Protokoll der Sitzung vom 09.07.2010

Auf die juristischen Gegebenheiten wie zum Beispiel die beschränkte Geschäftsfähigkeit unter 18-Jähriger oder die besondere Behandlung Heranwachsender im Jugendstrafrecht möchte ich gar nicht weiter eingehen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Warum wird dieser Gesetzentwurf eigentlich zum jetzigen Zeitpunkt gestellt? Es bringt doch nichts, wenn wir die gesamte Diskussion führen und Sie sich vorab einzelne Punkte herauspicken. Bringen Sie Ihre Anregungen gern in die Beratungen des Innen- und Rechtsausschusses ein. Ihnen sollte nicht entgangen sein, dass dort die Änderung des Wahlgesetzes auf der Tagesordnung steht. Offensichtlich ist Ihnen eine Schlagzeile wichtiger als die vermeintlich dröge Diskussion im Fachausschuss. Alle Punkte zum Thema Landeswahlgesetz können gern in die Beratungen des Ausschusses eingebracht und diskutiert werden. Dazu hätte es dieses Gesetzentwurfs nicht bedurft.

(Beifall bei CDU und FDP - Zuruf der Abge- ordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Für die Fraktion der FDP hat Herr Abgeordneter Gerrit Koch das Wort.

(Zuruf: Gerrit, stell das mal klar! - Weitere Zurufe)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, ich stelle auch den Standpunkt der FDP-Fraktion gern klar.

Wie mein Vorgänger schon sagte, ist die Diskussion um die Herabsetzung des Wahlalters ist nicht wahrlich neu. Damals konnte ich noch nicht dabei sein. Ich freue mich, dass ich mich heute zu Wort melden darf.

(Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE]: Aber 16 warst du schon!)

Die Diskussion um das Wahlalter führt vor Augen, wie wertvoll das Wahlrecht ist, aber auch, mit wie viel Verantwortung das Wahlrecht verbunden ist. Das Recht, frei darüber entscheiden zu können, ob und wie man sich bei politischen Wahlen äußern will, ist ein sehr hohes Gut, das immer noch nicht in allen Staaten selbstverständlich ist. Auf unser Wahlrecht können wir heute durchaus stolz sein. Es ist wert, immer wieder aufs Neue verteidigt zu werden.

Verantwortung spielt bei der Ausübung des Wahlrechts eine sehr große Rolle. Wer sich mittels Stimmabgabe bei Wahlen äußert, entscheidet mit über den Werdegang unseres Staates auf den verschiedenen Ebenen.

Ich spreche der Mehrzahl der jungen Menschen zwischen 16 und 18 Jahren nicht ab, verantwortlich handeln zu können. Dennoch bestimmt der Bundesgesetzgeber aus gutem Grund, dass junge Menschen erst mit dem Erreichen der Volljährigkeit grundsätzlich auch volle Verantwortung für ihr Tun übernehmen können.

Wer nicht volljährig ist, ist auch nicht voll geschäftsfähig. Ohne Zustimmung der Eltern können größere Anschaffungen nicht getroffen werden. Wer nicht volljährig ist, unterliegt grundsätzlich dem Jugendstrafrecht. Dieses geht mit Heranwachsenden und Jugendlichen in anderer Art und Weise um als das Erwachsenenstrafrecht. Dies geschieht gerade auch deswegen, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass Minderjährigen die Auswirkungen ihres Tuns nicht immer voll bewusst sind.

(Markus Matthießen)

Wer nicht volljährig ist, darf sich nicht zur Wahl stellen. Dieser Widerspruch, dass man zum einen quasi gut genug ist, seine Stimme abzugeben, zum anderen aber nicht in der Lage sein soll, Verantwortung als gewählter Repräsentant zu übernehmen, ist offensichtlich und würde durch eine einseitige Herabsetzung des Alters bezüglich des aktiven Wahlrechts noch verschärft.

(Beifall bei FDP und CDU)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jezewski?

- Nein, die gestatte ich nicht. Danke.

Es wird ebenso schwer zu erklären sein, warum jemand zwar ein Gesetzgebungsorgan mitwählen, aber nicht frei entscheiden darf, ob er bei seinen Eltern wohnen will oder einen Kreditvertrag unterschreibt. Brüche in der Argumentation sind unübersehbar.

Natürlich können die Antragsteller darauf verweisen, dass bei Kommunalwahlen schon seit Längerem ab dem 16. Lebensjahr zur Urne gegangen werden kann. 16- und 17-Jährige dürfen in unserem Bundesland auch an Bürgerbegehren und -entscheiden teilnehmen.

Wahlen und Abstimmungen auf kommunaler Ebene sind von denen auf Landes- und Bundesebene aber grundsätzlich verschieden. Vor Ort ist das Ergebnis der eigenen Wahlentscheidung nämlich unmittelbarer erkennbar als bei anderen Wahlen. Quasi hautnah kann Demokratie erlebt, direkt nachverfolgt und kontrolliert werden.

Wie der Bericht der Landesregierung zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gezeigt hat, sind die Mitwirkungsmöglichkeiten junger Menschen in ihren Heimatkommunen vielfältig und sehr konkret. Der Grad des Interesses der Jugendlichen ist dabei leider höchst unterschiedlich gewesen.

Interesse ist sicherlich nicht der entscheidende Aspekt, um jemandem das Wahlrecht zuzuerkennen. Mangelndes Interesse an den bestehenden Mitwirkungsmöglichkeiten kann aber ein Indiz dafür sein, dass auch die Einflussnahme durch Wahlen nicht unbedingt voller Sehnsucht von jungen Menschen herbeigewünscht wird.

(Beifall bei der FDP)

In der Altersgruppe der 16- bis 18-jährigen gibt es zweifelsohne ein grundsätzliches Interesse an politischen Vorgängen. Interessant ist dabei, dass gerade unter den Betroffenen eine große Zurückhaltung bezüglich des angedienten Wahlrechts zu vernehmen ist. Man traut sich selbst zwar vieles zu, bei der eigenen politischen Willensbildung ist man aber oft gerade erst auf dem Weg, einen gefestigten Standpunkt zu finden. Es gilt, hier anzusetzen, wenn die verstärkte Partizipation der Jugend an der politischen Meinungsbildung das Ziel sein soll. Die Neugier junger Menschen an Demokratie zu wecken, ist für mich der erste Schritt. Daran aktiv mitzuwirken, sollte unser aller Anliegen sein.

(Beifall bei FDP und CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland gilt lediglich in Bremen ein Wahlalter von 16 Jahren. Das mag der besonderen Konstellation geschuldet sein, dass die Bürgerschaftswahlen in Bremen zugleich auch Kommunalwahlen sind. Erst 2011 wird dort erstmals nach diesem neuen Wahlrecht gewählt. Ich bin sehr gespannt auf die Quote der Wahlbeteiligung bei den minderjährigen Wählern.

Bemerkenswert ist die Feststellung der Kollegen der SPD, wir würden uns im Parlament nur dann für die Belange Minderjähriger interessieren und einsetzen, wenn uns diese auch mitwählen dürfen. Ich bin davon ausgegangen, dass wir uns bisher immer schon sogar für Babys und Kleinkinder eingesetzt haben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Nun hat Herr Abgeordneter Thorsten Fürter von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Erinnerung an das eigene Geburtsjahr ist wie bei den meisten Menschen dürftig. Aus den Geschichtsbüchern weiß ich: 1970 war die Anfangszeit der sozialliberalen Koalition, Aufbruch war angesagt, Willy Brandt wollte mehr Demokratie wagen. - 40 Jahre nach der Senkung des Wahlalters zur Bundestagswahl von 21 auf 18 Jahre ist es nun wieder an der Zeit, eine Änderung des Wahlalters in Angriff zu nehmen. Wir müssen heute mehr Jugend wagen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

(Gerrit Koch)

Mit der gemeinsamen Gesetzesinitiative von SPD und Grünen werden wir für die 16- und 17-Jährigen das aktive Wahlrecht auch bei Landtagswahlen ermöglichen. Die Politik muss ein klares Signal für die junge Generation aussenden. Sie ist uns wichtig. Wir nehmen ihre Anliegen ernst. Wir wollen sie an allen politischen Entscheidungen beteiligen. Es ist schließlich die junge Generation, die von den Konsequenzen der heutigen Entscheidungen am stärksten profitiert.

Meine verehrten Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Sie selbst bemühen wieder und wieder die Interessen der jungen Menschen, der Enkel, wenn Sie Schuldenbremse und Sparpolitik vor Schulklassen hier im Plenum erklären. Zwar gelingt es Ihnen bei der Umsetzung des Sparpakets jeden Tag ein Stück weniger, die Fassade einer strategischen Planung aufrechtzuerhalten, aber der Ansatzpunkt ist richtig. Egal ob in der Bildungspolitik, beim Klimawandel oder bei der Finanzpolitik: Die Konsequenzen unserer Arbeit treffen die Jungen am härtesten. Sie werden sie schlicht am Längsten zu ertragen haben.

Es ist deswegen notwendig, dass die Jugendlichen ab 16 Jahren mit ihren Wünschen und Vorstellungen, mit ihren Erwartungen gleichberechtigt Einfluss darauf nehmen, wer das Land mit welchen Zielen regiert.

Lassen Sie mich auf den einzigen Einwand gegen eine Herabsetzung des Wahlalters eingehen - Herr Koch, Sie haben ihn auch angeführt -, dem bei oberflächlicher Betrachtung wenigstens eine gewisse Berechtigung eingeräumt werden könnte. Bei Annahme des Gesetzentwurfs fallen die Volljährigkeit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch und das aktive Wahlrecht in Zukunft auseinander. Die Zuordnung von Rechten und Pflichten ist aber nicht immer an den Erwerb der Volljährigkeit geknüpft. Der auch für dieses Thema wichtigste Beleg ist die Religionsfreiheit, die jedem ab Vollendung des 14. Lebensjahres zusteht. Natürlich kann am Ende eines Prozesses, mit dem das Recht - wie schon 1970 - auf die Verkürzung der Kindheit reagiert, auch eine Neubestimmung des Volljährigkeitsalters stehen. Wir sollten vor dieser Debatte keine grundlegende Furcht haben.

Vor ein paar Wochen kam hier im Landtag eine Runde zusammen, wie wir sie alle kennen. Regionalschüler aus Lübeck hatten uns besucht. Herr Günther und Frau Jansen waren mit dabei. Wir sprachen vom Sparen und davon, was das alles mit den Hotelbesitzern zu tun hätte. Wer in die Runde blickte, konnte sehen, dass kaum einer von den

Schülern uns folgen konnte oder wollte. Was diese Runde aber von anderen unterschied, war, dass ein paar Schüler ganz deutlich gesagt haben: Sie reden über unsere Köpfe hinweg. - Wer das als Beweis nimmt, diesen Jugendlichen das Wahlrecht zu versagen, ist aus meiner Sicht dumm.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Es soll mir doch keiner erzählen, dass auch nur einer dieser Schüler plötzlich mit dem Erreichen des 18. Geburtstages quasi automatisch ein Abo der FAZ abschließt oder regelmäßiger Besucher von Parteitagen der Linkspartei wird.

Wir sollten diese Änderung des Wahlrechts zum Anlass nehmen, unsere politische Rhetorik und unsere politischen Gepflogenheiten ein wenig zu überdenken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Wir müssen junge Menschen auch viel aktiver in den politischen Prozess mit einbeziehen. Die Absenkung des Wahlalters ist hierbei ein wichtiger Baustein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Die Absenkung des Wahlalters ist Chance und Verpflichtung zugleich, eine Chance für mehr Teilhabe und eine Verpflichtung, im Elternhaus und in der Schule früh damit zu beginnen, für unsere Demokratie zu werben und die jungen Menschen für Politik zu begeistern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski das Wort.

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Speziell bei den Reden der Kollegen Matthießen und Koch habe ich den Eindruck gewonnen, wir müssten die Jugendlichen vor dem Wahlrecht schützen. So kam es herüber. Ich würde mir wünschen, dass Sie Ihre Fürsorgepflicht für die Jugendlichen genauso bei jugendlichen Flüchtlingen ernst nehmen, die mit 16 Jahren strafmündig im Sinne des Strafgesetzbuches sind und einzig und allein für die Tat

(Thorsten Fürter)

sache inhaftiert werden, dass sie sich in Deutschland befinden. Das ist aber eine andere Diskussion.