Protokoll der Sitzung vom 09.07.2010

sache inhaftiert werden, dass sie sich in Deutschland befinden. Das ist aber eine andere Diskussion.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Wir haben manchmal ein etwas seltsames Verhältnis zu denen, um die es hier geht, nämlich zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Ich greife jetzt einmal auf eine Altersstufe höher zurück. Mein Sohn dürfte sich mit 18 Jahren bei der Bundeswehr verpflichten und irgendwo in der Welt Krieg führen, ohne dass ich darauf Einfluss nehmen könnte. Andererseits müsste ich ihn unterhalten, wenn er dann wiederkommt, nicht arbeiten kann und kein Einkommen hat.

Wir erwarten von Jugendlichen, dass sie, wenn sie mit 16 oder 17 Jahren die Schule beendet haben, eine Ausbildung beginnen, ihre Aufgabe als Teil dieser Gesellschaft übernehmen und bei entsprechendem Einkommen auch Sozialversicherungsbeiträge und Steuern zahlen. Das erwarten wir ganz selbstverständlich. Sie dürfen bislang aber nicht diejenigen wählen, die ihre Steuern kassieren und an die Banken weiterleiten.

Der Gesetzentwurf, den die SPD-Fraktion hier eingebracht hat, ist in den Augen der LINKEN längst überfällig. Ein solcher Gesetzesantrag muss immer wieder gestellt werden, und zwar nicht nur aus den schon genannten Gründen. Ich zitiere einmal aus einem Schriftstück, das auf der einen Seite dieses Hohen Hauses offenbar nicht sehr gut bekannt ist. Artikel 28 des Grundgesetzes gibt uns auf:

„In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muss das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist.“

Allgemeine Wahlen - darüber gibt es gar keine Diskussion - sind Wahlen, an denen jede und jeder teilnehmen kann. Wenn wir in unserem Wahlgesetz, wie es auch der Bundestag tut, Einschränkungen dieses Wahlrechts vornehmen, nämlich Einschränkungen nach dem Alter, dann sollten wir sehr genau darüber nachdenken und diese Einschränkungen ständig und immer wieder auf ihre Sinnhaftigkeit überprüfen. Nichts anderes führte dazu, dass das Wahlrecht irgendwann von 21 auf 18 Jahre heruntergesetzt wurde. Ich bin nicht für ein Familienwahlrecht, bei dem Kinder ihre Stimme an die Eltern abtreten. Ich meine aber, die Altersbeschränkung bedeutet eine Einschränkung des Grundrechts, die wir so großzügig wie möglich regeln sollten. Vor allen Dingen müssen wir immer wieder gründlich über diese Frage diskutieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir uns Statistiken anschauen, stellen wir fest, dass das durchschnittliche Erstwähleralter in den letzten Jahren angestiegen ist. Das hat ausnahmsweise einmal nichts mit der so oft beschworenen Demografie zu tun, sondern es hat etwas mit dem Handeln des Gesetzgebers beim Wahlrecht zu tun. Durch die Verlängerung der Wahlperiode des Landtags von vier auf fünf Jahre ist das durchschnittliche Alter, in dem junge Frauen und Männer zum ersten Mal einen Landtag wählen dürfen, signifikant und messbar angestiegen. Wir haben jetzt die Chance, diese Ungerechtigkeit wieder auszugleichen. Die Kolleginnen und Kollegen in Bremen sind uns in dieser Sache vorausgegangen und haben beschlossen, das Wahlalter für die Wahl des Landesparlaments ab 2011 auf 16 Jahre zu senken.

Über das Verfahren, das hier angewendet wird, mag man sich streiten. Wir diskutieren seit der ersten Sitzung dieses Parlaments über ein neues Landeswahlrecht. Nach den Absprachen zum Verfahren im Innen- und Rechtsausschuss scheint festzustehen, dass wir bald nach dem anstehenden Urteil des Landesverfassungsgerichtes, vielleicht sogar noch in diesem Jahr ein neues Landeswahlgesetz bekommen werden. Ich hätte mir gewünscht, dass auch dieses Thema in der bisher äußerst sachlichen und fachlich qualifizierten Diskussion im zuständigen Ausschuss gelandet wäre. Dafür ist es aber noch nicht zu spät. Ich denke, wir werden uns im Ausschuss mit den hier und heute vorgetragenen Argumenten auseinandersetzen und hoffentlich im neuen Landeswahlgesetz das Wahlrecht für Jugendliche ab 16 Jahren verankern. Ich bin guter Hoffnung, dass die Mehrheitsverhältnisse im September, Oktober, November oder Dezember dies zulassen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion des SSW hat Frau Kollegin Silke Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir hören sehr oft - auch heute wieder von den Konervativen -, dass es viele Argumente gegen die Herabsetzung des Wahlalters gibt. Wenn man aber genau hinschaut, stellt man fest, dass die Gründe überwiegen, das Wahlalter herabzusetzen.

(Heinz-Werner Jezewski)

Erstes Argument. Es heißt, man müsse volljährig sein, um zu wählen. Bereits 1970 hat der Bundestag es jedoch nicht als notwendig angesehen, das Wahlalter mit der zivilrechtlichen Mündigkeit zu koppeln. Das Wahlalter wurde von 21 Jahre auf 18 Jahre herabgesetzt. Erst 1975 änderte sich die Volljährigkeitsgrenze.

Zweites Argument. Schleswig-Holstein schafft einen Sonderfall, wenn wir bereits 16- und 17-Jährige an die Landtagsurne lassen. Vieles ist anders in Schleswig-Holstein. Eine einheitliche Altersgrenze ist sicherlich nur für die Bundestagswahlen erforderlich, aber nicht für die jeweiligen Landtagswahlen.

Drittes Argument. Jugendliche seien durch ihre wirtschaftliche Abhängigkeit vom Elternhaus zu stark beeinflussbar. Aus diesem Grund könnten sie keine eigene Stimme abgeben. Wissen Sie, an was mich das erinnert? Können Sie sich daran erinnern, als wir über das Wahlrecht für Frauen gesprochen haben? Gucken Sie einmal nach! Da sieht das genauso aus. Weiterhin hat dies bei der Änderung des Kommunalwahlrechts auch keine Rolle gespielt, da - was Sie auch gesagt haben, Herr Jezewski - es weiterhin eine geheime Wahl bleibt.

Viertes Argument. Es gibt auch bereits genug Möglichkeiten der Partizipation junger Menschen. Das hat der Herr Koch gesagt. Doch zwischen Mit-Reden und Mit-Entscheiden bestehen erhebliche Unterschiede. Das aktive Wahlrecht ist eine entscheidende Säule unserer Demokratie, die unersetzbar ist.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Fünftes Argument. Es besteht die Vermutung, dass Jugendliche dazu neigen, extreme Positionen und Parteien zu vertreten. Sollte das tatsächlich so sein, sehe ich das eher als Handlungsaufforderung an uns an. Das Vertrauen der jungen Bürgerinnen und Bürger in die Parteien ist zweifelsohne gestört. Politikwissenschaftler sprechen von einer Entfremdung zwischen Parteien und jungen Menschen. Für die Parteien werde es immer schwieriger, neue junge Mitglieder zu gewinnen, weil die Art und Weise der Politikgestaltung den Jüngeren nicht mehr zeitgemäß erscheint. Hier sind wir also aufgerufen, verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen. Wählerbeschimpfung in diesem Sinne halten wir deshalb auch an dieser Stelle für absolut unangebracht.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Sechstes Argument. Die Jugendlichen sind nicht reif. Das war das Hauptargument derjenigen, die 1997 die Herabsetzung des Wahlalters für die Kommunalwahlen ablehnten. Bereits damals hat der SSW betont, dass für uns das entscheidende Kriterium die Überzeugung ist, dass die Jugendlichen sehr wohl kompetent und reif genug sind und man deshalb das Wahlalter senken kann.

Die Sozialwissenschaft stellt in der Sozialisation und der sozialen Kompetenz zwischen 14- und 18-Jährigen keine gravierenden Unterschiede mehr fest. Die Shell-Studie zeigte es - auch in persönlichen Gesprächen habe ich es bemerkt -: Junge Erwachsene können im Alter von 16 oder 17 Jahren die Folgen ihrer Entscheidungen durchaus abwägen. Sie entscheiden besonnen und fundiert - natürlich nicht alle. Aber auch bei Erwachsenen höre ich oftmals Sätze, die mich massiv an deren Reife zweifeln lassen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

Aus diesen Tatsachen heraus ergeben sich alle anderen Aspekte, die diskutiert wurden und werden müssen. Wäre der SSW nicht überzeugt von der Entscheidungsreife der 16-Jährigen, hätten wir auch schon damals nicht der Herabsetzung des Wahlalters bei Kommunalwahlen zugestimmt.

(Beifall beim SSW)

Wir sind hundertprozentig sicher, dass junge Menschen entscheiden können. Davon überzeugen uns nicht zuletzt die Jugendlichen, die sich auch in unseren Gremien zu Wort melden. Darum sollten wir diesen auch die Möglichkeit einräumen, die Geschicke des Landes, in dem sie leben, mitzubestimmen.

Der Landtag hat allerdings im Gegensatz zur kommunalen Ebene gesetzgeberische Kompetenzen, was einige Verfassungsrechtler auf den Plan gerufen hat. Es besteht also ein eindeutiger Beratungs-, Informations- und Diskussionsbedarf. Ich freue mich deshalb auf die Ausschussberatungen und hoffe auf ein positives Ende, nämlich das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Kai Dolgner das Wort.

(Silke Hinrichsen)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Jahre wieder - offensichtlich sind die Gegenargumente nicht besser geworden. Bei Rechten und Pflichten gibt es im deutschen Rechtskreis sehr wohl differenzierte Altersbetrachtungen - sei es beim Führerschein, sei es bei Eidesfähigkeit ab 16 Jahren, sei es bei der Religionswahl und so weiter. Die Frage des Wahlrechts ist keine Frage, die man mit gewissen Pflichten verkoppelt, sonst müssten wir uns darüber unterhalten, weil Heranwachsende meistens nach Jugendstrafrecht verurteilt werden, ob wir das Wahlrecht nicht auf 21 Jahre hinaufsetzen. Das ist grotesk.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

Auch das zweite Argument, das in diesem Zusammenhang gern gebracht wird, betrifft das Interesse und die Wahlbeteiligung. Nun gibt es ein paar Untersuchungen darüber, wie sich Jugendliche bei Kommunalwahlen verhalten. Die Stadt Braunschweig hatte das Kommunalwahlrecht für 16-Jährige 1996 frisch eingeführt. Dort lag die Wahlbeteiligung der unter 18-Jährigen bei 50 %, die allgemeine Wahlbeteiligung lag bei 57,7 %. Prima, werden Sie sagen: Das unterstützt das Argument. Aber die 18- bis 24-Jährigen hatten nur eine Wahlbeteiligung von 44 %. Das zieht sich durch alle Untersuchungen hindurch. Die Wahlbeteiligung der 16- bis 17-Jährigen bei den Kommunalwahlen liegt durchweg höher als die der 18- bis 24-Jährigen. Beschäftigen Sie sich einmal mit den Zahlen! Das habe ich übrigens aus einer Studie der Konrad-AdenauerStiftung. Das kann ich Ihnen gern zur Verfügung stellen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

- Ja, der 18- bis 24-Jährigen. Mit anderen Worten: Wenn das Interesse wieder abnimmt, machen wir einen Gap im Wahlalter. Dann bekommen sie das Wahlrecht nicht. Welch eine Argumentation!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

- Genau deshalb, Herr von Boetticher. Das Wahlalter ist ein Grundrecht. Das darf man nicht aus irgendwelchen Gründen einschränken. Da darf man sich nicht irgendetwas herbeiargumentieren.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Besonders interessant fand ich die Ausführungen des Herrn Kollegen Koch, den ich ansonsten im Ausschuss für seine sachliche Art sehr zu schätzen weiß, wonach die Jugendlichen im kommunalen Bereich alles erfahren könnten. Wenn Sie sich die Demonstrationen vorm Landeshaus einmal angeschaut hätten, dann hätten Sie feststellen können, dass die meisten Themen, die die Jugendlichen bewegen, landes- und nicht bundespolitische Themen sind, was auch die Shell-Studie zeigt. Die Jugendlichen können sehr gut argumentieren.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und der LINKEN)

Diese Erfahrung macht man im Übrigen auch in jeder politischen Jugendorganisation. Seltenst gibt es zum Beispiel auf JuSo-Landeskonferenzen oder JU-Tagungen intensive Diskussionen über Dinge wie Abfallgebührensatzungen oder Anschlusskosten et cetera. Dieses Argument finde ich auch nicht besser als die anderen - alle Jahre wieder. Wir werden es Ihnen so häufig sagen, bis Sie sich einmal die Fakten anschauen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und der LINKEN)

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Kollegen Martin Habersaat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Matthießen, vielleicht hätten Sie doch die Rede von vor zwei Jahren wieder auspacken sollen.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben in Ihrer Argumentation Muster aufgebaut, die aus meiner Sicht schwer nachvollziehbar sind. Wir haben vor zwei Tagen gehört, dass es den Kommunen im Lande finanziell, über die Breite gesehen, schlecht geht. Das ist - folge ich Ihrer Argumentation - nicht nur die Schuld der SPD, nein, es ist auch die Schuld der jugendlichen Wähler, die mit ihren 16 Jahren möglicherweise noch gar nicht verstehen, wie ein kommunaler Haushalt aufzustellen ist. Das können Sie doch so nicht gemeint haben.

Wenn Sie das aber nicht so gemeint haben - Sie bestätigen das gerade durch Kopfschütteln -, wie können Sie mir dann erklären, dass Sie Jugendlichen zutrauen, über einen B-Plan oder einen Flächennutzungsplan zu entscheiden, aber zu sagen, sie seien

zu dumm, um einen Landesentwicklungsplan zu durchschauen?

(Beifall bei SPD, SSW und der LINKEN)

Wie können Sie sagen, Schulentwicklung geht, Bildungspolitik geht nicht? Reife als Kriterium ist da nur sehr bedingt tauglich - das habe ich von den Kollegen eben schon gehört.