Protokoll der Sitzung vom 08.10.2010

An dieser Stelle kann ich - wir haben darüber vorgestern debattiert - nur auf die zahlreichen Rechenbeispiele verweisen, die auch in den Medien aufgenommen wurden. Jeder kann ausrechnen, wie hoch der Stundenlohn für einen Alleinverdiener bei einer vierköpfigen Familie ausfallen muss, damit er überhaupt das Niveau von Hartz IV, circa 1.800 € monatlich, erreicht. Da kommen Sie je nach Miethöhe und Alter der Kinder auf einen Wert von bis zu 10 €. Es bedarf keines gesetzlichen Mindestlohns. Er zerstört nur Arbeitsplätze für Geringqualifizierte und erhöht die Arbeitslosigkeit.

(Beifall bei CDU und FDP)

Stattdessen sollten wir über Zuverdienstmöglichkeiten diskutieren und sie verbessern. Aber auch an diesem Thema ist die Bundesregierung dran.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Dumpinglöhne!)

- Herr Kollege Stegner, Sie verstehen wenig von Marktwirtschaft, wenn ich das richtig sehe.

(Regina Poersch)

(Beifall bei CDU und FDP - Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Politologe! - Unruhe bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die CDU bleibt es dabei: Die Lohnfindung ist nicht Aufgabe des Staates. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer, er ist nicht der bessere Banker, und er ist nicht der bessere Lohnfestsetzer. Gerade die Linken sollten das bei einem Blick in die Vergangenheit erkennen. Es ist stattdessen Aufgabe der Tarifpartner, sich gemeinsam auf produktivitätsorientierte Löhne zu einigen.

(Martin Habersaat [SPD]: Mit den Christli- chen Gewerkschaften!)

- Ich komme noch dazu. - Die Tarifautonomie ist eine der Stärken und wesentlicher Bestandteil unserer Wirtschaftsordnung. Mittlerweile habe ich den Eindruck, auch bei den Zurufen hier von der linken Seite, dass wir auf der rechten Seite dieses Hohen Hauses offenbar die einzigen sind, die an der Tarifpartnerschaft von Gewerkschaften und Arbeitgebern festhalten und dies aktiv unterstützen.

(Beifall bei CDU und FDP - Zuruf des Abge- ordneten Björn Thoroe [DIE LINKE])

Wir wollen keine sozialistische Marktwirtschaft, wir wollen die soziale Marktwirtschaft.

(Beifall bei CDU und FDP - Lachen bei der SPD)

Deswegen soll es Mindestlöhne nur dort geben, wo die Tarifpartner dies wollen. Diese Tarifverträge können dann nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz für allgemeinverbindlich erklärt werden. Das ist genau der Weg, den auch der EuGH für Tariftreueerklärungen vorgegeben hat. An dieser rechtlich stringenten Vorgabe werden sich im Interesse unserer mittelständischen Unternehmen und des Handwerks in Schleswig-Holstein die Regelungen zu Tariftreueerklärungen und Vergabeverfahren im neuen Mittelstandsförderungsgesetz orientieren. Das ist richtig, das ist gerecht, das ist Arbeitnehmer- und Mittelstandspolitik, die ihren Namen auch verdient. Wir sollten im Ausschuss weiter darüber beraten.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Christopher Vogt das Wort.

(Anette Langner [SPD]: Das kann ja nur noch schlimmer werden! - Detlef Buder [SPD]: Es gibt noch Steigerungen!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann die Sozialdemokraten beruhigen: Ich bin heute etwas versöhnlicher drauf als in den vergangenen Tagen. Aber schauen wir mal, was die Zwischenrufe noch so bringen.

Die Debatte um eine europarechtskonforme Ausgestaltung eines neuen Vergabe- beziehungsweise Tariftreuegesetzes führen wir seit längerer Zeit in diesem Hause. Sie resultiert aus dem sogenannten Rüffert-Urteil aus dem Jahr 2008, das auch für Schleswig-Holstein bedeutet, dass das alte Tariftreuegesetz gegen den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs nach Artikel 49 des EG-Vertrags verstößt.

Nach dem im vergangenen November vom SSW vorgelegten Gesetzentwurf, zu dem wir eine sehr umfangreiche Anhörung durchgeführt haben, kommt nun auch die SPD mit einem Gesetzentwurf ins Parlament. Die SPD möchte mit ihrem Gesetzentwurf nicht nur die Tarifzahlung regeln, sie greift auch allgemeinere arbeitsmarkt- und sogar umweltpolitische Aspekte auf,

(Beifall bei der LINKEN)

deren Auftauchen in einem Gesetzentwurf zu diesem Thema sehr überraschend ist. - Ich merke schon, Sie überrascht das nicht, Sie freut das. Uns hat das schon ein wenig überrascht, weil das unserer Meinung nach nicht in einen solchen Gesetzentwurf gehört. Besonders bemerkenswert finden wir in dieser Hinsicht die §§ 11 und 18 in Ihrem Entwurf, mit denen eine Günstigkeitsklausel für die Beschäftigten und eine umweltverträgliche Beschaffung festgeschrieben werden sollen. Wir sind der Meinung, dass das in ein solches Gesetz nicht hineingehört. Die SPD-Fraktion schießt aus unserer Sicht über das Ziel hinaus.

Einige weitere Paragrafen, zum Beispiel § 4, der mittelstandsfreundliche Lose bei der öffentlichen Vergabe regeln soll, sind ebenfalls absolut verzichtbar, weil dies in Schleswig-Holstein schon geregelt ist. Frau Kollegin Poersch, Sie sprachen das Mittelstandsförderungsgesetz an und sagten, Sie sähen keinen Bedarf, das zu bearbeiten. Gerade in dem Bereich gibt es Potenzial, das zu verbessern, bei den mittelstandsfreundlichen Losen. Wir können uns darüber unterhalten, wenn es so weit ist.

(Johannes Callsen)

Sehr kritisch sehen wir auch die von der SPD-Fraktion geforderten wirklich sehr bürokratischen Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten, bei denen es die Linken natürlich noch schaffen, das zu toppen. Wir haben ja schon gehört, dass sie alles wunderbar abgeschrieben haben. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der LINKEN, Ihre Forderungen nach dem Mindestlohn teilen wir nicht. Ich freue mich, dass auch die SPD und Vertreter des Handwerks gesagt haben, dass das in dieses Gesetz nicht hineingehört. Die Auffassung teilen wir. Unsere generelle Haltung zum Mindestlohn kennen Sie ja.

(Zurufe von der SPD)

Es ging uns schon bei der Debatte im November zum SSW-Entwurf nicht nur darum, wie man ein Tariftreuegesetz europarechtskonform ausgestalten könnte, sondern auch darum, ob wir überhaupt ein eigenständiges neues Tariftreuegesetz in Schleswig-Holstein brauchen. Es wurde im Wirtschaftsausschuss schon angesprochen: Die Landesregierung möchte demnächst ein Mittelstandsförderungsgesetz einbringen, das überarbeitet werden soll. Sie sagten, Sie sähen da keinen Bedarf. Wir sehen beim Mittelstandsförderungsgesetz schon Bedarf, gerade bei den mittelstandsfreundlichen Losen. Wir sind der Meinung, wenn zwei Gesetze überarbeitet werden müssen, dass es Sinn macht, diese zusammenzubringen. Das halten wir für den richtigen Weg.

Insofern schlage ich vor, dass wir den Gesetzentwurf der Landesregierung abwarten und schauen, wie das zusammengefügt werden kann. Wir sind überzeugt, dass das der beste Weg ist. Darüber können wir uns in diesem Haus gern noch einmal unterhalten.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Kollegen Dr. Andreas Tietze das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist erfreulich, dass es unserer Wirtschaft wieder gut geht. Es ist nicht erfreulich, dass der Aufschwung nicht bei denen angekommen ist, die in den unteren Lohngruppen für diesen Aufschwung gearbeitet haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Poersch, Sie haben die Bibel zitiert. Ich nehme für mich in Anspruch, dass auch ich ab und zu einmal darin lese. Ich möchte der christlich-liberalen Koalition sagen: Paulus hat an die Epheser in Apostelgeschichte 20 einmal gesagt: Geben ist seliger als Nehmen.

(Zurufe)

Das wäre etwas, was Sie vielleicht auch einmal in Ihrer Regierungsarbeit übernehmen könnten.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Das haben Sie abgelesen! Geben Sie es zu! - Wei- tere Zurufe von CDU und FDP)

Wir hatten im Februar im Wirtschaftsausschuss eine interessante Anhörung zum Tariftreuegesetz. Herr Kollege Callsen, Sie haben es angesprochen: Die rot-grüne Regierung in Bremen hat nach dem Rüffert-Urteil sehr schnell ein sehr präzises, ein sehr gutes und erfolgreiches Gesetz auf den Weg gebracht.

Ich finde es gar nicht schlimm, dass man etwas kopiert, wenn man sagt, wo man es kopiert hat, wenn man auch sagt, dass das Rad nicht neu erfunden werden muss. Das ist tatsächlich ein Gesetz, das ich hoch anständig und hoch bedenkenswert finde. Es muss doch unser Ziel sein, und darum geht es, die Tariftreue zu sichern, die Sozialstandards zu gewährleisten und den Wettbewerb bei öffentlicher Auftragsvergabe fair zu gestalten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Genau das macht der Bremer Ansatz. Ich hätte kein Problem damit zu sagen: So what, nehmen wir das Bremer Gesetz, verabschieden wir es im November, und geben wir unseren Handwerksbetrieben, unseren Mittelständlern, aber auch unseren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Schleswig-Holstein Sicherheit! Damit habe ich kein Problem.

Man muss hier ganz deutlich sagen: Das Thema haben Sie bisher verschleppt. Wir reden seit einem Jahr darüber. Lohndumping ist nicht im Interesse der Unternehmen in Schleswig-Holstein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Die Rechtslage lässt es zu, die Tariftreue ohne Probleme und uneingeschränkt im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs geltend zu machen. Man muss sich fragen, warum man es nicht tut. Man kann es tun. Warum tut man es nicht? - Ich bin hier sehr pragmatisch und sage: Die Dinge, die wir

(Christopher Vogt)

tun können, sollten wir tun. Es geht hier um Gerechtigkeit für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Der SSW hat - genau wie viele andere hier im Haus - gesagt: Lasst uns den Weg beschreiten, den Lars Harms ganz pragmatisch beschrieben hat. Lasst es uns über das Entsendegesetz machen. Auch hier gibt es die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Auch das ist ein Weg, den man gehen kann. Man muss nicht lange herumdiskutieren, das kann man jetzt umsetzen.

Wenn wir uns einig sind, dass wir einen fairen Wettbewerb organisieren wollen, dann geht es auch um übergeordnete strategische Ziele wie die Gleichstellung von Männern und Frauen und das Ziel der Beschäftigung Schwerbehinderter in Unternehmen. Gerade in der heutigen Zeit des Klimawandels geht es auch um ökologische Kriterien bei einer Ausschreibung, um eine sinnvolle und moderne CO2-Reduzierung zu erreichen. Was haben Sie dagegen? - Ich habe nichts gehört.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bremer Gesetz ist vorbildlich und mit der Rechtsprechung in Europa vereinbar. Die Bremer haben an den Mittelstand gedacht. Was haben Sie dagegen, dass in bestimmten Ausschreibungen entsprechende Losgrößen gestaltet werden? - Das ist das sogenannte Präqualifikationsverfahren. Das ist doch sinnvoll, damit können sich Tarifunternehmen schon im Vorwege einer öffentlichen Ausschreibung qualifizieren. Im Übrigen finde ich es mutig, dass sich die Kollegen in Bremen zum Mindestlohn geäußert haben und zumindest in einem Bundesland einen Standard festgelegt haben. Was ist daran falsch, wenn unsere europäischen Nachbarn das seit vielen Jahren schon praktizieren? - Ich frage Sie das.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)