Protokoll der Sitzung vom 09.07.2010

Was aber haben wir davon, wenn ein Teil der Schülerinnen und Schüler den Religionsunterricht besucht und ein anderer Teil den Philosophieunterricht? So kommt man ganz sicher nicht miteinander ins Gespräch. Die Neutralität, die das Grundgesetz zusichert, wäre nur dann gewährleistet, wenn, wie in Berlin und Bremen geschehen, ein gemeinsamer Ethik- und Religionskundeunterricht eingeführt würde.

(Beifall bei der LINKEN)

Schaut man sich die Umfragen von Infratest an, so stellt man fest, dass sich 55 % der deutschen Bevölkerung für den gemeinsamen Ethik- und Religionskundeunterricht aussprechen. Der getrennte Unterricht nach Religionszugehörigkeit - das Entwederoder - besitzt einen ausgrenzenden Charakter.

(Beifall der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Die Begründungen und die Vorteile, die sich aus einem gemeinsamen Unterrichtsfach ergeben, liegen auf der Hand.

Erstens. Im Hinblick auf die kulturelle Vielfalt bietet der Ethik- und Religionskundeunterricht eine Plattform des Dialogs zwischen den Kulturen. Es können Aspekte thematisiert werden, die sonst vielleicht nicht zur Sprache kommen. Der vergleichende kulturelle Austausch ist die Chance, den Kulturdialog zu fördern. Gerade in der heutigen Zeit führt die fehlende Auseinandersetzung mit den religiösen Unterschieden häufig zu Angst, Verunsicherung und Ablehnung.

(Beifall der Abgeordneten Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Rasmus An- dresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Zweitens. Die Werteorientierung am Grundgesetz und an den Menschenrechten kann gezielt gefördert werden. Fundamentale Grundwerte der Gesellschaft wie Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit können intensiv besprochen werden. Dass diese Wertevermittlung auch in anderen Unterrichtsfächern wie Deutsch, Sozialkunde oder Geschichte erfolgt, steht außer Frage. Leider ist der Umfang, in dem dies geschieht, wegen der vollen Lehrpläne immer noch zu gering.

Drittens. Die vergleichende Perspektive und die weltanschauliche Neutralität fördern den Respekt im Umgang mit den verschiedenen Religionen und Weltanschauungen. Die Schülerinnen und Schüler müssen vergleichend über die verschiedenen Religionen und Kulturen informiert werden, und zwar gemeinsam und nicht getrennt voneinander.

(Beifall bei der LINKEN und der Abgeord- neten Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Den Schülerinnen und Schülern wird so die Freiheit der individuellen Orientierung eingeräumt. Sie können sich im Hinblick auf ihre konfessionelle Zugehörigkeit selbst reflektieren, und sie können Handlungskompetenzen entwickeln. Unser Ziel muss es

sein, dass alle jungen Menschen in der Schule ein demokratisches Grundverständnis, Toleranz und Respekt vor anderen Religionen und Weltanschauungen vermittelt wird.

(Beifall bei der LINKEN und der Abgeord- neten Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Rasmus Andresen [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Darum geht es, und deshalb fordert DIE LINKE einen gemeinsamen, verbindenden Unterricht. Wir wollen, dass auch konfessionslose Schülerinnen und Schüler keine Benachteiligung erfahren, dass alle Glaubensgemeinschaften und Weltanschauungen innerhalb der Schule eine gleichberechtigte Anerkennung finden.

(Beifall bei der LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die CDU-Fraktion erteile ich der Frau Kollegin Herlich Marie Todsen-Reese.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Fraktion DIE LINKE will - wir haben es eben gehört - den konfessionsgebundenen Religionsunterricht in Schleswig-Holstein abschaffen, der nach ihrer Auffassung nicht mit dem Sinn des Artikels 7 Abs. 1 des Schulgesetzes übereinstimmt und ausgrenzenden Charakter besitzt.

Es ist wirklich bemerkenswert, wie schlank sich die Fraktion DIE LINKE über geltendes Recht, aber auch über gewachsene Kultur und Tradition hinwegsetzt. Die maßgeblichen rechtlichen Grundlagen für den konfessionsgebundenen Religionsunterricht in Schleswig-Holstein finden sich im Grundgesetz, in den Kirchenstaatsverträgen zwischen dem Land Schleswig-Holstein und der Nordelbischen Kirche und mit dem Heiligen Stuhl und im schleswig-holsteinischen Schulgesetz.

Im Artikel 7 GG heißt es dazu in Absatz 3:

„Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.“

Damit hat der Religionsunterricht eine Sonderstellung, denn er ist als einziges Unterrichtsfach in

unserer Verfassung verankert. Zugleich wird in der Verfassung die Religionsfreiheit gewährt. Ich bin sicher, die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben sich dabei etwas gedacht. Jahrhunderte währende Tradition und unsere Wurzeln im christlichen Abendland haben dabei Pate gestanden.

(Beifall bei CDU und FDP)

Aber ursächlich für diese Sonderstellung waren ganz sicher auch die quälenden Erinnerungen an die vernichtenden, menschenverachtenden Auswüchse eines gottlosen Nazi-Regimes. In diesem verbrecherischen Regime wurden Glauben und Gott als Störenfriede der Macht verbannt und fromme, aufrechte Bekenner wie Dietrich Bonhoeffer ermordet. Welch ein Glücksfall der Geschichte, dass sich Kirche im Regime der ehemaligen DDR schlussendlich durchgesetzt hat.

(Beifall bei CDU und FDP)

All das sollten wir auch heute nicht als bedeutungslos abtun. Nein, es sollte uns immer wieder Warnung sein.

Auch die Staatskirchenverträge zwischen dem Land Schleswig-Holstein und der Nordelbischen Kirche sowie dem Heiligen Stuhl legen fest, dass der evangelische und der katholische Religionsunterricht ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen sind und dass der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der evangelisch-lutherischen und der katholischen Kirche erteilt wird.

Hiermit wird sehr deutlich: Religionsunterricht ist gemeinsame Sache von Staat und Kirche. Vereinfacht kann man sagen: Der Staat ist für die Durchführung als ordentliches Lehrfach verantwortlich, und die Religionsgemeinschaften verantworten die Inhalte.

Die bisher genannten rechtlichen Vorgaben verdichten sich noch einmal in § 7 des schleswig-holsteinischen Schulgesetzes. Auch im Schulgesetz werden das Zusammenwirken von Staat und Religionsgemeinschaften, aber auch die Freiheit der Religionsausübung herausgestellt. In § 7 Abs. 2 heißt es: „Die Eltern haben das Recht, die Schülerin oder den Schüler vom Religionsunterricht abzumelden.“ Dieses Recht steht - wir wissen es - ab dem 14. Lebensjahr auch den Schülern selbst zu. Es ist auch verankert, dass sie stattdessen anderen Unterricht erhalten. Das ist in Schleswig-Holstein unter anderem - wir haben es gehört - ab Sekundarstufe I das Fach Philosophie. Ich komme darauf noch einmal zurück.

(Ellen Streitbörger)

Darüber hinaus gilt, dass am konfessionsgebundenen Religionsunterricht auch Schülerinnen und Schüler ohne Konfession oder anderer Konfessionen teilnehmen können. Darüber hinaus gibt es 2007 neu eingeführt - Islamunterricht für ausgewählte Grundschulen in Schleswig-Holstein. Ich denke, das hat Modellcharakter und wird weiterzuentwickeln sein.

(Beifall bei der CDU)

Mit diesen Informationen will ich deutlich machen, dass die geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen und die praktischen Handhabungen für den konfessionsgebundenen Religionsunterricht keineswegs ausgrenzenden Charakter haben, wie von der Fraktion DIE LINKE kritisiert. Vor diesem Hintergrund halte ich die pauschalen Vorwürfe Ihrer Fraktion für nicht haltbar.

(Beifall bei der CDU)

Allerdings - das gehört zur Ehrlichkeit dazu - gibt es nicht erst seit heute Hinweise darauf, dass Religionsunterricht keineswegs in dem Umfang und in der Fachlichkeit unterrichtet wird, wie es rechtlich vorgegeben ist, und dass der andere Unterricht auch nicht immer und überall so sichergestellt wird, wie es rechtlich vorgesehen ist.

Ich denke, dass hier die Situation nach wie vor nicht zufriedenstellend ist. Das heißt für mich persönlich im Klartext: Der konfessionsgebundene Religionsunterricht an unseren Schulen muss ebenso wie gleichwertiger Unterricht im Fach Philosophie quantitativ und qualitativ intensiviert werden. Dazu gehört auch, über Struktur und Inhalte des schulischen Religionsunterrichtes neu nachzudenken und geeignete Formen der Zusammenarbeit zu erproben. Darum müssen wir uns gemeinsam kümmern.

Was wir nicht brauchen, ist ein allgemeiner Religionskundeunterricht. Das Nebeneinander von konfessionellem Religionsunterricht und Philosophie wird der religiös-weltanschaulichen Pluralität in unserer Gesellschaft besser gerecht als ein allgemeiner, unverbindlicher Religionskundeunterricht. Darum lehnen wir den Antrag der Fraktion DIE LINKE ab.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Das Wort für die SPD hat nun Herr Kollege Rolf Fischer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der LINKEN, den Religionsunterricht durch eine Art Ethikunterricht zu ersetzen, ist weder neu noch überraschend. In vielen Bundesländern haben wir diese Diskussion schon geführt. Ich meine das gar nicht als Kritik. Der Antrag gibt uns die Möglichkeit, über die Notwendigkeit und die Inhalte von Religionsunterricht neu zu sprechen. Wir wollen die Chance nutzen, heute etwas dazu zu sagen.

Heute ist Zeugnisausgabe, und viele Schülerinnen und Schüler erfahren auch ihre Religionsnoten. Meine beiden Kinder haben im Religionsunterricht über das Christentum, den Buddhismus, den Islam und das Judentum gesprochen. Sie haben aber auch über Gewalt in der Gesellschaft, über das Rollenverständnis von Mann und Frau und über Drogenproblematik gesprochen. Schon heute ist das Fach Religion also ein vielfältig angelegtes und so verstandenes Unterrichtsfeld. Es findet Unterricht statt, der einen großen Beitrag - ich zitiere aus Ihrem Antrag - „zu Toleranz, Respekt und Dialogfähigkeit“ leistet. Was Sie von Ihrem Antrag erwarten, ist vielfältig schon Realität in unseren Schulen. Es findet eine breit angelegte Diskussion über gesellschaftliche Fragen statt.

Lassen Sie mich hinzufügen, dort unterrichten auch keine verknöcherten Fundamentalisten, die missionarisch die christliche Lehre in die Köpfe der Kinder implantieren, sondern moderne Pädagogen und Theologen, die ihre Arbeit gut, interessant und informativ gestalten.

(Beifall bei SPD, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das ist auch deshalb wichtig, weil der Religionsunterricht eine ganz besondere Stellung hat. Frau Todsen-Reese hat schon darauf hingewiesen. Ich kann mir das hier ersparen.

Ich möchte aber einen Punkt aufnehmen, den Sie auch genannt haben. Wir müssen registrieren, dass sich die Gesellschaft verändert hat. Sie ist bunter geworden. Die religiösen Bindungen im Land haben sich verändert. Auch durch die Zuwanderung der letzten Jahrzehnte sind viele Menschen einer der zahlreichen orthodoxen Konfessionen, Muslime oder Andersgläubige zu uns gekommen.

Wir reden häufig über die sogenannte PatchworkReligion, die immer weiter um sich greift. Das möchte ich einmal ansprechen. Wir reden von Formen der Sinnkrise. Wir reden davon, dass wir Orientierung suchen. Wenn wir über Religionsunter

(Herlich Marie Todsen-Reese)

richt reden, ist es sehr wichtig, genau diese Punkte aufzunehmen. Der Religionsunterricht hat die große Chance, Wege der Orientierung in einer Zeit zu geben, in der viele Menschen Orientierung suchen. Das ist etwas, was ihn unverzichtbar für unsere Schulen werden lässt.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Herlich Marie Todsen-Reese [CDU])

Ich will nur kurz darauf hinweisen. Der Anteil der beiden großen christlichen Kirchen in der Bundesrepublik ist auf insgesamt etwa 60 % zurückgegangen. 6 % gehören dem Islam, anderen christlichen Konfessionen und sonstigen Glaubensgemeinschaften an. Die größte weltanschauliche Gruppe sind die Konfessionslosen mit 34 %.

Frau Streitbörger, in Schleswig-Holstein sieht es etwas anders aus. Dort verzeichnet die Landesregierung gemäß ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage aus dem Jahr 2008 2 Millionen Protestanten, rund 170.000 Katholiken und knapp 2.000 Menschen jüdischen Glaubens. Über die Zahl der Muslime und der orthodoxen Christen konnte die Regierung damals keine Angaben machen.