Protokoll der Sitzung vom 19.11.2009

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Zuruf des Abgeordneten Wolf- gang Kubicki [FDP])

- Ich kann wirklich nur hoffen, Herr Kubicki, dass bei Ihnen immer noch ein sozial-liberales Herz schlägt und dass der Takt nicht ins Neoliberale abdriftet. Ich würde mich sehr darüber freuen. Ich denke, dass nicht nur ich, sondern auch unsere Bürgerinnen und Bürger hier in Schleswig-Holstein sich darüber freuen würden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir Grüne stehen jedenfalls zu unserem Programm. Wir wollen ein wirksames Tariftreuegesetz. Wir stimmen dem Gesetzentwurf des SSW zu.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Herr Abgeordneter Jezewski.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden immer wieder über internationale Standards. Mit Bologna haben wir Bildungsstandards angeschoben. Wir reden auch viel über internationale Sozialstandards, über europäische Sozialstandards. Die Bundesregierung ist aber nicht in der Lage, Tariftreue per Bundesgesetz zu gewährleisten. Wir befinden uns hier im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Die Bundesregierung könnte diesen Mangel ganz einfach abstellen. Dazu ist sie aber seit 15 Jahren, seitdem über dieses Thema diskutiert wird, nicht in der Lage.

Wir unterstützen den Gesetzentwurf des SSW. Wir würden ihn im Ausschuss gern noch etwas modifizieren. So hätten wir in dem Gesetzentwurf zum Beispiel noch gern die folgende Formulierung: Unbeschadet etwaiger weiterer Anforderungen nach den vorherigen Absätzen werden Aufträge an Un

(Andreas Tietze)

ternehmen nur in dem Fall vergeben, wenn diese sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Ausführung der Leistungen mindestens ein Stundenentgelt von 10 € zu bezahlen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wissen, was Sie davon halten. Eine solche Formulierung kann man natürlich einbauen.

Ich will im Hinblick auf ein paar Unklarheiten hier einiges klarstellen. Das Rüffert-Urteil trifft für das schleswig-holsteinische Tariftreuegesetz nicht zu. Die Kommentierungen dieses Urteils helfen uns natürlich. Aus den Kommentierungen ist deutlich zu entnehmen, dass man weitere soziale Anforderungen an Unternehmen formulieren kann, die öffentliche Aufträge erhalten. Ich nenne hier beispielsweise die Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen, das Verbot der Zwangs- oder Pflichtarbeit, das Recht der Vereinigungsfreiheit, die Gleichheit des Entgelts für männliche und weibliche Arbeitskräfte, das Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung und spezielle Regelungen betreffend die Frauenförderung. Es ist erlaubt, all das in ein Tariftreuegesetz aufzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist auch ein Gerücht, dass das Ganze für Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs nicht funktionieren würde. Ich verstehe die Einzelheiten auch nicht immer ganz. Es gibt ein sogenanntes Niederlassungserfordernis gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 des Personenbeförderungsgesetzes. Aus diesem Niederlassungserfordernis ergibt sich, dass aus dem Erfordernis zur Einhaltung bestimmter Tarifverträge keine Behinderung der Niederlassung resultiert. Somit kann man natürlich - andere Gesetzgeber tun das schon - auch den Personennahverkehr in Deutschland in ein derartiges Gesetz einbauen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir betrachten dies als einen ganz wichtigen ersten Schritt, um Rechtssicherheit herzustellen.

Es gibt genug Gemeinden in Schleswig-Holstein, die nach diesem Tariftreuegesetz arbeiten möchten und im Moment der Ansicht sind, sie dürften es nicht tun, weil es das unselige Rüffert-Urteil gibt, das keineswegs auskommentiert ist. Ich glaube, dass wir in den Ausschüssen mit sehr viel Sachverstand an dieses Gesetzeswerk herangehen müssen. Wer in diesem Haus will denn ernsthaft, dass öffentliche Hände Aufträge an Firmen vergeben, die

ihre Mitarbeiter so bezahlen, dass sie in der nächsten Woche vor der ARGE stehen und eine Aufstockung durch Arbeitslosengeld II beantragen? Wir müssten dann sozusagen zweimal bezahlen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Abgeordneter der Regierungsfraktionen dies möchte. Deswegen baue ich darauf, dass wir im Ausschuss eine Lösung finden werden, mit der alle leben können.

(Beifall bei der LINKEN und SSW)

Für einen Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Johannes Callsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin heute Morgen in einer Besuchergruppe gewesen, da haben wir über Ehrlichkeit und Redlichkeit gesprochen. Ich finde es ein ganzes Stück unredlich, dass hier insbesondere der CDU unterstellt wird, wir würden mit unserer Skepsis an diesem Tariftreuegesetz für Lohndumping sein, wir würden für menschenunwürdige Löhne sein, und wir würden für Wettbewerbsverzerrung sein. Es ist unredlich, das hier zu behaupten.

(Beifall bei CDU und FDP - Zurufe)

- Doch! Wenn Sie sich die Historie betrachten: Es war das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, das hier schon vielfach gelobt worden ist, das 1996 auf Bundesebene von einer bürgerlichen Regierung von CDU und FDP eingeführt worden ist, in dem erstmals Mindestlöhne im Baubereich geregelt wurden. Wir waren es, die CDU-Fraktion, die in der Großen Koalition sehr verantwortungsvoll und nach sehr intensiven Diskussionen mit allen Beteiligten das Tariftreuegesetz in Schleswig-Holstein verlängert und erweitert haben, für die Arbeitnehmer, aber ganz besonders auch für den Mittelstand im Land. Aber wir müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, doch ernsthafterweise erkennen, dass sich seitdem mit dem EuGH-Urteil die Rechtslage verändert hat. Ich bitte, diese rechtliche Wahrheit dann auch bei allem politischen Populismus zur Kenntnis zu nehmen.

Der Kollege Magnussen hat es gesagt -

(Zurufe)

- Nein, die Rechtslage hat sich nach dem Urteil verändert. Irgendwann werden Sie das vielleicht auch begreifen.

(Heinz-Werner Jezewski)

Der Kollege Magnussen hat es erläutert: Es gibt das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Mehr Raum ist uns als Landesgesetzgeber überhaupt nicht gegeben nach dem europäischen Recht. Das ArbeitnehmerEntsendegesetz enthält auch Sanktionsmöglichkeiten: Geldbußen, Ausschluss von öffentlichen Aufträgen. Was die Sittenwidrigkeit von Löhnen angeht, so sind öffentliche Arbeitgeber jetzt schon nach VOL und VOB verpflichtet, unangemessen niedrige Löhne zu überprüfen.

Insofern kann ich nur abschließend sagen: Der ehemalige SPD-Arbeitsminister Uwe Döring hat recht, wenn er in seiner rechtlichen Bewertung dieses ganzen Komplexes zum Tariftreuegesetz zum Ergebnis gekommen ist, dass diese Regelung rein deklaratorischen Charakter hat. Ich kann es nur noch einmal zitieren. Das gilt im Übrigen auch für das Hamburger Vergabegesetz, liebe Kollegin Poersch, über das wir gesprochen haben, wozu wir auch gesagt haben, die regeln nichts anderes als das, was im Arbeitnehmer-Entsendegesetz rechtlich geregelt ist. Zu den ILO-Kernarbeitsnormen gibt es im Übrigen bereits einen Erlass des Landesfinanzministers. Auch das ist keine Neuigkeit hier in Schleswig-Holstein.

Also, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, gaukeln Sie den Menschen nichts vor! Gehen Sie ehrlich mit ihnen um! Sagen Sie ihnen, was Landesgesetzgeber regeln können und was sie nicht regeln können! Seien Sie ehrlich! Die Menschen merken das, wenn nicht ehrlich mit ihnen umgegangen wird. Vielleicht hat das auch zum Ergebnis der Landtagswahl in Schleswig-Holstein geführt.

(Beifall bei CDU und FDP - Zurufe von der SPD)

Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erhält der Herr Abgeordnete Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich eigentlich ein bisschen die Schärfe herausnehmen will. Ich gebe dem Kollegen Callsen natürlich recht, die Rechtslage hat sich tatsächlich geändert. Sonst hätten wir diesen Gesetzentwurf gar nicht eingebracht. Es ist in der Tat so, allgemeinverbindliche Löhne bundesweit beziehungsweise gesetzlich festgelegte Löhne bundesweit, alles andere ist nicht mehr möglich. Das wissen wir, und

deshalb haben wir diesen Gesetzentwurf eingebracht.

Ich kann Ihnen zusagen, allen Fraktionen, Ihnen eine Expertise des Wissenschaftlichen Dienstes zur Verfügung zu stellen, in der Sie die rechtlichen Hintergründe für unseren Gesetzentwurf noch einmal nachlesen können und in der Sie insbesondere sehen können, dass es durchaus einen Unterschied gibt zwischen Sanktionsmöglichkeiten gemäß Arbeitnehmer-Entsendegesetz und Tariftreuegesetz. Das biete ich Ihnen an. Sie können sich das durchlesen, und dann können Sie das ganz in Ruhe bewerten.

Das Dritte, was ich ganz wichtig finde, ist: Es ist ohnehin eine erste Lesung. Wir werden - davon gehe ich einmal aus - im Ausschuss eine Anhörung machen. Dann werden wir auch die guten Argumente der Anzuhörenden hören. Wenn ich mich daran erinnere, was die Anzuhörenden, und zwar gleich welcher Couleur, egal, ob rechts, links, ob Unternehmer, Arbeitnehmer, Verbände oder Handwerksverbände, wer auch immer, zu diesem Gesetz zu sagen haben, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass wir am Ende ein gutes Gesetz bekommen werden. Es gibt kaum ein Gesetz, das so aus einem Ausschuss wieder herauskommt, wie es hineingegangen ist. Ich bin guter Dinge, dass wir alle gemeinsam ein Tariftreuegesetz zum Wohle sowohl der Arbeitnehmer als auch der Unternehmen beschließen werden. Wir sollten die Schärfe herausnehmen und uns die Expertise der Anzuhörenden anhören. Ich glaube, dann kommen wir zu einer vernünftigen Lösung.

(Beifall bei SSW und SPD)

Ich erteile dem Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr, Herrn Jost de Jager, das Wort.

(Johannes Callsen)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil schon sehr viel gesagt worden ist, kann ich mich hoffentlich einigermaßen kurz fassen. Ich möchte aber, Herr Abgeordneter Harms, auf das eingehen, was Sie eben in Ihrem Beitrag gesagt haben, weil nach meiner Einschätzung der Grat für Ihren Gesetzentwurf nach Ihren Einlassungen eben noch einmal schmaler geworden ist. Sie haben selber darauf verwiesen, dass es einen Spielraum für eine landesgesetzliche Regelung nicht mehr gibt. Man muss nämlich zur Kenntnis nehmen: Der Sinn des Tariftreuegesetzes, das wir in Schleswig-Holstein hatten, bestand darin, die heimischen Unternehmen vor Anbietern aus anderen Bundesländern zu schützen, in denen es niedrigere Tariflöhne gab. Diese Regelung - das haben Sie selber bestätigt - ist nach dem EuGH-Urteil nicht mehr möglich. Das hat übrigens dazu geführt, dass all diejenigen Bundesländer, die landeseigene Tariftreuegesetze hatten, diese Gesetze, wie auch wir in Schleswig-Holstein, außer Kraft gesetzt haben.

Wir hatten übrigens - auch das ist die Wahrheit -, in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe in der vergangenen Großen Koalition, die zusammengesetzt war aus unserem Ministerium, dem Innenministerium und dem Justizministerium, beide in der letzten Periode rot geführt, die gemeinsame Einschätzung, dass das Tariftreuegesetz in Schleswig-Holstein nicht zu halten sein würde. Insofern gibt es keinen Spielraum mehr für eine landesgesetzliche Regelung.

Nun kann man zu dem Punkt kommen wie die Hamburger, dass man eine deklaratorische Regelung auf den Weg bringt. Ich bin aber der Auffassung, dass Gesetzentwürfe das falsche Mittel sind, um Absichten zu erklären. Dazu kann man Resolutionen und Anträge einbringen, aber keine Gesetzentwürfe. Insofern, glaube ich, brauchen wir diesen Gesetzentwurf in der Tat nicht.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir brauchen ihn aus zwei anderen Gründen auch nicht. Der eine ist schon mehrfach benannt worden, auch in den Debattenbeiträgen: Das, was jetzt noch zu regeln ist, nachdem das EuGH die Landestariftreuegesetze außer Kraft gesetzt hat, ist in der Tat durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz gelöst. Wenn Sie der Auffassung sind, dass der Sanktionskatalog dort nicht ausreicht, dann müssen Sie den Bundesgesetzgeber bemühen und nicht den Landesgesetzgeber. Das ist dann in der Tat eine Aufgabe,

die man weitergeben kann nach Berlin. Ich glaube, es sollte nicht unsere Aufgabe hier im Landtag sein, Ergänzungsgesetzgebung für den Bundestag auf den Weg zu bringen.

Ein anderer Grund, weshalb wir Ihr Gesetz nicht brauchen, ist, dass es im Frühjahr dieses Jahres eine Klärung durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 24. April 2009 gab, in dem klargestellt worden ist, dass öffentliche Aufträge nur an gesetzestreue Unternehmen vergeben werden dürfen. Dazu gehören nach Auffassung des Bundesgesetzgebers nur Unternehmen, die die Vorschriften des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und die darauf fußenden allgemeinverbindlichen Tarifverträge einhalten. Es ist in der Begründung ausführlich dargelegt, dass zu den von allen Unternehmen einzuhaltenden Regeln auch gemeinverbindliche Tarifverträge gehören. Auch wenn sie keine formellen Gesetze sind, so sind es doch allgemeinverbindliche, gesetzesähnliche Rechtsakte, denen sich kein Unternehmen entziehen darf.

Mit anderen Worten: All das, was gesetzlich nach dem EuGH-Urteil noch zu regeln ist, ist bundesgesetzlich geregelt, ist jetzt schon Gegenstand der Vergabeentscheidungen. Aus diesem Grunde ist es die Auffassung des Ministeriums und der Landesregierung, dass wir ein zusätzliches eigenes Landesgesetz nicht brauchen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 17/39 dem Wirtschaftsausschuss und mitberatend dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer dem so zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Einstimmig so beschlossen!

Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 A auf: