Protokoll der Sitzung vom 25.02.2011

Fast alle alleinerziehenden Arbeitslosen brauchen unterstützende, auf ihre Situation zugeschnittene Angebote und Projekte des Arbeitsmarktes, um den Weg zurück ins Berufsleben erfolgreich zu schaffen. Davon profitieren alle Seiten des Arbeitsmarktes.

Familienbewusste Maßnahmen von Unternehmen sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht zur Deckung des Bedarfs an Fachkräften sehr sinnvoll. Ich zitiere:

„Alleinerziehende sind überdurchschnittlich motiviert, wollen wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen und sind in der Mehrzahl gut qualifiziert.“

Dieses ist ein Zitat von Corinna Schmidt, der Beauftragten für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt der Agentur für Arbeit in Neumünster. Damit hat sie recht.

(Beifall bei CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Für die Fraktion der FDP erteile ich der Frau Abgeordneten Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte meinen Dank und meinen Respekt an das Sozialministerium für diese umfassende Beantwortung der Großen Anfrage aussprechen. Die vorliegenden Antworten bestätigen, dass sich die Lebensrealität von Familien in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat. Unverändert geblieben ist dagegen die Verantwortung der Erziehenden gegenüber ihren Kindern. Heute umfasst der Begriff Familie jede Form des Zusammenlebens von Erwachsenen mit Kindern. Damit gewinnt der Artikel 6 des Grundgesetzes eine erweiterte Bedeutung.

In Deutschland leben 1,57 Millionen alleinerziehende Elternteile mit 2,18 Millionen Kindern. Wie meine Kollegin schon sagte, ist das also jede fünfte Familie. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Alleinerziehende sind geschieden, leben in Trennung oder sind auch verwitwet. So unterschiedlich die Gründe auch sein mögen, so sehen sich alle Alleinerziehenden grundsätzlich ähnlichen Problemlagen gegenüber. Im Alltag fehlt die Unterstützung eines Partners, oftmals befinden sie sich in einer ständigen Auseinandersetzung um Unterhalt und Sozialleistungen, denn durch eine Trennung oder Scheidung verschlechtert sich die finanzielle Situation deutlich. Viele geraten dadurch auch in die Abhängigkeit von staatlichen Unterstützungsleistungen, insbesondere Leistungen nach dem SGB II.

Die vorliegenden Antworten bestätigen auch, dass vorwiegend Frauen Alleinerziehende und über

(Katja Rathje-Hoffmann)

durchschnittlich häufig von Armut betroffen sind trotz qualifizierter Berufsausbildung. Damit sind wir bei einer zentralen Problemstellung, die alle Erziehenden betrifft, nämlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aufgrund von Steuern, Sozialabgaben und Kosten für Kinderbetreuung rechnet sich für Alleinerziehende eine Erwerbstätigkeit mit weniger als 1.400 € brutto im Monat in der Regel nicht, wobei zwei Drittel der alleinerziehenden Nichterwerbstätigen gern einer beruflichen Tätigkeit nachgehen würden. Aber Arbeitszeitmodelle, die nur die Wahl zwischen einer Halbtags- oder einer Ganztagsstelle lassen, werden häufig - da unflexibel - auch als unbefriedigend empfunden. Dies gilt im Übrigen auch für die Führungspositionen. Dazu sage ich ganz deutlich: Hier muss sich die Wirtschaft bewegen und muss von alten starren Mustern wegkommen.

(Beifall bei der FDP sowie vereinzelt bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir steuern auf einen Fachkräftemangel zu und lassen gleichzeitig das Potenzial von alleinerziehenden Frauen brachliegen? Hier würde ich mir wünschen, dass Arbeitgeber den Mut finden, Alleinerziehende einzustellen, flexibel mit Arbeitszeiten umzugehen, Telearbeitsplätze einzurichten, wenn es der Arbeitsablauf ermöglicht, oder darüber nachzudenken, einen Einkaufsservice oder das Angebot einzurichten, dass eine Reinigung in den Betrieb kommt, womit die Alleinerziehenden deutlich von den Dingen des Alltags entlastet würden.

Ich bin sicher, dass die Wirtschaft dies sieht. Es gibt bereits erste Firmen - was ich so beobachten kann -, die sich auf den Weg machen. Wer gestern Abend bei den Steuerberatern zum Parlamentarischen Abend war, konnte dort auch erfahren, dass eine große Kanzlei in der Nähe von Nortorf genau dieses festgestellt hat. Sie fand keine Fachkräfte und guckt deshalb, wie sie gerade die Erziehenden nicht nur Alleinerziehende, Erziehende insgesamt in ihren Arbeitsalltag integrieren kann. Sie hat damit gute Erfolge erzielt, und es wurde mir bestätigt, diese sind hoch motiviert.

Meine deutliche Forderung ist: Ein Arbeitgeber sollte sich nicht daran orientieren, ob eine Kinderbetreuung durch die Arbeitnehmerin gewährleistet werden kann, vielmehr sollte er überlegen, welche Unterstützung er anbieten kann, ob er zum Beispiel eine angepasste Kinderbetreuung organisieren kann, indem er selber beim öffentlichen Kita-Träger Plätze finanziert, erwirbt und somit dauerhaft ein Angebot in Anspruch nehmen kann. Vielleicht

ist es ihm sogar möglich, eine firmeneigene Betreuung passgenau für den Bedarf seiner Mitarbeiterinnen anzubieten.

Die Politik muss hier natürlich verbesserte Rahmenbedingungen bei der Kinderbetreuung schaffen. Die Koalition leistet ihren Beitrag, indem das Land 60 Millionen € zusätzlich zu den Bundesmitteln für den Ausbau von Krippenplätzen fließen lässt. Für den laufenden Betrieb sind weitere 23 Millionen € im Jahr 2011 und 2012 noch einmal 33 Millionen € zur Verfügung gestellt worden.

Derzeit müssen erwerbstätige Alleinerziehende für die Kinderbetreuungskosten noch allein aufkommen. Künftig sind die Betreuungskosten gemäß der neuen Rechtsprechung hälftig zwischen den Eltern zu teilen. Darüber hinaus sind sie bis zum 14. Lebensjahr zu zwei Dritteln, bis maximal 4.000 € im Jahr, steuerlich berücksichtigungsfähig. Des Weiteren unterstützt die Landesregierung schulpflichtige Kinder mit Betreuungsangeboten in der Primarstufe, in offenen und gebundenen Ganztagsschulen - das hat meine Kollegin Katja RathjeHoffmann bereits ausgeführt.

Dazu möchte ich ein Beispiel nennen, bei dem ich mich frage, warum wir im Bereich der gebundenen Ganztagsschulen nicht schon viel weiter sind. In der Stadt Bad Oldesloe gibt es seit über zehn Jahren - ich kann jetzt sagen: gab es seit über zehn Jahren Bemühungen einer Grundschule, die Genehmigung zur Einführung einer gebundenen Ganztagsschule zu bekommen. Es wurde ihnen in der Vergangenheit vom Ministerium verwehrt - zu Zeiten, als Minister Dr. Klug noch nicht Bildungsminister war.

(Zurufe von der SPD)

- Ich habe mich schon gefragt, ob Sie schlafen, weil Sie so ruhig sind.

Ausbaufähig ist noch die Ferienbetreuung. Hier hat die Landesregierung im Übrigen vorbildlich für ihre eigenen Mitarbeiter gesorgt, indem sie die Notfallbetreuung von CompanyKids in Kiel auf die Ferienzeit ausgeweitet hat. Das Angebot, zukünftig Schulsozialarbeit zu finanzieren, stellt ebenfalls eine Unterstützung für Erziehende dar.

Das Land Schleswig-Holstein bietet mit seinem Zukunftsprogramm Arbeit gerade für Alleinerziehende und Berufsrückkehrerinnen verschiedene Projekte an, um eine Berufstätigkeit aufnehmen zu können. Dabei möchte ich auch auf die Möglichkeit von Teilzeitausbildungsangeboten hinweisen, die in Stormarn - so ist es mir zumindest bekannt - auch rege genutzt werden. Natürlich hat hier auch die

(Anita Klahn)

Beratungsstelle Frau & Beruf eine wertvolle Hilfe geleistet, zusammen mit unserer Gleichstellungsbeauftragten. Ich würde mir wünschen - und die FDP-Fraktion wird sich auch dafür einsetzen -, dass eine Lösung gefunden werden kann, diese zum Beispiel in die Bundesagentur für Arbeit zu integrieren. Gerade Alleinerziehende benötigen Unterstützung beim beruflichen Wiedereinstieg und der beruflichen Weiterbildung.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU])

Hierauf werden die Jobcenter in Zukunft verstärkt hinwirken.

(Beifall der Abgeordneten Katja Rathje- Hoffmann [CDU])

Auf Bundesebene gibt es weitere positive Entscheidungen. Die Bundesregierung hat beschlossen, die Mehrgenerationenhäuser durch ein Folgeprogramm weiter zu fördern. Das ist ein weiterer Baustein in der Unterstützung für Erziehende und insbesondere für Alleinerziehende. Damit ist dies ein ganz wichtiges Signal. Ich unterstütze diese Entscheidung ausdrücklich.

(Zuruf von der SPD: Das ist gut!)

- Danke schön. - Die Gesellschaft braucht für ihren Fortbestand Kinder und damit Familien, und zwar in jeder Form. Alleinerziehend zu sein, darf kein Armutsrisiko sein. Teilzeitarbeit darf kein Karrierehemmnis sein. Das Land ist in der Verantwortung, Familien unsere ganz besondere Unterstützung und Förderung zukommen zu lassen. Die vorliegende Antwort stellt dar, dass sich Schleswig-Holstein dieser Verantwortung bewusst ist, sich ihr in der Vergangenheit gestellt hat und dies auch in Zukunft fortführt.

Die FDP-Fraktion wird dabei die familienpolitischen Leistungen weiterhin auf Zielgenauigkeit überprüfen und gegebenenfalls nachsteuern. Klar ist, dass wir das allgemein übliche Prinzip der Gießkanne für nicht zielführend halten. Hilfe muss da ankommen, wo sie gebraucht wird. Die Leistungen sind zu entbürokratisieren und zu harmonisieren. Für Alleinerziehende muss sich die Arbeit lohnen. Dafür müssen sie sich aber erst einmal für Arbeit entscheiden können. Dafür muss man Möglichkeiten und Angebote haben. Diese hat man nur, wenn entsprechende Betreuungsangebote und eine entsprechende Schulinfrastruktur bestehen. Mehr als alle anderen sind Alleinerziehende auf die vernünftige Infrastruktur angewiesen. Das ist unser

Anspruch, daran arbeiten wir. Ich freue mich auf die weitere Beratung im Sozialausschuss.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer Kinder erzieht, verdient Respekt. Doch Respekt und warme Worte allein reichen nicht. Familien brauchen gute Rahmenbedingungen, tatkräftige Unterstützung und eine verlässliche Infrastruktur. Hier scheinen wir uns erfreulicherweise in weiten Teilen einig zu sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Das alles gilt besonders für Alleinerziehende. Alleinerziehende sind im Alltag stärker belastet. Sie müssen nahezu alle Entscheidungen allein treffen, auch schwierige. Sie sind in kritischen Situationen in der Regel auf sich allein gestellt. Alleinerziehende sind öfter von Armut betroffen als Paare mit Kindern. Die Kollegin Tenor-Alschausky hat dies ausführlich ausgeführt. Aufgrund dieser Belastungen haben Alleinerziehende sogar einen schlechteren Gesundheitszustand. Kinder von Alleinerziehenden haben ein erhöhtes Risiko an gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Dies ist nicht so, weil ihre Mütter oder Väter schlechte Eltern sind, sondern weil die Rahmenbedingungen für Familien mit einem Elternteil in unserer Gesellschaft nach wie vor zu wünschen übrig lassen.

Alleinerziehende sind keine Randgruppe. Seit den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist ihre Zahl kontinuierlich gestiegen. Nahezu jedes siebte Kind in den alten Bundesländern - auch in Schleswig-Holstein - wird von einem Elternteil allein aufgezogen. Nach wie vor bestehen die allermeisten Ein-Eltern-Familien aus Mutter und ein bis drei Kindern. Sicherlich gibt es inzwischen auch einige alleinerziehende Väter; das haben wir eben gehört. Das ist sehr erfreulich, aber es sind wenige. Noch seltener sind ausländische Ein-Eltern-Familien. Alleinerziehende ausländische Väter existieren laut Statistik hier kaum.

Die Ein-Eltern-Familie ist eine Familiensituation unter vielen anderen in unserer Gesellschaft geworden. Stigmatisierung und Vorurteile wurden zu

(Anita Klahn)

rückgedrängt, das ist erfreulich. Auch daran sollten wir weiter arbeiten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wir müssen die Unterstützungsstrukturen in der Familienpolitik so fortentwickeln, dass sie der Lebenswirklichkeit von Alleinerziehenden und ihren Kindern zukünftig besser Rechnung tragen. Ein Blick in den schwarz-gelben Koalitionsvertrag auf Bundesebene macht einen fast glauben, Union und FDP hätten das verstanden. Dort heißt es:

„Wir wollen die Rahmenbedingungen für Alleinerziehende durch ein Maßnahmenpaket verbessern. Dieses soll insbesondere in verlässlichen Netzwerkstrukturen für Alleinerziehende lückenlos, flexibel und niedrigschwellig bereitgestellt werden.“

Der Blick auf die Wirklichkeit des Regierungshandelns in Berlin ist allerdings noch ernüchternd. Was unternimmt die Bundesregierung tatsächlich für Alleinerziehende? - Den Anspruch auf einen KitaPlatz für Kinder unter drei Jahren zu verteidigen, reicht nicht aus. Nicht nur quantitativ, auch qualitativ brauchen wir deutliche Verbesserungen. Wo sind die Ganztagsplätze, auf die berufstätige Mütter und Väter dringend angewiesen sind? - Sie fehlen an allen Ecken und Enden.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Stattdessen will die Bundesregierung ein Betreuungsgeld einführen, die sogenannte Herdprämie. Die wäre vielleicht für die letzte Generation von Müttern gut gewesen. Für die heutige Generation von Müttern ist sie der völlig falsche Weg.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Das Betreuungsgeld würde die Alleinerziehenden in eine berufliche Einbahnstraße führen. Das ist nicht gut für die Alleinerziehenden, und das ist in den Zeiten des Fachkräftemangels auch nicht gut für Schleswig-Holstein.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)