Protokoll der Sitzung vom 26.05.2011

Eine Therapierung der Sicherungsverwahrten ist das unbedingte Ziel der Sicherungsverwahrung. Da sind wir uns hier sicherlich alle einig. Dieses Ziel ist aber nicht zum Nulltarif zu erreichen. Auch das ist sicherlich in unseren Köpfen. Die besondere Art der Unterbringung im Gegensatz zum regulären Strafvollzug und der zu erwartende Personaleinsatz werden große finanzielle Anstrengungen bedeuten. Darüber sind wir uns klar.

Die FDP-Fraktion unterstützt deshalb die schon weit gediehene Idee einer gemeinsamen Einrichtung der nördlichen Bundesländer. Die absoluten Fallzahlen in Schleswig-Holstein sind glücklicherweise gering, machen aber den Sinn einer Einrichtung überdeutlich, die kostenmäßig von mehreren Bundesländern getragen wird.

Nur so kann bei einer vernünftigen Relation von Kosten und Nutzen den Vorgaben der Gerichte Genüge getan werden und zugleich unseren Bürgern eine tragbare Lösung angeboten werden. Positiv zu sehen ist dabei die Zusicherung der Bundesjustizministerin, den Bundesländern bei der Unterbringung von Schwerstkriminellen zu helfen.

Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht ist hinsichtlich seiner praxisorientierten Entscheidung uneingeschränkt zu loben. Eine sofortige Freilassung aller Menschen, die sich aktuell in nicht verfassungskonformer Sicherungsverwahrung befinden, hätte den Staat vor eine personell und finanziell nahezu unlösbare Aufgabe gestellt und die Akzeptanz dieser Entscheidung in der Bevölkerung sicherlich infrage gestellt.

Die vom Gericht gewährte Frist bis zum 31. Mai 2013 bietet ausreichend, aber auch nötige Zeit, sowohl ein verfassungskonformes Gesetz als auch eine von breiten Bevölkerungsschichten getragene Lösung zu beraten und zu verabschieden. Hätte es das Gericht für geboten gehalten, die Sache schneller vom Tisch zu schaffen, so wäre die Frist sicherlich kürzer ausgefallen.

Wir lassen uns aber keine Zeit. Schnelle Rechtssicherheit ist gefordert. Der Bericht unseres Justizministers belegt, dass unser Land dabei auf einem guten Weg ist. Die schnelle Lösung bezüglich der Unterbringung von zwei sogenannten Altfällen Ende 2010 belegt, dass die Landesregierung pragmatisch denkt und das Sicherheitsbedürfnis unserer Bevölkerung nicht vernachlässigt. Es bleibt nun abzuwarten, wie die Regierungskoalition in Berlin die neue Sicherungsverwahrung im Detail ausgestaltet. Erst dann sind die genauen Konsequenzen im Land bekannt. Wir müssen schon noch die Reihenfolge des Gesetzgebungsverfahrens abwarten, erst der Bund, dann das Land. Wir wirken aber selbstverständlich daran mit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bund und Land Untätigkeit vorzuwerfen, schürt die Unsicherheit in der Bevölkerung und hat mit Verantwortung leider nicht viel zu tun.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Fassbare Zwischenergebnisse liegen nämlich bereits vor. Zum einen hat die Berliner Koalition, übrigens gemeinsam mit der SPD-Fraktion, mit dem Therapieunterbringungsgesetz bereits im letzten Jahr Regeln verabschiedet, die es nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtes erlauben, psychisch gestörte Täter nachträglich in Verwahrung zu behalten beziehungsweise zu nehmen.

Das Gericht hat dieses Gesetz als wichtigen Schritt zur Behandlung dauerhaft gefährlicher Täter gewürdigt. Betont wurde, dass in diesen Regelungen die Freiheitsgarantien des Grundgesetzes und der staatliche Schutzauftrag für potenzielle Opfer zusammenfinden. Zum anderen haben die Justizmini

(Gerrit Koch)

ster aller Bundesländer angekündigt zu vereinbaren, dass zentral von Bad Vilbel aus rückfallgefährdete Sexual- und Gewalttäter bundesweit gemeinsam überwacht werden.

Die elektronische Fußfessel, genauer elektronische Aufenthaltsüberwachung, kann, zumindest für einen Teil der Sicherungsverwahrten, eine angemessene und günstige Lösung bei der ständigen Gratwanderung zwischen präventivem Wegschließen und Resozialisierung sein. Es werden verschiedene Räder ineinandergreifen müssen, um den anspruchsvollen Vorgaben der Gerichte Genüge zu tun. Dieser Aufgabe stellen sich CDU und FDP.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Thorsten Fürter das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Schmalfuß, vielen Dank für den Bericht. Das Bundesverfassungsgericht hat durch seine jüngste Entscheidung zur Sicherungsverwahrung tatsächlich - darauf ist hier mehrfach hingewiesen worden - dem Bundestag bis zum Frühsommer 2013 Zeit gegeben. Ich glaube nicht, dass er diese Frist deswegen so lange bemessen hat, weil er glaubt, das Thema sei nicht dringlich oder müsse nicht schnell angepackt werden, sondern weil er weiß, wie schwer es ist, in diesem Bereich zu Entscheidungen auf Bundesebene zu kommen.

(Gerrit Koch [FDP]: Genau!)

Es ist aber so, dass spätestens - das muss ich Ihnen leider sagen - seitdem die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Ende 2009 zur Frage der nachträglichen Abschaffung der Höchstfrist von zehn Jahren ergangen ist, allen in der Rechtspolitik - ich hoffe, auch den Kollegen in der FDP-Fraktion - klar war, dass da eine gewisse Problematik auf uns zukommt.

Diese Problematik würde bedeuten - wir hatten es hier im Landtag schon diskutiert -, dass wir zwischen denjenigen, die sich in Haft befinden, und denjenigen, die in irgendeiner Form gesichert werden müssen, trennen müssen. Es war auch klar, dass wir Therapien individueller auf die Person, die betroffen ist, zuschneiden müssen, und es war auch klar, dass es zu Entlassungen kommen würde.

Ich möchte über die Entlassungen kurz sprechen, weil ich auch klarmachen will, dass ich das ohne eine Regung der Freude hier verkünde. Es ist eine schwierige Entscheidung. Sie ist zu ernst für die Opfer, um die es geht, und auch mit Blick auf die Taten und deren Gefährlichkeit, um die es geht. Diese Entlassungen mit Freude zur Kenntnis zu nehmen, macht keiner in der grünen Fraktion.

Es ist aber zugleich so, dass es in einem Rechtsstaat Prinzipien gibt - Prinzipien, die im Einzelfall unangenehm erscheinen mögen, die man vielleicht auch nicht will, aber die es wert sind, verteidigt zu werden, die es wert sind, dass man für sie eintritt. Ich denke, dass ich Sie, Herr Koch, zum Beispiel auf unserer Seite habe, wenn es darum geht, dass wir diese Prinzipien verteidigen müssen, wenn sie unangenehm sind.

Im Juli 2010 hat es bereits eine Landtagsdebatte zu diesem Thema gegeben. Ich habe mir das Protokoll noch einmal angeguckt. Es war damals so, dass im Prinzip diese Entwicklung, die jetzt eingetroffen ist, absehbar war und sie heruntergespielt wurde. Sie wurde heruntergespielt mit Verweis auf anstehende Rechtsprechung von Oberlandesgerichten. Sie wurde heruntergespielt im Hinblick auf eine vorzunehmende Reform aus dem Hause LeutheusserSchnarrenberger. Ich kann nur sagen: Beides ist krachend gescheitert.

Das Modell Leutheusser-Schnarrenberger ist vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Darauf zu setzen, dass man Entlassungen würde verhindern können, indem man auf die Oberlandesgerichte setzt, ist gescheitert.

Wir haben von Ihnen, Herr Minister, damals in der Landtagsdebatte verlangt, dass die Sicherungsverwahrung inhaltlich und organisatorisch von der Strafhaft getrennt wird, dass es einen Verbund gibt mit anderen norddeutschen Bundesländern. Ich hatte den Eindruck - auch das ergibt sich aus der Rede, die Sie damals gehalten haben -, dass Sie das auch so gesehen haben. Das war im Juli 2010.

Ich frage mich: Was ist eigentlich nach dem Juli 2010 geschehen? Ich war sehr gespannt auf Ihre Antwort. In der Rede, die Sie vorgelesen haben, stand, dass im Februar 2011 etwas passiert ist. Im Februar 2011 ist aber nicht das Konzept vorgestellt worden, es wurde auch nicht in irgendeiner Form weitergedacht, sondern im Februar 2011 hat ein Sondierungsgespräch von mehreren Bundesländern stattgefunden. Ich frage Sie: Was ist von Juli 2010 bis Februar 2011 passiert? Ich kann verstehen, wenn einige Damen und Herren aus den Oppositi

(Gerrit Koch)

onsfraktionen - ich habe das im Anschluss an die Rede Ihres Staatssekretärs auf der Pressekonferenz nicht getan - sagen: Das ist zu wenig angesichts der Ernsthaftigkeit dieses Themas.

Ich glaube, es hat auch einen Grund. Der Grund ist: Es knirscht gewaltig in der Justizpolitik der schwarz-gelben Koalition, nicht nur im Bund, sondern auch hier in Schleswig-Holstein. Ich nenne die Themen mit Schlagworten: die Schließung von Anstalten, die Frage des Richtervorbehalts, die Blutentnahme, die Vorratsdatenspeicherung, gerade vor wenigen Tagen die Frage der Flüchtlingsbeauftragten. Ich habe den Eindruck, dass die Damen und Herren in der Koalition in der Justizpolitik einfach nicht gut sortiert sind, nicht gut zusammenarbeiten,

(Gerrit Koch [FDP]: Da täuschen Sie sich aber gewaltig! Das hätten Sie wohl gern!)

dass Sie nicht gut zusammenarbeiten, dass da mehr gegeneinander läuft als miteinander. Und, ich muss ganz ehrlich sagen, bei diesem wichtigen Thema der Sicherungsverwahrung ist das schlecht. Es ist schlecht für die Freiheit, und es ist schlecht für die Sicherheit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Ich appelliere an Sie, dass wir bei diesem Thema besser zusammenarbeiten und besser mit Blick auf Schleswig-Holstein zusammenwirken.

(Gerrit Koch [FDP]: Das machen wir schon!)

Ich weiß nicht, ob es so etwas wie Best Practice für Kabinettsmitglieder in der Landesregierung gibt.

(Gerrit Koch [FDP]: Wir sprechen Deutsch!)

Versuchen Sie einmal, sich ein Beispiel an dem Kollegen Schlie zu nehmen, der das in der Innenpolitik bei allen inhaltlichen Differenzen, die wir haben, vorbildlich macht. Wenn schwierige Themen auf der Tagesordnung stehen, bezieht er nicht nur seine eigenen Koalitionsfraktionen, sondern auch die Oppositionsfraktionen in die Thematik mit ein. Er spricht mit ihnen, er informiert offen und transparent. Ich stelle fest, Herr Kubicki - es tut mir leid

(Zuruf von Wolfgang Kubicki [FDP])

- ich weiß, Sie sehen das im Stillen auch so, deswegen lachen Sie jetzt -,

(Heiterkeit bei der FDP)

dass das im Bereich der Justizpolitik, aus welchem Grund auch immer, nicht geschieht. Ich gehe ehrlicherweise davon aus, dass einige Kollegen aus der Regierungsfraktion das auch schon angebracht haben.

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Ja, Herr Kubicki, gern.

Frau Präsidentin, ich muss da noch einmal nachfragen, weil ich finde, dass das für das Protokoll und für die deutsche Öffentlichkeit ganz wichtig ist: Herr Fürter, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie den Kollegen Schlie in seiner Funktion als Minister und für seine Auffassungen zur Innen- und Rechtspolitik ausdrücklich loben?

- Ich habe gesagt, dass wir inhaltliche Differenzen haben. Das können Sie im Protokoll nachlesen, das wiederhole ich auch gern. Herr Schlie hat aber die Frage, wie geht man mit Themen um, wie informiert man Abgeordnete, vorbildlich gelöst. Das gilt übrigens auch für die Regierungsfraktionen. Sie vermissen es doch auch, dass das bei der Justizpolitik nicht so passiert, Herr Kubicki. Das passiert im Bereich der Innenpolitik, im Bereich der Justizpolitik passiert das aber nicht. Das ist so, und das ist nicht gut für Schleswig-Holstein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von CDU und FDP)

Ich möchte noch einen inhaltlichen Punkt herausgreifen.

(Zurufe von CDU und FDP)

- Wissen Sie, das Gute ist, dadurch dass die Zeit durch die Landesregierung so großzügig überzogen wurde, kann ich hier die kleinen Lacher und Zwischenrufe einfach abwarten.

Aber jetzt bitte ich um etwas mehr Aufmerksamkeit für den Redner, damit er seine Rede fortsetzen kann.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Es kann nur bes- ser werden! - Weitere Zurufe von der CDU und FDP)

(Thorsten Fürter)