenseiten und Vorteile. Zu den Schattenseiten gehört aus meiner Sicht, dass der Ansatz, durch ein solches Gesetz Bildungsfreistellung zu generieren, in Schleswig-Holstein nicht funktioniert hat. Wir haben eine Beteiligungsquote an der Bildungsfreistellung in Schleswig-Holstein ich habe mir die Zahl gerade eben noch einmal geben lassen - von 0,69 %.

(Christopher Vogt [FDP]: Oha!)

Das heißt, man muss sagen, dass der Versuch, durch ein Gesetz Bildungsfreistellung für Mitarbeiter zu fördern, nicht gelungen ist.

Man muss bei einer kritischen Bestandsaufnahme des BFQG auch sagen, dass der Aufwand, den wir für die Zertifizierung der Programme haben, die am Ende durch die Bildungsfreistellung nicht wahrgenommen werden, auch in keinem Verhältnis zu dem steht, was ursprünglich gedacht worden ist. Insofern gibt es einige Punkte beim BFQG, die in der Tat kritisch gewürdigt werden müssen.

Der große Vorteil des Bildungsfreistellungs- und Qualifizierungsgesetzes liegt darin, dass dieses Gesetz all das regelt, was jetzt durch das Weiterbildungsgesetz, das die SPD beantragt, geregelt werden soll. Ich nenne die Punkte noch einmal, die im jetzigen BFQG schon vorhanden sind: Es ist die Definition von Weiterbildung. Das jetzige BFQG regelt die Aufgabenteilung, die Zusammenarbeit, die Qualitätssicherung, die Kooperation, die Bil

(Anke Spoorendonk)

dungsfreistellung und die Berichtspflicht. Das alles ist jetzt schon gesetzlich geregelt.

Die Frage, weshalb es noch ein weiteres Gesetz geben soll, muss schon sehr offen miteinander besprochen werden. Bisher war es übrigens die Auffassung der SPD zu sagen, ein Weiterbildungsgesetz sei wünschenswert, aber nicht finanzierbar. Das hat die SPD so lange behauptet, wie sie in der Regierung war. Jetzt ist sie nicht mehr in der Regierung, jetzt heißt es nur noch: Ein Weiterbildungsgesetz ist wünschenswert. Deshalb spreche ich mich für eine Ausschussüberweisung aus.

In dem Antrag der SPD steckt Folgendes: Neben der Verantwortung, die wir für den Landeshaushalt haben, die wir bereits wahrgenommen haben - die Vorschläge der SPD kennen wir noch nicht -, haben wir auch eine Verantwortung für diejenigen, deren Angelegenheiten wir mit regeln. In Ihrem Antrag heißt es, dass dieses Gesetz folgende Gesichtspunkte regeln soll, nämlich die Aufgaben des Landes ich sage, die sind im BFQG geregelt -, aber auch die Aufgaben der Kommunen und der Kreise. Da reden wir über Ansprüche. Wir reden darüber, dass es gesetzlich fixierte Ansprüche gibt, die am Ende finanzielle Folgen für die Kommunen haben, für die Kreise und für die Gemeinden. Da bin ich schon der Auffassung, es lohnt eine Beratung in den Ausschüssen, ob man dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt tatsächlich machen will.

Das, was Sie sich wünschen, was auch die Volkshochschulen auf ihrem letzten Jahreskongress besprochen haben, kann man über eine Kooperation regeln. Dazu bedarf es keiner gesetzliche Fixierung. Insofern können wir gern im Ausschuss darüber reden, ob es sinnvoll ist, ein weiteres Gesetz auf den Weg zu bringen, oder ob es nicht sinnvoller ist, diese Dinge auf der Basis des jetzigen Gesetzes durch eine bessere Zusammenarbeit auf den Weg zu bringen.

Wir sollten dies unter Einbeziehung neuer Daten tun. Ende des Jahres 2010 wird die neue, repräsentative Erhebung zum Weiterbildungsverfahren im Rahmen des sogenannten Adult Education Survey vorliegen. Daran beteiligen wir uns gemäß Landtagsbeschluss mit einer regionalisierten Erhebung für Schleswig-Holstein. Wir sollten die Ergebnisse dieser Erhebung, damit sie nicht sinnlos ist und der Auftrag des Landtags seinen Zwecks hat, einbeziehen. Auf dieser Basis können wir dann darüber reden, wie wir uns inhaltlich und in der Sache Weiterbildung in Schleswig-Holstein vorstellen. Ich glaube, die Verbesserungen, die gewünscht sind,

können wir durch Kooperation erreichen. Dazu bedarf es aus meiner Sicht keines weiteren Gesetzes.

(Beifall bei CDU und FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schieße die Beratung.

Es ist Überweisung des Antrags in der Drucksache 17/594 in den Bildungsausschuss beantragt worden. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? Dann ist das einstimmig so beschlossen worden.

Ich gebe Ihnen jetzt bekannt, dass sich die Parlamentarischen Geschäftsführer darauf verständigt haben, den Tagesordnungspunkt 31, Integrierte Ausbildungsstatistik für Schleswig-Holstein einführen!, ohne Aussprache zu behandeln und den Tagesordnungspunkt 42, 100 % Strom aus erneuerbaren Energien, in die Juli-Tagung zu schieben.

Wir fahren in der Tagesordnung weiter fort. Ich rufe Tagesordnungspunkt 46 auf: