Protokoll der Sitzung vom 18.11.2010

Herr Kollege Stegner, Sie können von derartigen Fragen noch mehrere stellen.

Zu einer weiteren Zwischenfrage hat Frau Kollegin Spoorendonk das Wort.

Lieber Herr Kollege Hildebrand, wir wollen jetzt keine Haushaltsdebatte führen. Aber geben Sie mir recht, wenn ich behaupte, dass Wehtun eher etwas mit Psychologie und wenig mit politischen Konzepten zu tun hat?

Okay, das macht - - Na ja, gut, ich lasse es.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, für die weitere Tagesplanung weise ich darauf hin, dass wir zu diesem Tagesordnungspunkt noch zwei Dreiminutenbeiträge haben. Dann wird die Landesregierung das Wort ergreifen. Das ist der jetzige Stand.

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag hat jetzt der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte den Kollegen Dr. Stegner an einen Ausspruch des Bundespräsidenten Gustav Heinemann erinnern, der einmal gesagt hat: Wer mit einem Finger auf andere zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich selbst. - Bei dieser Debatte, Herr Dr. Stegner, befinden wir uns genau an diesem Punkt. Sie mögen ja beklagen, dass die Koalition in Berlin die von Ihnen beklagten Missstände bei Hartz IV noch nicht ausreichend beseitigt hat. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass die Missstände bei Hartz IV, die wir jetzt beklagen, mit Regierungsbeteiligung der SPD geschaffen worden sind.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Sie haben bedauerlicherweise nicht selbstkritisch geredet. Wir hätten von Ihnen erwartet, dass Sie ein bisschen Demut zeigen und nicht dauernd erklären, in der Vergangenheit haben Sie die Fehler gemacht, die Sie nun von heute auf morgen von Schwarz

(Günther Hildebrand)

Gelb beseitigt wissen wollen. So geht es bedauerlicherweise oder Gott sei Dank auch nicht.

(Beifall bei FDP und CDU)

Der Kollege Vogt hat darauf hingewiesen, dass der Sanktionskatalog, der übrigens nicht im Bundesrat verhandelt worden ist, sondern im Ursprungsentwurf von Sozialdemokraten und Grünen zu Hartz IV steht, mit Sicherheit überprüft werden muss, weil auch mir nicht einleuchtet, warum man jemanden, der unverschuldet zu spät gekommen ist - unter 25 beispielsweise - für drei Monate den Bezug streicht. Das ist auch schwer zu erklären. Das konnte mir bisher auch kein Sozialdemokrat erklären. Das heißt aber nicht -

(Zuruf der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

- Frau Jansen, das Problem mit Ihnen ist, dass Sie erstens nicht zuhören und dass Sie es zweitens, wenn Sie zuhören, im Zweifel nicht begreifen. Das ist das Problem.

(Zuruf: Das ist wirklich der Hammer! - Wei- tere Zurufe)

Das heißt nicht - deshalb möchte ich auch auf den Kollegen Harms eingehen -, dass man auf einen Sanktionskatalog verzichten kann.

Das heißt schon gar nicht, Herr Kollege Andresen, dass man so tun darf, als gebe es unterschiedliche Möglichkeiten der Rechtswahrnehmung nur aufgrund der Frage, ob man arm oder reich ist. Der Kollege Harms hat zu Recht darauf hingewiesen: Wer anfängt, in dieser Weise zu differenzieren Frau Erdmann, wir haben gerade oben mit jungen Leuten diskutiert, die künftig Pressearbeit betreiben wollen -, legt nicht nur die Axt an das rechtsstaatliche System, sondern kann nicht mehr erklären, warum wir beispielsweise nicht entschuldigen sollen, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund andere verprügeln dürfen, während andere das nicht dürfen.

(Zurufe)

Das ist genau die gleiche Frage. Wenn Sie anfangen, das Sanktionssystem nach arm oder reich, sozialer Herkunft oder Geschlecht einzuteilen -

(Zuruf: Was soll das denn?)

- Ich versuche dem Kollegen Andresen zu erklären, dass Recht nicht teilbar ist, dass Recht für jedermann in gleicher Weise gilt, oder es gilt überhaupt nicht und wird willkürlich.

(Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das weiß der auch!)

Das, was wir nicht wollen können, ist eine willkürliche Rechtsanwendung.

(Beifall bei FDP, CDU und des Abgeordne- ten Lars Harms [SSW])

Herr Kollege Andresen, Sie haben zwar dafür einen Ordnungsruf bekommen, aber mir selbst ist bei Ihren Äußerungen, ich hätte mit Menschenwürde nichts am Hut, nur der Gedanke gekommen, dass Sie vielleicht noch einmal darüber nachdenken sollten, was Menschenwürde ist und ob Sie tatsächlich daran festhalten. Ich glaube, es war im Eifer des Gefechts, dass Sie das so ausgesprochen haben. Sollte es nicht der Fall sein, Herr Kollege Andresen, habe ich Probleme, mit Ihnen zukünftig weiter zu kommunizieren. Es ist schwierig, es ist schlicht und ergreifend schwierig, wenn wir uns wechselseitig im Hause anfangen zu unterstellen, wir würden die Menschenwürde selbst nicht ernst nehmen und nicht achten. Dann brauchen wir in der Tat keine weitere Kommunikation. Dann können wir nur noch abstimmen. Das ist das Ende von Diskurs, das ist das Ende des Sichunterhaltens und des Aufeinanderzugehens. Ich kann nicht glauben, dass Sie das ernst gemeint haben, insbesondere, weil die Grünen immer behaupten, sie seien eine Rechtsstaatspartei.

(Beifall bei FDP, CDU und des Abgeordne- ten Lars Harms [SSW])

Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich der Frau Kollegin Silke Hinrichsen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme auch noch einmal auf die Sache mit den Sanktionen zurück. Sie wissen, was Hintergrund dieser Sanktionen ist. Wir haben hier im Hause schon öfter über Hartz IV gesprochen. Hintergrund ist das Prinzip von Fördern und Fordern, das damit einhergeht. Es ist tatsächlich das Problem, das hat der Kollege Kubicki schon ausgeführt, dass bei diesen Sanktionen unklar ist, was gefördert worden ist, bevor man das fordern kann. Für mich liegt das Problem darin, dass ich - vielleicht ein bisschen im Gegensatz zu meinen Kollegen - sage, so kann es auch nicht sein. Man muss vorsichtig mit diesen Sanktionen sein. Hintergrund war, als es eingeführt wurde - daran erinnere ich auch diejenigen, die es

(Wolfgang Kubicki)

eingeführt haben -, dass bei Hartz IV eigentlich das Fördern im Vordergrund stehen sollte.

Heute habe ich das Gefühl, dass wir die Diskussion haben, dass Menschen grundsätzlich kein Grundeinkommen zusteht. Wenn sie dann nicht zu einem bestimmten Termin erscheinen, kann das auch noch gekürzt werden. Das ist mein Problem. Ich kann im Moment nicht sehen, dass das Fördern der Menschen durch Hartz IV im Vordergrund steht.

Vor diesem Hintergrund werde ich mich bei diesem Antrag enthalten. Ich sehe den Zwiespalt dazwischen, weil ich finde, dass die Sanktionen in dieser Form häufig nicht gerechtfertigt sind und die Bearbeitungszeiten tatsächlich sehr fragwürdig sind, weil es drei oder vier Monate braucht, um die Auszahlung bestimmter Gelder wieder in Gang zu setzen, wenn eine Zahlung unrechtmäßig ausgesetzt wurde. Aber es kann nicht sein, dass man sich jetzt nur noch auf die Sanktionen versteift, aber vergisst, dass vorher noch das Fördern hätte stehen müssen. Das sehe ich nicht mehr. Wir haben alle die Kritik des Bundesrechnungshofs bezogen auf die EinEuro-Jobs und Ähnliches gesehen. So kann es auch nicht gehen. Wir sollten uns lieber dafür einsetzen, dass wir wirklich mehr fördern. Dann kann man auch fordern - und nicht umgekehrt.

(Beifall beim SSW sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Landesregierung erteile ich dem Herrn Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Dr. Heiner Garg.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden über die größte Sozialreform seit vielen Jahrzehnten, die Anfang 2005 nicht von Union und FDP ins Werk gesetzt wurde, sondern von SPD und Grünen. Wir reden auch darüber, dass es bei dieser größten Sozialreform Probleme gab, und zwar massive Probleme, die sogar in zwei Bundesverfassungsgerichtsurteilen geendet sind. Zweimal hat das Bundesverfassungsgericht die rote Karte gezeigt und gesagt, dass das so nicht geht. Das Einzige, was der Sozialdemokratie heute hier dazu einfällt, ist, ein vernichtendes Urteil darüber zu fällen, wie die Sozial- und Gesellschaftspolitik in den letzten 20 Jahren unter ihrer Mitverantwortung hier in diesem Land gestaltet wurde. Ich finde das erbärmlich, Herr Kollege Stegner.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich wäre niemals so weit gegangen, Sie dafür zu kritisieren, dass bei einer solchen Reform, die wirklich beinahe eine Jahrhundertreform war, etwas schiefgehen kann, dass man Elemente hat, die nicht so funktionieren, wie sie funktionieren sollen. Kollegin Hinrichsen hat hier gerade die Philosophie Fördern und Fordern noch einmal durchdekliniert und zu Recht darauf hingewiesen, dass es mit dem Fördern immer wieder gehakt hat. Aber dass man sich hier so billig hinstellt und nichts anderes macht, als sich davon zu verabschieden, als hätte man damit nichts zu tun - - Herr Kollege Stegner, ich habe Ihren Hinweis auf die Kollegin Bohn sehr wohl verstanden.

(Zuruf)

- Ja, aber sie war die einzige, die selbstkritisch geredet hat. Sie waren alles andere als selbstkritisch, Sie waren hier pharisäerhaft.

(Beifall bei FDP und CDU)

Weil nach wie vor die Philosophie, dass zwei steuerfinanzierte Sozialleistungen zusammengeführt werden, dass Arbeit für Menschen geschaffen wird, dass Menschen wieder in Arbeit kommen, dass Arbeitslosigkeit nicht verwaltet wird, richtig ist, will ich mich jetzt darauf beschränken, zu den Anträgen Stellung zu nehmen. Dann kann man vielleicht wieder zu einer sachlichen Debatte zurückkommen.

Ich glaube, ich weiß jetzt, was mit dem Begriff Fremdschämen gemeint ist, Herr Stegner. Jetzt habe ich das verstanden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich halte Ihnen zugute, dass Sie weniger mit uns diskutieren, sondern in die eigene Partei oder nach draußen ein Zeichen setzen wollten.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Erstens. Liebe Kollegin Bohn, die Forderung nach transparenter Neuberechnung erübrigt sich, denn die Bundesregierung hat zum ersten Mal die Neuermittlung der Bedarfsätze in einer Art und Weise transparent gemacht, wie es vorher nie der Fall gewesen ist.

(Beifall bei FDP und CDU)

Sie sind transparent, sie sind nachvollziehbar, aber sie mögen Ihnen nicht gefallen. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, ist das in Ordnung, aber an der Stelle von Intransparenz zu sprechen, ist geradezu absurd.

(Silke Hinrichsen)