Protokoll der Sitzung vom 24.08.2011

Vor allem brauchen wir keine zentralistische Bundesanstalt für Bildung. Vielmehr wäre darüber nachzudenken, den Kommunen als Schulträger mehr Verantwortung zu geben.

Zweitens. Da sind wir dann näher beieinander. Wir brauchen ein echtes gelebtes Miteinander aller staatlichen Ebenen in der Bildungspolitik.

Für die besten Startchancen in der Bildung zu sorgen, müssen wir als gesamtstaatliche Verantwortung begreifen.

(Zuruf des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Ein erster richtiger Schritt war es, dass wir als Schleswig-Holsteinischer Landtag die Landesregierung beauftragt haben, eine Bundesratsinitiative zur Aufhebung des Kooperationsverbots zu starten. Denn das Kooperationsverbot ist und war nie zeitgemäß. Das haben wir bereits bei seiner Einführung gesagt und daher auch im Deutschen Bundestag ab

(Martin Habersaat)

gelehnt. Als FDP haben wir hier immer eine klare Meinung vertreten.

Es ist richtig: Wir setzen uns auf Bundesebene für gemeinsame Bildungsstandards ein. Gleichzeitig bekennen wir uns aber auch zum Wettbewerb zwischen den Ländern. Wir Liberale plädieren dafür, einen gemeinsamen Rahmen für die Bildungspolitik zu schaffen. Zentrale Punkte sind Transparenz und Wettbewerb sowie Qualitätssicherung und die Vereinbarung vergleichbarer Standards.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir wollen uns auf Bundesebene in diesem Sinne engagieren. Wir wollen gemeinsame Projekte auf den Weg bringen. Wir wollen hier aber auch die regionalen und gemeinsamen Unterschiede achten. Vorstellbar sind aus unserer Sicht die Unterstützung von Brennpunktschulen durch den Bund, die Förderung lernschwacher Schüler oder auch verhaltensauffälliger, wie es jetzt schon mit der Schulsozialarbeit angelaufen ist, und der Ausbau von Ganztagsangeboten.

Ein partnerschaftliches Miteinander von Bund, Ländern und Kommunen ist es, was wir im Bildungsbereich brauchen. Pragmatische, zielorientierte Lösungen müssen das Gebot sein. In dieser Diskussion liegen Chancen, Chancen, die wir ergreifen können, und das sollten wir auch tun. Deshalb freue ich mich darauf, mit Ihnen im Bildungsausschuss weiter zu diskutieren und auch darüber zu diskutieren und zu debattieren, um Ihren Antrag weiterzuentwickeln.

(Beifall bei der FDP - Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abzu- wickeln! - Zuruf von der SPD)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Björn Thoroe das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einem Punkt sind wir uns alle einig: Das Kooperationsverbot hat sich nicht bewährt. Dann enden allerdings auch schon die Gemeinsamkeiten. Wir wollen einen Weg aufzeigen, wie die drängenden Probleme im Bildungssystem angemessen gelöst werden können. Dafür bedarf es aber einer grundlegenden Neugestaltung der Bildungspolitik in Deutschland.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau diesem Anspruch werden wir mit unserem Antrag gerecht. Unser Antrag ist in vielen Punkten weitergehender als der Antrag der Grünen. Nach Meinung der LINKEN bedarf es nicht nur gut klingender Einheitsrhetorik. Es reicht in unseren Augen nicht aus, die Notwendigkeit einer bundeseinheitlichen Regelung festzustellen, wie es die Grünen tun. Wir brauchen eine politische Diskussion, welchen Weg die Bildungspolitik in Deutschland einschlagen soll.

(Beifall bei der LINKEN)

Einheitlichkeit ist dabei schön und gut, aber wenn damit die bundesweite Manifestierung des gegliederten Schulsystems einhergeht, ist das in den Augen meiner Fraktion keine geeignete Strategie gegen soziale Ungerechtigkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Den Bildungsföderalismus neu gestalten heißt nicht nur bundeseinheitliche Strukturen zu schaffen, es ist auch und vor allem eine Frage der Ausgestaltung dieses Bildungssystems. Dies muss von Anfang an mitdiskutiert werden. Die Position der LINKEN ist dabei eindeutig.

DIE LINKE will eine Schule für alle und Kooperation statt Wettbewerb zwischen den Bundesländern. DIE LINKE will den Zugang zu den Hochschulen bundesweit erleichtern und das Kooperationsverbot kippen. Nach Ansicht der LINKEN ist dabei aber auch entscheidend, dass die Ausfinanzierung des Bildungssystems abgesichert wird. Verschämt schweigt Schwarz-Gelb mittlerweile über das sogenannte 10-%-Ziel. 10 % des Bruttoinlandsprodukts sollen für Bildung zur Verfügung gestellt werden, hatten die Kanzlerin und ihre Wissenschaftsministerin vollmundig verkündet. Nichts davon ist übrig geblieben. Wieder wurden nur Sonntagsreden geschwungen, denen keine Taten folgten.

Wenn das Bildungssystem endlich ausfinanziert wäre, hätten Sie sich auch die unsinnige Mauschelei um die Überführung des IFM-GEOMAR in die Helmholtz-Gemeinschaft sparen können, Herr de Jager. Sie hätten uns auch die haarsträubende Begründung zur wissenschaftlichen Neuausrichtung erspart, die nicht vom politischen Kuhhandel um die Millionen des Bundes abzulenken vermag.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch die unsägliche Diskussion um die Uni Lübeck hätten wir dann nicht führen müssen.

(Cornelia Conrad)

Wir wollen mit unserem Antrag eine nachhaltige Bildungspolitik erreichen. DIE LINKE will, dass die allgegenwärtige Projektitis ein Ende hat, eine Projektitis, die befristete Projekte mit Bundesmitteln anstößt, die dann aufgrund knapper Kassen in den Kommunen nicht weitergeführt werden können. Dann verlaufen angestoßene Ideen im Sande, alle Beteiligten sind frustriert und die ohnehin knappen Mittel verschwendet.

Ich weise auch auf die Rahmenbedingungen und die Finanzierung der beruflichen Aus- und Weiterbildung hin. Für DIE LINKE endet der Lernprozess nicht nach Abschluss der Berufs- oder Hochschulausbildung. Die Prämisse des lebenslangen Lernens muss unabhängig vom sozialen Status gewährleistet werden. Dass wir dank der schwarz-gelben Kürzungen bei den Trägern der Erwachsenenund Weiterbildung gerade auf dem besten Weg sind, das wohnortnahe Bildungsangebot in Schleswig-Holstein abzuschaffen, ist für DIE LINKE nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Schleswig-Holstein braucht seine Bildungsstätten. DIE LINKE fordert, dass der Bund finanzielle Mittel auch für diesen Bildungsbereich zur Verfügung stellt. Um am Ende noch einmal klarzustellen, es geht nicht um Zentralismus, es geht nicht um Gleichmacherei, sondern es geht darum, in kooperativer Zusammenarbeit einen gemeinsamen Rahmen zu schaffen und gemeinsame Ziele zu formulieren - Ziele, die nicht nur aus reinem Selbstzweck einheitlich sind, sondern grundlegende Antworten auf die Unterfinanzierung des Bildungssystems geben. Die Bildungsfrage muss auch als soziale Frage gesehen werden. DIE LINKE kämpft bundesweit, also auch hier in Schleswig-Holstein für ein soziales und ausfinanziertes Bildungssystem.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion des SSW erteile ich Frau Fraktionsvorsitzender Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Forderung nach bundesweit einheitlichen Regelungen für das Bildungssystem reagieren die Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf die zunehmende Unzufriedenheit mit dem bundesdeutschen Bildungsföderalismus. Ob die angedeutete Peitsche, die Bildungspolitik allein

dem Bund zu überlassen, zielführend ist, wage ich allerdings zu bezweifeln. Mit so wenigen Fehltritten kann man nach Meinung des SSW das historisch gewachsene System des Bildungsföderalismus nicht mal eben ändern.

Allerdings ist die Unzufriedenheit der Bevölkerung ein klares Indiz dafür, dass hier etwas getan werden muss. Dennoch möchte ich ein Fragezeichen an die Forderung setzen, den Bildungsföderalismus an sich zu schmälern oder gleich ganz abzuschaffen. Dass er die Quelle allen Übels in der Bildungspolitik sein soll, mag also dahingestellt sein.

Richtig ist allerdings, dass die Befürworter des überarbeiteten Bildungsföderalismus als Ergebnis der Föderalismusreform I einen bildungspolitischen Wettbewerb zwischen den Ländern wollten, und zwar frei nach dem Motto: die besten Ideen ausprobieren und in andere Länder exportieren. Stattdessen haben wir ein beispielhaftes Lehrstück dafür bekommen, dass Wettbewerb nicht nur produktiv sein kann, sondern bei fehlenden Ressourcen vor allem zerstörend. Dass Schleswig-Holstein in den Verhandlungen der Föderalismuskommission vor dieser Fehlentwicklung gewarnt hat, ist rückblickend ein schwacher Trost. Kooperation und Konkurrenz liegen nah beieinander, und aktuell überwiegen in den Ländern ganz klar die eigenen Interessen vor denen der gesamten Republik.

Dies ist ein Hauptübel des gelebten Bildungsföderalismus. Übergeordnet betrachtet scheinen die Bundesländer vergessen zu haben, dass Bildung eine nationale Aufgabe ist und gemeinsam angepackt werden muss. Die Länder tragen gemeinsam die Verantwortung für den Bildungsstandort Deutschland. Dabei kann es nicht darum gehen, dass alle den gleichen Weg gehen. Wichtig sind aber solidarisches Handeln und gemeinsame Zielvereinbarungen, die über - in den Ländern unterschiedlich ausgestaltete - Bildungsstandards hinausgehen.

Der Föderalismus hat gerade im Bildungsbereich viele Vorteile. Er bietet die Chance, vor Ort auf Probleme zu reagieren und relativ flexibel zu agieren. Die Angelegenheiten bleiben überschaubar und verstehbar, und sowohl historische als auch regionale Besonderheiten können berücksichtigt werden. In der Schulpolitik kann man einheitliche Bildungsstandards setzen, aber es kommt vor Ort in den Schulen auf die Umsetzung an. Die Qualität von Schule bestimmt sich in großem Maße durch die Eigenverantwortung vor Ort und eine inhaltliche Diskussion, die ganz bestimmt nicht auf höherer Ebene zu führen ist.

(Björn Thoroe)

Es ist zudem ein Vorurteil, dass der Bund per se alles besser macht. Es wird nie danach gefragt, wie der Bund die Bildung besser machen sollte oder was der Bund überhaupt tun könnte. Ich denke, es wäre klar, dass man ganz schnell ein Superministerium schaffen würde, das den aktuellen Herausforderungen in der schleswig-holsteinischen Bildungspolitik noch weniger gerecht werden könnte als die jetzige Landesregierung.

Für den SSW steht fest: Wir wollen nicht die Abschaffung des Bildungsföderalismus, sondern seine Modernisierung. Dafür brauchen wir eine Föderalismusreform III, die allerdings nicht mit der Brechstange zu haben sein wird. Ein erster Schritt muss sein, dass der Weg für eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe geebnet wird, die einen konsensfähigen Vorschlag zur Änderung des Bildungsföderalismus erarbeitet. Diese Arbeitsgruppe darf aber keine rein exekutive Veranstaltung werden. Nicht nur der Bundestag, sondern auch die Landesparlamente sind ausreichend zu beteiligen, das haben uns die vorhergehenden Föderalismuskommissionen zu Genüge gelehrt. Die Zeit der Absichtserklärungen ist vorbei, jetzt muss gehandelt werden. Ich denke, zumindest in diesem Punkt sind wir mit den Grünen einer Meinung.

Die Einführung eines Kooperationsverbots war ein Fehler, der geheilt werden muss, denn letztlich kommt das Eingeständnis dieses Fehlers nicht nur den finanzschwachen Bundesländern, sondern allen Bundesländern zugute. Dass es nur so möglich sein wird, die Intentionen des Bildungsgipfels von Bund und Ländern aus dem Jahr 2008 umzusetzen, füge ich in Klammern hinzu.

Parallel zu diesem ganz dicken Brett sollte man aus Sicht des SSW auch andere pragmatische Schritte ins Auge fassen, um den Bildungsföderalismus zu modernisieren. Die Länder müssen sich zum Beispiel die Frage gefallen lassen, warum ihr Engagement in der KMK immer weiter nachlässt. Wir meinen, wir brauchen eine Stärkung der KMK durch andere Führungs- und Entscheidungsstrukturen, ein handlungsfähiges Sekretariat und ein auskömmliches Budget. Statt die gesamte Bildungszuständigkeit auf den Bund zu verlagern, brauchen wir die Stärkung eines solidarischen Föderalismus verbunden mit einer Belebung der gesamtstaatlichen Verantwortung in Bund und Ländern im Bildungsbereich. Nur so werden wir aus Sicht des SSW unser Bildungssystem zukunftsfähig gestalten können.

(Beifall beim SSW)

Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herrn Dr. Robert Habeck, das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn die Landesschülervertretungen zum Bundesschülervertretungstreffen zusammenkommen, dann spielen sie ein Spiel. Das Spiel heißt: Ich sage dir, welches Schulsystem ich habe, und du sagst mir, aus welchem Bundesland ich komme. Weil die Schüler dort Fachleute sind, kriegen sie das meistens raus, aber alle anderen würden scheitern, denn nach den Zählungen, die mir vorliegen, haben wir in Deutschland allein in der Sekundar- und in der Primarstufe I 64 verschiedene Schulsysteme. Hier von einem kooperativen Wettbewerb zu sprechen, ist falsch. Das ist einfach zu viel, und ich glaube, es ist unproduktiv und - in meinen Worten - Schwachsinn, das zu machen und fortzusetzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Deswegen möchte ich zwei Aussagen widersprechen. Frau Conrad, Sie haben gesagt, wir müssen im Bund Rahmenbedingungen festsetzen. So weit, so gut, das ist der Punkt. Genau darum geht es, nämlich Rahmenbedingungen festzusetzen. In Ihren wenig klaren Ausführungen haben Sie jedoch keine Rahmenbedingungen definiert, sondern Sie haben ein Sammelsurium von Instrumenten vorgeschlagen, die eben nicht helfen werden, dieses KleinKlein in der Bildungspolitik aufzubrechen. Ja, wir wollen Rahmenbedingungen!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Franzen, Sie haben gesagt, die Grenze für uns sei der bestehende Länderföderalismus. Ich sage Ihnen: Für meine Fraktion hat der Länderföderalismus nur dann eine Zukunft, wenn es gelingt, einen sinnvollen kooperativen Bildungsföderalismus zu entwickeln. Wenn das nicht gelingt und wenn die Länder nicht ihrer zentralen Aufgabe gerecht werden, Bildung chancengerecht für alle Menschen umzusetzen und die Durchlässigkeit innerhalb des Systems und über die Grenzen hinweg umzusetzen, dann wird auch der Föderalismus, wie wir ihn in der Bundesrepublik kennen, keinen Bestand haben können. Das ist der erste Punkt. Bildung ist das Erste, die Struktur der Länder muss ihr folgen.

(Anke Spoorendonk)

Das ist auch die Bedeutung dieser Debatte, die nicht hoch genug anzusiedeln ist. Wir haben in Deutschland historische Fehlentscheidungen getroffen. Wir haben uns auf einen Bologna-Prozess geeinigt, und Europa rückt zusammen. Wir überlegen gemeinsame Standards in der Hochschulbildung. Parallel dazu entscheiden wir im Rahmen der Föderalismusreform II, dass es keine einheitlichen Standards geben kann und dass der Bund sich noch nicht einmal einmischen darf. Völlig gegen die europäische Laufrichtung haben wir einen historischen Fehler gemacht.