Protokoll der Sitzung vom 17.06.2010

Aber auch heute muss für echte Toleranz und Gleichstellung noch sehr viel getan werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei SPD und SSW)

In Zeiten, in denen auf Schleswig-Holsteins Schulhöfen, Fußballplätzen und Handballhallen das Wort ,,schwul“ als eines der beliebtesten Schimpfwörter gilt, haben auch wir als Landespolitik eine Verantwortung. Wir Grüne wollen ein tolerantes und weltoffenes Schleswig-Holstein. Homophobie darf genauso wie Rassismus oder Diskriminierung kein Platz haben. Als ein Schritt für ein tolerantes Schleswig-Holstein beantragen wir deswegen einen Aktionsplan gegen Homophobie.

Ungefähr einen Monat nach dem internationalen Tag gegen Homophobie kann Schleswig-Holstein somit ein starkes Signal senden, ein Signal für Toleranz und gegen Homophobie.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei SPD und SSW)

In unserem Antrag geht es konkret darum, Akzeptanz für Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuelle zu schaffen. Wer als Kind Toleranz beigebracht bekommen hat, wird diese später aktiv leben.

Genau deswegen fordern wir, bereits in Kitas, Schulen und Jugendzentren mit der Aufklärungsarbeit zu beginnen. Das Projekt der Landesregierung von Nordrhein Westfalen „Schule ohne Homophobie - Schule der Vielfalt“ kann hierzu als Vorbild dienen. Immer öfter zeigt sich Gewalt gegen Schwule und Lesben. Eine Umfrage im Rahmen des MANEO-Projekts in Berlin aus dem Jahr 2007 belegt, dass in Schleswig-Holstein 35 % aller befragten homosexuellen Männer, also mehr als jeder Dritte, Erfahrungen mit Gewalt aufgrund ihrer sexuellen Identität gemacht hat. Die meisten Vorfälle finden auf der Straße, im ÖPNV, in der Schule oder am Arbeitsoder Ausbildungsplatz statt. Die Hemmschwelle, nach homophoben Übergriffen zur Polizei zu gehen, ist in Schleswig-Holstein so hoch wie in kaum einem anderen Bundesland. Über 90 %

der Befragten gaben an, nach Vorfällen nicht zur Polizei gegangen zu sein.

Dies sind keine abstrakten Zahlen, sondern es ist traurige Realität in unserem Bundesland. Ich nenne ein Beispiel, das in Kiel vor einigen Jahren beim CSD passierte: Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter wurde an seinem Info-Stand von einem Passanten mit dem Messer im Brustbereich verletzt. Kurze Zeit danach wurde eine Teilnehmerin in einem Imbiss verbal attackiert, bespuckt und geschubst, und das alles nur, weil in ihrem Rucksack eine Regenbogenflagge steckte. Ein anderes Beispiel ist ein junger Mann, der mit seinem Partner auf den Straßen Kiels vor kurzer Zeit Hand in Hand ging und tätlich angegriffen wurde. Wir dürfen als Landespolitiker nicht weggucken, sondern wir müssen uns dieser erschreckenden Entwicklung stellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Gerade die große Scheu, zur Polizei zu gehen, zeigt, dass noch sehr viel Sensibilisierung in der Gesellschaft und somit auch und gerade bei der Polizei vonnöten ist.

Bei Homophobie geht es aber nicht nur um Aggressionen gegen Homosexuelle. Nein, es gibt in Schleswig-Holstein auch Fälle, in denen Schüler mit dem Vorwurf, homosexuell zu sein, gemobbt werden und die Schule verlassen, und zwar egal, ob sie homosexuell sind oder nicht. Mit einem Aktionsplan gegen Homophobie kann Schleswig-Holstein Vorreiter in der Bundesrepublik werden. Allerdings dürfen wir nicht an den Landesgrenzen haltmachen. Über den Bundesrat müssen wir einen bundesweiten Aktionsplan gegen Homophobie initiieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir sollten alle ein Interesse an einem toleranteren Schleswig-Holstein haben. So interpretiere ich jedenfalls auch die Aussagen im Koalitionsvertrag, in dem sich die Koalitionsfraktionen auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse für Homosexuellen festlegt haben.

Da auch wir in den vergangenen Wochen und in Gesprächen mit Verbänden, die zu diesem Thema arbeiten, hinzugelernt haben, beantragen wir, dass unser Antrag an den Innen- und Rechtsausschuss und vielleicht auch mitberatend an den Sozialausschuss überwiesen wird. - Herr Baasch nickt, dann tue ich das hiermit. Wir beantragen dies, damit wir unseren Antrag dort beraten und vielleicht gemein

sam und einvernehmlich mit dem ganzen Haus einen Antrag hinbekommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Katja Rathje-Hoffmann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir sagen: Homophobie hat keinen Platz in unserer Gesellschaft. Homophobie nennen wir hauptsächlich eine gegen Lesben und Schwule gerichtete Feindseligkeit. Es ist die Angst vor homosexuellen Menschen und ihrer Art zu leben. Die Bandbereite der Homophobie ist groß. Sie reicht von der ausgeprägten Abneigung über die befürwortende Diskriminierung und Repressionen gegenüber Homosexuellen bis hin zu äußerstem Hass und körperlicher Gewalt.

In einigen Staaten müssen Paare mit Bestrafung rechnen, sofern ihre geschlechtliche Neigung öffentlich wird. In fünf islamischen Ländern werden homosexuelle Handlungen unter Männern mit dem Tod bestraft. Auch in Deutschland wurden homosexuelle Handlungen noch bis zum 11. Juni 1994 im § 175 des StGB unter Strafe gestellt. Das ist Gott sei Dank lange Vergangenheit. Heutzutage gibt es in keinem westlichen Industrieland Strafen gegen Homosexuelle. Es hat sich eine Wandlung vollzogen.

Insgesamt lässt sich für Deutschland feststellen, dass die Homophobie in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist. Dieses begründet sich in der veränderten Darstellung in den Medien, durch zahlreiche Aufklärungskampagnen und auch durch die Visualisierung von homosexuellen Politikern und homosexuellen Paaren im Alltag und im Berufsleben. Zudem haben sich die gesetzliche Grundlage und die Gleichstellung in der Rechtsprechung geändert.

In der Jugendsprache hingegen ist das Wort „schwul“ immer noch ein Schimpfwort. Das ergab eine Befragung von 12- bis 17-Jährigen aus dem Jahr 2002. Die Befragung ist schon ein bisschen älter, aber ich glaube, es hat sich seitdem nicht viel geändert. 61 % der Befragten gaben an, dass sie gegenüber Schwulen und Lesben eine negative Ein

stellung hätten. Dies gaben 51 % der Mädchen und 71 % der Jungen an.

Genau hier muss angesetzt werden. Während des Aufklärungsunterrichts in der Schule muss dieses Thema genauer beleuchtet und dargestellt werden. Nur Informationen und gute Aufklärung tragen dazu bei, dass Vorurteile gar nicht erst entstehen können. So gibt es - wie eben schon genannt - eine Initiative des Paritätischen in Nordrhein-Westfalen im Rahmen einer Kampagne und eines Schulprojektes für mehr Akzeptanz von Homosexualität an Schulen mit dem Leitsatz „Schule ohne Homophobie - Schule der Vielfalt“. Ich glaube, so etwas sollten wir auch anregen. Dieses Schulprojekt gibt Anregungen, sich aktiv gegen Homophobie einzusetzen. Ich möchte erwähnen, dass auch der DFB an dieser Sache dran ist. Auch hier gibt es diverse Kampagnen, zu denen ich jetzt nichts sagen möchte. Es gibt hier aber einiges.

In meinen Augen sollte man sich in Kindergärten nicht unbedingt damit beschäftigen. Wir halten das nicht für sinnvoll. Darüber würden wir gern im Ausschuss noch einmal reden. Wohl aber sollte die Aufklärung der Schulkinder zu Homosexualität und Transsexualität in den Lehrplänen überprüft und modernisiert werden.

Selbstverständlich verurteilen auch wir die Diskriminierung im Sport, in den Glaubensgemeinschaften und in vielen weiteren Lebenslagen. Hier haben wir bereits ein praktikables Werkzeug, nämlich das Antidiskriminierungsgesetz. Ich denke, damit kann man gut arbeiten. Damit sollten wir auch arbeiten.

Wir glauben nicht, dass in Schleswig-Holstein ein weiterer Aktionsplan gegen Homophobie die aktuellen Defizite in der Gleichbehandlung von Homosexuellen und Transsexuellen in der Gesellschaft ausgleichen kann.

(Beifall bei CDU und FDP)

Jedoch können gezielte Veränderungen in den Lehrplänen der Schulen vorbeugend sein. Lassen Sie uns in den zuständigen Ausschüssen darüber diskutieren.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Wolfgang Baasch das Wort.

(Rasmus Andresen)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Berliner Abgeordnetenhaus hat vor zwei Monaten den von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten und von allen Fraktionen unterstützten Berliner Aktionsplan gegen Homophobie beschlossen. Warum also nicht auch hier in Schleswig-Holstein? - Mit uns, der SPD, ist das kein Problem. Die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen ist seit den 90er-Jahren ein erfolgreiches rot-grünes Projekt in Schleswig-Holstein: Die psychosoziale Frauenberatungsstelle donna klara e.V. erhält Landesmittel für die landesweite Koordinierung der Angelegenheiten lesbischer Frauen. NaSowas aus Lübeck ist im Bereich der Jugendarbeit tätig, koordiniert den Arbeitskreis Sexuelle Orientierungen in Schleswig-Holstein, bietet eine Beratung Jugendlicher durch Jugendliche an, qualifiziert Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Lehrkräfte und ist in das Jugendverbandsspektrum eingebunden. Die HAKI e.V. in Kiel ist im ehrenamtlichen Bereich tätig, vernetzt die Selbsthilfegruppen vor Ort und hält ein breites Angebot an Informationen, Gruppen und Beratung vor.

Auf Verwaltungsebene wurde - unterstützt durch die Referentin und den Referenten für gleichgeschlechtliche Lebensweisen - dafür Sorge getragen, dass lesbisches und schwules Leben ganz normal in den Politikbereichen vorkam. Das Parlament hat die Bundesgesetze zur Gleichstellung für SchleswigHolstein angepasst und umgesetzt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist Ihnen trotzdem sicher nicht entgangen, dass die CDU sich in der letzten Wahlperiode quergestellt hat, als es darum ging, eingetragene Lebenspartnerschaften von Beamtinnen und Beamten rechtlich gleichzustellen. Das konnten wir unter Rot-Grün noch nicht tun, weil das Recht dazu erst mit der Föderalismuskommission I an die Länder übergegangen ist. An dieser Stelle gratulieren wir den Kolleginnen und Kollegen von der FDP, die sich hier gegen die Hardliner in der CDU durchsetzen konnten. Gute Arbeit, Hut ab vor Ihrem Engagement!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Das Parlament ist im Idealfall ein Spiegel der Gesellschaft. Teilweise ist es auch in nicht idealen Fällen ihr Spiegel. Homophobie wird in den Sozialwissenschaften zusammen mit Phänomenen wie Rassismus, Xenophobie oder Sexismus unter dem Begriff gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gefasst und ist demnach nicht krankhaft abnorm.

Eher ist es eine Gewohnheit, also ein kulturelles Phänomen. Die Mittel der Auseinandersetzung sind natürlich unterschiedlich. Wo Abgeordnete sich damit schwer tun, gleiche Rechte für gleiche Pflichten umzusetzen, werden die Linien auch außerhalb des Parlaments anders gezogen. Das kann Ausgrenzung im Familienkreis sein oder Mobbing in der Schule oder Diskriminierung am Arbeitsplatz oder körperliche und psychische Gewalt.

Wir sehen uns in der Pflicht, hiergegen vorzugehen. In der letzten Legislaturperiode hat die SPD beispielsweise den Verein HAKI unterstützt, indem Abgeordnete der SPD-Fraktion bei der Aktion „Gib der HAKI dein Gesicht“ mitgemacht haben. Es geht nicht darum, eine Randgruppe zu streicheln, sondern es geht darum, gleiche Rechte zu erstreiten, und das ist neben den Gesetzen vor allem das Recht auf volle Partizipation.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Es gibt zahlreiche Studien, die sich mit Homophobie befassen, einige sehr aktuelle davon kommen aus der Universität Kiel, in Auftrag gegeben und finanziert von unterschiedlichen Stellen. Alle diese Studien kommen ohne Ausnahme zum selben Ergebnis: Wir haben keinen Erkenntnisbedarf, wir haben Handlungsbedarf.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Homophobie schadet nicht nur den Betroffenen, sie schadet der gesamten Gesellschaft. Deshalb sollten wir dem Beispiel der Berliner Kolleginnen und Kollegen folgen und einen Aktionsplan gegen Homophobie beschließen. Ausgrenzung kann sich unsere Gesellschaft nämlich nicht leisten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Das Wort für die FDP-Fraktion erteile ich der Frau Kollegin Kirstin Funke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Der Einsatz für die Rechte von Schwulen und Lesben ist für uns Liberale unverzichtbarer Teil unserer Bürgerrechtspolitik. Wir stehen für mehr Freiheit und Vielfalt und wollen schrittweise Benachteiligungen abbauen. Denn wer

gleiche Pflichten hat, soll auch gleiche Rechte bekommen.

Liebe Kollegen und Kolleginnen von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sieht man einmal davon ab, dass Sie unverständliche Dinge in Ihrem Antrag fordern, ist der Antrag aus unserer Sicht der falsche Ansatzpunkt. Besonders interessant finde ich Ihre Forderung nach Aufklärungskampagnen in Kitas. Da frage ich mich ernsthaft, wie man auf so etwas kommt. Nicht einmal Ihre Parteifreunde in Hessen, bei denen Sie offensichtlich abgeschrieben haben, fordern das.

Interessant ist auch, dass Sie in Ihrem Antrag unterstellen, die Landbevölkerung sei pauschal intoleranter als die Stadtbevölkerung. Die Landbevölkerung wird Danke sagen für diese Einschätzung. Allein wegen dieser Aussage müssen wir Ihren Antrag ablehnen.

Ihre generelle Einschätzung über die Verwendung des Worts „schwul“ auf Schulhöfen teile ich. Das ist so bedauerlich, wie Sie es beschreiben, und es ist auch nicht akzeptabel. Aber den Glauben, hier durch staatszentriertes Handeln Verhaltensmuster ändern zu können, teilen wir nicht. Das ist eine Frage der Erziehung, das Elternhaus trägt Verantwortung.

Das Problem ist leider viel weitgehender, als Sie es hier aufgreifen. Es ist leider nicht nur die Verwendung des Worts „schwul“ als Schimpfwort, es geht auch um die Verwendung von „behindert“ als Schimpfwort oder um rassistische Begriffe. All das wird in Ihrem Antrag ausgeblendet - ich betone: in Ihrem Antrag, nicht von Ihnen. Man wird das Gefühl nicht los, Sie hätten damals Ihren Antrag nur passend zum Christoper-Street-Day gestellt.