Protokoll der Sitzung vom 18.11.2010

(Detlef Buder)

Im vorliegenden Fall hatte das Land die Aufgabe bereits 1992 an die Kommunen übertragen und diese zu örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe gemacht. Das Konnexitätsprinzip gelangte nachfolgend, nämlich 1998, in unsere Verfassung. Erst 2008 setzte der Bund schließlich neue Standards. Das war keine neue Aufgabe, sondern er erließ wirklich neue Standards für diese Aufgabe. - In Nordrhein-Westfalen hingegen wurden die Kommunen erst nach der verfassungsrechtlichen Festschreibung der Konnexität - das war 2004 - zu örtlichen Trägern öffentlicher Jugendhilfe bestimmt.

Wie gesagt, die Rechtslage in unserem Land ist mit der in anderen Bundesländern durchaus nicht eins zu eins vergleichbar. Völlig daneben ist also die Unterstellung, die in manchen öffentlichen Äußerungen mitschwingt, unser Land und seine Regierung würden sich über geltendes Recht und Gesetz trotz offensichtlicher Erkennbarkeit hinwegsetzen und den Kommunen Gelder völlig unrechtmäßig vorenthalten. Ich nenne das einfache Effekthascherei, um einmal auf die Titelseiten zu kommen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ein solches Vorgehen ist den meisten Kommunen glücklicherweise fremd.

Richtig wäre vielmehr, erstens anzuerkennen, dass das Urteil aus Nordrhein-Westfalen zunächst einmal nur eine Entscheidung für Nordrhein-Westfalen ist und keinerlei Rechtswirkung oder gar Vollstreckungsfähigkeit auch für Schleswig-Holstein entfaltet, und sich zweitens die Rechtslage genau anzuschauen oder sich von jemandem erklären zu lassen, der sich damit auskennt. Unser Wissenschaftlicher Dienst kann leider nicht auch für den Lübecker Bürgermeister tätig werden, aber auch das dortige Rechtsamt beschäftigt durchaus fähige Juristen.

Gerade bei der Kinderbetreuung sollten Land und Kommunen an einer Seite kämpfen und gemeinsam mit dem Bund eine für alle tragbare Lösung finden, um dieses wichtige Ziel zu erreichen. Wer in der derzeitigen Situation nur laut schreit, das Land müsse nun diese Millionen ebenfalls lockermachen, soll bitte das Konnexitätsprinzip auch gegen sich gelten lassen und einen Deckungsvorschlag machen.

Um den etwaigen Rufen nach Einführung einer Besteuerung reicher Hotelerben zur Finanzierung der Kinderbetreuung vorzubeugen, sei noch der Hinweis an die Opposition erlaubt, dass sie dieses Fata-Morgana-Geld schon mehrmals anders verplant hat.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich dem Herrn Abgeordneten Ulrich Schippels das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ist möchte mich bei Herrn Minister Klug für den Bericht und für den juristischen Diskurs bedanken, den wir anschließend offensichtlich fortgeführt haben.

Herr Koch, Sie haben gesagt, wer die Musik bestellt,

(Gerrit Koch [FDP]: Bezahlt sie auch!)

der möge sie auch bezahlen. Ich erinnere mich nicht daran, dass die Kommunen die Musik bestellt hätten. Ich dachte eigentlich, das sei der Bund gewesen.

(Gerrit Koch [FDP]: Ja!)

Gleichwohl müssen die Kommunen das bezahlen. Wenn ich mich recht erinnere, so war es auch nicht das Land, das im Bundesrat Nein geschrien hat. Insofern ist durchaus zu diskutieren, welchen Einfluss das Land bei dieser Entscheidung hatte. Diese Frage ist - ich sage einmal - noch nicht gegessen, auch wenn das hier so dargestellt wird.

Das wird hier nicht geklärt werden. Wir sind hier auch nicht im juristischen Seminar, sondern im Parlament.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber Sachkennt- nis kann nicht schaden!)

Aber was das juristische Seminar angeht, möchte ich noch sagen, dass die kommunalen Landesverbände schon am 14. November 2007 - dies ist ja keine neue Debatte - erklärt haben, dass sie schon meinen, dass die Konnexität gilt. Ich erinnere auch an die Debatte in der letzten Legislaturperiode zwischen den kommunalen Landesverbänden und dem Bildungsministerium. Bildungsministerin war damals noch Ute Erdsiek-Rave von der SPD. Auch damals haben die kommunalen Landesverbände die Konnexität in diesem Punkt durchaus eingefordert.

Wir befinden uns hier im politischen Raum. Insofern bin ich Herrn Buder dankbar, dass er auch auf die Webfehler der Föderalismuskommissionen I und II eingegangen ist und auch das Kooperationsverbot genannt hat. Ich finde, das ist des Pudels Kern, was dieses Problem angeht. Leider haben die

(Gerrit Koch)

Regierungsvertreter vor Kurzem nicht an der Feierlichkeit zum 20. Jahrestag der Verfassung teilnehmen können. Es wäre schön gewesen, wenn sie da gewesen wären; denn Herr Professor Papier hat einen interessanten Vortrag zu diesem Thema und auch zu den Föderalismuskommissionen I und II gehalten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Den haben Sie offensichtlich nicht verstanden!)

Dabei hat er uns allen ins Stammbuch geschrieben, dass durch die damaligen politischen Entscheidungen auch die Eigenständigkeit der Länder, vor allen Dingen was die Finanzierung angeht, stark beeinträchtigt worden ist. Herr Professor Papier sagte, er hoffe, dass es diesbezüglich zu einer Veränderung komme.

Wir befinden uns hier im politischen Raum. Es geht um die Versorgung mit Krippenplätzen für unter Dreijährige. Wir müssen einfach konstatieren: Hier in Schleswig-Holstein ist die Lage miserabel. Sie ist besser als früher, aber sie ist immer noch miserabel. Wir liegen bei ungefähr 14,5 %. Jetzt ist auch noch der Trend zu spüren, dass die Kommunen, weil sie eben wenig Geld haben - wir haben schon über die Betriebskosten, über diese 62 Millionen €, geredet -, dazu übergehen, in Kurzlehrgängen Tagesmütter auszubilden, die dann die Betreuung der unter Dreijährigen in ihrer Wohnung oder sonstwo übernehmen, um so ihre Betriebskosten zu senken.

Das ist der falsche Weg. Wir sollten uns eher an dem messen, was in Dänemark der Fall ist. Herr Harms, 73 % der unter Dreijährigen dort sind versorgt, und zwar richtig und gut versorgt. Das ist keine Utopie. Das ist, so denke ich, auch bei uns in Schleswig-Holstein möglich, wenn wir es denn wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber die Landesregierung neigt dazu, bei den Kurzen kürzen zu wollen. Denn wir müssen ja für die Zukunft Geld sparen.

(Günther Hildebrand [FDP]: Wir sparen nicht! - Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Wir reduzieren die Neuverschuldung!)

- Zu kürzen, um künftig vielleicht mehr Geld für die Kinder zu haben, die nicht einmal lesen und schreiben können, weil ihnen das in der Schule nicht beigebracht worden ist, weil Sie jetzt im Bildungsbereich sparen.

Das wollen wir nicht. Kinder sind unsere Zukunft. Wer an ihnen spart, versündigt sich eben an dieser Zukunft.

Nun noch einmal ganz kurz zur Situation in den Kommunen. Sie wissen selbst, wie es ist: Das Wasser steht den Kommunen bis zum Hals. Es steht kaum Geld für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben zur Verfügung. Auch die Kosten im Rahmen der Kinderbetreuung sind nicht unerheblich. Sie schreiben die Kürzung des kommunalen Finanzausgleichs fort. Sie haben das Wachstumsbeschleunigungsgesetz mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die Kommunen hier im Land mit vertreten.

Ich möchte noch auf die aktuelle Steuerschätzung verweisen, die besagt, dass sich die Kommunen später als das Land von der Finanz- und Wirtschaftskrise erholen werden. Die Kommunen sind in Not. Insofern ist das Urteil aus Nordrhein-Westfalen ein kleiner Lichtblick. Ich möchte Sie auffordern, das Geld herauszurücken, welches die Kommunen brauchen und auf das die Kommunen meiner Meinung nach auch einen Anspruch haben, und zwar jenseits aller juristischer Spitzfindigkeiten. Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen. Tun Sie das also!

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU: Dann müssen Sie das Gesetz ändern! - Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Für die Fraktion des SSW erteile ich dem Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch der SSW begrüßt ausdrücklich den Ausbau des Betreuungsangebots für unter Dreijährige und damit auch eine bessere pädagogische Förderung von Kindern insgesamt. Es besteht also weithin Einigkeit über das Ziel, Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für ihr Kind zu garantieren.

Wir halten es dabei aber auch für dringend notwendig, dass wir die Bundesvorgabe - dies ist eine Bundesvorgabe -, einen Betreuungsplatz für rund 35 % der Kleinkinder zu schaffen, wie vorgesehen bis zum Jahr 2013 erreichen. Denn die Einrichtungen der frühkindlichen Förderung leisten einen entscheidenden Beitrag zur Zukunftssicherung un

(Ulrich Schippels)

seres Landes. Auch für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist es notwendig, das Angebot gerade für die unter Dreijährigen weiter auszubauen, und wie wichtig ein solcher Ausbau besonders für die Zukunftschancen der Kinder in unserem Land ist, sollte jedem hier Anwesenden klar sein.

Natürlich sind mit der Erweiterung des Betreuungsangebots erhebliche Kosten verbunden. Wie wir alle wissen, handelt es sich bundesweit um eine Größenordnung von mindestens 12 Milliarden €, von denen der Bund nur 4 Milliarden € trägt. Auch das Land Schleswig-Holstein und seine Kommunen haben durch die Vorgabe des Bundes einen großen Aufwand zu leisten. Wir benötigen hierfür rund 17.000 neue Betreuungsplätze und circa 3.000 neue Erzieherinnen und Erzieher. Neben den dadurch langfristig erhöhten Betriebskosten sind in den kommenden zwei Jahren selbstverständlich auch erhebliche Investitionen in die Infrastruktur notwendig. Das Land rechnet allein hier mit einem Finanzbedarf von rund 166 Millionen €, von dem die Kommunen 46 Millionen € zu tragen haben.

Die Kreise und Städte sind nach Meinung des SSW völlig zu Recht daran interessiert, dass das Land und insbesondere der Bund für eine auskömmliche Finanzierung dieses wichtigen Vorhabens sorgen. Dies muss unserer Meinung nach selbstverständlich auch für die steigenden Betriebskosten in der Zeit nach der Ausbauphase gelten.

Es kann ganz einfach nicht angehen, dass zwar die Finanzierung der Investitionskosten, nicht aber die der anfallenden Betriebskosten ausreichend geregelt ist. Denn mit Inkrafttreten des Kinderförderungsgesetzes sind die Aufgaben der Kommunen bei der Kinderbetreuung deutlich verändert und erweitert worden. Wir halten es jetzt jedenfalls für dringend geboten, die Kommunen nicht auf den entstehenden Mehrkosten sitzen zu lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn eins wird schon heute deutlich: Allein die Erhöhung des seit 2004 eingefrorenen Betriebskostenzuschusses und die vollständige Weiterleitung der Bundesmittel vom Land an die Kommunen reichen mittel- und langfristig nicht aus. Die Aufstockung des Landesanteils um 10 Millionen € war nicht nur längst überfällig, sondern sie im Grunde nicht mehr als eine Neudeckelung zur Angleichung an die Kostenentwicklung der vergangenen Jahre.

Aus Sicht des SSW ist die Erfüllung des erweiterten Bildungsauftrages auf diesem Weg kaum zu er

reichen. Denn nicht zuletzt durch diesen Bildungsauftrag kommt den Einrichtungen und Mitarbeitern in der frühkindlichen Förderung die wichtige Aufgabe zu, die Kinder in ihren Stärken zu unterstützen und ihre Schwächen auszugleichen. Die durch den Ausbau langfristig entstehenden betrieblichen Mehrkosten werden so nicht aufgehen. An unserer Forderung nach einer Dynamisierung des tatsächlichen Bedarfs ändert diese Aufstockung jedenfalls nichts.

Es ist richtig und auch selbstverständlich, dass das Land in der Ausbauphase sämtliche Mittel des Bundes für die zusätzlichen Betriebskosten an die Kreise und Städte weiterreicht.

(Vereinzelter Beifall bei der LINKEN)

Zwar hat wiederum das Land die Kommunen mit der Umsetzung der Aufgaben aus dem Kinderförderungsgesetz betraut, doch wir teilen grundsätzlich die Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes, nach der es sich hier um eine Aufgabe handelt, die ohne das Zutun des Landes allein durch den Bund verursacht worden ist. Es stellt sich hier jedoch in der Tat die Frage, wie der Betrieb der Einrichtung ab dem Ende der Ausbauphase finanziert werden soll - und hier ist aktuell insbesondere der Bund gefragt. Denn es stimmt, wer die Musik bestellt, der soll sie auch bezahlen. Der Hauptbesteller ist der Bund. Das ist ganz deutlich so. Da muss der Bund auch für diese Aufgabe, die er politisch gewollt hat, entsprechend geradestehen.

(Vereinzelter Beifall bei SSW, FDP, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Um diese wichtige gesellschaftliche Aufgabe bewältigen zu können, braucht es ein Konzept von Land und Bund, das eine dauerhaft tragfähige Finanzierung vorsieht. Ich finde es in Ordnung, dass Sie jetzt die 70 Millionen € bereitstellen. Ich wünsche mir, dass diese dynamisiert werden. Das ist ganz, ganz wichtig, insbesondere für die Zukunft. Es geht ja nicht nur um die Dreijährigen, sondern überhaupt um die Kindergartenbetreuung in diesem Land. Es kann nicht angehen, dass der Bund etwas beschließt, dann den Kommunen etwas aufs Auge gedrückt wird, und dann sich der Bund in die Büsche schlägt. Es kann nicht angehen, dass der Bund nur für zwei, drei, vier oder fünf Jahre vielleicht eine Finanzbeteiligung ermöglicht und dann weg ist.