Protokoll der Sitzung vom 18.11.2010

(Zurufe von der CDU: Oh! - Herlich Marie Todsen-Reese [CDU]: Aber jetzt kommt die Erleuchtung!)

Die entscheidende Veränderung haben Sie gar nicht wahrgenommen. Die entscheidende Veränderung besteht darin, dass Sie den Atomkonsens aufgekündigt haben, den die Bevölkerung in ihrer großer Mehrheit unterstützt hat,

(Minister Jost de Jager)

(Christopher Vogt [FDP]: Das haben wir doch gar nicht!)

dass Sie Unfrieden gestiftet haben und dass Sie nicht nur dieses tun, sondern dass Sie auch noch alle möglichen Dinge, die nur annähernd etwas damit zu tun haben, dass Sie diesen Konsens aufgekündigt haben, jenen in die Schuhe schieben, die den Vertrag geschlossen haben, damit wir endlich von einer Energieform wegkommen, die in keiner Weise vertretbar ist.

Das ist die Wahrheit. Wenn man Ihre Reden hört, die wirklich bemerkenswert schwach gewesen sind, dann weiß man, warum schwarz-gelb die Farbkombination ist, die vor Radioaktivität warnt und dass bei Ihnen eine Restlaufzeit zu Ende geht.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von CDU und FDP: Oh! - Gerrit Koch [FDP]: Der Witz ist schon drei Jahre alt! - Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Rote Karte!)

Versatzstücke dessen, was Sie jetzt benutzt haben, um die Energiepolitik der Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein zu beschreiben, haben Sie schon 1988 verwandt, als die Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien bei 0,05 % lag und wir Ihnen gesagt haben: Wir schaffen bis 2010 mindestens 20 %. Damals haben Sie gesagt: Dann gehen die Lichter aus. Nun sind wir aber bei über 40 % angelangt. Das ist gute sozialdemokratische Energiepolitik für Schleswig-Holstein, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki?

Aber mit dem größten Vergnügen.

Herr Kollege Dr. Stegner, Sie kennen meine persönliche Haltung zum Atomkonsens. Das hoffe ich. Aber nehmen Sie zur Kenntnis, dass vor der Bundestagswahl in den Wahlprogrammen von CDU und FDP stand, dass beide Parteien eine Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke in Angriff nehmen, und dass beide Parteien bei der Bundestagswahl eine Mehrheit bekommen haben.

(Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ihr ja nicht!)

- Ich weiß nicht, ob das eine Frage gewesen ist. Ich kann nur sagen: Das ist ein ziemlich schwächliches Argument dafür, dass Sie hier im Lande eine Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung betreiben. Das muss ich Ihnen sagen.

(Christopher Vogt [FDP]: Peinliches Demo- kratieverständnis!)

Im Gegensatz zu Ihnen wissen wir ganz genau, dass eine Energiewende, die es übrigens - davon bin ich fest überzeugt - nur mit Rot-Grün geben wird, zu 100 % in Richtung erneuerbare Energien gehen muss. Fragen Sie einmal Professor Hohmeyer. Er erklärt Ihnen, wie das geht:

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Oh Gott!)

Beschäftigung für den Mittelstand und nicht für die großen Atomkonzerne. Im Übrigen ist dies auch etwas für die Wissenschaft, und klimaverträglich ist es auch noch. Das heißt, wer sich gegen die Energiewende stellt, der bekennt sich im Grunde genommen zu gestern.

Und dann wackeln Sie auch noch. Der Ministerpräsident stellt sich hier hin und sagt, er werde Krümmel persönlich ausschalten, wenn bestimmte Dinge zuträfen. Was macht er? Wenn Frau Merkel von ihrer Revolution spricht, findet er es prima, dies aufzukündigen.

Er sagt, er sei für CCS, dann ist er wieder dagegen. Dann philosophiert er darüber und sagt: Wenn wir Geld dafür bekommen, kann man ja darüber reden. Das ist eine Form von Wackelpolitik.

Ihre persönliche Meinung, Herr Kubicki, ist übrigens völlig schnurz. Das, was Sie hier als Regierung machen, ist das Entscheidende.

(Christopher Vogt [FDP]: Das machen wir ja auch!)

Und dann wird der Minister auch noch gerüffelt, wenn er Sicherheitsbedenken anmeldet. Was ist das für eine Politik? Sie sind durch Ihren Amtseid auf das Gemeinwohl verpflichtet

(Christopher Vogt [FDP]: Das waren Sie auch einmal!)

und nicht auf das Wohl der Atomkonzerne. Das will ich ganz deutlich sagen. So verhalten Sie sich aber.

(Dr. Ralf Stegner)

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, das Einzige, was in der heutigen Debatte sehr deutlich geworden ist, ist, dass sich die Restlaufzeit der schwarz-gelben Koalition deutlich ihrem Ende entgegenneigt.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

Die bessere Alternative ist die Energiewende. Ich kenne die Auffassung, die Sigmar Gabriel zu CCS und zur Kohle hat. Ich teile sie an diesem Punkt nicht. Aber er weiß ganz genau: In Schleswig-Holstein gibt es das mit einer SPD-geführten Regierung nicht. Das unterscheidet uns übrigens von Ihnen.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag hat nun der Herr Abgeordnete Dr. Robert Habeck das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung zum Vorwurf des Kollegen von Boetticher, wir seien die „Dagegen-Partei“, wir seien die Verhinderer, wir seien linksradikal und so weiter.

(Christopher Vogt [FDP]: Linksradikal? Das hat er doch gar nicht gesagt!)

Er ist in seiner Hilflosigkeit so kläglich und erbärmlich, dass ich gar nicht darauf eingehen möchte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben wohl zu viel Parteitagslyrik inhaliert. Besser wäre es, wir würden uns auf die inhaltlichen Konflikte einlassen.

(Zurufe von der FDP: Ja!)

Herr von Boetticher, in diesem Zusammenhang will ich Ihnen erklären, worin die Konflikte bestehen. Dazu hätte ich eine Antwort der Landesregierung und vielleicht auch von Ihnen erwartet. Man sehnt sich ja geradezu danach, dass der Herr Ministerpräsident zurückkommt, das Wort ergreift und wir uns nicht nur in Polemiken ergehen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wer macht denn hier Polemik?)

Erstens. Energiepolitik muss nämlich in Konzepten und nicht in Projekten denken. Das ist aber das, was wir gehört haben. Widersprüche sind nicht aufgelöst worden. Herr de Jager, das, was Sie zu Kohle und Atom gesagt haben, haben Sie ja auch nicht aufgelöst. Sie haben gesagt, beides sei richtig, unbegrenzt und ohne Konzept.

(Herlich Marie Todsen-Reese [CDU]: Das hat er nicht gesagt! Man muss schon diffe- renziert zuhören!)

Wir brauchten neue Kohlekraftwerke und müssten die Atomkraftwerke länger laufen lassen.

Zweitens. Man kann es ja zugeben: Alle haben mehr oder weniger Probleme mit ihren Bundesparteien, was CCS angeht. Es ist doch kein Problem, das hier in diesem Haus zuzugeben. Das gilt für die CDU, in geringen Maßen gilt es auch für die Grünen; es gilt für alle Parteien hier im Hause. Aber der vorhandene Widerspruch, dass wir in Brunsbüttel Capture-Ready-Kraftwerke bauen müssen, ohne zu wissen, wohin mit dem CO2, und das gegen die erklärte Mehrheit dieses Hauses, ist doch heute nicht zugegeben worden. Darüber müssen wir doch reden. Das ist doch ein Widerspruch zum Konzept der Landesregierung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Dass Gorleben als Endlager vorgesehen wurde, ist bekanntermaßen ein politischer Kompromiss gegen alle fachlichen Erwägungen gewesen. Das war ein Kompromiss, der bekanntermaßen aktenkundig dokumentiert - vor 30, 40 Jahren allein aus politischen Erwägungen heraus getroffen wurde, nicht aus fachlichen Erwägungen. Hier zu sagen, die Grünen verweigerten sich der Endlagerfrage - mit Landesregierungen im Süden, die längere Laufzeiten fordern, ohne sich einer ergebnisoffenen Suche zu stellen -, das ist wirklich ein Hohn.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von CDU und FDP)

Mein letzter Punkt: Ich hatte mich schon gemeldet, meine Meldung dann aber wieder zurückgezogen, weil es im Grunde unter der Würde des Hauses ist. Aber an einem Tag wie heute, wo jede Zeitung schreibt, dass die Sicherheitslage gefährdet ist, wo der Innenminister zur Innenministerkonferenz fahren kann, nicht zuzugeben, dass sich die Gefährdungslage in den letzten 20 Jahren erhöht hat, und das einfach entgegen der Gutachten des Justizministeriums zu ignorieren, ist unter der Würde dieser Debatte. Deshalb bin ich ziemlich enttäuscht darüber, wie sie hier geführt wurde.

(Dr. Ralf Stegner)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bernstein?