Protokoll der Sitzung vom 08.07.2010

Ob eine elektronische Überwachung zu befürworten ist, hängt im Ergebnis davon ab, wie diese Prüfungen ausgehen und wie die Überwachung konkret ausgestaltet ist. Hier wird es insbesondere auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ankommen.

Im Zusammenhang mit den möglichen Entlassungen haben die Anstaltsleitungen im Übrigen auch Gespräche mit den betroffenen drei Sicherungsverwahrten und deren Verteidigern geführt, um konkrete vorbereitende Maßnahmen und Hilfestellungen leisten zu können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch einen weiteren Aspekt ansprechen. Wie schon erwähnt, wird es ein Weiterdenken zur Wahrung des Abstandsgebots zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung geben müssen. Dabei geht es auch um die Frage, ob Sicherungsverwahrung weiterhin in den Justizvollzugsanstalten oder in gesonderten Einrichtungen zu vollziehen ist. Hierbei muss man wiederum ernsthaft über eine länderübergreifende Zusammenarbeit diskutieren. Das ist sowohl aus Kosten- als auch aus Kapazitätsgründen notwendig; denn Ende des vergangenen Jahres hatten wir in Schleswig-Holstein insgesamt nur 15 Sicherungsverwahrte.

(Beifall)

Die Landesregierung hat ihre verabredete Redezeit um 49 Sekunden überzogen. So viel zusätzliche Redezeit steht nun jeder Fraktion zur Verfügung. - Ich danke dem Herrn Minister für den Bericht und eröffne die Aussprache. Das Wort für die antragstellende Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Thorsten Fürter.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Umgang mit hochgefährlichen Straftätern in einem Rechtsstaat gehört zu den schwierigsten Fragestellungen der Rechtspolitik in unserer Zeit. Es stellt eine enorme Herausforderung dar, zugleich Verantwortung für die Sicherung der Bevölkerung zu tragen und den Grundrechtsschutz aller Menschen zu garantieren.

Vor diesem Hintergrund ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte über den Umgang mit Sicherungsverwahrten zunächst einmal eine Aufgabe für die Politik und damit auch ein Thema für diesen Landtag. Die Entscheidung des Gerichtshofs greift ein Kernanliegen aller rechtsstaatlich Denkenden auf, nämlich das strikte Verbot, eine rückwirkende Straferhöhung nach der Verurteilung vorzunehmen.

Trotzdem bricht bei den meisten liberal gesinnten Rechtspolitikern kein Jubel aus. Dieser wäre auch unangebracht; denn Anlasstaten und Gefährlichkeit der Täter lassen für solche Regungen zu Recht keinen Raum. Wahr ist aber auch: Die These „Wegsperren - und zwar für immer“ - wenn auch aus respektvollem Mund geäußert - ist im Rechtsstaat keine Alternative. Wir sollten uns davor hüten,

(Minister Emil Schmalfuß)

dieses hochsensible Thema auf Stammtischniveau zu diskutieren.

(Beifall)

Das bedeutet für uns zunächst einmal, die Entscheidung des Gerichtshofs zu befolgen. Es ist beim Thema „Sicherungsverwahrung“ zu lange auf Zeit gespielt worden. Das rächt sich jetzt. Eile ist geboten. Wir müssen die rechtlichen Regelungen zur Sicherungsverwahrung überarbeiten. Der Streit, den sich Union und FDP auf Bundesebene zurzeit leisten, ist leider keine gute Nachricht für den Umgang mit dem Thema.

Lieber Herr Minister Schmalfuß, die Haltung der Landesregierung scheint zu sein: Sie hat keine Haltung. - Die Thesen der Bundesjustizministerin, auf die Sie hier verweisen, werden von der Bundesunion heftig angefeindet. Ich hätte mir ein klares Wort gewünscht, wonach die Landesregierung klar an der Seite von Frau Leutheusser-Schnarrenberger steht.

In der Vergangenheit wurden die Bestimmungen über die Sicherungsverwahrung wiederholt und reflexartig verschärft. Ich will das nicht beschönigen. Auch die Grünen haben sich in Regierungsverantwortung daran beteiligt. Das ändert aber nichts daran, dass die Verschärfung der entscheidende Grund für das Scheitern der deutschen Vorschriften vor dem Gerichtshof sind. Wir müssen bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung ansetzen und klar sagen, dass es keine Sicherungsverwahrung gibt, wenn sie nicht zumindest im Urteil des Gerichts vorbehalten wurde.

Wir müssen uns auch die Anlasstaten ansehen. Es sind nicht nur Mörder oder Sexualstraftäter, die in Sicherungsverwahrung sitzen, sondern auch Betrüger und Heiratsschwindler. Ich plädiere für eine Beschränkung der Sicherungsverwahrung auf schwerste Taten.

Auch bei der Behandlung ist anzusetzen. Die Sicherungsverwahrung greift dort ein, wo das Unrecht der Tat durch Verbüßung der Haft im Sinne des Strafrechts abgegolten ist. Die Einstufung der Sicherungsverwahrung als Strafe haben sich die Justizpolitiker in Deutschland selbst zuzuschreiben, weil sie die Sicherungsverwahrten in der Regel so behandelt haben wie Strafgefangene.

Herr Schmalfuß, ich erwarte von Ihnen, dass Sie dafür ein Konzept vorlegen, wie wir Sicherungsverwahrung und Strafvollzug in Zukunft inhaltlich und organisatorisch trennen - wenn möglich in einem Verbund mit weiteren Bundesländern. Ich hoffe, dass das zügig geschieht.

Lassen Sie mich noch ein Wort zu den sieben Altfällen in Schleswig-Holstein sagen, bei denen eine Entlassung im Laufe des Jahres unvermeidlich sein dürfte. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie alle rechtsstaatlich zulässigen Mittel ergreift, damit die Sicherheit der Bevölkerung nicht gefährdet wird. Wir müssen uns auf diese Menschen mit den Mitteln der Führungsaufsicht und der Gefahrenabwehr einstellen. Jeder rechtsstaatliche und sachdienliche Vorschlag sollte dabei geprüft werden.

Wenn jetzt die elektronische Fußfessel als Allheilmittel angesehen wird, sehe ich allerdings mehr offene Fragen als Antworten. Herr Schmalfuß, Sie haben sich in der Presse grundsätzlich positiv zu diesem Vorschlag geäußert. Was mir auch nach der Rede fehlt, ist eine klare Vorstellung davon, wie die von Ihnen befürwortete elektronische Fußfessel in ein Sicherheitskonzept eingebaut werden kann. Sie haben die Chance, diese Vorstellungen zumindest im Ansatz im Landtag zu berichten, leider vertan.

Fazit: Die Sicherungsverwahrung ist eine wesentliche Herausforderung für den Rechtsstaat. Die Landesregierung muss bei diesem Thema allerdings erst auf der Höhe der Zeit ankommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Barbara Ostmeier das Wort. Ich weise darauf hin, dass es sich um ihre erste Rede handelt.

(Beifall)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Weg bis hierher ist das erste Mal ein wenig lang. Der erste Schritt ist aber schon einmal getan.

Herr Minister Schmalfuß, ich danke Ihnen zunächst einmal für Ihre Ausführungen. Ich gebe meinem Vorredner recht. Ich hätte mir natürlich die eine oder andere nähere Äußerung zu Ihrem Standpunkt und dazu gewünscht, wie Sie die Entwicklung sehen.

Ich muss aber konzedieren: Sie haben dem Antrag entsprechend geantwortet. Er hat sich ganz konkret auf die Situation in Schleswig-Holstein und darauf bezogen, was auf uns zukommt. Es ging ganz konkret um die Frage, wie Sie mit den hier anstehenden Problemen umgehen, und nicht darum, welche Meinung Sie vielleicht zur politischen Situation auf

(Thorsten Fürter)

Bundesebene haben. Insofern kann ich die heutige Kritik nicht teilen.

(Beifall bei CDU, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie stellen in Ihren Ausführungen dar, dass Sie in engem Kontakt zu den betroffenen Ressorts stehen und Sicherheitsvorkehrungen für den Fall getroffen zu haben, dass es in Schleswig- Holstein auf Basis der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zu Entlassungen kommen muss.

Immerhin könnte sich diese Möglichkeit in Schleswig-Holstein derzeit bereits für drei Fälle und bis 2012 für vier weitere Fälle ergeben. Die Berichterstattung verdeutlicht - hier teile ich die Meinung meines Vorredners -, dass aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofes dringender Handlungsbedarf besteht. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung wird allerdings im Strafgesetzbuch geregelt und ist damit eine Frage der Bundesgesetzgebung. Das Bundesjustizministerium hat erste Eckpunkte zur dringend erforderlichen Reform der Sicherungsverwahrung vorgestellt. Ein erster Gesetzentwurf soll in Kürze vorgelegt werden. Es ist das Ziel - ich glaube, darüber sind sich fraktionsübergreifend alle einig -, vorhandene Regelungslücken umfassend zu schließen.

Erlauben Sie mir, auch wenn die Landesebene gesetzgeberisch zurzeit nicht gefordert ist, einige wesentliche Kernpunkte der Debatte zu verdeutlichen. Es geht hier tatsächlich darum, eine Gratwanderung zwischen dem extremen Bedürfnis nach Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten, die in diesen Fällen vielleicht sogar vorhersehbar sind, und dem Anspruch des einzelnen Straftäters, weiterhin nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten behandelt zu werden, zu bewältigen. Es geht hier um die Unterbringung eines Straftäters mit dem Hang zu erheblichen Straftaten, die mit schweren körperlichen Schäden für die Opfer einhergehen. Die Sicherungsverwahrung ist in einem solchen Fall wohl die sicherste Maßnahme, um den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten.

(Beifall bei der CDU)

Insbesondere das Instrument der nachträglichen Sicherungsverwahrung ermöglicht es, die Gefährlichkeit des Straffälligen bis zum Ende der Haftzeit auch unter neuen Gesichtspunkten zu beurteilen. Ich glaube, das ist sehr wichtig.

Genau aus diesem Grund stellt die Anordnung der Sicherungsverwahrung für den Täter aber auch einen schweren Grundrechtseingriff dar. Auch

Straftäter sind Träger von Grundrechten. Das ist unbestritten. Auch sie haben Anspruch auf ein rechtsstaatlich korrektes Verfahren. Für jeden Einzelnen gilt der Grundsatz, wegen der gleichen Tat nicht mehrfach bestraft zu werden. Genügen die ersten Eckpunkte aus dem Justizministerium aber sowohl dem Anspruch, alle bestehenden Sicherheitslücken zu schließen, als auch der Verpflichtung, ein rechtsstaatliches Verfahren durchzuführen? Ist die Anordnung der Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt geeignet, alle Problemfälle zu erfassen?

Welche Lösungsvorschläge beinhaltet der Entwurf für die sogenannten Altfälle oder diejenigen Straftäter, bei denen sich die Gefährlichkeit und die mangelnde Resozialisierungsfähigkeit erst im Verlauf des Vollzuges herausstellen? Diejenigen, die sich in unserem Land mit dem Strafvollzug befassen, wissen, dass es Fälle gibt, bei denen der Richter den Täter nicht von vornherein abschließend einschätzen kann, weil sich die Gefährlichkeit erst während der Haftzeit herausstellt. In solchen Fällen muss der Staat noch einmal eingreifen können, um die Bevölkerung wirksam und effektiv zu schützen.

(Beifall bei der CDU)

Bei den vom Justizminister angesprochenen sieben einsitzenden Schwerverbrechern handelt es sich um sogenannte Altfälle. Das Kieler Sicherheitskonzept für Sexualstraftäter bietet den Ausführungen des Justizministers zufolge ein gutes Koordinierungskonzept, um die Sicherheit der Bevölkerung in Schleswig-Holstein vor dem Hintergrund der derzeitigen unsicheren Rechtslage zu gewährleisten. Ein wesentlicher Bestandteil des Konzeptes ist in diesem Zusammenhang auch der länderübergreifende Kontakt für den Fall, dass ein Entlassener in ein anderes Bundesland wechselt. Die Überprüfung der Nutzungsmöglichkeiten einer elektronischen Überwachung im Bereich der Führungsaufsicht ist ebenfalls ein positives Ergebnis der Justizministerkonferenz. Zum einen stellt sie eine zumindest unterstützende Maßnahme dar, um den Täter von der Begehung von weiteren Straftaten abzuschrecken. Zum anderen bietet sie eine Entlastung im Bereich der Überwachung des Täters. Sie birgt aber die Schwäche, dass sie lediglich zeigt, wo der Straffällige sich befindet, nicht aber, was er zu dem jeweiligen Zeitpunkt tut.

Dass zurzeit in der Anstaltseinrichtung Gespräche mit den betroffenen drei Sicherungsverwahrten und deren Verteidigern geführt werden, halte ich ebenfalls für eine sehr sinnvolle Maßnahme, um auf die

(Barbara Ostmeier)

möglichen anstehenden Ereignisse auf allen Ebenen gut vorbereitet zu sein.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Landesregierung für die Sicherheit der Bevölkerung angemessene Vorbereitungen getroffen hat. Jetzt muss aber auch auf Bundesebene die schon seit vielen Jahren geführte Debatte über die Sicherungsverwahrung zügig und rechtssicher beendet werden.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei SPD, der LINKEN und SSW)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Andreas Beran das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister, im Namen der SPD-Fraktion sage ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern herzlichen Dank für den erstatteten mündlichen Bericht. Ein mündlicher Bericht hat es an sich, dass man nicht sofort alles Wesentliche vor Augen hat. Ich werde hier versuchen, auf den einen oder anderen Punkt einzugehen. Wir haben es hier mit einem Thema zu tun, das sowohl Verstand als auch Bauchgefühl bedient. Gilt Resozialisierung und Verbüßen von Strafen für alle Arten von Verbrechen oder etwa nicht? Gehören Sexualstraftäter weggesperrt und schmeißt man den Schlüssel dabei am besten gleich weg oder hat ein Sexualstraftäter wie alle anderen Straftäter eine Chance verdient?

1998 wurde das Strafgesetzbuch so verändert, dass Verurteilte nach Verbüßung einer Gefängnisstrafe lebenslang in Sicherungsverwahrung genommen werden konnten. Das musste im Rahmen der Strafmaßfestsetzung festgelegt werden. Vor 1998 konnte Sicherungsverwahrung bis zu zehn Jahren verhängt werden, wobei alle zwei Jahre durch das Gericht unter Beteiligung von Gutachtern eine Überprüfung zu erfolgen hatte. Ein Wiederholungstäter konnte lebenslang sicherungsverwahrt werden.

Nun gibt es, wie wir schon gehört haben, Straftäter aus der Zeit vor 1998, die man weiterhin für so gefährlich hält, dass man die Bevölkerung vor ihnen schützen möchte, die aber im Rahmen eines Strafverfahrens nach altem Recht nicht zu einer lebenslangen Sicherungsverwahrung verurteilt wurden. Wie gehen wir mit diesem Personenkreis am sinnvollsten um?

Von dem Herrn Minister haben wir eben gehört, dass es hier in Schleswig-Holstein durch das Ober

landesgericht diesbezüglich noch keine weitere Rechtsprechung gibt. Ich denke, man müsste sich in der Rechtsprechung jetzt an dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes orientieren. Eine nachträgliche Verhängung von Maßnahmen halte ich für relativ schwierig. Dazu gehört für mich auch die elektronische Kontrolle oder, wie sie auch genannt wird, die elektronische Fußfessel. Ich meine, dass im Umgang mit diesem Instrument Vorsicht geboten ist. Ich weiß nicht, ob dieses Instrument in der Tat zu dem gewünschten Erfolg führt. Gut finde ich jedoch die von dem Minister dargestellte gemeinsame Sicherungsverwahrung, die er anstrebt. Ein zu berücksichtigender Aspekt ist natürlich auch die Behandlung dieses Personenkreises. Nach dem, was ich gehört habe, fällt es Sexualstraftätern in den normalen Anstalten nicht leicht, sich einer Sexualtherapie zu unterziehen, weil sie sich auf diese Art und Weise auch outen. Jeder, der sich einmal ein bisschen mit der Szene vertraut gemacht hat, weiß, dass sich Sexualstraftäter auf der untersten Hierarchiestufe in den Gefängnissen befinden.

Ich möchte auf einige weitere Aspekte eingehen. Die Sozialdemokraten begrüßen die Gesetzesinitiative der Bundesregierung, wonach das Recht dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes angepasst werden soll. Wir denken, dass dies auch zügig geschehen muss. Wir haben im Moment Bedenken, dass es zu einer Verschleppung kommen könnte, weil sich in diesem Bereich CDU und CSU auf der einen Seite und FDP auf der anderen Seite nicht ganz einig sind. Wir hoffen, dass das schnell geklärt wird, damit die Justiz nicht alleingelassen wird. Sie haben eine entsprechende Unterstützung dringend nötig.