Protokoll der Sitzung vom 30.06.2011

Der Omnibusverband Nord bezeichnet die Auflagen im SPD-Gesetzentwurf als „denkbar ungeeignet und nicht zielführend“. Noch vernichtender ist das Urteil des Einzelhandelsverbandes, der sagt ich zitiere -: „Der Gesetzentwurf der SPD-Landtagsfraktion lässt den Aspekt der Mittelstandsförderung vermissen.“ Diesem Fazit ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der FDP)

Die Anhörung zum Gesetz hat deutlich gemacht, um welche Alternativen in der Wirtschaftspolitik es in der Zukunft geht. Die Oppositionsfraktionen von SPD, Grünen und Linken streben eine andere Mittelstandspolitik an - mit gesetzlichen Mindestlöhnen, sozialen und ökologischen Sonderauflagen für unsere Betriebe, mehr Bürokratie und staatlicher Kontrolle. Hierdurch würden Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze in Schleswig-Holstein gefährdet. Das sage ich ganz deutlich. Wir haben Vertrauen in den Mittelstand. Wir vertrauen auf die Leistungskraft und Verantwortung des Mittelstandes in Schleswig-Holstein, und dies unterstützen wir.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Regina Poersch das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir aus der Anhörung zu den beiden Gesetzentwürfen, die wir jetzt beraten, eines lernen können, dann das: Mit einer funktionierenden Tariftreueregelung macht die öffentliche Hand klar, wofür sie steht: für gute Arbeit, für faire Wettbewerbsbedingungen, für Verantwortung für die Bedingungen, zu denen Land und Kommunen Leistungen einkaufen. Damit wird Tariftreue zu einem zentralen Thema der Wirtschaftspolitik.

Wir sind eine ganze Weile davon ausgegangen, dass wir CDU und FDP für unseren Vorschlag für ein Vergabe- und Tariftreuegesetz - das funktionierende Mittelstandförderungsgesetz wollten wir gar nicht anfassen, Kollege Callsen - gewinnen können. Das ist uns nicht gelungen. Der Gesetzentwurf der Regierung bleibt deutlich hinter unseren Vorstel

(Johannes Callsen)

lungen zurück. In einem Punkt geht er jedoch zu weit: Der Vorrang von Privatisierung hat mit Mittelstandsförderung rein gar nichts zu tun,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

schon gar nicht in der Pauschalität, in der es die Regierung in ihren Gesetzentwurf beschrieben hat. Deshalb gehört er gestrichen.

Privat erbrachte Leistungen sind nicht per se besser, kostengünstiger, bürgerfreundlicher, transparenter oder volkswirtschaftlich sinnvoller. Bei vorangegangenen Privatisierungen haben wir alle unsere leidvollen Erfahrungen gemacht. Denken Sie nur an die vielen privatisierten Stadtwerke!

Ein großes Anliegen sind uns in der Tat die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Sie gehören nach unserer Auffassung ins Gesetz und nicht bloß in einen Erlass oder eine Verordnung. Hier bleibt der Regierungsentwurf nicht nur hinter unseren Vorstellungen zurück, sondern auch hinter seinem Vorbild, dem hamburgischen Vergabegesetz.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP und von der Landesregierung, wenn Sie argumentieren, dass die Kernarbeitsnormen der ILO vergabefremd sein sollten, dann ist es die Bekämpfung der Schwarzarbeit auch und die Tariftreue erst recht. Dabei geht es im Kern um nichts anderes als um die Verantwortung für die Bestellung von Leistungen und Lieferungen im Bereich der öffentlichen Verwaltung.

Nicht mehr und nicht weniger, als dass Steuerzahlerinnen und Steuerzahler davon ausgehen können müssen, dass hinter bestellter Ware oder verbautem Material keine Kinderarbeit und keine Zwangsarbeit steckt, dass Männer und Frauen für gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Hier trägt jede und jeder Verantwortung, die oder der Aufträge aus Steuermitteln vergibt und bezahlt. Es darf nicht sein, dass in Deutschland - in Schleswig-Holstein - zum Beispiel Straßen mit Steinen gebaut werden, die in fernen Ländern von Kindern unter unzumutbaren Bedingungen gehauen wurden. Es darf nicht sein, dass hierzulande möglicherweise Behörden weniger Geld für Waren bezahlen, die anderswo durch Zwangsarbeit hergestellt wurden. Wenn wir hier in Deutschland und in Schleswig-Holstein für Geschlechtergerechtigkeit eintre

ten, dürfen wir nicht wirtschaftlich davon profitieren, dass anderswo Frauen mit Niedrigstlöhnen abgespeist werden.

(Beifall bei SPD, der LINKEN und SSW)

Der frühere hamburgische CDU-Senat und die frühere hamburgische CDU-Mehrheit in der Hamburgischen Bürgerschaft haben das erkannt und ein entsprechendes Gesetz geschrieben. Tun Sie es doch bitte auch!

Der gesetzliche Mindestlohn ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein großes Thema. Andere Bundesländer ziehen eine Mindestlohnregelung im Rahmen ihrer jeweiligen Tariftreuegesetze vor. Wir haben von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, dass wir einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn für richtig halten, einen gesetzlichen Mindestlohn, der auch dort greift, wo tarifliche Regelungen versagen, einen Mindestlohn, der jeder und jedem zusteht und der es ermöglicht, von Vollzeitarbeit menschenwürdig leben zu können. 1,4 Millionen Erwerbstätige beziehen Arbeitslosengeld II. Das ist fast ein Drittel der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Der Grund dafür sind Niedriglöhne, bei denen selbst mit Vollzeitarbeit das Existenzminimum nicht abgedeckt wird. Niedrige, nicht-existenzsichernde Löhne werden aus Steuermitteln subventioniert. Dieser Missstand gehört abgeschafft.

(Beifall bei SPD und SSW)

Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass wir das bundesgesetzlich regeln sollten. Deswegen haben wir noch einmal einen Antrag eingebracht. Die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat sind inzwischen so, dass eine Initiative Schleswig-Holsteins für einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn gute Chancen hätte, gehört zu werden - anders als das noch vor ein paar Monaten der Fall war.

(Christopher Vogt [FDP]: Aber nicht auf Ih- rer Grundlage!)

Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD, SSW und der Abgeordne- ten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Christopher Vogt das Wort.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

(Regina Poersch)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aller Voraussicht nach werden wir heute ein Thema zum Abschluss bringen, das uns in dieser und - wie ich als neuer Abgeordneter lesen konnte - auch in der vergangenen Legislaturperiode schon mehrfach im Plenum und im Ausschuss beschäftigt hat. Nach dem Rüffert-Urteil 2008 sorgen wir nun wieder für eine europarechtskonforme Tariftreueregelung in Schleswig-Holstein. Es geht dabei um eine rechtssichere Neuregelung. Es würde keinen Sinn machen, dass wir nach diesem Urteil wieder etwas zustande bringen, was vor Gericht keinen Bestand hat. Diese Neuregelung verbindet faire Entlohnung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit einer mittelstandsfreundlichen Vergabe und fairem Wettbewerb.

Nach der Prüfung, ob wir nach diesem Urteil überhaupt wieder eine Tariftreueregelung in SchleswigHolstein einführen sollten, haben wir uns in der Koalition dazu entschieden, eine Tariftreueregelung nach Hamburger Vorbild in ein novelliertes Mittelstandsförderungsgesetz aufzunehmen. Dort ist es aus unserer Sicht auch an genau der richtigen Stelle angesiedelt. Diese Lösung ist auch nicht nur ein Beitrag zur Entbürokratisierung - es reden immer alle gern darüber, nur wenige bringen Beiträge dazu -, sondern auch zur Harmonisierung der Wirtschaftsgesetzgebung im Norden. Hier reden alle viel vom Nordstaat, aber wenn es dann konkret wird, wird es meistens etwas schwammiger. Insofern regeln wir mit diesem Gesetz genau das, was wir auf Landesebene dazu regeln können. Eine Überregulierung wie in Bremen - aus unserer Sicht ist es eine Überregulierung - lehnen wir schlicht und einfach ab.

Die Opposition hält in unterschiedlicher Ausprägung die Bremer Lösung - das haben wir heute schon gehört - für sehr vorbildlich. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich finde, dass Bremen eine nette Stadt und ein kleines, schnuckeliges Bundesland ist, aber die Wirtschaftspolitik aus Bremen sollten wir uns nicht zum Vorbild nehmen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Insofern - auch wenn ich mir selbst schon blöd dabei vorkomme - muss ich ganz ehrlich sagen, dass wir in einer sozialen Marktwirtschaft und nicht in einer Staatswirtschaft leben. Bei einigen Vorschlägen aus der Opposition muss man aber einen anderen Eindruck gewinnen. Ich schließe einige aus der Opposition dabei aus. Aber es gibt einige Vorschlä

ge, wo man wirklich sagen muss: Das ist schon ein merkwürdiges Staats- und Wirtschaftsverständnis.

(Zuruf des Abgeordneten Thomas Rother [SPD])

Insofern ist es das Ziel der Wirtschaftspolitik von FDP und CDU, für nachhaltiges Wachstum zu sorgen, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen. Der Mittelstand steht dabei im Mittelpunkt. Diese Gesetzesnovellierung ist auch ein Beitrag dazu, dass wir unserem gesetzten Ziel, in den nächsten Jahren schrittweise das mittelstandsfreundlichste Bundesland Deutschlands zu werden, ein weiteres Stück näherkommen. Im Gegensatz zu Teilen der Opposition wollen wir keine überregulierten Gesetze schaffen, die europarechtlich keinen Bestand haben würden. Das würde letztlich niemandem weiterhelfen. Die Tariftreueregelung - das ist zumindest Teilen im Parlament auch bekannt - hat deklaratorischen Charakter, aber sie ist eben ein wichtiges Signal an den Mittelstand und vor allem an unser Handwerk.

Die Vergabe durch mittelstandsfreundliche Lose bei öffentlichen Aufträgen unterstützt unsere heimische Wirtschaft deshalb, weil unsere Wirtschaft eben so mittelständisch geprägt ist, wie sie ist. Das Gesetz betont insofern auch den Vorrang der privaten Leistungserbringung. Mir ist schon klar, dass Sie das komplett anders sehen. Wir sind jedoch der Meinung, dass sich der Staat dort heraushalten sollte, wo Private diese Leistung gut und richtig erbringen können.

(Vereinzelter Beifall bei FDP und CDU)

Wir sind deshalb dafür, dass wir einen Vorrang der privaten Leistungserbringung in diesem Gesetz festschreiben.

Wir regeln neben der öffentlichen Vergabe von Aufträgen genau das, was den Mittelstand ebenfalls direkt betrifft. Das Schöne ist, dass wir uns durch die umfangreichen Anhörungen - ich glaube, es waren zwei - alle in unserer Auffassung bestätigt fühlen - ich meine, wir zu Recht. Bei den anderen müssen das die jeweiligen Fraktionen selbst für sich rechtfertigen. Aus diesem Grund werden wir unserem Entwurf beziehungsweise dem Entwurf der Landesregierung heute - wie auch schon im Ausschuss - unsere Zustimmung geben und die Entwürfe der Opposition ablehnen.

Bei der SPD-Fraktion möchte ich allerdings etwas anerkennen - manchmal stänkere ich ein bisschen gegen die SPD - und sie einmal loben. Herr Stegner ist jetzt leider nicht hier, was ich eigentlich schade

finde. Ich möchte anerkennen, dass Sie in dem Bereich, der ein wichtiges Thema für die SPD ist, anscheinend Fortschritte machen. Im Gegensatz zu Grünen und Linken haben Sie erkannt, dass ein Mindestlohn im Tariftreue- und Vergabegesetz keinen Sinn macht. Das haben Sie erkannt. Und Sie haben einen Antrag dazu geschrieben, der bemerkenswert ist, weil er von Ihrer bisherigen Haltung ein Stück abweicht. Aber ich glaube, es ist ein konstruktiver Vorschlag, eine Kommission einzusetzen. Bisher haben Sie immer andere Vorschläge gemacht. Allerdings werden wir Ihrem Antrag heute nicht zustimmen können, weil schlicht und ergreifend

(Zuruf des Abgeordneten Peter Eichstädt [SPD])

ich möchte das gern erklären - für eine Bundesratsinitiative der Antrag viel zu allgemein gehalten ist. Bei Ihrem Antrag stellt sich nämlich die Frage, wer hier wen berufen oder wählen soll, um auf welcher Grundlage eine Lohnuntergrenze festzulegen. Es stellt sich auch die Frage, ob es eine einheitliche Lohnuntergrenze geben soll oder ob die Lohnuntergrenze branchen- und regionalspezifisch unterschiedlich sein soll, so wie wir es für richtig halten. Diese Frage ist im Antrag nicht beantwortet. Deshalb können wir ihm nicht zustimmen. Es stellt sich weiterhin die Frage, welchen Rechtsschutz es geben soll. Auch diese Frage ist im Antrag nicht beantwortet. Der Hinweis auf Großbritannien beantwortet diese Frage nicht.

Meine Damen und Herren, außerdem hat die Tarifautonomie in Schleswig-Holstein Verfassungsrang. Unbestritten ist natürlich auch, dass es Missbrauch gibt. Das sind natürlich Ausnahmen. Aber es gibt diesen Missbrauch in diesem Bereich. Wir müssen feststellen, dass es bundesweit eine relativ hohe Zahl von Aufstockern gibt. Im Bereich der sogenannten Vollzeit-Aufstocker sind es 300.000 Menschen, die davon betroffen sind. Wir müssen zu differenzierten Lösungen kommen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Einigung über Lohnuntergrenzen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im schleswig-holsteinischen Bäckereihandwerk, die Arbeitsminister Garg Anfang des Monats für allgemein verbindlich erklärt hat.

Ich glaube, das ist ein guter Weg. Insofern kann ich die Oppositionsfraktionen nur einladen, dem Gesetzentwurf der Landesregierung zuzustimmen. Ich freue mich auf die Abstimmung.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Dr. Andreas Tietze das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir eine kleine Vorbemerkung, gerichtet an den Kollegen Callsen. Ich kann mir das nicht verkneifen. Herr Callsen, nach Ihrem Wirtschaftswachstumsdenken muss man die Leute vor die Bäume rasen lassen mit 200, und der Autoindustrie, der Versicherungsbranche und der Sargindustrie ist gedient. Die Wirtschaft wächst.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Das glauben Sie doch selber nicht! - Weitere Zu- rufe von der CDU)