Protokoll der Sitzung vom 30.06.2011

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundesregierung behauptet, ein früherer Atomausstieg sei nicht möglich. Wir schlagen etwas vor, was wir mit unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit Umweltverbänden und mit kommunalen Energieerzeugern beraten haben. Es sieht die Abschaltung unverzüglich und ohne schuldhaftes Verzögern, das heißt so schnell wie möglich, vor, und zwar auf der Grundlage der Berechnungen von Fachleuten und nicht von Lobbyisten. Wir haben uns mit den Fachleuten beraten und sind auf das Jahr 2014 gekommen. Bei einem Atomausstieg im Jahr 2014 müsste kein einziger Haushalt, müsste kein einziges Unternehmen ohne Strom leben. Das ist realisierbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir als DIE LINKE sagen: Die Energieversorgung darf nicht dem privaten Markt überlassen werden. Energie ist ein Gut, das allen Menschen zukommen muss. Es ist ein Element der Daseinsfürsorge, und die öffentliche Hand hat die Pflicht,

Energie zu bewirtschaften. Wir sehen doch, dass die Energieversorgung dort am unsichersten ist, wo sie vollständig privat organisiert ist. Seit dem New Deal vor beinahe 80 Jahren hat es in den Vereinigten Staaten keine nennenswerte Erneuerung des Energienetzes durch Private gegeben. Deshalb brauchen wir eine starke politische Entscheidung, um die Zukunft der Energieversorgung zu sichern.

In Ihrem Konzept fehlen auch die Bedingungen hinsichtlich einer sozialen Ausgewogenheit der Kosten der Energiewende. Ohne Strompreisregulierung und ohne Sozialtarife für die ärmeren Teile der Bevölkerung wird eine extreme soziale Ungerechtigkeit herbeigeführt. Jedes Jahr werden 800.000 Stromund Gasversorgungssperrungen vorgenommen. Das ist in unseren Augen ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Dagegen haben die vier großen Konzerne in den letzten Jahren einen Profit von 100 Milliarden € gemacht. So geht das in unseren Augen einfach nicht. Wir müssen die Energiewende sozial gestalten und dürfen uns nicht von den Atomkonzernen die Preise für den Strom diktieren lassen.

Meine Damen und Herren, gerade von CDU und SPD, ich habe heute festgestellt, dass Sie alle in der Anti-AKW-Bewegung sind: Es ist doch merkwürdig, dass wir in vierzig Jahren dezentraler Energieversorgung mit 6.000 Stadtwerken in Deutschland besser ausgebaute und besser instandgehaltene Netze bei niedrigeren Energiepreisen hatten als nach dem Beginn des Privatisierungswahns. Seither sind die Gewinne der Stromkonzerne explodiert. Die Netze gehen auf die Substanz. Die Leistungsverluste wachsen genauso schnell wie die Renditen der Stromkonzerne.

Es ist Aufgabe der Politik, bezahlbare Energiepreise für alle zu gewährleisten. Wir brauchen erstens endlich wieder eine staatliche Preisaufsicht, um Strompreise wirksam und verbrauchergerecht zu regulieren. Zweitens müssen die Energieversorger verpflichtet werden, verbindliche Sozialtarife für einkommensschwache Haushalte anzubieten. Belgien und Frankreich haben das schon erfolgreich umgesetzt. Drittens fordern wir: Niemandem darf aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten der Strom abgestellt werden. Energieversorgung ist für uns, DIE LINKE, ein existenzielles Grundrecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Realität ist derzeit leider, dass jährlich Hunderttausende von Haushalten von Stromsperrun

(Ranka Prante)

gen betroffen sind - mit steigender Tendenz. Ich habe dies eben schon erzählt.

Die großen Energiekonzerne haben ihre Gewinne in weniger als zehn Jahren versiebenfacht. Zugleich müssen immer mehr Menschen unter Energiearmut leiden. Wir brauchen jetzt eine sozialökologische Energiewende. Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte. Wir wollen für eine politische Lösung der Energiefrage werben, weil der Markt es offensichtlich nicht kann. Wir brauchen einen Atomausstieg mit einem Ausstiegsgesetz, damit das Gesetz juristisch wasserdicht wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem soll der Ausstieg unumkehrbar werden. Deshalb brauchen wir eine Ergänzung des Grundgesetzes.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen eine staatliche Preisregulierung. Meine Damen und Herren von der SPD, erinnern Sie sich noch an die Zeit, in der die Energiepreise reguliert waren? - Erinnern Sie sich noch daran, als man in Kiel sehr langsame Energiepreissteigerungen hatte, als die Netze noch tipptopp waren, als bei niemandem das Licht ausging und als die Stadtwerke trotzdem jedes Jahr 40 Millionen DM für den öffentlichen Verkehr und die öffentliche Infrastruktur bereitstellten? - Dieses Geld und noch viel mehr fällt mittlerweile nach oben. Sie haben dazu beigetragen, die politische Schwerkraft außer Kraft zu setzen.

Der notwendige Netzausbau muss zum Einstieg in die dezentrale kommunale Energieversorgung genutzt werden. Es ist sinnvoll, an einer Wiederbelebung der einst öffentlichen Struktur mit 6.000 kommunalen Versorgern zu arbeiten. Diese haben die Möglichkeit, auch regional Energie zu gewinnen. Das alles sind Herkulesaufgaben, die nur dezentral zu lösen sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Stromnetze müssen endlich in öffentliche Hand, und zwar weil es schneller Entscheidungen bedarf, um den Netzausgleich zwischen den regionalen Versorgern zu garantieren. Es muss auch viel neu gebaut werden, weil die alten Leitungen überwiegend marode sind, denn sie wurden zu lange privat bewirtschaftet. Deshalb soll die Politik zuständig sein. In der Politik haben wir Demokratie. Bei den vier Konzernen haben wir Kommerz und so keine Demokratie. Sie wollen die Zuständigkeit der Konzerne, wir wollen die Zuständigkeit der öffentlichen Hand.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen höchste Energieeffizienz. Ich habe es eben schon gesagt, das ist für uns die soziale Frage. Darauf müssen sich auch die Forschungen konzentrieren. Wir brauchen eine Lösung für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen, um Bürgerinnen und Bürgern mit einer Effizienzprämie bei der Anschaffung energiesparender Geräte zu helfen.

Wir dürfen auch die Arbeitsbedingungen der in den AKW arbeitenden Menschen nicht außer Acht lassen. Im Rahmen einer Kleinen Anfrage hatte die Bundestagsfraktion DIE LINKE zum Beispiel Auskunft über den Einsatz von Leiharbeitern in deutschen Kernkraftwerken erbeten. Die Bundesregierung sollte die Ausstellung der Strahlenpässe, welche die Strahlenbelastung der Mitarbeiter festhalten, auswerten. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ aus der Antwort der Bundesregierung berichtet, seien in den deutschen Kernkraftwerken 24.000 Leiharbeiter gegenüber 6.000 Festangestellten beschäftigt. Die große Frage war, wo die Strahlenbelastung am höchsten war. Sie war bei den Leiharbeitern am höchsten. Diese Art und Weise ist unerträglich.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich werde Ihnen nun das Energiekonzept der LINKEN aus unseren Augen und aus den Augen der Menschen und der Zukunft vorstellen. Es ist ein Energiekonzept für die Menschen und nicht für die vier großen Energiekonzerne. Es enthält sieben Schritte zum unverzüglichen und unumkehrbaren Atomausstieg. Der erste Schritt heißt: sofortige Stilllegung von elf Atomkraftwerken. Der Kraftwerkspark in Deutschland ist derart überdimensioniert, dass elf der 17 Atomkraftwerke in Deutschland sofort stillgelegt werden könnten, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Der zweite Schritt lautet: Vollständiger Atomausstieg bis zum Jahr 2014.

Die verbleibenden sechs Atomkraftwerke mit einer gesicherten Erzeugungsleistung von maximal 7 GW können schrittweise bis Ende des Jahres 2014 abgeschaltet werden. Bleiben einige fossile Kraftwerke wenige Jahre länger als geplant am Netz, bedeutet dies einen erheblichen Netto-Zuwachs an Kraftwerkskapazitäten. Durch ein aktives Lastmanagement kann zudem die Jahreshöchstlast kurzfristig deutlich verringert werden. Eine Verlagerung des Stromverbrauchs aus den fünfzig lasthöchsten Stunden nur um eine oder wenige Stunden kann laut Ökotest den Spitzenlastbedarf um 2 bis 5 GW redu

(Ranka Prante)

zieren. Entsprechend müssen weniger gesicherte Kraftwerkskapazitäten vorgehalten werden.

Drittens. Dieser Punkt ist, wie ich meine, das Wichtigste: Atomausstieg ins Grundgesetz. Damit der Atomausstieg unumkehrbar wird, muss er in der Verfassung verankert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Verankerung des Verbots der Nutzung von Atomenergie und Atomwaffen gehört ins Grundgesetz, dann nämlich bedarf es einer Zweidrittelmehrheit, um dieses wieder zu verändern. Das ist die Erfahrung aus dem, was im letzten Jahr mit der Laufzeitverlängerung passiert ist. Daraus haben wir gelernt. Das muss ins Grundgesetz.

(Beifall bei der LINKEN)

Viertens. Klimaschutz und Atomausstieg sind für uns überhaupt gar kein Widerspruch. Ein frühzeitiger Atomausstieg führt in diesem Jahrzehnt klar zu einer vorübergehenden Erhöhung der jährlichen CO2-Emissionen im Stromsektor. Doch ein beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien kann diesen Anstieg in den Jahren nach 2020 mehr als kompensieren. Das heißt, auch das ist möglich.

(Beifall bei der LINKEN)

Der fünfte Punkt war mir eben in der Rede schon sehr wichtig: Strompreise sozial abfedern, Marktaufsicht wahrnehmen. Ein unverzüglicher Atomausstieg verändert die Kosten der Stromerzeugung. Die langfristig anfallenden und von der Gesellschaft insgesamt zu tragenden Kosten werden umso geringer, je schneller der Ausstieg erfolgt. Denn Atomstrom ist, wenn man die enormen Aufwendungen für Sicherheit und Versorgung berücksichtigt, extrem teuer. Kurzfristig und mittelfristig sind jedoch geringfügige Preissteigerungen zu erwarten, da investiert worden ist und investiert werden muss, weil die Privaten in all den Jahren ja leider nicht investiert haben. Trotz alledem müssen wir den Strompreis sozial abfedern, und wir müssen einen Fonds gründen, mit dem dann Leute unterstützt werden, die ihre Strompreise zurzeit nicht abfedern können.

(Beifall bei der LINKEN)

Sechstens. Ich finde, auch das ist wieder ein ganz wichtiger Punkt: Atomausstieg schafft Arbeitsplätze und vernichtet sie nicht. Die Energiewende und ein unverzüglicher Atomausstieg werden positive Beschäftigungseffekte haben, und das wissen wir alle. Während bei den vier großen Energiekonzernen in den letzten Jahren Zigtausende von Arbeits

plätzen abgebaut worden sind, arbeiten heute rund 340.000 Menschen in der Erneuerbare-EnergienBranche. Eine regionalisierte Energieversorgung infolge des Atomausstiegs wird zu einem Beschäftigungsmotor im kommunalen Bereich. Beschäftigung an den Atomkraftwerksstandorten nach einer Stilllegung geschieht mithilfe regionaler Wirtschaftspolitik. Das heißt, es müssen Initiativen geschaffen werden, um Ersatzarbeitsplätze an den Atomkraftwerksstandorten durch regionale Wirtschaftspolitik zu fördern. Es geht um die Wende in der Beschäftigungspolitik der Erneuerbare-Energien-Branche hin zu tariflicher Entlohnung und um die Sicherstellung gewerkschaftlicher Rechte und gute Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum siebten und letzten Punkt: Energiekonzerne entmachten, Energiewende demokratisieren. Der Atomausstieg muss gleichzeitig ein Einstieg in eine andere, und zwar generell andere Energiepolitik sein, konsequent orientiert am Ziel einer erneuerbaren, aber auch demokratisierten Stromversorgung. Es wird keine sozialökologische Energiewende geben, solange es nicht gelingt, die vier großen Energiekonzerne zu entmachten. Der Wille der Bürgerinnen und Bürger, nicht der Aktienbesitzer von E.ON und RWE, muss bei der Entscheidung über die zukünftige Energieversorgung im Vordergrund stehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei Planungsverfahren für den Bau von Netzen und Speichern oder Erzeugungsanlagen müssen die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bevölkerung ausgeweitet werden. Schon vor Beginn der Planungsverfahren sind die Bürgerinnen und Bürger zu informieren und einzubeziehen. Es muss Schluss sein mit einer Energiepolitik, die nur den vier großen Energiekonzernen nutzt und der Bevölkerung schadet und ihren Interessen entgegensteht. Die Linke setzt sich deshalb für eine soziale, ökologische und demokratische Energiepolitik ein.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Ministerpräsident, ein letztes Wort noch von mir, und diese Frage wollte ich jetzt doch noch mal in den Raum stellen: Sie haben die Frage gestellt, warum die Wende erst jetzt kommt und nicht schon 1986 nach Tschernobyl war.

(Zuruf von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

- Das fand ich nicht. - Sie erklärten das damit, dass die erneuerbaren Energien noch nicht zur Verfü

(Ranka Prante)

gung gestanden haben. Ich weiß aber, dass Sie im Herbst letzten Jahres hier gestanden und erzählt haben, dass die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke richtig sei. Hatten wir damals die erneuerbaren Energien in der Form hier noch nicht? Ich finde, das zeigt einmal mehr, wie wechselhaft das alles ist.

(Beifall bei der LINKEN)