Protokoll der Sitzung vom 19.11.2009

Die Bürgerinitiative hat dann auch allen Grund zu feiern. Denn gegen den Willen der Bevölkerung wird die schwarz-gelbe Koalition kein großflächiges CO2-Endlager genehmigen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Es macht überhaupt keinen Sinn, dass zum Beispiel ein nordrhein-westfälisches Kraftwerk über eine 500 km lange Pipeline an Nordfriesland angeschlossen wird mit dem Ziel, Millionen von Tonnen CO2 in den Untergrund zu pressen, ohne ausreichende Forschung auf dem Gebiet der CCS-Technologie durchgeführt zu haben.

Aus Sicht der FDP-Fraktion muss das Ziel sein, eine offene und sachliche Diskussion zum Thema CCS zu führen. Wir müssen uns aus klimapolitischen Gründen die Frage stellen, ob es Maßnahmen und Möglichkeiten gibt, die Klimaschutzziele einzuhalten und den CO2 -Ausstoß zu reduzieren. Und - da gebe ich anerkannten Klimaforschern aus

(Marion Sellier)

drücklich recht - die CCS-Technologie kann eine solche Technologie sein, die dazu beiträgt.

Meine Damen und Herren, abschließend etwas Grundsätzliches: Forschung und Entwicklung in Deutschland müssen gefördert und dürfen nicht blockiert werden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Beispiel der erneuerbaren Energien hat uns doch gezeigt, dass eine Förderung vor der Wirtschaftlichkeit sinnvoll war und uns einen technologischen Vorsprung gebracht hat. Aber - da sind wir uns in diesem Haus doch alle einig - es darf nichts gegen den Willen der Bevölkerung vor Ort geschehen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Detlef Matthiessen.

Liebe Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Wir unterstützen den SSW-Antrag. Nordfriesland darf nicht zur Klimagas-Müllkippe der Nation werden. Darüber besteht Einigkeit.

Wer nicht sagen will: „Oh heiliger Sankt Florian, verschon’ mein Haus, zünd’ andere an“, wer nicht nach dem Sankt-Florians-Prinzip handeln will, muss sich für einen generellen Ausschluss der großtechnischen Ablagerung von Kohlendioxid einsetzen. Nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern überall.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Wir sagen nicht: Autobahnen sind gut, nur nicht vor unserer Haustür, oder in diesem Fall: CCS-Technik ist klasse, weil wir die Dinosauriertechnologie, also große Kohlekraftwerke, ungehemmt bauen können, aber wir wollen CCS-Technik nicht in Nordfriesland, nicht in Plön, nicht in Ostholstein, jedoch anderswo, wir wissen allerdings nicht, wo.

Meine Damen und Herren, nicht nur Sankt Florian ist ein CCS-Gegner, sondern es sprechen tatsächlich eine Reihe wichtiger objektiver, zum größten Teil auch technische Gründe gegen diese Technik. Die CCS-Technik ist noch nicht verfügbar. Sie kommt für eine Klimaschutzstrategie zu spät.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

CCS führt zu einer gigantischen Verteuerung der Stromerzeugung. CCS ist eine Risikotechnologie, eine Großtechnik mit Hunderten von Millionen Tonnen Material, das abgelagert werden muss. CCS schützt nicht vor Feinstaub, nicht vor Schwermetallen, die bei der Kohleverfeuerung ebenfalls umfangreich freigesetzt werden.

CCS ist auch keine Antwort auf die Verknappung, auf die abnehmende Ressourcenverfügbarkeit der Energierohstoffe, im Gegenteil, der Verbrauch an Kohle bei der Stromproduktion mit CCS steigt bei Steinkohle um den Faktor 1,6 und bei Braunkohle um den Faktor 1,8. Damit wird der Effizienzgewinn neuer Kraftwerke hoffnungslos zerschlagen.

Der etwas bessere Wirkungsgrad neuer Kraftwerke ist aber nun die Hauptbegründung nicht nur im schwarz-gelben Koalitionsvertrag, auch bei Sigmar Gabriel, bei SüdWestStrom, bei Vattenfall, E.ON und Co. Das ist die Hauptbegründung für den Neubau von Kohlekraftwerken. Es sei geradezu eine Klimasünde, die irre guten neuen Kohlekraftwerke nicht zu bauen, wird dort behauptet.

CCS hat also - wie ich ausführte - eine teuflisch schlechte Ausnutzung der Energie. Niemand will deswegen tatsächlich Kohlegroßkraftwerke mit CCS-Technik bauen. Die Technik der CO2-Abscheidung und -Ablagerung hat nur eine einzige politische Funktion: Sie soll den Bau neuer Großkraftwerke auf Kohlebasis politisch legitimieren,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

und zwar von Kohlegroßkraftwerken ohne CCSTechnik. In Brunsbüttel sollen vier Kohlegiganten gebaut werden mit je 800 MW. Die heizen mit mehr als der Hälfte ihrer Energie die Elbe auf. Natürlich werden die Kraftwerke capture ready gebaut - wie man sich auf Neudeutsch auszudrücken pflegt -, zur Beruhigung, was praktisch nur ein etwas größeres Grundstück bedeutet.

Wer für Klimaschutz ist und gleichzeitig gegen CCS, der darf keine Kohlekraftwerke bauen. Für Schleswig-Holstein bedeutet das ansonsten schlicht die Vervierfachung des Ausstoßes von Treibhausgasen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

(Oliver Kumbartzky)

Gegen CCS, für Kohle und für Klimaschutz - das passt nicht zusammen. Widerspruch Nummer eins.

Für Windenergie - Jubel, Jubel im Koalitionsvertrag - und für Kohlegroßkraftwerke - das passt ebenfalls nicht zusammen. Widerspruch Nummer zwei.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Denn die Großkraftwerke verstopfen die Netze. Wind und Kohle konkurrieren um die Leistungsabführung im Netz.

Die Strategie des Festhaltens an großen Kondensationskraftwerken - sei es Atom oder sei es Kohle verhindern ebenfalls den Ausbau der angeblich geliebten erneuerbaren Energien, weil Großkraftwerke nur Grundlast liefern. Grundlastfähigkeit - wie das in Ihren Broschüren gegen Windenergie immer heißt - ist keine Tugend, sondern vielmehr die Unfähigkeit zur Modulierung der Stromerzeugung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Mit anderen Worten: Atomkraftwerke und große Kohlekraftwerke können technisch nur durchfahren. Wir brauchen jedoch in Zukunft die flexible Erzeugung von Strom, die bei der wachsenden stochastischen Leistung der Erneuerbaren mitspielen kann.

Kraft-Wärme-Kopplung kann dies tun, aber die Kohlegroßkraftwerke in Brunsbüttel stehen strukturell auch einem KWK-Ausbau entgegen. Höchste Zeit also, wenn wir wirklich alle im Haus gegen CCS sind und den Einsatz dieser Technik für nicht durchsetzbar halten, uns von der Kohlestrategie in Schleswig-Holstein verabschieden. Das gilt für die antragstellende Fraktion des SSW, der bisher den Bau neuer Kohlekraftwerke in Brunsbüttel unterstützt hat. Alle im Hohen Haus vertretenen Parteien sind bisher auf dem Kohletrip - bis auf die Grünen und, nach meiner Wahrnehmung, bis auf die neue Partei DIE LINKE.

(Beifall bei der LINKEN)

Saubere Kohle ist eine dreckige Lüge!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Darum wird die Kohle teuer!)

Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Abgeordnete Ranka Prante das Wort.

(Beifall)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vieles wurde schon in der vorhergehenden Rede gesagt. Ich wiederhole es trotzdem, weil ich mitbekommen habe, dass vieles ausdiskutiert worden ist, sich aber anscheinend in den Köpfen von machen Leuten noch nicht gesetzt hat. Es ist heute Konsens, dass der Klimawandel eine große Herausforderung für die Menschheit darstellt. Tatsächlich werden aber allen internationalen Klimaschutzbemühungen zum Trotz die klimaschädlichen Kohlekraftwerke weltweit ausgebaut.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: So ist das leider!)

Die Abscheidung und unterirdische Verklappung von CO2 ist aus unserer Sicht ein trojanisches Pferd der Energiewirtschaft, um den Bau neuer, überflüssiger, teurer Kohlekraftwerke zu ermöglichen.

(Beifall bei der LINKEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Es ist ein Verfahren, vor dem die Wissenschaftler warnen. Es ist eine Gefahr für das Grundwasser. Es ist eine verstärkte Erdbebentätigkeit in den betroffenen Gebieten zu befürchten. Die Untersuchungen über CCS sagen, dass man beim Wirkungsgrad mit einem Verlust von 10 bis 15 % zu rechnen hat. Ein neues Kohlekraftwerk hat - wenn man alles zugunsten des Kraftwerks rechnet und nur die groben Verluste einbezieht - einen Wirkungsgrad von circa 40 bis 45 %. Das heißt, mit der neuen CCS-Technologie verringern sich die 40 % auf 30 %. Was heißt das? Das heißt, dass wir nur einen rentablen Strom haben, wenn wir - wie beim Atomstrom - großzügige Subventionen zahlen,

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und das bei einem Verfahren, bei dem keiner die Gefahren abschätzen kann.

Die Untersuchung des Umweltbundesamtes von Mai 2009 bescheinigt: „CCS erzeugt mehr CO2 je produzierter Einheit durch den Energieaufwand für die Abscheidung, den Transport und die Speicherung.“ Kurz gesagt: CCS produziert CO2. Es kann daher für CCS nicht festgestellt werden, dass diese Technik dem Umweltschutz dient und zum Wohl der Allgemeinheit ist.

Bei der Abscheidung kommen verschiedene Verfahren infrage, die durchaus unterschiedliche Ge

(Detlef Matthiessen)

fahren aufweisen. Dies betrifft zum Beispiel die Freisetzung von Allergenen, ätzende oder krebserregende Gefahrstoffen. Die Verfahren weisen ein hohes Störfallrisiko auf. Warum sollten wir auf solche Verfahren setzen - ob hier oder in den anderen Bundesländern? Ich kann das nicht nachvollziehen. Wie viel Umweltzerstörung können wir und wollen wir noch verantworten?

(Beifall bei der LINKEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)