Protokoll der Sitzung vom 09.07.2010

Wie können Sie sagen, Schulentwicklung geht, Bildungspolitik geht nicht? Reife als Kriterium ist da nur sehr bedingt tauglich - das habe ich von den Kollegen eben schon gehört.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das sieht man bei Ihnen!)

- Herr Kubicki, mit einer gewissen Reife kann man offenbar sogar Fraktionsvorsitzender der FDP in Schleswig-Holstein werden.

(Beifall bei der SPD - Heinz-Werner Jezew- ski [DIE LINKE]: Dafür braucht es aber nicht viel!)

Wenn wir uns angucken, womit sich die Schülerinnen und Schüler im Alter von 16 Jahren in der Schule beschäftigen, dann kann ich Ihnen versichern, dass sie über Aufklärung und politische Ideen mehr wissen als manch anderer zehn Jahre später.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und der LINKEN)

Das Wort für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat der Herr Abgeordnete Wolfgang Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da stellt sich mir die Frage, ob die Erkenntnisse, die wir gerade von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD gehört haben, in den letzten fünf Jahren gewachsen sind. Wenn ich richtig unterrichtet bin, haben Sie neun Jahre zusammen regiert mit der Möglichkeit, das Wahlrecht zu ändern, ohne es zu ändern.

(Beifall bei FDP und CDU - Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Das ist unglaubwür- dig!)

Es muss dafür ja gute Argumente gegeben haben, es nicht zu tun, oder es war schlichte Nachlässigkeit.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Aber zu Ihren Argumenten, Herr Kollege Dr. Stegner: Ich weiß, Sie leisten sich neue Erkenntnisse. Bei Ihnen gibt es neue Erkenntnisse in einer so un

glaublichen Geschwindigkeit, dass wir gar nicht mehr wissen, wo Ihre Linie ist.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Selbstverständlich gestatte ich eine Zwischenfrage.

Herr Kollege Kubicki, haben Sie mitbekommen, dass große Teile der jetzigen Fraktion nicht der alten SPD-Fraktion angehört haben

(Zurufe von CDU und FDP: Oho, oho!)

und dass wir nur, wie Sie auch, unserem Gewissen gegenüber und sachlichen Überlegungen verpflichtet sind und nicht irgendwelche Traditionslinien als Argumentationslinien anerkennen können und deshalb zu dieser Erkenntnis gekommen sind?

- Also, zunächst einmal, Herr Kollege, beantworte ich Ihre Frage dahin gehend, dass ich mitbekommen habe, dass die SPD-Fraktion anders zusammengesetzt ist als beim letzten Mal. Ich kann aber nicht erkennen, dass die Qualität dadurch besser geworden ist.

(Heiterkeit und Beifall bei FDP und CDU)

Ich will jetzt aber auf einige der Argumente, die wir im Innen- und Rechtsausschuss noch erörtern werden, gern eingehen. Bei der letzten Absenkung des Wahlalters ist gleichzeitig die Volljährigkeitsgrenze von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt worden mit entsprechenden rechtlichen Konsequenzen.

(Widerspruch)

- Doch, das stimmt. Was soll ich mich mit Ihnen beschäftigen? Es ist einfach so, dass die Volljährigkeitsgrenze auf 18 Jahre herabgesetzt worden ist und deshalb das Wahlrecht auch entsprechend Anwendung finden konnte. Dafür gab es gute Gründe.

Aber kann mir jemand erklären, warum wir Ihrem Vorschlag folgend bei 16 anfangen und nicht bei 14? Mit 14 Jahren werden Jugendliche strafmündig. Mit 14 werden sie Vollmitglieder einer Kirche. Warum dann erst ab 16? Wenn das Argument gilt, das hier ja vorgetragen worden ist, dass Jugendliche lernfähig, aufgeklärt und was auch immer sind, dann müsste dieses Argument doch durchgreifend sein. Kann mir jemand erklären, warum wir Jugendliche im Strafrecht anders be

(Martin Habersaat)

handeln sollen, als es gegenwärtig der Fall ist? Kann mir jemand erklären, warum Jugendliche ein Sonderstrafrecht benötigen, weil wir davon ausgehen, dass sie als Heranwachsende und Jugendliche noch einer besonderen Fürsorge bedürfen, weil ihr Reifeprozess noch nicht abgewickelt worden ist? Kann mir jemand erklären, Herr Kollege Stegner, warum Sie nicht hierher kommen und sagen: Autoführerschein mit 16, und zwar ohne Begleitung. Es gibt einen Autoführerschein mit 17, Herr Kollege Dr. Dolgner, aber dann muss man begleitet werden durch einen Erwachsenen. Das wurde übrigens auch von Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag so gefordert. Warum eigentlich?

(Zurufe von der SPD)

Bitte lassen Sie uns doch nicht glauben, Sie seien im Besitz der letzten Wahrheit, wie ich auch nicht. Lassen Sie uns doch darüber mal ernsthaft debattieren. Es gibt gute Argumente dafür, warum man das Wahlalter zu Parlamenten, die gesetzgeberische Funktionen haben, von 18 nicht reduziert, ohne dass man in anderen Rechtsbereichen entsprechende Schritte vornimmt. Übrigens kann man sich dazu auch Stellungnahmen der SPD-Bundestagsfraktion gern mal anhören und durchlesen, Anhörungen im Deutschen Bundestag!

Ich frage mich, ob das im Zweifel wirklich gewollt ist, dass man dann auch in anderen Rechtsbereichen entsprechende Konsequenzen zieht. Das sollten wir in aller Ruhe und Gelassenheit im Rechtsausschuss debattieren und nicht so tun, als seien diejenigen, die Bedenken haben, das Wahlalter herabzusetzen, demokratiefeindlich.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort für die SSW-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erste Bemerkung: Die Änderung des Wahlrechts 1917, Entschuldigung, 1970 - das war 1917 ein anderes Wahlrecht - führte nicht dazu, dass das Mündigkeitsalter gleichzeitig geändert wurde. Das geschah erst 1975.

(Beifall bei SSW und SPD)

Eigentlich wollte ich noch auf einen anderen Aspekt eingehen. Wir haben uns ja, das ist richtig, in mehreren Debatten mit dem Thema Wahlrecht

auseinandergesetzt, auch als es um die Änderung des Kommunalwahlrechts ging. Ich muss sagen, lieber Kollege Kubicki und auch liebe Kollegen von der CDU, ihr kamt damals mit den gleichen Argumenten wie heute. Das habe ich noch sehr genau in Erinnerung. Da ging es auch darum, ob das denn möglich sei mit den unterschiedlichen Mündigkeitsaltern und so weiter. Darum meine ich, es ist an der Zeit, sich mal mit der Frage zu beschäftigen: Das Wahlrecht muss auch so sein, dass es Fragen der Gegenwart und Fragen der Zukunft miteinander in Einklang bringen kann. Wir haben eine demografische Entwicklung, die es ganz notwendig macht, dass Jugendliche Gehör finden, dass Jugendliche ernst genommen werden.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Denn ansonsten ist es doch so, dass in allen entscheidenden Gremien nur wir sitzen, also die über 50-Jährigen, über 60-Jährigen. Die Pensionäre sitzen sowieso in den kommunalen Parlamenten auf allen wesentlichen Posten. Darum ist es wichtig, dass wir mit dieser Wahlrechtsänderung auch ein Stück dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft zukunftsfähig wird. Das, denke ich, ist eigentlich das ganz Entscheidende in diesem Zusammenhang.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Innenminister Klaus Schlie das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem nunmehr gemeinsamen Gesetzentwurf von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Änderung des Landeswahlgesetzes, der die Herabsetzung der Altersgrenze für das aktive Wahlrecht bei Landtagswahlen auf 16 Jahre beinhaltet, soll - das ist hier bereits mehrfach deutlich geworden - die Diskussion fortgeführt werden, die wir vor 13 Jahren begonnen haben. Im Jahre 1997 erfolgte als Ergebnis einer auf parlamentarischer Ebene breit geführten thematischen Auseinandersetzung die Absenkung des aktiven Wahlrechts bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre. Die Änderung hatte das Ziel, Jugendliche an die Politik heranzuführen und einer wachsenden Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Ich weiß das deswegen noch sehr genau, Frau Kollegin Spoorendonk, weil wir uns über diese Frage im Innen- und Rechtsausschuss sehr de

(Wolfgang Kubicki)

zidiert unterhalten haben, auch mithilfe von Wissenschaftlern. Ich erinnere mich noch an Herrn Professor Hurrelmann, der ja auch dafür eintrat, das Kinderwahlrecht einzuführen. Als ich ihn in der Anhörung fragte, ob er selber Kinder hätte, ist er bald ausgerastet. Ich halte die Frage nach wie vor für berechtigt. Wenn man nämlich selber Kinder hat, kann man ein Stückchen besser beurteilen als ein Wissenschaftler, der Statistiken auswertet, wie bestimmte Entwicklungen von Kindern ablaufen.

(Beifall bei der CDU - Unruhe - Zuruf: Gilt das auch für andere Entscheidungen zur poli- tischen Bildung?)

- Persönliche Erfahrungen sollte man in seine politischen Entscheidungen immer mit einbauen.

(Anhaltende Unruhe)

Begründet wurde diese Entscheidung insbesondere damit - das war damals die Begründung derjenigen, die das wollten -, dass die auf kommunaler Ebene zu treffenden Entscheidungen - Sie können das alles gern noch einmal nachlesen - aus der täglichen Anschauung für die Jugendlichen am ehesten erfassbar und einer geeigneten Beurteilung durch sie zugänglich seien.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, danke. - Das war die Begründung, die damals eine entscheidende Rolle spielte. Sie haben damals ja nicht den Antrag gestellt, das allgemeine Wahlrecht auf 16 Jahre herabzusetzen, sondern mit dieser Begründung wurde es auf den kommunalen Bereich begrenzt.

Die Einführung des Wahlrechts mit 16 Jahren für Kommunalwahlen stand also insofern im Kontext der Bemühungen, die Einbeziehung der Jugendlichen in das politische Geschehen innerhalb ihres unmittelbaren örtlichen Umfeldes zu verbessern.

(Zuruf: Gute Bildung!)

Inwieweit dies wirklich gelungen ist, mögen Sie selber beurteilen. Dazu ist sicherlich ein Anhaltspunkt die Wahlbeteiligung von Jugendlichen, aber auch nur einer; allerdings auch nicht nur bezogen auf eine Stadt wie Karlsruhe. Da müssen Sie schon die Statistiken insgesamt betrachten.