Protokoll der Sitzung vom 23.03.2011

Dazu kommt, dass die Regierung angekündigt hat, es solle nicht mehr so sein wie vor Fukushima, aber auch einen großen Bogen um die Frage macht, was am Ende dabei herauskommen soll.

Herr Ministerpräsident, wir hätten übrigens nach meinem Empfinden Ihrer Regierungserklärung mehr Vertrauen entnehmen können, wenn sie in etwas bescheidenerer Diktion vorgetragen worden wäre. Sie sagen: „Wir nehmen die Sorgen ernst.“ Andere etwa nicht? - Oder Sie erklären, Rot-Grün klammere die Endlagerfrage aus. Das ist sachlich schlicht nicht richtig. Es lag ein Gesetzentwurf zur Endlagersuche vor. Ich freue mich auf Sie und Ihre Ministerpräsidenten in den süddeutschen Ländern, wenn wir zu einer offenen Endlagersuche für atomare Abfälle übergehen. Denn Gorleben taugt genauso wenig wie Asse; das ist absehbar. Die geologisch geeigneten Formationen sind, wie wir das zum Beispiel von dem unter Volksbeteiligung sauber durchgeführten Verfahren in der Schweiz oder auch aus Finnland wissen, Granitgestein mit Tonüberdeckung. Diese finden wir nicht in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein, sondern in den süddeutschen Bundesländern.

Meine Damen und Herren, ich meine, die Diskussion sollte nicht zu kleinteilig geführt werden. Ich will nicht von Zahlen reden, aber ich will auch

(Olaf Schulze)

nicht verhehlen, dass ich mich über die Äußerungen des Energieministers gefreut habe.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Und wir erst, Herr Kollege!)

Ich hoffe, dass ein schnellerer Ausstieg als in allen bisherigen Szenarien möglich ist. Dazu zählt auch das Atomgesetz in rot-grüner Fassung. Ich hoffe, dass die Position von Jost de Jager in der CDU mehrheitsfähig ist oder bei vertiefter Diskussion mehrheitsfähig wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Herr Ministerpräsident, zur Bescheidenheit Ihrer Regierungserklärung sei auch angefügt: Es ist keineswegs Deutschland, das jetzt oder in Zukunft den Atomausstiegstakt vorgäbe. Es sind andere Länder wie Dänemark, Holland oder Österreich. In Österreich war ein fertig gebautes AKW - übrigens baugleich mit unserem AKW Krümmel - in Zwentendorf errichtet. Dann hat Österreich durch eine Volksabstimmung, die sogar Aufnahme in die Verfassung fand, den Ausstieg vorgemacht. Das sind die Pioniere, das sind diejenigen, die voranschreiten, und keineswegs Deutschland.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Sie sehen sich nach meiner Wahrnehmung in Ihrer Erklärung etwas zu häufig immer vorneweg und an der Spitze. Etwas Bescheidenheit hätte da Ihrer Regierungserklärung wirklich gutgetan.

Die Ereignisse in Japan lösten jedenfalls bei Schwarz-Gelb eine unkontrollierte Kettenreaktion aus. Vor noch nicht einmal einem halben Jahr war die Verlängerung der AKW-Laufzeiten die Energierevolution, und es wurde ein schwarz-gelbes Gesetz erlassen. Mit der elften und der zwölften Änderung des Atomgesetzes wurde die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke normiert einschließlich der Reaktoren der 69er-Baureihe, einschließlich der Reaktoren, die besonders schlecht gegen terroristische Einwirkungen von außen geschützt sind. Ohne Berücksichtigung von Pannenstatistiken wurde ein Gesetz erlassen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Das gilt in einem Rechtsstaat, Herr Kubicki, mit Gewaltenteilung, mit Legislative und Exekutive.

Dann kam die Japan-Katastrophe, und es hieß zunächst: Jetzt nicht über Atompolitik in Deutschland reden, das werde parteipolitisch missbraucht, unser

Denken solle bei den Betroffenen der schrecklichen Ereignisse in Japan sein. Dann plötzlich doch eine Sondersitzung der Bundesregierung, und es wurde, mit dramatischer Tonalität begleitet, eine neue Atompolitik angekündigt.

Wie kann sich die Kanzlerin hinstellen und sagen, die Verlängerung der AKW-Laufzeiten werde für drei Monate ausgesetzt? Auf welcher Rechtsgrundlage denn, von wem denn? Hat die Bundesregierung eine Gesetzgebungskompetenz? - Die hat doch wohl immer noch der Bundestag. Sind Merkel/Westerwelle plötzlich Legislative und dürfen sich über geltendes Recht hinwegsetzen?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Eine sehr interes- sante Frage!)

Bei der Suche nach einer Rechtsgrundlage wurde die Kanzlerin fündig bei § 19 Abs. 3 des Atomgesetzes. Hintergrund dieser Regelung sind jedoch akute Gefahrenabwehr, ein gesetzeswidriger Zustand und drohende Gesundheitsgefährdung. An der Lage in Deutschland hat Japan ja nur die Einschätzung des Restrisikos, nicht aber die tatsächliche Sicherheitslage beeinflusst. Daher hat Bundesminister Röttgen auch erklärt, das Moratorium sei doch nur politisch gemeint. Aha!

Es hilft doch nur eines, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir brauchen eine Änderung des Atomgesetzes, ein Ausstiegsgesetz.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Warum reden der Ministerpräsident und die Bundeskanzlerin nicht davon? Wir brauchen eine saubere Rechtsgrundlage für eine geänderte neue Atompolitik statt Merkelmurks und Westerwellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus grüner Sicht sollte eine erneute Novellierung des Atomgesetzes weiter gehen, als es von RotGrün beschlossen wurde. Die Atomkraftwerke in Deutschland müssen schneller abgeschaltet werden, als es nach allen gesetzlichen Vorgaben der Vergangenheit normiert war. Wir fordern die sofortige Stilllegung der besonders problematischen AKW ohne Laufzeitübertragung. Laufzeiten zu übertragen war die Logik von gestern.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Der Grünen!)

Der Kollege Olaf Schulze hat das ja vorgerechnet. Ich sage ja: Das war die Logik von gestern. - Der Gedanke war natürlich ein Auslaufen des Atomprogramms und dann am Ende ein Übertragen von alt auf neu in kleinem Maßstab.

(Detlef Matthiessen)

Sie schreiben ja selber in Ihrem Antrag: Das muss neu überdacht werden. Daher sage ich, es besteht große Übereinstimmung. Wir sagen, die Laufzeiten dürfen nicht übertragen werden. Sie sagen, es darf einen schnelleren Ausstieg nicht konterkarieren. Große Übereinstimmung zwischen der CDU und dem Antrag der Grünen. Wir freuen uns.

(Lachen bei der LINKEN)

Subventionen für die Atomindustrie müssen angesprochen werden. Sie müssen abgebaut werden. Die Überführung der „Rückstellungsmilliarden“ in einen öffentlich-rechtlichen Fonds ist ebenso überfällig wie eine erhebliche Anhebung der Deckungsvorsorge gegen Havarien.

Das Restrisiko, die Sicherheit, soll neu betrachtet werden. Alle AKW sollen ebenso wie betriebene, genehmigte und in Untersuchung befindliche Endlager - da fand ich ja die Äußerungen des Ministerpräsidenten McAllister sehr interessant - einer erneuten Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden. Erdbeben, extreme Sturmfluten, Deichbruch, Schiffshavarien mit Folgen für die AKWs an der Elbe und die Kombination solcher Ereignisse können die drei schleswig-holsteinischen AKWs in Brokdorf, Brunsbüttel und Geesthacht/Krümmel betreffen und müssen bei einer neuen Sicherheitsbetrachtung berücksichtigt werden. Auch terroristische Einwirkungsmöglichkeiten sollen dabei eingehend geprüft werden. Das schließt, wie Herr Kubicki schon ausführte, auch die Überprüfung der Anfälligkeit technischer Systeme für Computerviren und andere Cyber-Angriffe mit ein.

Nicht erst Japan, meine Damen und Herren, hat die Gefährlichkeit der Atomindustrie aufgezeigt. Auch Harrisburg, das sogenannte Three-Mile-Island-Ereignis, das TMI-Ereignis, Winscale, Tschernobyl und nicht zuletzt Forsmark in Schweden hätten im Einzelnen schon Warnung genug sein müssen. Mir fehlt es nicht an Fantasie, mir Szenarien auszudenken, die bisher nicht betrachtet worden sind, die auslegungsüberschreitend wären.

Denken Sie zum Beispiel an Schiffe, die nicht Holz aus Afrika nach Hamburg fahren, sondern betonbrechende Waffen von El Kaida. Oder - wie mein Fraktionsvorsitzender sagte - der Massengutfrachter „Berge Fjord“ ist 330 m lang, 57 m breit. Nach Brand und Manövrierunfähigkeit wurde er wenige 100 m vor den Kühlwassereinläufen des AKWs Brunsbüttel von acht Schleppern abgefangen. Das Wetter war ruhig. Es war eine Leerfahrt. Es hätte auch anderes Wetter sein können, Schlepper hätten

nicht verfügbar sein können, es hätte problematische Ladung an Bord sein können.

Zum Thema Restrisiko darf es uns an Phantasie nicht fehlen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Ein Wechsel in der Atompolitik ist überfällig. Atomkraft? - Nein, danke!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. - Doch, Entschuldigung. - Ich gebe dem Herrn Abgeordneten Lars Harms zu einem weiteren Redebeitrag das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der rasanten Entwicklung der Atomdebatte in den letzten zwei Wochen stellt sich schon die Frage: Warum eigentlich nicht gleich so? Letztlich hat sich an der Faktenlage nichts geändert. Die Lebenslügen der Atomlobby waren seit Jahrzehnten falsch. Dass es des traurigen Unglücks in Japan bedurfte, um dem Lobbyismus zumindest für einen Zeitraum von drei Monaten ein Ende zu bereiten, zeigt, dass insbesondere die CDU auf Landes- und Bundesebene und die FDP auf Bundesebene aus der Faktenlage nichts lernen konnten oder wollten. Man folgte treu den Lebenslügen der Atomlobby und sorgte dafür, dass den großen Energiekonzernen in Deutschland das Geld nicht ausgeht.

Welchen Lebenslügen ist man nun gefolgt? - Lebenslüge Nummer 1: Schaltet man die Atomkraftwerke nur teilweise ab, dann gehen in Deutschland die Lichter aus. - Meine Damen und Herren, das war natürlich völliger Unsinn. Das wusste man auch schon vorher. Natürlich haben wir billigen Atomstrom ins Ausland exportiert, natürlich brauchten wir die dafür betriebenen Atomanlagen nicht für unsere Versorgung. Man brauchte auch kein Mathematikprofessor sein, um auszurechnen, wie viel Atomanlagen nicht mehr benötigt würden, wenn man keinen Atomstrom mehr exportierte. Wir haben laut Umweltbundesamt eine überschüssige Kapazität von 15 GW. Fachleute haben schon vor den Unglücksereignissen in Japan deshalb darauf hingewiesen, dass rund die Hälfte der Atomanlagen nicht benötigt wird.

(Detlef Matthiessen)

Nun werden acht Atommeiler zumindest zeitweise abgeschaltet, und in Deutschland gehen die Lichter eben nicht aus, und das Umweltbundesamt kommt sogar zu dem Schluss, dass man neun AKWs sofort ausschalten kann, ohne Einschränkungen der Versorgungssicherheit befürchten zu müssen oder dass Stromimporte aus dem Ausland nötig würden. Im Gegenteil! Durch den seinerzeitigen rot-grünen Kompromiss mit der Energiewirtschaft wurde ja schon gezeigt, dass ein Ausstieg innerhalb von zehn Jahren auch von der Energiewirtschaft akzeptiert wurde. Das heißt, der Ausstieg wurde seinerzeit nicht nur als möglich, sondern auch als wirtschaftlich problemlos umsetzbar angesehen.

Auch hier spricht das Umweltbundesamt eine deutliche Sprache, der völlige Atomausstieg sei schon 2017 möglich. Hierfür sind nur die heute schon vorhandenen Kraftwerke sowie die im Bau befindlichen Kraftwerke nötig. Man müsste nur die erneuerbaren Energien ausbauen und die bisher geplanten effizienten Blockheizkraftwerke und Gaskraftwerke bauen.

Hier möchte ich auf ein aktuelles Thema eingehen: Weil wir keine neuen Kraftwerke, insbesondere keine Kohlekraftwerke mehr brauchen, brauchen wir auch keine CCS-Einlagerung.

(Beifall der Abgeordneten Ranka Prante [DIE LINKE])

Auch dieses Thema ist mit einer unkalkulierbaren Unsicherheit für die Gesundheit der Menschen und für die Natur belegt.

(Glocke der Präsidentin)

Einen Augenblick bitte, Herr Abgeordneter. - Es herrscht ziemliche Unruhe. Insbesondere die Abgeordneten, die dort hinten stehen und sich unterhalten, bitte ich, sich zu entscheiden und sich entweder zu setzen oder ihre Gespräche draußen fortzusetzen. Auch der Herr Abgeordneter Lars Harms verdient die erforderliche Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN- Christopher Vogt [FDP]: Er muss besser werden!)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte deutlich machen: Wir haben es bei der Atomtechnologie mit einer Technologie zu tun, die wir nicht beherrschen können. Wir haben es auch bei der CCS