Protokoll der Sitzung vom 10.09.2010

diesem Fall die Länder, aber in erster Linie die Städte und Gemeinden.

Die Kulturstrategie kostet die EU europaweit insgesamt 400 Millionen €. Das ist nicht sehr viel. Bei einer Bevölkerungszahl von 420 oder 430 Millionen ist das sogar relativ wenig. Trotzdem sollte das Land die Umsetzung der Kulturstrategie in Angriff nehmen.

Wer sich mit dem europäischen Projekt der Kulturhauptstädte auseinandergesetzt hat, weiß, was auf verschiedenen Ebenen bei den Kulturhauptstädten geschieht - nicht nur, was Kultur im engeren Sinn betrifft. Es geht um mehr: Der Erlebniswert wird gesteigert, die Freude wird gesteigert, ungewöhnliche Erfahrungen werden gemacht, und ganze Quartiere blühen auf.

In unserer Nachbarschaft hier im Ostseeraum werden 2014 Umea, eine Stadt im Norden Schwedens, und Riga Kulturhauptstädte werden. 2016 ist es, so hoffe ich, Sønderborg.

Wir wollen mehr Kultur in Europa, und wir wollen mehr Europa in der Kultur. Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Wilfried Wengler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich den vorliegenden Antrag zum ersten Mal gelesen habe, war ich zunächst beeindruckt von der Idee, eine neue Europäische Kulturstrategie auch in Schleswig-Holstein umzusetzen. Als ich mich dann mit dem Thema näher beschäftigte, stellte ich fest, dass der Ursprung immer noch im Jahr 2007 zu suchen ist. Die Europäische Kommission hat im Mai 2007 eine ,,Erste Europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung“ veröffentlicht, als Beitrag zu Wirtschaftswachstum und interkulturellem Verständnis. Diese Agenda verfolgt drei Hauptziele, die zusammen eine Kulturstrategie der europäischen Institutionen, der Mitgliedstaaten und des kulturellen und kreativen Sektors bilden sollen: Förderung der kulturellen Vielfalt und des interkulturellen Dialogs, Förderung der Kultur als Katalysator der Kreativität im Rahmen der Lissabon-Strategie und Förderung der Kultur als wesentliches Element der internationalen Beziehungen der Uni

on. Diese Agenda wurde im November 2007 vom Europäischen Rat beschlossen.

Im Juli dieses Jahres hat die EU-Kommission nun einen ersten Bericht zur Umsetzung der Kulturagenda vorgelegt, der interessante Angaben über bereits in den Mitgliedsländern realisierte oder laufende Projekte im Sinne der oben angeführten Ziele enthält. Hier einige Beispiele zur Förderung der kulturellen Vielfalt und des interkulturellen Dialogs: Dänemark bietet Residenzstipendien in einem Austauschprogramm für Künstler an. In den Niederlanden gibt es eine Sensibilisierungskampagne zum illegalen Handel mit Kulturgütern. Belgien ruft die Schulen auf, eine langfristige Vision für den Kunst- und Kulturunterricht zu entwickeln. Estland verfolgt seit 2007 eine Strategie zur Digitalisierung des Kulturerbes. Die Slowakei genehmigte ein Konzept zur Medienerziehung.

Diese kleine Auswahl zeigt, dass von den Mitgliedsländern die unterschiedlichsten Themenbeiträge geliefert wurden. Der Bericht erwähnt eine Vielzahl von Projekten einzelner Länder, auch für die beiden anderen Zielsegmente.

Die im Bericht der EU-Kommission aufgeführten Beispiele bedeuten für mich aber auch, dass wir in Schleswig-Holstein bereits seit vielen Jahren im Sinne der europäischen Kulturagenda arbeiten und uns keineswegs mit unserer eigenen Vorgehensweise zu verstecken brauchen, geschweige denn eine komplett neue Kulturstrategie benötigen.

(Beifall bei der FDP)

Im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals fördern wir seit Jahren den Künstleraustausch mit dem jeweiligen Partnerland. Wir unterstützen Sprache und Kultur der dänischen und friesischen Minderheiten. Ebenso unterstützen wir die niederdeutsche Sprache. Der Landtag wird noch heute die Unterstützung Sønderborgs bei der Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt beschließen. Schulen nehmen an internationalen Austauschprogrammen wie zum Beispiel Comenius teil. Eine Digitalisierung der Archivbestände soll in Angriff genommen werden. Wir fördern den Kulturtourismus.

Diese Liste ließe sich nach den Kriterien der EU nahezu beliebig verlängern. Aber auch aus dem im Juni diskutierten Kulturwirtschaftsbericht ergeben sich weitere Informationen. Ich bin überzeugt, dass wir in Schleswig-Holstein bereits auf einem guten Weg sind. Aber es gibt nichts, was man nicht verbessern könnte.

(Hans Müller)

Wenn ich also den vorliegenden Antrag richtig verstehe, sollten wir im Ausschuss über neue Projekte diskutieren. Ich freue mich auf die konkreten Vorschläge des Antragstellers wie auch seine Ideen zur Generierung der notwendigen finanziellen Mittel. Im vorliegenden Haushaltsplanentwurf sind meines Erachtens hierfür keine Ansätze enthalten.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die Fraktion der FDP erteile ich der Frau Abgeordneten Kirstin Funke das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Kultur wie auch die Europäische Union sind wie ein bunter Blumenstrauß. Dieser besteht aus Blumen, die perfekt gezüchtet und gewachsen und in ihrer Perfektion wunderbar anzusehen sind, und aus Blumen, die in ihrer eigenen ursprünglichen Form etwas Besonderes und Einzigartiges darstellen. Sie sind in einem Strauß bunt zusammengebunden, der eine wunderbare, unverwechselbare Einheit ergibt. So ist jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union mit seiner ihm ganz eigenen Kultur, seinen Kulturakteuren, die sich im europäischen Raum bewegen und gestalten, seiner eigenen, aber auch gemeinsamen kulturellen Geschichte, etwas Einzigartiges und ursprünglich, für sich im Kleinen gesehen, aber auch im Großen und Ganzen. - Die Europäische Kulturagenda von 2007 ist mit Bildern und Zitaten gespickt. Ich möchte mit diesem Bild beginnen, das nicht nur auf die Kultur in ihrer Gesamtheit und die Europäische Union, sondern auch auf Schleswig-Holstein als Teil der Union gegenwärtig passt.

Wer am vergangenen Wochenende die Möglichkeit hatte, beim 36. Landesmusikfest in Bad Schwartau, das unter der Schirmherrschaft unseres Ministerpräsidenten steht, dabei zu sein, kann dieses Bild nur bestätigen. Dort besuchten verschiedene Musikerinnen und Musiker aus Dänemark und aus anderen norddeutschen Bundesländern unser Land, um miteinander zu musizieren. Nicht nur im Wettstreit trafen sie sich. Beim gemeinsamen Einstudieren von Musikstücken haben sie vielmehr etwas ganz Eigenes geschaffen. So wie sich am vergangenen Wochenende die Musiker trafen, so wird an vielen Orten in Schleswig-Holstein unter den unterschiedlichsten Aspekten Kultur bereits gelebt.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPDFraktion, Sie fordern in Ihrem Antrag unter vier

verschiedenen Punkten die Landesregierung auf, im Kulturbereich tätig zu werden. Zum einen nennen Sie den interkulturellen Dialog, die Mobilität von Künstlern, die Kulturwirtschaft und die Nutzung von kulturellen EU-Förderprogrammen. Ich weiß nicht, welche Wahrnehmung Sie vom kulturellen Leben in Schleswig-Holstein haben. Bei dem Bild, das Sie in Ihrem Antrag skizzieren, scheint mir aber, dass Sie der Auffassung sind, dass wir in Schleswig-Holstein in einer kulturellen Wüste leben. Würden Sie jedoch die Augen aufmachen, so fänden Sie genau die Punkte, die Sie in Ihrem Antrag anführen, als bereits gelebte Kultur im Lande.

Beispielsweise hat der Ministerpräsident früh seine Unterstützung der Bewerbung Sonderburgs zur Kulturhauptstadt zugesagt. Die bereits bestehenden kulturellen Projekte in der Grenzregion von Dänemark und Deutschland sind Teil der Bewerbung Sonderburgs. Überhaupt ist das Projekt, für ein Jahr Kulturhauptstadt Europas zu werden, eine europäische Initiative, die zum Teil auch mit EUMitteln gefördert wird. Dies sei ein Hinweis darauf, dass der interkulturelle Austausch nicht nur bereits besteht, sondern zukünftig auch ausgebaut werden soll.

Zu Ihrem Punkt der Kulturwirtschaft möchte ich darauf hinweisen, dass wir hier im Hohen Haus vor nicht allzu langer Zeit eine Debatte über die wirtschaftlichen Aspekte der Kultur unseres Landes führten, und zwar auf der Grundlage des Kulturwirtschaftsberichts des Kultusministeriums. Abschließend beraten haben wir dies in der letzten Sitzung des Bildungsausschusses. Aus der Debatte und dem Bericht kann ich nur wiederholen, dass gerade die schleswig-holsteinische Kulturindustrie erfolgreich ist, auch ohne zusätzliche Kulturmittel des Landes. Der Kulturwirtschaft unseres Landes wird zum großen Teil durch eine gute Wirtschaftspolitik geholfen, und die kann diese Regierung vorweisen.

Zentral möchte ich das Landesmuseum Schloss Gottorf nennen, das zum einen unsere wechselhafte und ursprüngliche Geschichte dokumentiert und gleichzeitig mit wechselnden Ausstellungen verschiedenen Künstlern die Möglichkeit bietet, ihre Arbeit darzustellen.

Diese Mobilität von Kunst über Landesgrenzen hinweg ist einer der Punkte in der Europäischen Kulturagenda. Wie Sie bereits im Haushaltsentwurf gesehen haben, wird kein Eingriff in die Bereitstellung von Mitteln für das Landesmuseum erfolgen. Dass hier durch die Landesregierung eine Schwerpunktsetzung erfolgt, auch mit dem Ziel,

(Wilfried Wengler)

für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes Kultur in ihrer Vielfalt und über Grenzen hinweg erlebbar zu machen, ist nach Meinung die FDPFraktion von unschätzbarem Wert für das Land und seine Bürger. Dass bei der Finanzierung von Kulturprojekten gleichzeitig die Prüfung von EU-Fördermitteln im Raum steht, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber auch hier muss jede Förderung der EU im Hinblick darauf auf den Prüfstand gestellt werden, ob sie für unser Land sinnvoll und effektiv ist.

Des Weiteren möchte ich in diesem Hohen Haus auch noch mal klarstellen, dass die Kulturhoheit, resultierend aus dem Prinzip der Subsidiarität, Ländersache ist und auch zukünftig bleiben soll und dass eine Verschiebung auf EU-Ebene nicht zur Debatte stehen kann.

Aus den genannten Gründen ist es für meine Fraktion nicht ersichtlich, warum wir hier und heute die Landesregierung auffordern sollten, tätig zu werden. Die Landesregierung ist, wie dargestellt, aktiv und wird auch zukünftig Schwerpunkte in diesem Bereich setzen. Gern können wir jedoch vertiefend über die Kulturagenda im Ausschuss weiterberaten.

(Jürgen Weber [SPD]: Vielen Dank!)

- Ich danke.

(Beifall bei der FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Herrn Fraktionsvorsitzenden Dr. Robert Habeck das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hebe nicht auf das Finanzielle ab. Ich glaube, das ist in diesem Fall ausnahmsweise nicht das Problem. Die EU-Kulturstrategie listet zwar eine ganze Reihe von Programmen auf; aber darum geht es eher nicht. Vielmehr geht es um das Verständnis von Kultur in der EU-Kulturstrategie.

Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zu dieser EU-Kulturstrategie lauwarme Worte gefunden, lobend im Allgemeinen, im Konkreten jedoch beklagt er sich, dass ein Tätigwerden der EU im Kulturbereich nur rein subsidiär, also lediglich als Ergänzung der Kulturpolitik der Mitgliedstaaten, möglich ist. Die Vorschläge der Kommission - wir

haben sie gehört - fielen schwerpunktmäßig in den Kernbereich der Kulturhoheit der Länder.

Sehr geehrte Damen und Herren, Kultur schafft Identitäten. - Bitte beachten Sie den Plural. Denn aus ihm folgt ein sehr politischer Schluss: Kerngedanke der Europäischen Kulturstrategie, die im Jahr 2007 ins Leben gerufen worden ist, ist nämlich, dass in einer zunehmend globalisierten Welt die Kultur den europäischen Integrationsprozess befördern und die Beziehungen zu Drittländern anregen kann. Da nickt man und denkt sich nicht viel dabei. Das klingt doch ganz gut. Doch genau das wäre falsch. Denn die Frage drängt sich auf, ob eine Europäische Kulturstrategie eine europäische Kultur, gar eine europäische Leitkultur voraussetzt.

Dann klingen einem die Worte von dem Wortgetümmel all der Sarrazins und anderer Konservativer - ich meine nicht die Parteien - in den Ohren, Europa sei das christliche Abendland, und noch weiter rechts, Europa sei ein Europa der Vaterländer.

Nun, meine Damen und Herren, das sagt die Europäische Kulturstrategie genau nicht. Sie sagt es nicht, weil diese Meinungen erstens europafeindlich sind

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Was?)

- diese Debatte werden wir hier nicht führen, Herr von Boetticher - und zweitens kulturfeindlich sind. Diese Debatte sollten wir allerdings führen. Die Werte und das gemeinsame Erbe, das Europa ausmacht, sind das Wissen und der Austausch zwischen seinen Völkern, Sprachen, Kulturen; alles im Plural gesprochen. Europa hat immer dann nicht als Europa agiert, wenn es sich diesem Wissen verweigert hat und dafür Krieg und Intoleranz den Vortritt gegeben hat. Die Europäische Kulturstrategie ist eine, die das interkulturelle Verständnis fördert.

Und das wirft eine weitere Frage auf. Die Globalisierung wird von vielen Menschen als Bedrohung empfunden, eine digitale Welt als anonym, die schnellere und härtere Arbeitswelt verlangt von uns häufigere Jobwechsel und damit verbunden häufigere Umzüge oder lange Abwesenheiten von Zuhause. Im Hotel aber ist niemand zu Hause. Wie soll man eine kulturelle Identität aufbauen, wenn Europa praktisch genau das bedeutet: internationale Märkte, Globalisierung, Einführung neuer Techniken? Wie soll eine Europäische Kulturstrategie aussehen, die nicht rückwärts gerichtet ist - ein Europa der Vaterländer - und die die Probleme, die Europa mit aufwirft, dennoch löst?

(Kirstin Funke)

Nun, die Antwort liegt in der Tat vor unserer Haustür. Das Musikfestival ging gerade mit internationaler Orchesterakademie und Polen als Gastland zu Ende, einem Land, das noch vor wenigen Jahrzehnten und - gestern in der Tagesschau zu besichtigen manchmal immer noch heute mit den gleichen dämlichen Ressentiments belegt wurde wie heute manchmal die Türkei. Die gemeinsame Bewerbung von Sønderborg mit der Region Flensburg zur Europäischen Kulturhauptstadt erfasst das so lange kulturell umkämpfte Grenzland als eine gemeinsame, in ihrer kulturellen Verschiedenheit eigenständigen und sich bereichernde Region.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

Über den Kulturwirtschaftsbericht der Landesregierung haben wir hier vor ein paar Wochen diskutiert. Ich wiederhole meine Kritik: Schleswig-Holstein ist mit seinem unteren Mittelmaß zu Unrecht zufrieden. Kulturschaffende und Kreative wollen Grenzen ausloten. Nun sprichwörtlich: Was könnte einladender sein als ein Land der Horizonte? Wo, wenn nicht hier, sollte das Wissen darüber vorherrschen, dass Kultur ein weiterer Begriff ist als der eines Bundeslandes?

Darüber hinaus: Weil das Land faktisch keine Kulturpolitik betreibt, noch nicht einmal in der Lage ist, einen Kulturentwicklungsplan vorzulegen, obwohl der seit Monaten für viel Geld erstellt worden ist und in den Schubladen des Ministeriums schlummert, und weil es bei seinen Minderheiten kürzt, sollte es sich dieser Initiative anschließen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich dem Herrn Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski das Wort.