Protokoll der Sitzung vom 16.12.2010

(Beifall bei FDP und CDU)

„Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden noch die Früchte derselben zu genießen; denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit.“ Das wusste schon Wilhelm von Humboldt im Jahre 1792.

Der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Kriminalität ist schon von daher eine zentrale Aufgabe des Staates. Die Sehnsucht der Menschen nach Sicherheit ist permanent. Ein Leben in Sicherheit ist ein hohes Gut und ein wesentlicher Garant für die Lebensqualität der Menschen in unserem Land. Wenn wir als Politiker die Bedrohungsängste der Bürgerinnen und Bürger nicht ernst nehmen, dann müssen wir uns fragen, ob wir unserer Verantwortung in unserem Staatswesen gerecht werden. Deshalb orientiert sich liberale Innen- und Rechtspolitik am Schutz der Grundrechte und der Freiheit des Einzelnen. Sie zu sichern und zu gewährleisten, ist Aufgabe eines freiheitlichen Rechtsstaats.

Meine Damen und Herren, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Terrorwarnung und des Anschlags in Stockholm vor einigen Tagen ist Sicherheit für uns alle sicherlich nicht selbstverständlich. Aber noch weniger selbstverständlich ist Sicherheit mit Blick auf die Zahl junger Intensiv- und Mehrfachtäter. Mein Kollege Kalinka hat das sehr eindrucksvoll eben auch schon dargestellt. In diesem Bereich stieg die Zahl von 2004 bis 2009 fast um das Sechsfache. Dr. Dolgner, das hätten Sie mehr in den Mittelpunkt Ihrer Rede stellen sollen, anstatt hier alles zu zerfleddern.

(Dr. Kai Dolgner)

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Dolgner?

Meine Damen und Herren, dieser Anstieg ist besorgniserregend, weil die Gefahr, Opfer einer Straftat von den wenigen jugendlichen Intensivtätern zu werden, für uns mittlerweile allgegenwärtig geworden ist.

(Beifall bei FDP und CDU)

Herr Dankert, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Dolgner?

Ich erlaube keine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dolgner.

Insofern muss unser besonderes Augenmerk auf den im dritten Teil des Berichts behandelten speziellen Kriminalitätsphänomenen liegen. Dieser Abschnitt befasst sich mit den Delikten, die unsere Sicherheit in besonderem Maße gefährden. Jugend-, Rocker- sowie politisch motivierte Kriminalität inklusive des islamistischen Terrors, das sind die Herausforderungen unserer Zeit. Das sind zugleich die Problemfelder, mit denen die Polizei tagtäglich auf der Straße zu tun hat und für die wir hier leider keine Patentlösung gefunden haben. Deshalb erlaube ich mir - das ist meine ganz persönlich Meinung, und ich bringe darin auch meine Erfahrung als Polizeibeamter ein - zu sagen, die Einsetzung einer Jugend-Task-Force zur Bekämpfung der Jugendkriminalität ist auch noch nicht der Weisheit letzter Schluss.

Besonders die Justiz - ich weiß, dass ich das auch im Namen von 8.000 Polizeibeamten im Lande sage - sei immer wieder aufgefordert, die bestehenden Gesetze und rechtlichen Möglichkeiten endlich konsequent anzuwenden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich füge hinzu: Dazu brauchen wir keine Strafverschärfung.

Beim Lesen des Berichts bin ich über ein weiteres interessantes Phänomen gestolpert. Während die Medien sich und wir Politiker uns überwiegend mit rechtsextremen Straftaten beschäftigen, macht der Bericht eine ganz andere Entwicklung deutlich. Die

Statistik zeigt klar einen nicht unerheblichen Anstieg politisch motivierter Kriminalität von links. Auch diese Tendenz müssen wir bei unseren weiteren Entscheidungen und Diskussionen berücksichtigen. Als Polizeibeamter habe ich natürlich auch gründlich die Zahlen zum Widerstand gegen die Staatsgewalt studiert. Erstmals werden sie in einem Sicherheitsbericht dargestellt, da die Polizeiliche Kriminalstatistik sie erst seit 2009 überhaupt erfasst. Ich finde es aber wichtig, dass wir es nun endlich getan haben.

(Beifall bei der CDU)

Die Fallzahlen in Schleswig-Holstein zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sind übrigens wie im gesamten Bundesgebiet ansteigend. Die Nachsorge insbesondere nach Gewalteinsätzen muss aus unserer Sicht verbessert werden. Dazu gehören geschultes Personal, die Förderung der Anerkennung psychischer Erkrankungen und auch die verpflichtende Gewährung von Rechtsschutz durch das Land. Wir alle, auch wir Politiker, müssen endlich mehr Überzeugungsarbeit leisten, was den Schutz der Staatsgewalt und insbesondere unserer Polizistinnen und Polizisten angeht.

(Beifall bei FDP und CDU sowie des Abge- ordneten Jürgen Weber [SPD])

Aus dem Bericht geht hervor, dass die Sicherheitslage in unserem Land trotz aller Probleme grundsätzlich als stabil einzuschätzen ist. Warum können wir uns so sicher fühlen? Ganz wesentlich auch deshalb, weil unsere Landespolizei auch in schwierigen Gefahrenlagen ihrer Aufgabe gerecht wird, obwohl sie, zugegeben, zuweilen an ihre Leistungsgrenzen stößt. Ich schließe mich daher ausdrücklich dem Dank des Innenministers an jede einzelne Polizeibeamtin und jeden einzelnen Polizeibeamten an und danke ihnen, dass sie auch während der sicherheitsrelevanten Feiertage für unseren Schutz sorgen werden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich komme zum Schluss. Die Aufrechterhaltung einer stabilen Sicherheitslage erfordert einen finanziell und organisatorisch entsprechenden Einsatz. Gute Ausstattung hat dabei Vorrang vor weiteren Eingriffsbefugnissen. Der Staat bedarf zur Erfüllung dieser Aufgabe keiner ständig erweiterten Eingriffsmöglichkeiten durch die Ermittlungsbehörden, sondern vielmehr einer gut ausgestatteten und für die Bevölkerung präsenten Landespolizei statt einer Polizei, deren Ausstattung begrenzt, aber deren rechtliche Mittel unbegrenzt sind.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP)

Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit. Ich habe es gesagt. Vielen Dank für den Bericht, Herr Minister, für die Sicherheit in unserem Land. Bitte befördern Sie noch in diesem Monat viele meiner Kolleginnen und Kollegen, sie haben es verdient und lange darauf gewartet.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Thorsten Fürter das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Innenminister Schlie, auch ich danke natürlich für den Bericht aus Ihrem Haus. Er ist besonders ausführlich, auch dafür herzlichen Dank. Wir sprechen über den zweiten Landessicherheitsbericht, der eben nicht nur eine Polizeiliche Kriminalstatistik ist, die keine ausreichende Grundlage für die Einschätzung der öffentlichen Sicherheit bietet, sondern ein Gesamtbild der Lage in Schleswig-Holstein darstellt.

Die Kriminalstatistik diente in der Vergangenheit häufig dazu, in der Bevölkerung ein diffuses Unsicherheitsgefühl hervorzurufen, auf deren Grundlage dann vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme präsentiert wurden. Da war man dann schnell bei mehr Überwachung und mehr Eingriffen in die Bürgerrechte. Der Sicherheitsbericht hingegen ist umfassender. Er betrachtet die Entwicklung über einen längeren Zeitraum und auch unter den Gesichtspunkten Kriminologie und Soziologie. Er bietet damit eine solide Grundlage für sinnvolle und nachhaltige sicherheitspolitische Entscheidungen.

Für den vorliegenden Bericht kann ich gleich zu Beginn mein Fazit ziehen: Die Sicherheitslage in Schleswig-Holstein ist stabil. Die Kriminalitätsentwicklung ist in der Summe rückläufig. Ein dramatischer Anstieg von Jugendkriminalität kann nicht festgestellt werden, weshalb sich kurzfristige und populistische Schnellschüsse für eine seriöse Debatte verbieten.

Ich wiederhole: Es gibt keinen Anstieg der Jugendkriminalität, und schon gar nicht bei denen, die nicht deutscher Herkunft sind. Dort gab es sogar einen Rückgang. Hören Sie also endlich auf - das geht an Sie, Herr Kalinka -, immer wieder eine ge

schlossene Unterbringung von Jugendlichen ins Spiel zu bringen! Das gibt dieser Bericht nicht her.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich habe, als Kollege Dr. Dolgner ausführte und so viel über die Statistik redete, erst gedacht: Was bringt uns das hier in der Debatte weiter? Aber als Sie, Kollege Dankert, diese Statistik in Bezug auf die Intensivtäter dann zum Anlass genommen haben, daraus politische Schlussfolgerungen zu ziehen, war klar, dass man sich dieser Debatte natürlich stellen muss. Es sind schon Minister über Statistikpannen gestolpert. Man kann Statistiken natürlich in guter und schlechter Art im politischen Diskurs mitnehmen. Aber wenn man sich auf sie beruft, dann ist man auch dafür verantwortlich, dass sie valide erstellt sind. Insoweit würde ich wirklich, was die Intensivtäter angeht, nicht diese Statistik, wie sie im Sicherheitsbericht enthalten ist, zum Anlass nehmen, daraus irgendwelche politischen Schlüsse zu ziehen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Kümmern Sie sich lieber darum, dass im Präventivbereich nicht das Geld eingespart wird, welches wir dann für Gerichtsverfahren und Strafvollzug wieder ausgeben müssen.

Mit dem Stichwort „Gerichtsverfahren“ sind wir noch einmal bei Ihnen, Kollege Dankert. Sie haben eben an die Justiz appelliert, die Gesetze auch anzuwenden. Ich würde mich freuen, wenn Sie Ross und Reiter nennen, wo Sie Defizite sehen, wenn Sie sagen, unsere Justiz in Schleswig-Holstein wendet die Gesetze nicht richtig an. Ich habe diesen Appell an die schleswig-holsteinische Justiz nicht verstanden.

(Jens-Uwe Dankert [FDP]: Das habe ich nicht gesagt!)

Auch die uns lange Zeit beschäftigende Rockerkriminalität scheint nach dem Verbot und dem bundesweiten Friedensschluss zwischen Hells Angels und Bandidos eingedämmt worden zu sein.

Zum Thema Rechtsextremismus heißt es auf Seite 133 des Berichts:

„Der politisch motivierten Kriminalität ist eine erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen, weil den Entwicklungen zufolge allen relevanten Gruppierungen ein erhebliches Gewaltpotenzial innewohnt.“

(Jens-Uwe Dankert)

Da stimme ich zu, frage mich aber, warum die Landesregierung und wir als Parlament im Bereich des Rechtsextremismus erheblich Mittel gekürzt haben. Das ist heuchlerisch und steht nicht in Übereinstimmung mit dem Sicherheitsbericht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Auch bei einem anderen Thema weiß ich nicht, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Im Bericht heißt es auf Seite 133 weiter:

„Veränderte Strukturen in der Kriminalitätsentwicklung führen zu neuen Ansätzen in der Bewältigung von Kriminalität. Ein Beispiel dafür ist das Phänomen des ‚Cybercrime’, auf das Justiz und Polizei durch verstärkte Fortbildung und Spezialisierung reagiert.“

„Verstärkung“ trifft es ja wohl nicht ganz, wenn unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, wie wir durch wiederholte Kleine Anfragen herausgearbeitet haben, an veralteten Computern sitzen und versuchen, die Internetbetrüger via Modemverbindung zu stellen. Hier muss dringend etwas für die Ausstattung der Polizei mit moderner Technik geschehen. Die grüne Fraktion hat in ihrem Haushaltsentwurf jedenfalls Mittel dafür eingestellt.

Das Leben in der Gesellschaft wandert zu einem immer größeren Teil ins Internet. Es hilft nichts: Die Polizei muss mit. Wir haben ein Konzept dazu vorgelegt. Herr Minister Schlie, ich erwarte von Ihnen eine klare Strategie zur Bekämpfung der Kriminalität im Internet. Ihre Losung „kein Handlungsbedarf“ wird nicht das letzte Wort gewesen sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

So ist die Erkenntnis nicht neu, dass es besser - und am Ende auch kostengünstiger - ist, in Kriminalprävention statt in Repressionen zu investieren. Es scheint aber immer noch nötig, das an dieser Stelle zu erwähnen.

Deshalb ist es auch so wichtig, dass sich der Staat und wir als Legislative dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen. Fördern wir eine friedliche, offene Gesellschaft, und wir brauchen uns nicht mehr für die Sicherheit oder die Freiheit zu entscheiden. Denn, wie sagte schon Benjamin Franklin:

„Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.“