Protokoll der Sitzung vom 17.11.2010

(Beifall bei CDU und FDP)

Der Staat kann einiges, aber der Staat kann nicht alles. Das, was früher gefährlich war, wenn man sozusagen Jugendliche irgendwann sich selbst überlassen hat, ist heute immer noch gefährlich, ja es ist gefährlicher geworden durch den Zugang zu diesen Netzen. Darum ist Medienvermittlung auch ein Stück elterliche Kontrolle. Ich war einer der ersten meiner Generation, der einen Computer hatte, damals mit 16. Das war damals die Einführung sozusagen auch jugendbezahlbarer Computer. Ich glaube, ich habe den nur deswegen einigermaßen verantwortlich nutzen können, weil meine Eltern verdammt aufgepasst haben. Das heißt nicht, dass ich

nicht auch die eine oder andere Nacht mal ein paar Stunden heimlich davor gesessen habe. Aber es ist etwas anderes, wenn Eltern Einfluss nehmen und auch kontrollieren, ob diese Nutzung nicht übermäßig ist.

Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, weil mein Kollege auch etwas überzogen hat: Kritikfähigkeit. Auch das ist eine Frage, die früher galt und die heute im Online-Bereich noch mehr gilt, dass man lernt, dass nicht jede Quelle, die man sieht, nicht alles, was dort geschrieben ist, automatisch wahr ist. Das gilt auch für renommierte Datenbanken wie Wikipedia. Das habe ich selber einmal in verschiedenen Bereichen erlebt. Einfach nur abzuschreiben, zu kopieren, Copy and Past auf dem Internet führt ganz häufig zu falschen Ergebnissen. Diese Kritikfähigkeit müssen wir auch in der Schule wieder stärker einbringen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Brand-Hückstädt.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 1972 wurde in Vietnam ein schreiendes nacktes Mädchen fotografiert. Es läuft frontal auf den Betrachter zu. Man hört es praktisch schreien. Es läuft nach einem sichtbaren Napalm-Angriff weg von Soldaten mit Gewehren. Es ist dieses Bild, das um Welt geht und das Sie sicherlich alle kennen. Dieses Bild ist manipuliert. Es wurde von einem Redakteur beschnitten, weil auf der linken Seite noch andere Fotoreporter standen, die gerade den Film wechselten. Nur dadurch rückte das Mädchen in den Mittelpunkt des Bildes, und nur dadurch konnte der Eindruck entstehen, es laufe vor den Soldaten davon. Über die wirklichen Hintergründe dieses Bildes und wer die Schuld an den Qualen des Mädchens trägt und die vielen Legenden, die sich um dieses Bild ranken, geht es im Moment nicht. Dieses Bild wurde aber zu Recht eine Anklage gegen den Krieg. Sie können im Internet googeln, was da tatsächlich passiert ist.

In der Medienwelt ist vieles relativ, manchmal sogar die Wahrheit. Diese zu finden, diese Manipulationen durch Bilder, Worte, Geschichten, Kommentare, Berichte und Gerüchte zu erkennen, ist Aufgabe von Medienkompetenzvermittlung, nicht mehr und nicht weniger.

(Dr. Christian von Boetticher)

Wir sind aus Sicht der FDP längst über die Schwierigkeiten einer reinen technischen Anwenderkompetenz hinaus. So, wie wir akzeptieren, dass manche wissen, wie ein Auto funktioniert, die meisten anderen es aber nur fahren, muss uns klar sein, dass manche wissen, wie ein Computer funktioniert, die meisten von uns die Medien aber nur benutzen und sich freuen, wenn morgens der PC genauso anspringt wie das Auto.

Wer ist denn eigentlich für die Vermittlung von Medienkompetenz zuständig? Ich nehme an, dass die Grünen und DIE LINKE in ihrer als Fürsorge getarnten Freiheitsfeindlichkeit

(Lachen bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

für den einzelnen auch hier den Staat auffordern werden, tätig zu werden.

Es geht aber nicht hauptsächlich um Geld. Übergeordnetes Ziel der Vermittlung von Fähigkeiten und Kenntnissen im Umgang mit Medien ist nach Auffassung der FDP der selbstbestimmte und aufgeklärte Nutzer. Jeder hat individuelle Ansprüche und Hintergründe für die Nutzung der Medien. Verantwortlich dafür sind wir alle.

Der Staat kann sicherzustellen, dass er die Chancen und Potenziale aller Medien für jeden Bürger nutzbar macht und nicht beschränkt und dass jeder wenigstens sicher sein kann, dass es nicht der Staat ist, der Bilder, Berichte oder Worte manipuliert. Die Damen und Herren der LINKEN wissen hoffentlich, wovon ich rede.

Der Landesregierung, insbesondere dem Ministerium für Bildung und Kultur, ist zu danken für die ausführliche Beantwortung der von der SPD gestellten Fragen zur Informationsgesellschaft. Ich kann allerdings eine gewisse Verwunderung nicht verhehlen. 20 Jahre, in denen Sie in der Landesregierung, im Bildungsministerium tätig waren, hat Sie dieses Thema nicht interessiert. Man wusste offenbar nicht so richtig, was das ist, befand, wie bei der SPD üblich, es ist neu, also kann es nur gefährlich sein, und erstickte jegliche Initiative im Keim.

(Zuruf von der SPD)

Das ist heute bei der CDU/FDP-Regierung Gott sei Dank anders. Das Netzwerk Medienkompetenz Schleswig-Holstein, dem neben zahlreichen bereits seit Jahren bestehenden Initiativen und Institutionen vom Offenen Kanal über die Verbraucherzentrale bis zur Aktion Kinder- und Jugendschutz auch die beiden Ministerien Bildung und Soziales angehören, wird das auf die Beine stellen, was unter einem SPD-geführten Bildungsministerium nicht ging: die

vielfältig bestehenden Angebote, wie sie sich auch deutlich aus der Beantwortung der Fragen ergeben, endlich zu bündeln und damit zielgruppenorientiert und unter der Nutzung von Synergieeffekten Angebote vor Ort, für Kinder, Jugendliche, Eltern und Lehrer, aber auch Angebote für Arbeitnehmer und für die Bevölkerungsgruppe der höheren Altersstruktur zu verdichten. Letzteres begrüßen wir ausdrücklich.

Wir halten es aber auch für dringend erforderlich, dass die Ausbildung der Lehrer im Hinblick auf die Medienkompetenz angepasst wird. Da sind wir uns einig. Ebenso halten wir es für erforderlich, bei der Überarbeitung der Lehrpläne, die ohnehin ansteht, für alle Schulen Medienmodule verbindlich festzuschreiben und das Thema nicht der Freiwilligkeit der Lehrer zu überlassen. Medienkompetenz muss den gleichen Stellenwert wie das ABC in der Schule bekommen, ohne ein eigenes Fach.

(Beifall bei der FDP)

Für die Zukunft brauchen wir eine ganzheitliche Betrachtung für Medienkompetenzvermittlung. Dazu gehört die Fähigkeit zur kritischen Reflexion der Inhalte und Informationen im Netz, sorgfältiger Umgang mit eigenen Daten und der Respekt im Umgang mit anderen Daten ebenso wie die Fähigkeit zum Erkennen der Grenzen der Nutzung.

Ganz wichtig erscheint uns aber, dass das Thema Medienkompetenz versachlicht wird. Weder ist das Internet von kriminellen Pädophilen durchsetzt noch ist wirklich erwiesen, dass jeder Jugendliche durch Computerspiele grundsätzlich gewaltbereiter wird. Eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit den Medien und der Verzicht auf populistische Äußerungen bei bestimmten Anlässen würden nicht nur der Politik guttun, sondern auch dazu beitragen, die neuen Medien als das zu sehen, was sie wirklich sind: unverzichtbarer Bestandteil unserer demokratischen Gesellschaft.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun Herr Abgeordneter Thorsten Fürter das Wort.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Abgeordnete Brand-Hückstädt, ich verstehe, dass die FDP nervös ist. Das gibt Ihnen aber nicht das Recht, Abgeordnete von den Grünen und der Linkspartei als Feinde der Frei

(Ingrid Brand-Hückstädt)

heit zu beschimpfen. Das ist dem Thema Medienkompetenz nicht angemessen.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Die umfassende Antwort auf die Große Anfrage zeigt die Bandbreite des Angebots im Bereich Medienkompetenz. Viele Verbände und Vereine haben Projekte entwickelt. Besonders hervorheben möchte ich - wie der Kollege Dr. von Boetticher eben - die zahlreichen Angebote des Offenen Kanals, definitiv ein Leuchtturm in der Medienkompetenzlandschaft. Der Anteil der Projekte, die sich auf Internet, Handy, Web und Games beziehen, hat sich in den letzten Jahren immer mehr vergrößert und zeigt deutlich den Bedarf der Jugendlichen, aber auch der Eltern und Lehrerinnen und Lehrer. Hier scheint es aber auf der schleswig-holsteinischen Landkarte noch weiße Flecken zu geben, denn diese Projekte des Offenen Kanals können aufgrund der Struktur des Offenen Kanals nicht in ganz Schleswig-Holstein stattfinden, sondern vor allem in den jeweiligen Sendebereichen. Hier besteht noch Handlungsbedarf.

Medienkompetenz ist eine - wenn nicht die Schlüsselqualifikation im Informationszeitalter. In dem Maße, in dem Medien für das Leben und das Zusammenleben der Menschen wichtiger werden, ist natürlich auch die Medienkompetenz der gesamten Gesellschaft gewachsen. Es wäre ein völliges Zerrbild, wollten wir den Eindruck erwecken, dass die Bürgerinnen- und Bürgergesellschaft im Wesentlichen hilflos und dumm vor den Medienangeboten sitzt. Das Gegenteil ist richtig: So viel Medienkompetenz wie heute gab es noch nie. Diese gewachsene Medienkompetenz bereichert auch den demokratischen Prozess. Wir sind auf dem Weg mithilfe alter und neuer Medienangebote -, endlich das zu schaffen, was die Demokratie dringend nötig hat: die Entwicklung der Vision einer Bürgerinnenund Bürgerdemokratie.

Aber es gibt Defizite. Wie immer in der Politik ist das natürlich das Feld, auf dem wir gefordert sind. Es nehmen nämlich nicht alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen und mit den gleichen Fähigkeiten an dieser Bürgerinnen- und Bürgerdemokratie teil. Entscheidend ist, dass Kindern und Jugendlichen Medienkompetenz von klein auf vermittelt wird. Das fängt bei der Kita an und hört beim positiven Beispiel der Eltern nicht auf. Nicht nur Kinder müssen den Ausknopf kennen, auch die Erwachsenen müssen ihn betätigen können. Von der Medienkompetenzvermittlung in der Kita stand in der Ant

wort auf die Anfrage allerdings nichts. Dort gibt es offensichtlich noch Nachholbedarf.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch die Angebote an Eltern dürfen sich nicht allein auf Vorträge bei Elternabenden beschränken, wie das medienpädagogische Landeskonzept es anführt. Hier muss es ein offensiveres Angebot geben. Schließlich darf es nicht nur um die Kompetenzvermittlung von Medienkompetenz an die jüngeren Menschen gehen. Auch das haben Vorredner schon gesagt. Auch wir Älteren, die sogenannten Digital Immigants müssen sich manchmal ganz schön anstrengen, um den mit den sogenannten Digital Natives Schritt zu halten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Bereits heute geben zum Beispiel 20 % der Schülerinnen und Schüler an, Opfer von Cybermobbing geworden zu sein, 80 % wissen mit dem Begriff etwas anzufangen. Ob der Anteil bei den Eltern und den Politikern ebenso hoch ist? Das darf bezweifelt werden.

In den Schulen ist die Situation noch unbefriedigend. Es ist richtig: Wir müssen nicht auf jede neue Herausforderung gleich mit einem neuen Schulfach antworten. Andererseits macht es sich das Kultusressort zu einfach, wenn es auf die zahlreichen Schnittstellen verweist, an denen Medienkompetenz in bestehende Fächer integriert werden kann. Meine Gespräche mit Schülerinnen und Schülern haben gezeigt: Davon kommt an der Basis oft sehr wenig bis in einigen Fällen überhaupt nichts an. Das ist also durchaus eine Baustelle für kluge und vorausschauende Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker. Wenn wir in Schulen und Kitas nicht ansetzen, wird der Abstand zwischen denen, die es können und denen, welche die Medien nicht gut für ihre eigenen Zwecke einsetzen, immer größer. Es ist Aufgabe der Politik, das zu verhindern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt beim SSW)

Für die Fraktion DIE LINKE hat nun Herr Abgeordneter Heinz-Werner Jezewski das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg mein Dank an die SPD-Fraktion für diese Anfrage und an das zuständige Ministerium für die ausführliche und offene Darstellung des Themas in seiner Antwort. Ein weiterer Dank geht an die Kol

(Thorsten Fürter)

legen Eichstädt und Fürter für die Ansprache des Themas Medienkompetenzvermittlung in Kitas. Ich wünschte mir, wir ermöglichten es mehr Eltern, ihre Kinder überhaupt in Kitas zu bringen, indem wir zum Beispiel das dritte Kita-Jahr und auch die anderen Kita-Jahre kostenfrei machen, indem wir Kitas besser ausstatten, indem wir ihnen bessere Personalschlüssel zuweisen und indem wir ihnen schlichtweg mehr Geld geben, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Brand-Hückstädt, ich kann Ihnen versichern, in der Einschätzung der LINKEN und vermutlich auch in der Einschätzung der Grünen irren Sie sich. Aber das Irren scheint in Ihrer Fraktion systemimmanent zu sein. Deswegen ist es auch nicht so schlimm.

Wir sollten uns im Klaren sein, dass dieses Thema nicht mit einer 40-minütigen Aussprache im Plenum erschöpfend behandelt werden kann. Meine Fraktion freut sich darauf, das Thema in den zuständigen Ausschüssen weiter zu vertiefen, die Erkenntnisse in Anträge umzusetzen und die Problematik darüber hinaus in anderen geeigneten Gremien zu vertiefen. Ich verweise auf die Medienkompetenztage hier in den Räumen des Landtages und auf ähnlich Veranstaltungen im ganzen Land, die sich regelmäßig mit dem Thema Kompetenzvermittlung im Bereich Medien beschäftigen.

Die Kernaussage des Berichts ist für mich ziemlich unscheinbar in der Beantwortung einer Einzelfrage versteckt. Ich zitiere mit Genehmigung aus der Antwort auf die Frage 7:

„Die Landesregierung legt großen Wert darauf, dass die Menschen eigenverantwortlich und eigeninitiativ handeln können. Dafür müssen Werte vermittelt werden, die dem Einzelnen helfen, erfolgreich sein Medienverhalten zu steuern. Die medienpädagogischen Konzepte“

- das ist für mich der Kernsatz

„müssen Schritt halten mit den Entwicklungen der Medien.“

Diese Kernaussage scheint zumindest auf der Arbeitsebene der Landesregierung mittlerweile angekommen zu sein.

Medien, das ist eben nicht nur Fernsehen und Internet. Die Grundlage aller Medienkompetenz ist die Lesekompetenz. Die Fähigkeit zum Lesen auch längerer Texte ist die Bedingung aller kritischen

Rezeption anderer Medien. Ich bedauere daher, dass der Bericht das Problem des Analphabetismus in diesem Land nicht einmal erwähnt.