an dieser Stelle eines dazu sagen: Ein faires, friedliches und produktives Zusammenleben hängt nicht nur von den Finanzen ab, sondern zu einem großen Teil vom Willen und Handeln aller Beteiligten.
Um nicht nur Artikel 1 unseres Grundgesetzes, der mit der Würde des Menschen ganz wichtig ist, zu zitieren, sondern auch Artikel 3:
„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich … Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, … seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am vergangenen Wochenende haben wir den Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Wir haben gefeiert, dass vor 20 Jahren eine friedliche Protestbewegung und das Engagement vieler mutiger DDR-Bürgerinnen und -Bürger zu den ersten gemeinsamen freien Wahlen geführt haben. Wir haben dieses Ereignis in der vergangenen Woche zum Anlass genommen, um über europäische Integration zu reden, über Demokratie und Bürgerbeteiligung und natürlich auch über den dritten Aspekt der Einigung, nämlich die Integration von Zuwanderern in unserer Gesellschaft.
Eindrücklich war dabei die Rede des neuen Bundespräsidenten Wulff, der fast rechtfertigend erklärte, selbstverständlich auch Präsident aller Muslime in Deutschland zu sein. Er sagte, dass der Islam Teil unseres Landes ist.
Das führte allerdings dazu, dass eine Debatte über Leitkultur und christlich-jüdische Prägung der Bundesrepublik vornehmlich in den Reihen der CDU und CSU losbrach. Mich stört diese Debatte. Sie zeigt deutlich, dass ein Aspekt der Integration immer noch nicht begriffen wurde: In einer vielfältigen und multikulturellen Gesellschaft zu leben - das tun wir, denn ein Fünftel unserer Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund - bedeutet, dass sich die Frage nach einer Leitkultur überhaupt nicht mehr stellen kann und auch nicht stellen darf.
Ich persönlich verschwende keine Zeit damit, die Frage zu stellen, wie Deutschland geprägt ist, was Deutschland für Wurzeln hat. Als Politikerin weiß ich, dass diese Frage nicht Maßgabe unserer Politik sein kann.
Wir sind eine multikulturelle Gesellschaft geworden, als müssen wir auch Politik für eine multikulturelle Gesellschaft machen. Da stimmt es nachdenklich - es beschämt sogar -, wenn antisemitische und rassistische Äußerungen wieder einen Platz in unserer Gesellschaft finden und sogar auf Zustimmung stoßen.
Sarrazin hat die Debatte um Integration auf verschiedenste Weise unerträglich geführt, weil seine Gedanken nicht im Ansatz Antworten liefern. Wenn Integration nicht gelingt, was folgt dann daraus? Folgt daraus, dass wir uns um eine intensive Sprachförderung kümmern, um frühkindliche Förderung, um Toleranz, Demokratiebildung, Bürokratieabbau, Menschen mit Migrationshintergrund in
Schulen und öffentlichen Ämtern, die leichtere Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen? Denn das müssen wir alles tun, um eine Integration gelingen zu lassen.
Oder folgt daraus - ich sage es einmal ganz platt -, dass wir drei Millionen Muslime aus dem Land werfen? Ich weiß, dass das niemand im Parlament so sieht oder die Frage so gestellt wird. Aber es tut weh, wenn man merkt, dass diese Debatte mittlerweile von vielen so geführt beziehungsweise begonnen wird.
Die meisten, die über Integration reden, sprechen mehr über ihre Defizite als über ihre Erfolge. Da heißt es immer: Jede zehnte Migrant ist nicht bereit, sich zu integrieren. Ich persönlich wähle lieber die Worte: Bei neun von zehn Menschen mit Migrationshintergrund ist die Integration gelungen.
Aber gut, sprechen wir vom Zehnten. Es tut mir leid, sagen zu müssen, aber auch bei jeglichem Sparwillen, den ich hier allen Fraktionen unterstellen möchte: Die ganze Debatte hat einen Haken. Wir können nicht am laufenden Band fordern und fordern, wenn wir nicht fördern.
Wenn wir das tun würden, würden wir den Irrweg, den die Integration jetzt geht, unterstützen, nämlich dass Integration nur bei den Menschen gelingt, die stark genug sind, alle bürokratischen Hürden und auch Diskriminierung zu überwinden.
Für uns Grüne ist Integrationspolitik also eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und eine umfassende. Dazu gehört auch eine gerechte Flüchtlingspolitik. Dazu gehört auch, dass wir weiterhin aktiv im Kampf gegen Rechts sind. Da haben wir leider sehr viele Defizite.
Wenn Menschen jahrelang in Einbürgerungsverfahren stecken, in schwachsinnigen Tests beweisen müssen, dass sie wissen, wo der Harz liegt, wenn die Bundesrepublik von jungen Menschen verlangt, sich zwischen der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern und der deutschen Staatsbürgerschaft zu entscheiden, dann können wir nicht ernsthaft von einer ehrlichen Integrationspolitik sprechen.
Um die Gemüter etwas abzukühlen: Ich bin sehr dicht bei jedem, der sagt, dass wir selbstverständlich von Migrantinnen und Migranten fordern müssen, sich am Prozess ihrer eigenen Integration zu beteiligen. Natürlich müssen wir fordern, dass die Grundpfeiler unseres Grundgesetzes geachtet, eingehalten und akzeptiert werden.
- Ja, ach so! Viele der Probleme - davon bin ich überzeugt - hängen allerdings mit der sozialen Situation und der immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland zusammen.
In dem Antrag der CDU wird gefordert, dass wir eine konstruktive und ehrliche Debatte über Integration führen. - Sehr gern, aber in meinen Augen widersprechen sich hier einige Dinge. Eine ehrliche Integration erfordert ehrliche Bemühungen. Die müssen in die Tiefe gehen - strukturell, aber auch in der Kommunikation -, damit wir den Migrantinnen und Migranten nicht das Gefühl geben, Deutscher zu sein bedeutet, dass sie einen ewigen Hindernisparcours durchlaufen müssen, der teilweise jahrelang dauert. Sie sind es, die die Integrationsbemühungen auch ehrlich führen müssen. Auch da haben wir noch Defizite.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und des Abgeordneten Heinz- Werner Jezewski [DIE LINKE])
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Integration ist keine Einbahnstraße. Dennoch will die Landesregierung die Mittel für die Integrationsarbeit in den kommenden Jahren drastisch reduzieren. - Frau Damerow, in Ihrem Beitrag hätten Sie darauf eingehen können, wie sich die Landesregierung erfolgreiche Integrationspolitk in SchleswigHolstein vorstellt. Sie sparen bei Migrationsberatungsstellen, Migrationsselbsthilfeeinrichtungen und selbst bei der Sprachförderung für Migranten. Das Forum für Migrantinnen und Migranten der Stadt Kiel klagt seit Langem über die drastischen Kürzungen und befürchtet den Zusammenbruch des bislang aufgebauten Netzwerks.
Schleswig Holstein ist dazu verpflichtet, Integrationspolitik als zentrale Aufgabe zu betreiben; denn
,,Die Länder stellen sich ihrer Verantwortung für das Gelingen von Integration in der Zusammenarbeit mit dem Bund, den Kommunen und der Zivilgesellschaft. In allen Ländern wird Integrationspolitik als zentrale gesellschaftliche Zukunftsaufgabe für die Bundesrepublik Deutschland verstanden.“
Diese Verantwortung sollten Sie ernst nehmen, meine Damen und Herren. Kommunen und anderen Akteuren müssen die nötigen Finanzen zur Verfügung gestellt werden.
Eine gelungene Integration ist eine Gesellschaftsaufgabe, die Arbeitsmarkt-, Sozial- und Bildungspolitik umfasst.
Wer von Integration redet, darf über soziale Sicherheit, rechtliche Gleichstellung und wirksame Antidiskriminierungsgesetze nicht schweigen.