Protokoll der Sitzung vom 10.09.2010

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Kubicki macht in seinem Redebeitrag der Politik die Moral zum Vorwurf - das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen -,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und des Abgeordneten Flem- ming Meyer [SSW])

assistiert von Herrn von Boetticher, der angewidert von Gutmenschen redet. Moral und Ethik ist auch für die Politik nichts Despektierliches.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN sowie der Abgeordneten Dr. Gitta Trauernicht [SPD] und Flemming Meyer [SSW])

Kubicki hält die Novelle des Atomgesetzes für zustimmungspflichtig. Laufzeiten für Atomkraftwerke dürfen nicht verlängert werden. - Wir haben es eben gehört. Sein Parteifreund, Wirtschaftsminister Brüderle, dagegen ist der Scharfmacher in Berlin für

(Lars Harms)

längste Laufzeiten, der wichtigste Kämpfer für die Interessen der Atomindustrie. In der Landeszeitung konnte man lesen, Minister Garg kritisierte seinen Parteifreund und Amtskollegen in Berlin, Philipp Rösler, scharf. Die FDP liefert das Bild einer multiplen Persönlichkeit - die liberale freie Marktwirtschaft: Wir bieten von Atomausstieg bis zu maximaler Laufzeitenverlängerung einfach alles!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Flemming Meyer [SSW])

Wir erwarten von unserer Landesregierung, dass sie gegen das Atomgesetz klagt, wie das schon viele Landesregierungen - Herr Ministerpräsident, auch CDU-geführte Landesregierung - angekündigt haben. Positionieren Sie sich doch einmal in dieser wichtigen Frage!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Ranka Prante [DIE LINKE])

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki zu?

Nein, ich wollte fortfahren.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Die Bundesregierung hat sich von den großen Stromkonzernen, von der Atomindustrie, kaufen lassen. Für die mittelständische Wirtschaft in Schleswig-Holstein ist das ein herber Rückschlag.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Unruhe)

- Herr von Boetticher, hören Sie einmal genau zu, ich sagen Ihnen jetzt einen hoch politischen Satz, der da lautet: Das Mehr an Atomstrom ist ein Weniger an Solar-, an Bio- und an Windstrom.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Dr. Gitta Trauernicht [SPD])

Dies ist eben keine politische Aussage, das ist schlichte Physik.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

Die Bundesregierung hat mit der Entscheidung für eine Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke eine fatale Entscheidung getroffen auch zu ungunsten der Stadtwerke.

Das AKW Krümmel wird von der Bundesregierung als Neuanlage eingestuft. Eine Neuanlage? Ein Siedewasserreaktor der ältesten Baulinie, Typ 69. Die vorgesehene Verlängerung um acht bis 14 Jahre bedeutet, dass die deutschen AKW so lange in Betrieb sein oder laufen werden wie bisher noch keines der 441 Atomkraftwerke, die derzeit weltweit betrieben werden. Das ist eine finstere Wahrheit.

Die alten Argumente gegen die Atomindustrie haben ihre Bedeutung nicht verloren - im Gegensteil, sie gewinnen mit fortschreitender Zeit mehr an Gewicht, allen voran: Die Endlagerfrage ist nicht gelöst.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW sowie vereinzelt bei der SPD - Zuruf des Abgeordneten Dr. Chri- stian von Boetticher [CDU])

Ich erinnere an Schwarz-Rot: Nach der Bundestagswahl 2005 vereinbarten die Parteien im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD - Frau Präsidentin, ich zitiere -:

„CDU, CSU und SPD bekennen sich zur nationalen Verantwortung für die sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle und gehen die Lösung dieser Frage zügig und ergebnisorientiert an. Wir beabsichtigen, in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung zu kommen“.

Das macht die Ankündigung des Bundesumweltministers in dieser Woche nicht glaubwürdiger - leere Worte seit Jahrzehnten!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Wer war denn damals Umweltminister?)

Es wird auch nicht ausgewählt, wie es sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ergibt, das eigentlich die bestmögliche Endlagerung fordert. Die rechtskonformen Vorträge werden beiseitegefegt. Es wird nicht etwa in Süddeutschland in massivem Granit mit Tonüberdeckung als Wirtsgestein gesucht, wo doch bitte schön die südlichen CDUMinisterpräsidenten die größten Atomfreunde sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Endlager soll ausschließlich Gorleben untersucht werden, der mit 1,5 Milliarden € Investitionen

(Detlef Matthiessen)

best untersuchte Salzstock der Erde. Ich sage nur: Asse lässt grüßen.

Alle Welt weiß es und auch die Al-Qaida-Welt weiß es: Deutsche Atomkraftwerke sind nicht sicher bei Terrorangriffen. Das Vernebelungskonzept ist gescheitert. Es hatte auch nie mehr als eine Alibifunktion. Eine Nachrüstung gegen Terrorangriffe - von Herrn Röttgen eigentlich eingeplant - wird jetzt fallengelassen. Ich frage mich, wie der das in Berlin aushalten kann.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Herr Röttgen hat aber auch alles verloren. Der Minister kann in Berlin seine Vorstellungen aber auch in keinem Aspekt durchdrücken. Das Sicherheitsniveau wird heruntergeschraubt. Zusatzverträge das haben wir heute erfahren - werden mit Steuerversprechungen und Sicherheitskürzungen abgesichert. Diese Bundesregierung ist wie ein Selbstbedingungsladen, in dem die großen Stromkonzerne rumlaufen und sich aus den Regalen angeln, was ihnen gefällt. Das ist ein GAU für unsere Demokratie.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Bernd Heinemann [SPD], Ellen Streitbörger [DIE LINKE] und Flemming Meyer [SSW])

Statt unverzüglich zu handeln, ist von Zehnjahresfristen die Rede. Das Atomkraftwerk Brunsbüttel hätte noch zwei Jahre laufen dürfen. Jetzt kriegt es einen Zuschlag von acht Jahren - das sind zehn Jahre!

Diese Bundesregierung wird mit ihrem Atomprogramm zu einer Gefahr für unser Land, und Schleswig-Holstein darf diesen Weg nicht mitgehen. Atomkraft? - Nein danke!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Zu einem weiteren Redebeitrag erteile ich für die CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Jens-Christian Magnussen das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich viel richtiges gesagt worden, aber ich glaube, wir sollten die Debatte wieder auf eine sachliche Ebene bringen.

(Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Lieber Kollege Matthiessen, lassen Sie mich doch ausreden.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kenne das ja!)

- Sehr gut. Ihre Anfeidung bezüglich der Sicherheit ist - so glaube ich - in keinster Weise nachzuvollziehen. Wir haben im Land Schleswig-Holstein Aufsichtsbehörden. Diese sind - so glaube ich heute auch hier vertreten. Ich glaube, sie leisten eine hervorragende Arbeit.

(Beifall bei CDU und FDP)

Sie sind im Einvernehmen mit dem Konzern, der in Schleswig-Holstein zwei Kraftwerke betreibt.

(Wortmeldung des Abgeordneten Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Herr Habeck, ich lasse jetzt keine Zwischenfrage zu, weil die in die Richtung von Polemik geht. Das tue ich mir nicht an.

(Unruhe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Magnussen! Ich bitte erstens um mehr Aufmerksamkeit für den Redner. Zweitens Herr Abgeordneter Magnussen, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Habeck zu?