Protokoll der Sitzung vom 07.10.2010

Wer von Integration redet, darf über soziale Sicherheit, rechtliche Gleichstellung und wirksame Antidiskriminierungsgesetze nicht schweigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir als Linke wollen eine Gleichstellung auf allen Ebenen.

Zu einer gelungenen Integration gehört selbstverständlich ein solider Spracherwerb. Die Förderung der deutschen Sprache bereits in den frühen Jahren ist ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung, den übrigens nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund dringend nötig haben; denn auch deutsche Kinder sprechen oft nur unzureichend Deutsch.

Jetzt haben sie noch das beitragsfreie dritte KitaJahr gestrichen und erschweren damit gerade Migrantenkindern den Zugang zum Kindergarten, um ihre Sprachkompetenz zu stärken. Das ist kein Schritt in die richtige Richtung der Integration.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Vielfalt der Kulturen gehören auch die verschiedenen Glaubensrichtungen. Daher ist Religion zunehmend in politischen Zusammenhängen wie auch im privaten Bereich ein Thema.

Der jüngste Redebeitrag des Bundespräsidenten, gibt eindeutig zu verstehen, dass die Anerkennung unterschiedlicher Religionen zu unserer Gesellschaft gehört. Von seiner Rede geht eindeutig ein starkes Signal an das konservative Spektrum der politischen Parteien aus. Bitte nehmen Sie das Signal zur Kenntnis.

(Luise Amtsberg)

Die jetzt entbrannte Diskussion zu dieser Rede in den Reihen der CDU auf Bundesebene, die die christliche Leitkultur propagiert, ist kontraproduktiv für ein solidarisches Miteinander.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Rolf Fischer [SPD])

An dieser Stelle möchte ich auf die populistischen und menschenverachtenden Äußerungen von Thilo Sarrazin eingehen. Ja, sage ich, wir haben in der Tat ein Integrationsproblem in unserer Gesellschaft. Niemand leugnet diese Tatsache. Aber zu einer sachlichen Integrationsdebatte gehört auch eine seriöse Analyse der Ursachen. Warum ist denn Integration nicht gelungen? Menschenverachtende Äußerungen über bestimmte Religionen führen nicht zur Lösung der Probleme, sondern verschärfen die gesellschaftlichen Differenzen. Wer dazu genetische Veranlagung mit Intelligenz pauschal in Verbindung bringt und versucht, das mit pseudowissenschaftlichen Thesen zu begründen, handelt aus unserer Sicht allen Menschen gegenüber verantwortungslos und beleidigt damit pauschal Menschen ausländischer Herkunft.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen Vorurteile, Vorbehalte und Verunglimpfungen gegen Menschen aus anderen Kulturund Religionskreisen entschieden bekämpfen.

Die aktuelle Integrationsdebatte erfordert eine sachliche Auseinandersetzung, meine Damen und Herren. Die Landesregierung hat einen Aktionsplan zur Integration auf der Grundlage des seit 1992 bestehenden Integrationskonzepts Schleswig-Holsteins als Bestandteil des Nationalen Integrationsplans des Bundes vorgestellt und damit die Integrationsarbeit mit konkreten messbaren Schritten auf bestimmten Handlungsfeldern in die Praxis umsetzen wollen. Mit diesem Aktionsplan wollte die Landesregierung in Sachen Integration die Vorreiterrolle übernehmen. Aber wie sieht es derzeit aus?

Uns liegen keine Ergebnisse und Fakten der bisher durchgeführten Projekte zur Integrationsarbeit vor. Zum Beispiel die frühkindliche Sprachförderung der Migrantenkinder - was sind die Resultate dieser Fördermaßnahmen? Weder seitens der Kita-Einrichtungen noch seitens der Schulen liegen uns konkrete Ergebnisse vor. Welche Instrumente kann man heranziehen, um Integrationsarbeit transparent zu gestalten? All diese Fragen benötigen eine dringende Antwort; denn es reicht nicht, nur auf Probleme aufmerksam zu machen.

Wir fordern die Landesregierung auf, sich der politischen und finanziellen Verantwortung zu stellen, um die nötigen Schritte für eine erfolgreiche Integration einzuleiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn wir sind in Schleswig-Holstein noch sehr weit davon entfernt. Ich sage noch einmal: Die unsäglichen Sparmaßnahmen in diesem Bereich tragen nicht gerade zu einer gelungenen Integrationspolitik bei.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion des SSW erteile ich der Frau Abgeordneten Silke Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung hatte 2008 in ihrem Integrationskonzept für mein Dafürhalten erstmals in dieser Deutlichkeit keinen Zweifel daran gelassen, dass „Integrationsdefizite als strukturelle Probleme wahrgenommen werden müssen“. Die jetzigen regierungstragenden Fraktionen wollen zwei Jahre später davon nichts mehr wissen. Die Fragen fokussieren auf individuelle Verfehlungen der Migrantinnen und Migranten wie die Ablehnung von Integrationsangeboten und dem Abbruch von Kursen und anderes. Dementsprechend sind auch die Fragen im Berichtsteil des vorliegenden Antrags formuliert. So individuell die Defizite nach Meinung der Regierungsfraktionen sind, so individuell sind auch die Lösungen zugeschnitten: Integration - so zumindest der Text der vorangestellten Entschließung - ist Aufgabe der Landesregierung und des Integrationsbeauftragten. Das ist falsch. Nach unserer Ansicht ist dieses eindeutig eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und bei deren Erfüllung hapert es oftmals.

(Beifall bei SSW, SPD und der LINKEN)

Diskriminierung ist alltäglich und steht einer Integration im Wege, da können sich die Migrantinnen und Migranten noch so integrationswillig zeigen.

Es gibt jedoch Ansätze, hieran etwas zu ändern. So hat zum Beispiel die Antidiskriminierungsstelle einige Unternehmen für die Anonymisierung von Bewerbungsunterlagen gewinnen können. Hintergrund ist der Umstand, dass allein türkisch klingende Namen die Bewerberin oder den Bewerber automatisch von einem Bewerbungsgespräch ausschlie

(Antje Jansen)

ßen können. Durch die Anonymisierung soll gewährleistet werden, dass ausschließlich die bisherigen Leistungen und das Know-how des zukünftigen Mitarbeiters beziehungsweise der zukünftigen Mitarbeiterin ausschlaggebend für die Einstellung sein sollen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Und seine soziale Kompetenz!)

Das ist heutzutage noch reine Zukunftsmusik.

Die ganz alltäglichen Integrationshindernisse sind zu beseitigen. In einer Gesellschaft, in der die soziale Schere immer weiter auseinanderklafft, wird man immer mit dem Finger auf die vermeintlich Schwächeren zeigen. Genauso ist es derzeit in Deutschland, wo ein Großverdiener mit MigrantenBashing enorme Aufmerksamkeit erzielt. - In den vorangegangenen Reden wurde Herr Sarrazin ja auch immer genannt. - Eine offene Diskussion der bestehenden Integrationsprobleme, wie vom Antrag gefordert, ist das nach unserer Ansicht nicht. Bloß weil man etwas laut sagt, von dem man behauptet, es werde in Deutschland ignoriert, ist es nicht automatisch richtig.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Eine offene Diskussion sieht jedenfalls ganz anders aus. Sie würdigt alle Sachverhalte, individuelle und strukturelle, und sollte auf einen Konsens beziehungsweise eine tragfähige Lösung ausgerichtet sein. Das ist derzeit bedauerlicherweise nicht der Fall.

In Deutschland bestehen teilweise noch manifeste Integrationsdefizite. Dabei würde unsere Gesellschaft durch die Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger, ob sie nun Hans oder Hassan heißen, enorm gewinnen.

Ich bin gespannt, wie sich der Herr Justizminister dieser Herausforderung stellen wird, und bin deshalb auch auf seine Ausführungen hierzu gespannt.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für die Landesregierung erteile ich dem Minister für Justiz, Gleichstellung und Integration, Herrn Emil Schmalfuß, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits vor 55 Jahren wurde das erste Anwerbeabkommen mit Italien geschlossen, und schon vor gut 30 Jahren hat der damalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung ein Memorandum veröffentlicht, in dem er eine konsequente Integrationspolitik gefordert hat. Ganz neu ist die Debatte, die wir heute führen, also nicht.

Als für den Bereich Integration zuständiger Minister ist es mir in erster Linie wichtig festzuhalten, welche Fortschritte bei der Integration bereits erzielt worden sind, ohne die bestehenden Probleme verharmlosen zu wollen. Provokante Thesen und rassistische Äußerungen weise ich hier ausdrücklich zurück.

(Beifall bei FDP, SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die Repräsentativbefragung „Ausgewählte Migrantengruppen in Deutschland 2006/2007” zeigt deutliche Fortschritte der Integration auf. Untersucht wurden die Lebensverhältnisse der fünf größten Ausländergruppen in Deutschland, Menschen aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien, aus Italien, Polen und Griechenland. Vor allen Dingen bei den Schlüsselfaktoren Bildung und Sprache sind ganz deutliche Fortschritte zu erkennen.

(Beifall des Abgeordenten Dr. Ralf Stegner [SPD])

So sind in dieser Studie Bildungsaufstiege von Generation zu Generation signifikant erkennbar. 42 % der Befragten besitzen einen höheren Abschluss als die Eltern.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Auch das Integrationsbarometer des Sachverständigenrats belegt, dass Integration in Deutschland erheblich besser gelingt, als häufig angenommen wird.

(Beifall bei CDU, FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So ist das Vertrauen der Zugewanderten in die einheimische Bevölkerung sehr hoch. Fast zwei Drittel der Zugewanderten setzen auf die Verlässlichkeit der Einheimischen und bringen diesen ein großes Vertrauen entgegen. Das ist ein sehr gutes Fundament dafür, dass Integration überhaupt gelingt.

Auch bei den mit dem Zuwanderungsgesetz eingeführten Integrationskursen verzeichnen wir entge

(Silke Hinrichsen)

gen mancher anderer Meinung eine Erfolgsstory. Das betrifft sowohl die stark wachsenden Teilnehmerzahlen als auch die Zahlen der erfolgreichen Absolventen. In Schleswig-Holstein haben allein im Jahr 2009 insgesamt 3.600 Menschen eine Teilnahmeberechtigung erhalten. Davon haben sich mehr als die Hälfte in Eigeninitiative zu einem Sprachkurs gemeldet.

In den vergangenen Wochen wurde mehrfach öffentlich kolportiert, dass zur Kursteilnahme Verpflichtete ihrer Verpflichtung in ganz großem Maße nicht nachkämen. Das Gegenteil ist richtig.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)