Protokoll der Sitzung vom 30.06.2011

(Beifall bei der LINKEN)

Den Antrag der SPD finden wir gut so. Er hat auf wundersame Weise große Ähnlichkeit mit einem Flyer, den wir vor Kurzem herausgegeben haben. Was uns da ein bisschen fehlt - deswegen haben wir einen Änderungsantrag eingebracht -, ist die soziale Komponente, die auch in meiner Rede ganz wichtig war. Wir sind aber gern bereit, darüber im Ausschuss zu reden. Über den Antrag von CDU und FDP können wir natürlich auch im Ausschuss reden, obwohl wir den eigentlich grottenschlecht finden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort erteile ich jetzt der Vorsitzenden der SSW-Fraktion, der Kollegin Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland befindet sich an einem historischen Wendepunkt. Dabei ist es nicht die Entscheidung der Bundesregierung für den Atomausstieg, die einmalig ist. Dieser Beschluss wurde bereits 2000 von Rot-Grün getroffen. Auch die dahinter liegende Erkenntnis ist nicht bahnbrechend. Die Argumente, die für den Ausstieg sprechen, haben andere, auch der SSW, schon seit Jahrzehnten vorgetragen.

Neu ist, dass nun wohl auch die CDU verstanden hat, dass die Restrisiken der Atomkraft ethisch nicht vertretbar sind. Noch eines ist jetzt wirklich anders: Angela Merkel hat sich vom Einfluss der Atomwirtschaft gelöst. Die Politik hat die Energiepolitik selbst in die Hand genommen, sie hat sich nicht von der Atomlobby und den großen Energieversorgern Bedingungen diktieren lassen. Der neue Atomkonsens ist ein Konsens der Politik. Das ist das Neue, und das kann man dann wirklich als historische Wende bezeichnen.

Die Energiepolitik in Deutschland zeigt nach der abermaligen 180-Grad-Wende der schwarz-gelben Koalition wieder in die richtige Richtung. Es gibt im Moment keine Partei, die umkehren will. Nach Fukushima und Merkels Kehrtwende wird es aber

kaum noch einmal gelingen, wie nach den Unfällen in Tschernobyl oder Harrisburg zur Normalität in der deutschen Atompolitik zurückzukehren. Es geht endlich nicht mehr um pro oder contra Atomkraft, sondern um den bestmöglichen Weg zum gemeinsamen Ziel Atomfreiheit. Das ist ein enormer Fortschritt.

(Beifall beim SSW)

Die eine Seite der Gleichung, die Abschaltung aller Atomkraftwerke bis 2020, ist bekannt und wird von vielen so geteilt. Wir gehören allerdings nur bedingt dazu; denn der SSW bleibt dabei, dass ein Ausstieg bis 2017 möglich wäre, auch ohne die Energieversorgung zu gefährden. Daher muss dieser frühere Ausstieg auch angestrebt werden. Diese Position ist aber offensichtlich nicht mehrheitsfähig, nicht mal unter den Grünen.

Deshalb bleibt nun die politische Debatte über die zweite Seite der Gleichung, nämlich die Frage, wie wir den Atomstrom ersetzen und weniger Strom verbrauchen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass uns die CDU/CSU-FDP-Bundesregierung jetzt etwas vorgelegt hat, das sie vor einem Jahr noch als unmöglich erachtet hat. Nun wird genau der Mix von Maßnahmen angestrebt, den wir schon seit Langem als Alternative zum Atomstrom propagiert haben: regenerative Energiequellen, energetische Gebäudesanierung, Stromsparmaßnahmen, Steigerung der Energieeffizienz und vor allem die Förderung von Marktteilnehmern, die regenerativ forschen und produzieren.

Die Umkehr der Energieversorgung einer ganzen Industrienation innerhalb weniger Jahre gleicht dem Wenden eines Supertankers auf dem Plöner See. Das erfordert gute Lotsen, die das Ruder keinen Moment aus der Hand geben, und kraftvolle Schlepper. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn der Staat massiv eingreift und steuert. Staatliche Einmischung in die Wirtschaft und politische Steuerung nach Plan sind ja nicht unbedingt die Fachgebiete, mit denen die schwarz-gelbe Koalition geglänzt hat. Genau diese Qualitäten werden die Regierungen jetzt zeigen müssen. Durch freie Kräfte des Marktes allein wird sich in zehn Jahren nicht entwickelt haben, was wir als Ersatz für die Atomkraftwerke benötigen.

Wir brauchen vor allem eine absolute Vorfahrt für die Erneuerbaren ohne Wenn und Aber. Der SSW teilt ausdrücklich nicht die Auffassung der Bundesregierung, dass der Bau neuer, moderner Kohlekraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 10 GW und CO2-Endlagerung notwendig sind.

(Ranka Prante)

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es mag richtig sein, dass für eine Übergangszeit Kohle und Gas gebraucht werden, um die Grundlast zu sichern, und vor allem auch, um flexibel auf schwankende Strommengen aus Wind und Sonne reagieren zu können. Dafür müssen und werden aber die bestehenden und die bereits genehmigten Kohlekraftwerke ausreichen. Der SSW lehnt es ab, die Verbrennung von fossilen Brennstoffen langfristig zu verankern, indem Milliarden in den Bau eines ganzen Parks von neuen Kohlekraftwerken und in die Entwicklung und großflächige Umsetzung der CCS-Technologie gesteckt werden. Das geht auch anders; das geht dann auch besser.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eines ist ganz sicher: Der Umstieg auf andere Energieformen wird kein Spaziergang auf Sonnenblumen werden. Er wird dornig sein. Alle Verbraucherinnen und Verbraucher werden einen konkreten Preis in Euro und Cent zu zahlen haben, um das Atomrisiko loszuwerden. Auch jene, die von einer Windmühle, einer Stromleitung oder einer Biogasanlage unmittelbar betroffen sind, werden Opfer erbringen müssen.

Die Infrastruktur ist das Rückgrat der Energiewende und gleichzeitig das größte Hindernis auf dem Weg dorthin.

Kurt Schnitten analysiert in der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“ sehr treffend - ich zitiere -:

„Die Energiewende, die nötig ist, damit der Atomausstieg nicht im Blackout endet, braucht einen starken planerischen Start von oben und eine Bürgerbewegung von unten, die nicht blockiert, sondern partizipiert.“

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit ist das Spielfeld sehr gut umrissen. Das gilt auch für jene Bereiche, zu denen Schleswig-Holstein seinen Beitrag leisten kann und auch leisten muss; denn bei uns vor Ort werden die Auseinandersetzungen stattfinden, wenn es um den Ausbau der Infrastruktur geht. Dies gilt insbesondere für die Windenergie als eine der Hauptsäulen künftiger Energieversorgung. Das wird vermutlich nicht leise abgehen. Schleswig-Holstein ist ein Land der erprobten Bürgerproteste. Dafür haben wir keine Nachhilfe aus Stuttgart gebraucht.

Gerade in der Energiepolitik haben wir seit jeher eine engagierte Bürgerschaft erlebt, sei es in Brokdorf oder beim Widerstand gegen das CO2-Endlager oder bei den jüngsten Initiativen gegen Überlandleitungen und pro Erdkabel. Für den schleswigholsteinischen Part der Energiewende wird es daher entscheidend sein, dass das Land in einen Dialog mit den Menschen eintritt, die sich von der einen oder anderen Maßnahme persönlich berührt fühlen. Das gilt für den Netzausbau, aber auch für den Bau neuer dezentraler Anlagen zur Energieproduktion. Wir brauchen einen Dialog mit konkreten Einflussmöglichkeiten für die Bürger, damit das Bürgerengagement nicht in Blockade, sondern in Partizipation mündet. Dabei ist die Form nachrangig. Die Einführung schicker neuer, Stuttgart-21-geprägter Dialogforen ist nicht unbedingt der Weg, wenn am Ende nur eine Mitbestimmung vorgegaukelt wird, die man dann nicht erfüllen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hintergrund ist es das Nonplusultra, das wir geschlossen in den Prozess eintreten. Der Dialog mit den Menschen kann gelingen, wenn alle politischen Kräfte gemeinsam für die Veränderungen und Unannehmlichkeiten werben, die notwendigerweise mit der Energiewende einhergehen. Dies erfordert allerdings, dass alle Teile der Landespolitik die Gemeinsamkeiten und die gemeinsamen Ziele in den Vordergrund stellen. Die Voraussetzungen hierfür sind gar nicht mal so schlecht. Wir sind in der relativ glücklichen Situation, dass sich alle Fraktionen in diesem Hause bei vielen Themenbereichen noch relativ nah sind, was die energiepolitischen Überzeugungen betrifft. Dies jedenfalls seit dem Zeitpunkt, seit dem die Atomkraft abgeschrieben ist. Deshalb appelliert der SSW an alle, diese Gemeinsamkeiten zu suchen. Das gilt zuerst für die CDU/ FDP-Koalition, die bisher nicht durch die Einbeziehung der Opposition aufgefallen ist.

Ich erinnere aber beispielhaft an das gemeinsame Vorgehen bei der Schuldenbremse, die von den Regierungsparteien und den Oppositionsparteien in gemeinsamer Verantwortung beschlossen worden ist. Das Einzige, was wir uns jetzt nicht leisten können, ist, dass eine Regierung autistisch ihren Stiefel durchzieht und die nächste Regierung nach der Wahl dann den Kurs wechselt. Dann wird das nichts.

Wir alle tragen die Verantwortung dafür, dass der Atomausstieg auch gelingt. Das gilt für alle Parteien nicht zuletzt angesichts der anstehenden Landtagswahl. Diesen Kampf können wir nur gemeinsam gewinnen oder alle verlieren.

(Anke Spoorendonk)

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben noch Restredezeiten von 8 Minuten für die FDP, von 3 Minuten für die Grünen, von 10 Minuten für den SSW, und für die CDU und DIE LINKE sind es jeweils 2 Minuten. Für einen weiteren Beitrag haben sich von der FDP Oliver Kumbartzky, von den Grünen Detlef Matthiessen und vom SSW Lars Harms angemeldet. Wird von den anderen Fraktionen auch noch Gebrauch von den Restredezeiten gemacht? - Dann erteile ich jetzt für die FDP-Fraktion Herrn Abgeordneten Oliver Kumbartzky das Wort.

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die neue Energiepolitik ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance für SchleswigHolstein. Darauf will ich im zweiten Teil meiner Rede vertiefend eingehen.

Zunächst einmal möchte ich mich aber dem ehemaligen Lieblingsthema der Grünen widmen, dem Atomausstieg. Wir haben heute schon viel über das Thema gehört. Herr Habeck, ich fand es wirklich gut, dass Sie hier auch das gesagt haben, was Ihr Bundesvorsitzender gesagt hat, nämlich dass das von Schwarz-Gelb vorgelegte Konzept eine deutlich frühere Abschaltung der alten Kernkraftwerke vorsieht als das damals von Rot-Grün vorgesehen wurde. Rot-Grün hat es nämlich mit dem alten Reststrommengenkonzept gerade den Unternehmen ermöglicht, immer weiter zu schieben. Ich darf Cem Özdemir aus dem „Stern“ zitieren:

„Der Ausstieg 2022 ist sogar wasserdichter als einst die rot-grünen Ausstiegspläne. Damals wären wir durch die Restlaufzeiten bei 2023 bis 2026 gelandet. Insofern wird es mir schwerfallen zu begründen, weshalb ich jetzt dem Ausstieg nicht zustimmen sollte.“

(Beifall bei der FDP)

Es ist bekannt, dass gerade im Landesverband der Grünen eine deutliche Spaltung, quasi eine Kernspaltung zu dem Thema vorhanden ist. Das war zu lesen gewesen. Den einen ging es teilweise um das Prinzip, den anderen um die Resonanz bei den Medien.

So oder so beglückwünsche ich aber die Grünen, dass sie auf ihrem Sonderparteitag beschlossen haben, den Ausstiegsgesetzen zuzustimmen. Damit

haben sie sich der politischen Realität angenähert, und von dem einstigen Wahlkampfschlager „Atomausstieg 2017“ ist nun keine Rede mehr. Das gilt übrigens auch für den anderen Wahlkampfschlager „Stopp für Stuttgart 21“. Das sei aber nur am Rande erwähnt.

(Beifall bei der FDP)

Es ist wirklich erstaunlich, dass die Grünen nach Wahlen jeweils die realistische Linie der schwarzgelben Koalition übernehmen, die sie noch vor den Wahlen mit Leidenschaft und Polemik bekämpft hat.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Herr Stegner, ganz ehrlich, Sie haben sich heute schon genug in die Nesseln gesetzt.

Ich meine, wir sollten alle zusehen, dass es auch zu einer Beschleunigung von Planungs- und Bauvorhaben kommt. Da nehme ich die Ankündigung von Herrn Habeck ernst, dass er nicht, wie das in anderen Landesverbänden gemacht wird, dagegen protestieren wird, sondern dass wir gemeinsam dazu kommen, dass es zu einer Beschleunigung kommt. Der eigentliche Stresstest ist nämlich erst dann da, wenn es wirklich um die Netzausbaugeschichten geht.

Eines ist klar: Der Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien kann nur erfolgreich beschritten werden, wenn es gelingt, für eine gesicherte, bezahlbare sowie klima- und umweltverträgliche Energieversorgung bei den Menschen die Bereitschaft zu wecken, auch Veränderungen und Beeinträchtigungen im eigenen Umfeld zu akzeptieren. Eine neue Energiepolitik wird erst dann erfolgreich umsetzbar sein, wenn es gelingt, eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz für diesen Prozess zu erreichen. Daher kommt es darauf an, die Menschen in einen gesellschaftlichen Diskurs einzubinden. Nur so können die notwendigen Veränderungen und Belastungen, aber auch die Chancen des Umbaus unserer Energieversorgung erkannt, nachvollzogen und gemeinsam getragen werden.

Ich komme mit dieser Überleitung auf den Antrag von CDU und FDP zu sprechen, für den ich Abstimmung in der Sache beantrage. Mit unserem Antrag befürworten wir für große Leitungsbauprojekte eine frühzeitige Beteiligung der Betroffenen durch Dialogforen, wie sie beispielsweise im Zusammenhang mit der Fehmarnbelt-Querung erprobt werden.

(Anke Spoorendonk)

Für Konfliktfelder auf lokaler Ebene bitten wir die Landesregierung, die Erarbeitung eines Konzepts für eine ehrenamtliche Ombudsstelle speziell für den Fachbereich erneuerbare Energien zu prüfen und dem Landtag hierzu bis Oktober 2011 einen Bericht vorzulegen.

Es ist innenpolitisch und energiepolitisch unser Ziel, Konflikte im Bereich der erneuerbaren Energien nach Möglichkeit zu vermeiden. Wenn wir hier durch Transparenz oder Streitschlichtung eine Verbesserung bewirken können, ist das eine Chance, die nicht ungenutzt bleiben sollte.

Meine Damen und Herren, die Bürger und das Land haben etwas davon, wenn es gelingt, auf diese Weise Verwaltungs- und gegebenenfalls auch Gerichtskosten zu senken, und wenn sich notwendige Großvorhaben möglichst spannungsfrei umsetzen lassen.

Sicherlich wird man nicht immer alle unterschiedlichen Auffassungen durch Information oder Streitschlichtung miteinander vereinen können. Oftmals entstehen Widerstände aber auch nur deshalb, weil es an Transparenz fehlt oder weil die Suche nach einvernehmlichen Lösungen zu spät einsetzt.

Der Ausstieg aus der Kernenergienutzung ist für Deutschland und Schleswig-Holstein eine Herausforderung. Er bedeutet aber vor allem eine Chance gerade auch für die kommenden Generationen. Unser Land ist Vorreiter auf dem Weg in die Energieversorgung der Zukunft. Deutschland könnte als erste große Industrienation die Wende zu einem hocheffizienten Erneuerbaren-Energien-System schaffen. Das eröffnet zugleich Chancen für die Entwicklung neuer Technologien und Produkte für den Energiebereich und damit für Beschäftigung und Wachstum.

In Schleswig-Holstein, dem Mutterland der Windenergieerzeugung, sind gute Voraussetzungen vorhanden, die sich auch für die Offshorebranche als interessant und nützlich erweisen werden. Für die Offshore-Windenergie wird in den kommenden Jahren ein erhebliches Wachstum vorhergesagt. Von den milliardenschweren Investitionen können alle maritimen Branchen profitieren. Das betrifft die Häfen, das betrifft die Werften, und das betrifft die Zulieferindustrie.