Protokoll der Sitzung vom 28.01.2011

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die EU-Agrarpolitik war in der Vergangenheit das Stichwort zum Abschalten für viele von uns: Kostet Geld, versteht keiner, soll auch keiner verstehen, anonym und von Lobbygruppen gestaltet. Dieses Bewusstsein gehört aber der Vergangenheit an. In jedem Apfel, jedem Stück Brot, jedem Glas Milch, jedem Salatkopf und auch in jedem Stück Fleisch steckt ein Stück Agrarpolitik. Agrarpolitik ist der entscheidende Einflussfaktor für Umweltpolitik, für

(Lothar Hay)

Welthandel, für Hungerbekämpfung. All das wird damit entscheidend bestimmt.

Viele Bürgerinnen und Bürger haben es ähnlich wie viele Bäuerinnen und Bauern sprichwörtlich satt, welche Entwicklungen und Entscheidungen in den letzten 50 Jahren in der Agrarpolitik gefällt wurden, mit denen sie konfrontiert wurden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich sage auch sehr deutlich - Sie haben es ja auch gesagt, Frau Ministerin -: Wer sich der Diskussion verweigert, wofür diese Mittel sind - ich weiß selber als Landwirt, dass sie im Alltag ausgesprochen wichtig sind, um in diesem System bestehen zu können -, und nicht wirklich sagt, wofür diese Mittel erforderlich sind, der verweigert sich auch der Zukunft des ländlichen Raums und richtet damit gravierenden Schaden an.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Am Ende dürfen nicht wieder diejenigen im System den Kopf unter Wasser gedrückt bekommen, die am meisten leisten für das Land, für die Wirtschaft, für die Entwicklung in den Dörfern, die Arbeitskräfte schaffen und bewusst oder unbewusst ganz nebenbei für eine Vielfalt in der Kulturlandschaft sorgen. Sie haben ja zum Glück gesagt: Degression könnten Sie sich vorstellen. Ich sage, wir müssen einmal schauen, wohin dieses System geführt hat, zu welchem Arbeitsplatzverlust.

Gerade heute haben wir von dem Institut für mittelund osteuropäische Forschung aus Halle Zahlen bekommen, die zeigen, dass Arbeitsplatzverluste in ländlichen Regionen stattfinden, weil wir keine Kappung haben, weil wir keine Bindung an Arbeitsplätze haben. Die Wettbewerbsbenachteiligung von Betrieben, die Arbeit im ländlichen Raum schaffen, muss beendet werden. Wir brauchen eine Strategie für Beschäftigung und Innovation, und diese Strategie muss greifen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Durch eine falsch betriebene Globalisierung sind Rohstoffe völlig entwertet worden. Eine ländliche Wirtschaftsentwicklung ohne neue Fördertöpfe ich betone, dass Sie auf die Endlichkeit der Finanzmittel hingewiesen haben, und Sie haben es ja auch gesagt, Frau Ministerin - ist nur möglich durch faire Marktregeln. Letztlich müssen wir weg von der staatlich organisierten und inspirierten ständigen Übererzeugung an Märkten. Wenn ich die Verlautbarungen hier aus dem Hause in Schleswig-Hol

stein höre, dann habe ich auch meine Bedenken, inwieweit die Betriebe da in eine falsche Richtung gejagt werden.

Wir müssen auch weg von kostenträchtigen Griffen in die Mottenkiste der Agrarpolitik wie Exportsubventionen und Interventionen, die ja immer noch nicht vom Tisch sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Damit einhergehen muss auch immer ein Verwaltungsabbau; das ist völlig klar und ohne Frage. Von Ihnen ist in der Vergangenheit der Vorschlag aufgenommen worden - im Moment haben Sie ihn eingedampft -, 5 bis 10 % der Fläche für Begleitmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Das ist ein Vorschlag, der gerade in der Fläche Verwaltungsabbau bringt und Bäuerinnen und Bauern Entscheidungsfreiheit geben kann, wie sie die Landwirtschaft gestalten wollen. Wir müssen uns einfach davon trennen, hier einen Reparaturbetrieb für Arbeitsplatz und Umwelt zu betreiben, während an anderer Stelle als Folge der Fördermittelverteilung Arbeitsplätze wieder verlorengehen. Wir brauchen eine Offensive für Innovation, Arbeit und Umwelt im ländlichen Raum.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für Schleswig-Holstein als Tourismusregion hat der Erhalt von Grünland, der Erhalt von Landschaftselementen, von der Vielfalt in der Fruchtfolge nicht nur für den Naturschutz, sondern auch für die Attraktivität als Urlaubsland eine ausgesprochen hohe Bedeutung. Grünland kann in der Fläche nur erhalten werden, wenn es sinnvoll eingebunden ist in bäuerliche Produktionsstrukturen.

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss.

Danke.

Es darf nicht ständig wieder irgendwelche Beweidungsprämien geben müssen, um Tiere auf den Weiden sehen zu können.

(Bernd Voß)

Wir müssen also weg von der Ausgleichslogik der alten Agrarpolitik: erst subventionieren und dann Strukturen zerstören, die wir dann durch teuere Ausgleichsmaßnahmen wieder reparieren müssen.

Zum Schluss noch ein Wort zu dem Vorwurf, wir seien auf dem Weg in die Vergangenheit. Ich möchte an den Immenhof erinnern, wo ich bereits vor einem Jahr sehr deutlich gemacht habe: Das ist ein fähiger Unternehmer, den man von Verwaltungsseite und politisch ja unterstützen kann. Aber jetzt hier noch einmal 500.000 € draufzupacken, um das erfolgreiche Konzept zu fördern, damit, denke ich, machen Sie deutlich, dass Sie mit Dick und Dalli im Galopp auf dem Weg zurück in die Träume der 50er-Jahre sind und nicht eine Politik betreiben wollen, die uns voranbringt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Fraktion der FDP erteile ich dem Herrn Kollegen Günther Hildebrand.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht rede ich jetzt etwas kürzer; dann können wir die Zeit, die wir uns gerade eben zusätzlich haben genehmigen müssen, wieder aufholen.

(Herlich Marie Todsen-Reese [CDU]: Nein, genehmigt war sie nicht!)

Die Fraktionen von CDU und FDP haben in einem gemeinsamen Antrag die Landesregierung gebeten, über die Zukunft der gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013 zu berichten. - Zunächst vielen Dank für den Bericht, Frau Ministerin Rumpf. - Denn die Reform der Förderung nach 2013 wird für die Landwirtschaft und den ländlichen Raum ganz wesentliche Veränderungen mit sich bringen.

Es sind, wie so häufig, unter anderem auch die Finanzen der EU, die Veränderungen erforderlich machen. Der größte Teil des EU-Haushalts fließt in die Landwirtschaft. Natürlich haben alle anderen Kommissare der EU ein Auge auf den Agrarhaushalt geworfen und möchten zulasten der Agrarbeihilfen zu einer anderen Aufteilung kommen. Bei einem Gesamthaushalt der EU in Höhe von 142 Milliarden € entfallen auf die Landwirtschaft allein 58,7 Milliarden €. Das entspricht einem Anteil von gut 42 %.

Ein weiterer Punkt, der zu einer Reduzierung der Mittel für Deutschland und damit auch für Schleswig-Holstein führen kann, ist die nach und nach erfolgende Angleichung der Zahlungen zwischen den alten und den neuen EU-Mitgliedstaaten. Die neuen Mitgliedstaaten werden bisher nicht in dem Maße wie die alten gefördert. Vor diesem Hintergrund muss selbstverständlich die Akzeptanz für eine gemeinsame Agrarpolitik gegeben sein und muss sich die Landwirtschaft an hohen gesamtgesellschaftlichen Anforderungen messen lassen.

Die Anträge der Opposition entsprechen sicherlich in dem einen oder anderen Punkt auch unserer Meinung. Aber es gibt auch Punkte, die von uns selbstverständlich abgelehnt werden müssen. Ich gehe jetzt auf einzelne Punkte zur GAP ein.

Die Direktzahlungen an einzelne Betriebe sollen nach der Vorstellung des Kommissars Ciolos gedeckelt werden. Dabei stellt sich natürlich zuerst die Frage, nach welchen Kriterien eine Obergrenze festgelegt werden soll. Ist es zum Beispiel der Betrag der Beihilfe, der in der Höhe begrenzt werden soll, oder ist es die Größe der Fläche des Antragstellers oder die Anzahl der Kühe, die gemolken werden, die zur Festlegung herangezogen wird? Hierbei müsste berücksichtigt werden, dass auch heute schon EU-Beihilfen nach unterschiedlichsten Kriterien gewährt werden.

Wir von der FDP sind der Meinung, dass keine Kappungsgrenze eingeführt werden, sondern dass eine degressive Kurve die Höhe der Förderung festlegen sollte. Ich sehe hier - auch anhand der vorliegenden Anträge - eine gewisse Übereinstimmung zwischen den Fraktionen des Hauses. Allerdings muss auch bei diesem Modell der Degression der Kurvenverlauf genau ausdiskutiert werden.

Ein weitere Frage lautet, wie und in welchem Maß das Greening, also die Berücksichtigung von Umweltgesichtspunkten, in der ersten Säule ausgebaut werden soll. Die FDP ist der Meinung, dass Umweltgesichtspunkte im Wesentlichen in der zweiten Säule eine Rolle spielen sollten. In der ersten Säule werden schon jetzt durch Cross Compliance - das sind Regelungen zur Erhaltung landwirtschaftlicher Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand und zur Erhaltung von Dauergrünland - sowie durch weitere 19 einschlägige EU-Regelungen Umweltstandards sichergestellt. Der bürokratische Aufwand für die Landwirte und für die Durchführung der Kontrollen ist immens. Wenn jetzt weitere ökologische Standards hinzugefügt und kontrolliert werden sollen, ist der zusätzliche bürokratische Aufwand nicht mehr zu rechtfertigen.

(Bernd Voß)

Deshalb sollten weitere Anforderungen an den Umweltschutz in der zweiten Säule festgeschrieben werden.

Das Problem dabei ist allerdings die Kofinanzierung, die vom Land aufzubringen wäre. Bei unserer Haushaltslage wäre das vom Land nicht zu leisten. Deshalb müsste erreicht werden - damit komme ich zu einem weiteren Punkt -, dass die Kofinanzierung privatisiert werden kann. Jetzt besteht die Situation, dass bestimmte Förderungen der EU nur gewährt werden, wenn sich zum Beispiel das entsprechende Bundesland in einer bestimmten Höhe an der Finanzierung beteiligt. Falls nicht, entfällt die gesamte Förderung. Wenn jetzt aber die Möglichkeit bestünde, die Kofinanzierung von dritter Seite vornehmen zu lassen, zum Beispiel durch den Antragsteller selbst, wäre zumindest der EU-Anteil gerettet, und eine Wettbewerbsverzerrung könnte minimiert werden.

(Beifall bei der FDP)

Auch in diesem Punkt der Kofinanzierung sehe ich Ansätze für eine Übereinstimmung.

Meine Damen und Herren, aus Sicht der FDP-Fraktion benötigen wir eine stärkere Marktorientierung und eine bessere Integration der europäischen Agrarwirtschaft in den Weltmarkt. Demgegenüber steht der Antrag der Grünen, durch eine Steuerung des Marktes staatlicherseits einen fairen Preis für landwirtschaftliche Produkte zu erhalten. Wohin aber eine Mengensteuerung führen kann, haben wir bei der Milchquote erfahren dürfen. Eines wurde durch die Quote auf keinen Fall erreicht: ein fairer Milchpreis.

In Diskussionen, ist - häufig vonseiten der Grünen von industrieller Landwirtschaft die Rede, die es zu beseitigen gilt. Vielleicht könnten uns die Grünen einmal eine Definition an die Hand geben, damit wir möglicherweise über dieselbe Sache reden. Was ist industriell?

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich wiederholt zu einer Zwischenfrage)

Entschuldigen Sie bitte, Herr Kollege. Ich hatte verstanden, dass ein Dreiminutenbeitrag angemeldet wurde. - Auch. Okay. - Ich sehe jetzt, dass offensichtlich eine Zwischenfrage gewünscht ist, und ich frage Sie, Herr Kollege Hildebrand: Lassen Sie diese Zwischenfrage zu?

Ja, selbstverständlich.

Danke.

Herr Kollege Hildebrand, Sie haben eben gegen die Mengensteuerung geredet und dabei die Milchquote ins Feld geführt. Meinen Sie damit, dass die Mengensteuerung als solche, also als Instrument grundsätzlich untauglich ist, oder meinen Sie, dass die Ausgestaltung durch eine sehr hohe Quote, die durch die EU-Kommission ständig über Marktgrenzen gesetzt wurde, zu diesem zerstörten Milchpreis geführt hat?

- Herr Kollege, ich halte eine Mengensteuerung staatlicherseits nicht für das geeignete Mittel, um in den einzelnen Bereichen zu vernünftigen Produktionsmengen zu kommen, sondern bin der Meinung, dass dies alleine durch den Markt geregelt werden sollte.

(Beifall bei FDP und CDU sowie des Abge- ordneten Lars Harms [SSW])

Ich war soeben bei dem Begriff der industriellen Landwirtschaft. Geht es um die Größe der landwirtschaftlichen Betriebe? Ist es die Art und Weise der Produktion? Wo sind hier die scharfen Grenzen zu ziehen? Unsere Landwirte haben einen Anspruch zu erfahren, in welche Kategorie sie eingeordnet würden, aber auch die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen wissen, ob der Bauer nebenan nach Ansicht der Grünen schon ein Industriebetrieb ist oder nicht.