Protokoll der Sitzung vom 07.07.2010

Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/686

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne hiermit die Aussprache.

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Robert Habeck von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Arp! Es gab einmal eine neu gewählte Bundesregierung, die wollte unbedingt die Restlaufzeiten der Atomkraftwerke verlängern. Da die Regierung aus CDU/CSU und FDP über eine sichere Mehrheit im Bundesrat verfügte, schien das so durchgezogen werden zu können. Die vier großen Energiekonzerne freuten sich schon über satte Zusatzprofite.

Aber dann, nach der Wahlniederlage von CDU und FDP in NRW, war die Bundesratsmehrheit auf einmal futsch. Damit war auch die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke eigentlich vom Tisch. Es geht aber um sehr viel Geld. 1 Million € macht ein abgeschriebenes Atomkraftwerk pro Tag - pro Tag! - Gewinn. Es geht also um viel Geld für die großen Energieversorgungsunternehmen, und sie haben eine starke Lobby. Also begannen Überlegungen in der Bundesregierung, wie eine Laufzeitverlängerung hinzubekommen sei, ohne den Bundesrat zu beteiligen.

Aber dann erklärte in einer Pressemitteilung vom 8. Juni 2010 der schleswig-holsteinische Justizminister Emil Schmalfuß, dass es keine Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken ohne Zustimmung der Länder im Bundesrat geben könne. Allein schon die Tatsache, dass Schleswig-Holstein

(Bernd Heinemann)

für einen weiterreichenden Zeitraum als bisher vorgesehen mit Vollzugsaufgaben im Bereich Reaktorsicherheit und Strahlenschutz belastet wird, spräche für eine Zustimmungspflicht der Bundesländer. Das war mutig gesprochen, Herr Minister Schmalfuß.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Jetzt sollten wir uns an dieser Stelle hinter die Landesregierung stellen und ihr den Rücken stärken. Als Parlament, aber auch als Schleswig-Holsteiner sprechen wir uns für die Wahrnehmung der Interessen unseres Landes im Bundesrat aus.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, seitdem die Atomlobby glaubt - das ist seit ungefähr zwei Jahren, kurz vor der letzten Bundestagswahl, der Fall -, es gäbe eine Chance, den Atomausstieg zu kippen, hat sie mit immer neuen Argumenten versucht, die Konkurrenz der Erneuerbaren zurückzudrängen. Die Argumente waren alle falsch.

Erstens hieß es, wir brauchen Atomkraftwerke für die Grundlast. Der Wind weht ja manchmal nicht, oder die Sonne scheint manchmal nicht. Wahr ist jedoch, dass die flexiblen Erneuerbaren auch flexible Grundlastkraftwerke brauchen, intelligente Netze, Speichermedien, schnell anfahrbare Kraftwerke, keine mit mehreren Tagen Vorlauf.

Zweitens. Erneuerbare machen den Strom teuer, hieß es. Die Kosten alter abgeschriebener Kraftwerke werden gegen neue erneuerbare Energieanlagen verrechnet. Das hieße nicht nur Äpfel mit Birnen vergleichen; das ist, als vergleiche man Birnen mit Fallobst.

Richtig ist, dass das EEG ein Erfolgsgesetz ist. Wir sind führend, gerade in Schleswig-Holstein, in der Technologie der erneuerbaren Energien. Der EEGStrom ist nicht umsonst zu haben. Das ist richtig, aber das ist auch gut und vernünftig. Geld kostet es, und teuer ist der Strom, aber es ist nicht der EEGStrom, der teuer ist, sondern es ist der Atomstrom, der teuer ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Die Konzerne drücken den Strompreis hoch, um sich und ihren Aktionären die Taschen vollzumachen. E.ON machte 2009 einen Gewinn von 11 Milliarden €, Vattenfall von 4,9 Milliarden €. Und fielen die Strompreise? - Nein.

Nach einer neuen Studie sind 167 Milliarden € an Subventionen in die Atomenergie geflossen. Atomstrom mag, abgeschrieben, betriebswirtschaftlich günstig sein. Volkswirtschaftlich ist die Stromerzeugung aus Uran sauteuer und die Tendenz steigend.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Und dann hieß es drittens: Wir brauchen Atomstrom für die Versorgungssicherheit; es entstünde sonst eine Stromlücke. Dabei hat Deutschland allein im ersten Quartal 2010 9 Milliarden Kilowattstunden exportiert, knapp 7 % mehr, als wir hier verbrauchen. Und Krümmel und Brunsbüttel standen still.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Hört, hört!)

9 Milliarden Kilowattstunden entspricht der produzierten Menge von acht AKWs.

Meine Damen und Herren, wir brauchen keine AKWs, keine neuen und erst recht keine alten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Also meine Herren, geben Sie sich einen atomkritischen Ruck, stimmen Sie gegen die Laufzeitverlängerung, stellen Sie sich hinter Ihren Justizminister, und geben Sie den Erneuerbaren weiteren Rückenwind. Ihre Enkel und Urenkel und die Generationen der nächsten 50.000 Jahre werden sich bei Ihnen bedanken. „Atomkraft? Nein, danke!“

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter JensChristian Magnussen das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal haben wir es mit einem originellen Antrag der Grünen zu tun. Es geht um die Laufzeitenverlängerung von Atomkraftwerken. Solch einen ähnlichen Antrag hatten wir schon im Januar. Bereits damals haben wir Ihre Forderung abgelehnt, einer Änderung des Atomgesetzes im Bundesrat nicht zuzustimmen. Liebe Kollegen Habeck und Matthiessen, - beide Unterzeichner des Antrags -, jetzt raten Sie einmal, wie wir diesmal abstimmen werden. Sie werden aus allen Wolken fallen. Aber

(Dr. Robert Habeck)

mal im Ernst: Wollen Sie jedes halbe Jahr die gleichen Anträge stellen?

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wenn es hilft!)

Das halten Sie nicht durch. Das wird selbst Ihnen irgendwann zu langweilig. Außerdem ist es ein sehr verzweifelter Versuch, bei diesem Thema Geschäftigkeit zu dokumentieren.

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Nein, im Moment nicht. Herr Matthiessen versucht es immer wieder.

Ich komme zum Antrag. Lassen Sie mich zu Beginn ein paar Worte zur Beschlussvorlage verlieren. Der Schleswig-Holsteinische Landtag solle feststellen, „dass eine Zustimmungspflichtigkeit des Bundesrats zu einer Änderung des Atomgesetzes mit einer Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken besteht.“ Ich finde, dass ist eine bemerkenswerte Formulierung, lieber Herr Dr. Habeck. Haben Sie den paar Juristen in Karlsruhe schon mitgeteilt, dass sie eigentlich überflüssig sind? Jetzt, da der Schleswig-Holsteinische Landtag Bundesverfassungsgericht spielen soll, können wir den Laden in Karlsruhe doch dichtmachen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich erinnere Sie daran, das zählt nicht zu den Einsparvorschlägen der Haushaltskonsolidierung des Landes; denn Sparen würde hier nur der Bund.

Jetzt aber noch einmal im Ernst: Sie können doch nicht etwas feststellen, was nicht Fakt ist. Vielleicht wird es so sein, vielleicht aber auch nicht. Die einen Gutachter sprechen sich für, die anderen Gutachter - wie Rupert Scholz - gegen eine Zustimmungspflicht aus. Das haben wir aber nicht zu entscheiden. Allein deshalb ist der Antrag in keiner Weise zustimmungsfähig.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt allerdings auch andere Gründe, die gegen den Antrag sprechen. Ich kann es nur noch einmal betonen: Die Kernenergie ist das Rückgrat der norddeutschen Energieversorgung. Gemeinsam mit den erneuerbaren Energien, mit der Kohle- und Gasenergie muss sie Bestandteil in jedem vernünftigen Energiemix sein. Dadurch wird die Versorgungssicherheit gewährleistet und der kontinuierli

che Anstieg der Energiepreise gedämpft. Davon profitiert die Wirtschaft, und davon profitiert das energieintensive Gewerbe, davon profitieren die Familien.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, Sicherheit steht auch für uns an erster Stelle.

(Beifall bei der CDU)

Ein unsicheres Kraftwerk wird nicht wieder angefahren. Umso mehr erfreut es mich, dass der Justizminister im Wirtschaftsausschuss deutlich gemacht hat, dass Vattenfall beim Kernkraftwerk Krümmel alle Hebel in Bewegung setzt, um die strengen Auflagen des Ministeriums zu erfüllen.

(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn alle Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betreibers ausgeräumt sind, steht der Ausstellung der weiteren Betriebserlaubnis nichts im Weg.

(Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich stellt sich die Frage, ob der Bundesrat einer Laufzeitverlängerung zustimmen muss. Ich habe vor einem halben Jahr gesagt, dass ich nicht davon ausgehe. Dazu stehe ich nach wie vor. Im Gegensatz zu den Grünen sehe ich mein Statement aber nicht als Richterspruch. Ich kann mir nur nicht vorstellen, warum eine moderate Ausweitung der Reststrommengen beziehungsweise der Laufzeit zustimmungspflichtig, die viel weitergehende Gesetzesänderung von Rot-Grün aus dem Jahr 2002 aber nicht zustimmungspflichtig sein soll.

Sie können es wenden, wie Sie wollen. Finanziell das ist das Argument der Juristen - wird sich der Beschluss von Rot-Grün auf das Land viel deutlicher auswirken, und zwar negativ. Also entweder ist bei beiden Änderungen eine Zustimmungspflicht gegeben oder bei keiner. Im ersten Fall wäre die Änderung aus dem Jahr 2002 hinfällig.

Mit beiden Varianten könnten wir als CDU-Fraktion und ich persönlich als betroffener Wahlkreisabgeordneter gut leben. Aber auch die Befürworter der erneuerbaren Energien, von denen ich einer der größten bin, sollten damit gut leben können.

(Zuruf von der CDU)

- So ist es.