Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Fraktionen der Regierungskoalition - trotz Ihres Wortbeitrags, Frau Klahn - sowie der SPD und dem SSW, dass wir eine breite Mehrheit für diesen Berichtsantrag gefunden haben. Zur Fraktion der LINKEN möchte ich hinzufügen, dass ich gestern gern mit Ihnen als Fachkollegen über diesen Antrag gesprochen hätte. Ich habe Sie gesucht, ich habe Sie nicht gefunden. Es tut mir leid.
Wir haben diesen Antrag gestern Nachmittag unter den Fachkollegen abgestimmt. Ich hätte Sie gern dabei gehabt. Mir geht es nicht darum, hier eine Fraktion auszuschließen.
Der Bericht soll ja im Juli im Landtag behandelt werden. Da bleibt viel Zeit für die Diskussion. Frau Jansen, ich kann mir gut vorstellen, dass wir da wieder näher zueinanderkommen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Armut ist auch in Schleswig-Holstein ein sehr ernst zu nehmendes Problem. Die Diakonie hat die Zahl der Menschen, die im vergangenen Jahr unterhalb der Armutsschwelle lebten, in Schleswig-Holstein auf etwa 360.000 geschätzt. Zu den Betroffenen zählen demnach nicht nur Wohnungs- und Obdachlose, sondern auch Kinder, alte Menschen und Menschen mit Behinderung. Besonders erschreckend ist die Tatsache, dass immer mehr junge Menschen zu dieser Gruppe gehören.
Nach Meinung des SSW kann es überhaupt keinen Zweifel daran geben, dass es Aufgabe der Politik ist, Armut zu bekämpfen. Hierfür halten auch wir es für notwendig, in regelmäßigen Abständen Daten über die Entwicklung der Armutszahlen in Schleswig-Holstein zu erhalten. Wie Sie alle wissen, wurde der letzte Armutsbericht für Schleswig-Holstein vor über zehn Jahren vorgelegt. Eine Aktualisierung dieser Daten ist überfällig. Daher können wir uns der Forderung der Grünen nach einem Bericht der Landesregierung über die qualitative und quantitative Entwicklung der Armut und der Vermögensverteilung problemlos anschließen. Natürlich sollte das zuständige Ministerium bei dieser Gelegenheit auch eine Analyse der Ursachen vornehmen und ein möglichst umfassendes Konzept zur Bekämpfung der Armut in Schleswig-Holstein vorlegen.
Wir haben dieses Anliegen im Übrigen schon in der letzten Debatte um einen Landesarmutsbericht im Jahr 2006 unterstützt. Allerdings haben wir auch damals schon angemerkt, dass ein solcher Bericht mit einer genauen Zielsetzung verbunden sein muss. Noch viel wichtiger - auch darauf haben wir schon vor Jahren hingewiesen - ist ein konkreter Handlungsplan zur Bekämpfung von Armut. Hier muss man nach unserer Auffassung auch heute den Schwerpunkt legen.
Auch wenn für eine wirkungsvolle und nachhaltige Eindämmung dieses Problems natürlich eine aktive Rolle des Bundes nötig ist, liegen wichtige Handlungsfelder in der Zuständigkeit des Landes. Wir sehen die Regierung insbesondere in der Pflicht, für Chancengleichheit im Bildungssystem zu sorgen. Doch auch im Bereich der arbeitsmarktpoliti
schen Leistungen muss mehr geschehen. Denn beides muss zum Kern einer Strategie gegen Armut und soziale Ausgrenzung gehören.
Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch der SSW hält es für notwendig, dass wir ein detailliertes Wissen über Ausprägungen und Auswirkungen von Armut haben. Diese Fakten brauchen wir als Grundlage für eine wirkungsvolle Strategie zur Eindämmung dieses Problems. Aber mit Blick auf den Antrag der Linken muss ich deutlich sagen: Die Suche nach den Ursachen von Armut oder das Erstellen einer möglichst präzisen Ursachen-Wirkungen-Analyse bringt uns bei der Bekämpfung der Armut nicht weiter.
Die wesentlichen Ursachen sind doch hinlänglich bekannt. Hierzu gehören Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne, Bildungsmangel oder auch Alleinerziehung. Auf dieser Grundlage halten wir es durchaus für möglich zu beurteilen, welche konkreten Maßnahmen man ergreifen muss, um dem Problem beizukommen.
Wir sind davon überzeugt, dass zwar aktualisierte Daten für Schleswig-Holstein, aber ganz sicher nicht noch haufenweise neue Statistiken nötig sind, um in dieser wichtigen Sache Fortschritte zu erreichen.
Es ist ganz einfach Aufgabe des zuständigen Ministeriums, in regelmäßigen Abständen die notwendigen Daten über die Entwicklung der Armutszahlen in Schleswig-Holstein bereitzustellen.
Darüber, dass dies nicht Aufgabe eines neu zu schaffenden Expertenteams im Statistikamt ist, herrscht ja auch weitgehend Einigkeit. Wir sollten uns aber alle darüber klar sein, dass dieser Armutsbericht nicht einfach in der Schublade verschwinden darf.
Er muss als Grundlage für einen Handlungsplan genutzt werden, der ganz konkrete Maßnahmen des Landes Schleswig-Holstein im Kampf gegen Armut nennt. Ansatzpunkte hierfür gibt es wirklich genug.
Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich für die SPD-Fraktion dem Oppositionsführer und Fraktionsvorsitzenden, Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man dieser Debatte eben von der Tribüne aus oder aus dem Plenum zugehört hat, in der es um Armut in unserer sehr reichen Gesellschaft geht, dann kann man über das eine oder andere inhaltlich streiten. Es ist aber schon eine außerordentlich schwierige Angelegenheit, wenn Vertreter von Regierungsfraktionen sagen, es sei Sozialrethorik, wenn darauf hingewiesen wird, dass Menschen die ganze Woche arbeiten und nicht davon leben können. Wenn das Ihr Verständnis von sozialer Wirklichkeit in diesem Land ist, dann muss ich sagen: Sie sind ganz weit von den Verhältnissen der Menschen, die wir doch alle hier vertreten sollen, weg.
Wenn Ihre Antwort auch noch lautet, man müsse einfach nur eine gute Wirtschafts- und Bildungspolitik machen, dann halte ich Ihnen das Schulgesetz vor. Ich will gar nicht an die Reden erinnern, die Sie vorgestern dazu gehalten haben, sondern nur auf die Reaktionen zu diesem Schulgesetz, die es in den Medien und anderswo gegeben hat, aufmerksam machen. Wer verteidigt eigentlich die Ansätze, die Sie hier vertreten? - Nahezu niemand.
Sie zeigen mit diesem Schulgesetz, dass Sie das rückständigste Verständnis von Bildungspolitik haben, das man in der ganzen Bundesrepublik findet. Das nehmen Sie dann als Ausweis für das, worüber wir heute reden, nämlich Chancenungleichheit für junge Menschen, von denen heute Morgen in der Debatte zur Jugendpolitik die Rede war. Sie stellen sich einfach hin und sagen das.
Der Gipfel war dann auch noch - und das war der Punkt, der mich hier nach vorn gebracht hat -, hier hinzugehen und zu sagen, es sei Ausdruck des gesunden Menschenverstandes, wenn das, womit man als Versprechen in die Landtagswahl gezogen sei, ein halbes Jahr später einkassiert werde. Das heißt, das bewusste Hinters-Licht-Führen der Öffentlichkeit im Nachhinein als gesunden Menschenverstand
zu bezeichnen, ist ein Parlamentsverständnis, über das Sie noch einmal nachdenken sollten. Sonst werden sich andere überlegen, was sie tun. Sie wissen selber, dass Sie die Stimmenanteile, die Sie das letzte Mal erzielt haben, nicht mehr bekommen werden. Sie tragen erheblich dazu bei, wenn Sie sagen, das, was wir den Wählern versprochen haben, kassieren wir ein halbes Jahr später wieder ein, und das nennen wir dann gesunden Menschenverstand. Georg Orwell lässt grüßen, kann ich nur sagen.
Für die Landesregierung erteile ich dem Herrn Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Dr. Heiner Garg, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jenseits der Polemik des letzten Redebeitrags freue ich mich über den gemeinsamen Antrag, weil es um nicht mehr und nicht weniger geht als um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Ich will - das steht der Regierung auch gut zu Gesicht der Berichterstattung, die wir gern vornehmen werden, nicht vorgreifen, sondern ich zeige ein paar Aspekte auf, warum es notwendig ist, eine grundsätzliche Diskussion darüber zu führen, wie sich Menschen wahrgenommen fühlen, in welchen Lebensverhältnissen sie leben, was die gefühlte oder tatsächlich existente Gesetzeslücke, die von vielen Menschen so empfunden wird, bedeutet.
Dazu gehört auch - deswegen finde ich es ganz besonders mutig -, dass hier diese Diskussion so breit angestoßen wurde. Dazu gehört, welche politischen Entscheidungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte dazu geführt haben, dass diese Schere so weit aufgeht. Das muss in einer - jenseits von Stereotypen geprägten - Diskussion - wobei ich mir auch wünsche, dass die Antworten jenseits dieser Stereotypen lägen, die heute wieder zu hören waren - erfolgen.
Von mir wissen Sie aus der Vergangenheit - wenn es Sie interessiert, können Sie es nachlesen -, dass ich bei der Frage Mindestlohn völlig undogmatisch bin.
Ich bin der Auffassung, dass wir ein Instrumentarium brauchen, das Missbrauch keinen Vorschub leistet. Ich bin der Auffassung, dass wir so etwas Mindestlohn oder Sicherung von Mindesteinkom
men - brauchen. Ich bin auch strikt dagegen, dass wir Unternehmen - die sich zum größten Teil sozial verantwortlich zeigen -, die sich nicht sozial verantwortlich zeigen, einen Wettbewerbsvorteil finanzieren. Dagegen bin ich auch, und zwar sehr deutlich.
Die Ursachen von Armut. Teile sind hier aufgezählt worden. Das ist ein nach wie vor unzureichender Bildungszugang, und zwar insbesondere für diejenigen, die diesen Bildungszugang am dringendsten bräuchten.
Das ist eine nach wie vor unzureichende Integration von bestimmten Gruppen in den Ausbildungsund Arbeitsmarkt. Ich habe vorhin, als wir über junge Menschen diskutiert haben, den Bereich der Migrantinnen und Migranten genannt. Ich will das hier nicht nur auf die jungen Menschen beziehen. Es leben hier immer noch viel zu viele Menschen mit Migrationshintergrund, die keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, obwohl wir sie in Zukunft so dringend im Arbeitsmarkt gebrauchen werden.
Ein Armutsrisiko sind nach wie vor die zu geringen Rentenanwartschaften in dem einen oder anderen Fall.
Ich wünschte mir, dass ein Bericht, den wir gern geben, mehr auslöst als das, was der Kollege Meyer am Ende seines Beitrages aus meiner Sicht völlig zutreffend gesagt hat, nämlich dass er bestenfalls gelesen wird und dann in der Schublade landet. Er sollte nicht nur gelesen werden - das ist kein Rückblick - und dann in der Schublade landen, sondern wir sollten wirklich über Ursachen und insgesamt jenseits dieser wechselseitigen Schuldzuweisungen diskutieren, die ich an dieser Stelle wirklich nicht mehr hören kann. In den letzten 30 Jahren haben in Bund und Ländern ganz unterschiedliche Menschen und unterschiedliche Parteien Verantwortung getragen, und die Schere zwischen Arm und Reich, die Schere zwischen niedrigen und hohen Einkommen ist in den vergangenen 15 Jahren unendlich weit aufgegangen. Wenn mir das gelingt, hat sich der Antrag der meisten Fraktionen in diesem Haus mit Sicherheit gelohnt.