Protokoll der Sitzung vom 24.02.2011

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Gerechte Demokratie muss überall herrschen, nicht nur im Landeshaus, sondern auch in den Keimzellen der politischen Teilhabe, den Kommunalvertretungen, manchmal auch Kommunalparlamente genannt. Deshalb bringen wir heute einen Gesetzesentwurf in den Landtag ein, der zum einen eine Verringerung der Anzahl der Wahlkreise vorsieht und zum anderen klarstellt, dass Überhangmandate künftig auch in den Kommunen voll ausgeglichen werden müssen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Robert Ha- beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zur Erinnerung: Nach der letzten Kommunalwahl im Jahr 2008 kam es zu einer großen Unsicherheit über die in vielen Kommunen entstandenen Überhangmandate und die damit einhergehende Verteilung oder eben Nichtverteilung der Ausgleichsmandate. Während einige Kommunen - zum Beispiel Kiel und Lübeck - das Gemeinde- und Kreiswahlgesetz so auslegten, dass Überhangmandate voll ausgeglichen wurden, sind in anderen Kommunen zum Beispiel in der Stadt Itzehoe - weniger Ausgleichsmandate verteilt worden, als den Parteien nach der Verhältniswahlstimme zugestanden hätten. Sie wollen es vielleicht nicht mehr hören, aber sagen muss ich es trotzdem: Jede Stimme muss gleich viel wert sein. Alles andere ist in der Demokratie ein Skandal. Das werden wir nicht hinnehmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Antje Jansen)

Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir nun Rechtssicherheit schaffen und schlagen deswegen eine landesweit klare, einheitliche und vor allem verfassungsgemäße Regelung vor: Wenn Überhangmandate entstehen, müssen diese ausgeglichen werden. Ansonsten wird der Wille der Wählerinnen und Wähler verzerrt, was der kommunalen Demokratie schadet. Da wir uns ja im Zusammenhang mit der Novellierung des Wahlgesetzes für die Landtagswahl alle darüber einig sind, dass es beim Landeswahlgesetz jetzt auch so sein soll, darf es bei diesem Punkt eigentlich keinen Dissens geben. Für uns Grüne ist klar: Auch in der Kommune gilt das Gebot der Erfolgswertgleichheit jeder Stimme.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber Kommunalparlamente müssen nicht nur gerecht zusammengesetzt sein; wir müssen auch verhindern, dass sie aus allen Nähten platzen. Eine zu hohe Zahl an Wahlkreisen trägt heute dazu bei, dass Kommunalparlamente zu groß werden. Da erzähle ich Ihnen nichts Neues. In Lübeck sitzen zum Beispiel 60 statt eigentlich vorgesehener 49 Mitglieder in der Bürgerschaft. Im Kreistag von Ostholstein sind es sogar 65 Kreistagsabgeordnete statt vorgeschriebener 49. Das überfordert die ohnehin knappen Kommunalfinanzen.

Deswegen schlagen wir vor, die Anzahl der Wahlkreise dort zu reduzieren, wo heute ein Ungleichgewicht zwischen unmittelbaren Vertreterinnen und Vertretern und Listenvertreterinnen und Listenvertretern besteht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD, wir haben uns natürlich Mühe gegeben, damit Sie dem Entwurf auch zustimmen können: Das Übergewicht der Anzahl der Wahlkreiskandidaten soll bei unserem Vorschlag erhalten bleiben. Das haben Sie beim Wahlgesetz ja immer eingefordert.

Lassen Sie mich noch anführen, dass wir Vorschlägen, im Sinne der Handlungsfähigkeit der Kommunalvertretungen die Anzahl der Wahlkreise noch stärker zu reduzieren, offen gegenüberstehen, wenn sich diese im Gesetzgebungsverfahren ergeben.

Zudem ist mit diesem Vorstoß keine Abkehr von unserer grundsätzlichen Position verbunden, dass auch die Elemente des Kumulierens und Panaschierens einen stärkeren Einfluss auf das Kommunalwahlrecht gewinnen müssen.

Sie wissen, dass auch beim Kommunalwahlrecht die Möglichkeit besteht, die Frage der mangelnden Erfolgswertgleichheit beim Landesverfassungsge

richt zu rügen. Es gab ja ein Urteil eines Oberverwaltungsgerichts, das wahrscheinlich im Rahmen dieser Debatte noch eine Rolle spielen wird, mit dem das Gericht die Begrenzung des Ausgleichs nicht gerügt hat. Allerdings ist in diesem Urteil auch ausdrücklich erwähnt, dass damit keine Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung festgestellt wird. Ich fände es schade, wenn Sie den Vorschlag unserer Fraktion vom Tisch wischten, nur weil er von uns kommt.

Herr Kubicki ist jetzt leider nicht hier. Gestern haben wir schon ein paar Zitate aus dem Verfassungsgerichtsurteil gehört. Dabei hat sich Herr Kollege Kubicki Mühe gegeben, die volle Legitimation in etwas hineinzuinterpretieren, was nicht darin stand. Ich nehme jetzt einmal wörtliche Zitate aus dem Urteil des Verfassungsgerichts über das Landeswahlgesetz. - Wörtliche Zitate, mit Verlaub: „Das Wahlergebnis wird für eine Übergangszeit“ für eine Übergangszeit - „als weiterhin gültig angesehen.“ „Der Landtag hat einen vorübergehenden Bestandsschutz. Eigentlich geboten wäre eine Ungültigkeitserklärung der Wahl.“ - Das ist der Originalton des Landesverfassungsgerichts. Es wäre sehr schade, wenn wir ein solches Urteil auch nach den nächsten Kommunalwahlen für die Kommunalvertretungen in Schleswig-Holstein bekommen würden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben deswegen einen Vorschlag vorgelegt, von dem wir glauben, dass er uns als Parlament davor bewahren kann, vom Verfassungsgericht abermals Nachhilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Ich glaube nicht, dass es das richtige Verhältnis von demokratisch gewähltem Parlament und Verfassungsgericht ist, dass wir sagen, wir ändern die Gesetze lieber einmal nicht, und uns sozusagen erhoffen, dass das Landesverfassungsgericht verfassungsgemäße Zustände herstellt. Das ist jedenfalls nicht mein Verständnis des Verhältnisses von Parlament und Landesverfassungsgericht. Ich finde, wir sollten so klug sein, ein Wahlgesetz in dieser oder leicht abgewandelter Form zu verabschieden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Petra Nicolaisen das Wort.

(Thorsten Fürter)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich sehe gute Gründe dafür, das Kommunalwahlrecht fortzuentwickeln. Der Innenminister hat bereits im vergangenen Oktober mit seinen Eckpunkten zum Kommunalverfassungsrecht die Diskussion über die Wahl und Größe der Gemeindevertretungen angestoßen.

Frau Nicolaisen, können Sie etwas weiter in die Mitte gehen, damit Sie Ihr Mikro besser nutzen? Danke.

Ich habe allerdings meine Zweifel, ob es wirklich klug ist, dem Vorschlag der Grünen zu folgen. Man muss den Vorstoß von BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes in seinem politischen Gesamtzusammenhang sehen: In den „Lübecker Nachrichten“ vom vergangenen Montag standen deutliche Worte: ,,Neuer Vorschlag von Fraktionschef Robert Habeck zur Verwaltungsstruktur im Norden“. ,,Großgemeinden sollen die Ämter ersetzen“, so die Überschrift. Dieser Vorschlag beinhaltet, dass sich die Zahl der 1.100 Gemeinden im Land verringern soll - und mit ihr die Zahl der Bürgermeister und der Gemeindevertretungen. Von künftig nur noch 150 war die Rede. Genau eine Woche zuvor war von Kollege Habeck im „sh:z“ zu lesen: Die Kommunen sollen sich zu größeren Strukturen zusammenschließen. In Dorfversammlungen könnten sie das kulturelle und soziale Leben im Ort bestimmen. Doch über den Haushalt, über Flächennutzungsoder Schulentwicklungspläne würden die Volksvertreter auf höherer Ebene bestimmen, so die getroffenen Aussagen.

In diesen Gesamtzusammenhang ist der vorliegende Gesetzentwurf einzuordnen: Die Grünen haben mit der Verwaltungsstruktur dieses Landes etwas ganz Besonderes vor. Sie wollen bis 2013 neue Gebietszuschnitte, und statt vieler Selbstverwaltungskörperschaften sollen es künftig weniger sein. Auch wenn der Kollege Habeck dabei von mehr Selbstbestimmung vor Ort und mehr demokratischer Beteiligung spricht: Eine Verlagerung der Kernaufgaben kommunaler Selbstverwaltung auf höhere Ebenen heißt nichts anderes, als dass sich die Entscheidungen noch weiter von den Bürgern vor Ort entfernen. Sie werden sich damit noch weiter von den Menschen entfernen, die sie angehen.

Lassen Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Heinold zu?

Nein, im Moment nicht. - Schauen wir uns vor diesem Hintergrund den vorliegenden Gesetzentwurf zum Kommunalwahlrecht genauer an: Bei der Größe der Kommunalparlamente bis 15.000 Einwohnern gedenken Sie, liebe Fraktionen von Bündnis 90/DIE GRÜNEN und SSW, überhaupt keine Veränderungen vorzunehmen. In diesem Bereich liegt aber die ganz überwiegende Mehrheit der schleswig-holsteinischen Kommunen - über 90 %. Sie streben erst ab 15.000 Einwohnern einen zusätzlichen Listenvertreter zulasten der unmittelbar gewählten Vertreter an. Der gleiche Ansatz gilt für die kreisfreien Städte bis 150.000 Einwohner, also Flensburg und Neumünster. Und für Kiel und Lübeck möchten sie zwei Listenmandate mehr und zwei Direktmandate weniger. Für die Kreistage befürworten Sie eine Reduzierung der Direktmandate um vier beziehungsweise ein Aufstocken der Listenmandate um vier.

Sie erzielen durch die Stärkung der Listenmandate für die Grünen und den SSW auch einen eigenen Nutzen, aber keine wesentliche Reduzierung der Kommunal-, Stadt- und Kreistagsparlamente. Denn für die ganz überwiegende Zahl der Gemeindevertretungen ändert sich gar nichts.

Deshalb sage ich hier auch ganz klar, wo die wahren Renditevorstellungen der Grünen liegen. Sie liegen nicht im Kommunalwahlrecht, sondern in ihren anderen Plänen. Wenn sich die Gemeinden künftig zu größeren Strukturen zusammenschließen sollen, dann wird die Größe der neuen Kommunalvertretungen nicht in dem Umfang mitwachsen, wie insgesamt die Gemeindevertreter wegfallen. Ihr Einspareffekt werden genau diejenigen Menschen vor Ort sein, die Sie über Ihre Verwaltungsstrukturreform künftig von der Mitarbeit in den kleinen Gemeindevertretungen ausschließen wollen.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

Die jetzige Kommunalverfassung aus dem Jahr 1996 entstand aus der Veränderung der Verwaltungsstrukturen und den damaligen Rahmenbedingungen.

(Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das hat sich überhaupt nicht verän- dert!)

Heute - 15 Jahre später - gilt es ebenfalls, im Sinne des demografischen Wandels und den damit entstehenden Problemen der Parteien bei der Suche nach geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern sowie auch unter dem Vereinfachungsgesichtspunkt der finanziellen Situation der Kommunen über eine generelle Reduzierung der Vertreterinnen und Vertreter nachzudenken. In einer Kommune mit 2.300 Einwohnern zum Beispiel muss es keine 17 Gemeindevertreter geben, und diese Kommune muss auch nicht in drei Wahlkreise aufgeteilt sein.

(Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Darüber können wir doch reden!)

Entsprechende Paragrafen sind anzupassen. Hier müssen wir zu ganzheitlichen Lösungen kommen, aber nicht, wie vorgeschlagen, zulasten der unmittelbaren Vertreter und nicht erst ab 15.000 Einwohnern.

Für die CDU-Fraktion beantrage ich die Überweisung an den Innen- und Rechtsausschuss und freue mich über konstruktive Gespräche - noch in dieser Legislaturperiode, denn 2013 sind Kommunalwahlen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Thomas Rother das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, die letzten Kommunalwahlen haben durch die Veränderungen in der Parteienlandschaft und durch den Fortfall der 5-%Klausel zu zahlreichen Überhang- und Ausgleichsmandaten geführt. Der Ausgleich der Überhangmandate ist im GKWG unklar formuliert und sollte daher eindeutig beschrieben werden. Das kommt vielen hier sicherlich bekannt vor - anstehende Änderungen im Landtagswahlrecht müssen sich natürlich im Gemeinde- und Kreiswahlrecht widerspiegeln.

Außer Acht gelassen haben die Grünen allerdings erstaunlicherweise eine Änderung des Zählverfahrens von d'Hondt zu Sainte-Laguë/Schepers, was auch LINKE und SSW gemerkt haben. Außer Acht gelassen haben die Grünen des Weiteren Frau Nicolaisen hat darauf hingewiesen - die weiteren Vorschläge aus dem Innenministerium in Bezug darauf, dass die Gemeindevertretung die Anzahl ihrer Mitglieder selbst bestimmen - das heißt dann

praktisch reduzieren - kann, und die Frage, ob angesichts einer größeren Anzahl von Fraktionen eine neue Untergrenze in größeren Städten zur Bildung von Fraktionen eingeführt werden sollte.

Außer Acht gelassen wurde auch der Wandel im Interesse der Wählerinnen und Wähler an diesen Wahlen - also das Nachlassen des Interesses an diesen Wahlen - und die Schwierigkeit mancher Partei oder Wählervereinigung, alle Wahlkreise zu besetzen und somit bei einem Einstimmenwahlrecht, wie wir es dort haben, auf manche Stimme zu verzichten, ganz einfach, weil es da in den Wahlkreisen keine Kandidatinnen oder Kandidaten gibt.

Stellung beziehen möchte ich daher nicht nur zum vorliegenden Gesetzentwurf, sondern zu allen diesen Punkten, denn sie gehören zu einer umfassenden Diskussion um das kommunale Wahlrecht, die wir nötig haben.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall der Abgeord- neten Silke Hinrichsen [SSW])

Auch wenn das Innenministerium die Anwendung des Gesetzes in Bezug auf die Ausgleichsmandate klargestellt hat, ist eine eindeutige Formulierung im Gesetz zu unterstützen. Im Landtags- wie im Kommunalwahlrecht gilt der Grundsatz der Erfolgswertgleichheit. Daher sollte eine Reduzierung der Abweichungszahl vom Bevölkerungsschnitt bei der Bildung der Wahlkreise erfolgen, aber in geringerem Umfang als hier vorgeschlagen, denn die Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten ist weiterhin schwierig, und daher ist die Zahl von 15 % hier eindeutig zu wenig.

Die Zahl der Wahlkreise soll reduziert werden, ohne vernünftigerweise die Anzahl der Vertreterinnen und Vertreter an sich zu verringern. Frau Nicoloaisen, das dann mit großen finanziellen Einsparungen in Verbindung zu bringen, ist angesichts der Entschädigungen, die geleistet werden, tatsächlich ein bisschen realitätsfremd.

(Beifall bei der SPD)

Amüsant ist an dieser Stelle natürlich, dass die Grünen hier auf eine deutliche Verschiebung zugunsten der Listenmandate verzichten, was im Landtagswahlrecht dann für sie erstaunlicherweise noch heilig und unabdingbar ist.

Es wird hier auch nicht ausreichend zwischen der Situation in den Kreisen und kreisfreien Städten auf der einen und den kleineren Städten und den Gemeinden auf der anderen Seite differenziert, denn das kann man bei einer Wahlkreisbildung

(Petra Nicolaisen)

nicht über einen Kamm scheren. Da sind die Situationen ganz unterschiedlich, und so etwas muss auch berücksichtigt werden.

Daher ist der Vorschlag an dieser Stelle nur halbgar und bedarf wirklich nicht nur einer ausführlicheren Erörterung, sondern auch einer ausführlichen Überarbeitung. Schön ist allerdings - obwohl Herr Fürter es hier angesprochen hat -: Kumulieren und Panaschieren spielen keine Rolle mehr. Eine Rolle bei diesem grünen Gesetzentwurf spielen nicht einmal mehr das Zweistimmenwahlrecht und schon gar nicht die Bildung von Mehrmandatswahlkreisen.