Liebe Kolleginnen und Kollegen, zukünftig wird es in einigen Bereichen der Kultur noch kreativere Ideen der kreativen Akteure und der Wirtschaft geben müssen, um Kulturvielfalt in Zeiten finanzieller Schwierigkeiten zu erhalten. Denn angesichts der desaströsen Haushaltslage benötigt dieses Land beides: eine Kultur der Wirtschaftlichkeit und mehr Wirtschaftlichkeit der Kultur.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich mag in den Lobgesang nicht ganz einstimmen. Der Bericht der Landesregierung lässt aus meiner Sicht wiederum eine Chance ungenutzt, so etwas wie - Visionen mag man schon gar nicht mehr sagen - Zielvorstellungen darzustellen, wie es mit der Kulturwirtschaft in Schleswig-Holstein überhaupt weitergehen soll.
Denn unterm Strich stellt er fest, dass es zwar nicht besonders gut um die Kulturwirtschaft im Land steht, man aber damit zufrieden sein muss - Zitat -:
„Die oben mitgeteilten Zahlen für SchleswigHolstein belegen, dass im Lande ein begrenztes Potenzial im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft besteht.“
„Für die Entwicklung neuer Förderinstrumente für die Kultur- und Kreativwirtschaft besteht … kein Bedarf.“
Das ist ein ziemlich armseliges Fazit. Wenn man ein begrenztes Potenzial sieht, kann man auch gucken, ob man das nicht steigern kann.
Die Zahlen bedeuten das Gegenteil von einem begrenzten Potenzial. Denn bei dem prozentualen Anteil der Beschäftigten liegt das Land im Bundesdurchschnitt, beim Umsatz knapp darunter, wobei Städte wie Hamburg oder Berlin den Schnitt erheblich nach oben ziehen.
Gerade im Bereich der Designwirtschaft hat das Land offenbar ziemliches Potenzial. Das Problem des Berichts ist es, dass er das speziell Kulturelle an der Kultur- und Kreativwirtschaft nicht erkennt. Er beschreibt diese Branche wie ein produzierendes Gewerbe. Bei solch einem betriebswirtschaftlichen Verständnis hat das Land an seinen Förderinstrumenten tatsächlich kaum etwas nachzubessern. Kulturwirtschaft entsteht aber gar nicht allein durch einzelbetriebliche Förderung. Sie ist sehr kleinteilig aufgestellt. Drei, vier Leute setzen sich zusammen und gründen eine Agentur, und die werden sich die Haare raufen, wenn sie die Liste der Förderinstrumente des Landes vor die Nase gelegt bekommen. Dafür haben sie sicher keinen Kopf,
Sie brauchen vielleicht auch einmal einen Kleinkredit, aber ganz sicher keinen großen Maschinenpark, keine Tausende von Euros. Vielmehr brauchen sie Netzwerke. Die Förderinstrumente müssen so sein wie die Branche selbst: klein, kreativ, etwa wie das House of Design in Kolding, wo Kreative durch die Zwischennutzung von Gebäuden zusammengebracht werden, wenn diese einmal leer stehen und man unbürokratisch Räume schafft; durch die Organisation von Marktplätzen, wofür es viele Beispiele gibt, auf denen Wirtschaft und Kultur Tauschverhältnisse eingehen können; durch Vermittler und durch Sponsoren, die Kreative und Wirtschaft zusammenbringen.
Kulturwirtschaft ist nicht zentralistisch. Das ist ihr Charme, und das ist die Grenze dieses Berichts. Er kriegt das Problem und die Herausforderung gar nicht auf den Schirm. Den Kreativen muss mehr Raum gelassen werden. Füllen können sie ihn dann ganz gut selbst. Wir müssen durch Hochschulen und kulturelle Vielfalt ein kreatives Milieu schaffen. Eben das tun wir nicht.
An der Kieler Muthesius Kunsthochschule bilden wir zum Beispiel genau die Leute aus, die solch ein Milieu bereitstellen würden: Kommunikationsdesigner, Industriedesigner, Interior-Designer, freie Künstler und Künstlerinnen. Nur 5 % dieser Leute bleiben aber im Land. In einer Klasse sitzen 20 Leute, und nur einer bleibt in Schleswig-Holstein. Viele von ihnen, die heute führende Designagenturen betreiben, wurden hier in Kiel ausgebildet. In zwei der zehn führenden Agenturen in Deutschland kommen die Gründer und ihre Leute aus Kiel, aus Schleswig-Holstein. Die Rendite streichen dann aber andere Länder ein.
Jetzt die große Preisfrage á la de Jager - bezogen auf die Medizinausbildung -: Warum leistet sich das Land eine Kunsthochschule, wenn die Leute nicht im Land bleiben?
Ich würde allerdings andersherum fragen: Wenn das Land so einen Pfund hat, warum wuchert es denn damit nicht, warum erkennt die Landesregierung den kulturellen Braindrain, den intellektuell
kreativen Verlust an Zukunft in diesem Land nicht? Ich vermute, dass das, was im Bericht steht, auch für sie gilt: Sie hat vermutlich ein begrenztes Potenzial.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich auch erst einmal beim Minister und seinen Mitarbeitern für diesen Bericht. Er liefert uns zwar Zahlen aus 2007, aber wenigstens haben wir einen Bericht, mit dem man etwas anfangen kann. Der Bericht aus 2004 ist damit überhaupt nicht vergleichbar - einmal davon abgesehen, dass die Zahlen noch älter sind. Ich wünsche mir, dass wir möglichst schnell einen Bericht mit Zahlen aus 2010 kriegen, mit denen wir weiterarbeiten können.
In diesem Gesamtbericht kann man sehr viel anschauen. Mir gefällt, dass er eine klare Begriffsdefinition vornimmt, dass das, was die Kommission auf Bundesebene festgelegt hat - einheitliche Berichte in den Ländern erstellen, damit die Länder untereinander vergleichbar sind und Ähnliches dort eingeflossen ist. Ich gehe davon aus, dass dies verdammt viel Fleißarbeit war. Wenn die Zahlen dann beim nächsten Mal aktualisiert werden, wird es bestimmt nicht mehr ganz so schlimm werden, und deswegen wird es vielleicht auch ein bisschen schneller gehen.
Wenn ich mir angucke, was er enthält, sehe ich in der Kulturwirtschaft Schleswig-Holstein 6.115 Unternehmen, 21.415 Personen. Das ist ein 2,4-prozentiger Anteil an der Gesamtwirtschaft. Kultur ist also nicht nur irgendetwas, was irgendwelche Langhaarigen machen, sondern Kultur ist ein Stück harte Wirtschaft. Wir haben 15.300 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das gefällt mir schon ganz gut. Dazu kommen aber 7.534 geringfügig Beschäftigte. Es gibt also mehr als halb so viel geringfügig Beschäftigte wie wirklich sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Hinzu kommen noch einmal 2.200 Personen, die das im Nebenjob machen. Wenn ich mir angucke, wie die sozialversicherungspflichtig Beschäftigen bezahlt werden auch davon sickert ja so einiges durch -, ergibt sich da für mich erheblicher Handlungsbedarf.
Ein wichtiger Punkt, den wir angehen müssen, aber in diesem Hause nur unterstützend, ist die Künstlersozialkasse. Die Künstlersozialkasse ist immer wieder in der Diskussion. Wir müssen uns da bestimmte Punkte angucken, zum Beispiel: Was ist mit den Werbeleuten und den Internetdesignern in der Künstlersozialkasse? Das wird immer wieder diskutiert oder auch kritisiert. Brauchen wir die da? Sind das wirkliche Künstler, oder sind das - wie manche das ausdrücken wollen - Kunsthandwerker, die eigentlich nicht da rein dürften? Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen, dass diese Leute richtig gut verdienen. Die Künstlersozialkasse braucht auch gut verdienende Mitglieder, um auf ihren Schnitt zu kommen. Lauter solche Dinge müssen wir diskutieren. Das können wir aber nur diskutieren, wenn wir mit diesen Zahlen arbeiten, insbesondere wenn wir mit aktuellen Zahlen arbeiten können.
Ich habe mir einmal das Kapitel der Förderprogramme angeschaut. Ich sehe das ein bisschen anders als der Kollege Habeck. Auch in der Kunst gibt es Personen, die einen Maschinenpark haben. Wenn einer zum Beispiel eine Stradivari im Schrank liegen hat, hat er die nicht einmal eben mit einem Kleinkredit über 4.500 € von der Sparkasse gekauft. Es gibt auch andere Geigen.
Es ist überhaupt eine Schwierigkeit dieses Berichtes und der Kulturbranche: Wie will ich zum Beispiel den Rowoldt-Verlag oder die Bosse-Druckerei in Leck mit einem Kammermusikensemble in Flensburg vergleichen, bei dem sich drei Musiker zusammengetan haben, um Musik zu machen? Das ist ganz schwer zu vergleichen. Natürlich müssen wir da - da stimme ich Robert Habeck zu - sehr flexible Förderinstrumente entwickeln. Die müssen aber nicht notwendigerweise klein sein.
Dass die Landesregierung mit diesem Thema noch Probleme hat, kann ich verstehen. Ich glaube, Künstlern geht es oftmals um Visionen und nicht um Millionen.
Ich glaube, die Landesregierung beschäftigt sich ausschließlich mit Millionen, da sind Visionen gar nicht mehr möglich.
Wir müssen trotzdem schauen, wie wir mit Förderprogrammen umgehen. Ich warne davor zu sagen: Wir machen Förderprogramme, damit das irgendwie so weitergeht und damit vielleicht ein paar Künstler im Land bleiben, damit vielleicht ein paar
Man sollte sich einmal die Situation von vor 20 Jahren in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg anschauen, bevor sich diese Länder entschlossen haben, Förderprogramme für die Filmwirtschaft aufzulegen. Mittlerweile ist die Filmwirtschaft in beiden Bundesländern, man muss sagen die Filmund Fernsehwirtschaft, ein wirklich wichtiger struktureller Wirtschaftszweig geworden. Filmwirtschaft - der Zug ist abgefahren; wir sollten in SchleswigHolstein nicht mehr versuchen, ein großer Filmstandort zu werden. Aber es gibt andere Zweige dieses Kulturbetriebes, wo Schleswig-Holstein, wenn wir jetzt anfangen, vernünftig zu fördern, irgendwann einmal die Stellung einnehmen könnte, die Nordrhein-Westfalen und Brandenburg jetzt in der Filmwirtschaft haben.
Ich wünsche mir, dass wir das anhand solcher Berichte langsam entwickeln können. Herr Minister, noch einmal vielen Dank. Der Bericht war hilfreich, und ich hoffe, wir bekommen bald aktuelle Zahlen dazu.
Es ist Ausschussüberweisung beantragt worden. Der Bericht soll zur abschließenden Beratung in den Bildungsausschuss überwiesen werden.
- Er soll zur abschließenden Beratung an den Bildungsausschuss und mitberatend an den Wirtschaftsausschuss überwiesen werden. - Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Das ist einstimmig so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Herrn Kollegen Rasmus Andresen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Gewalt oder die Diskriminierung von homo-, bi-, trans- oder intersexuellen Menschen hat in Deutschland traurige Tradition. Als Beispiel hierfür kann der § 175 Strafgesetzbuch genannt werden, der jahrzehntelang und bis weit in die 90er-Jahre sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte.