Protokoll der Sitzung vom 24.08.2011

(Beifall bei CDU und FDP)

Beides Mal waren Sie beteiligt. Es ist richtig, dass das auf unser Ansinnen hin hineingekommen ist, aber Sie waren der Innenminister und haben dem zugestimmt. Ich halte das auch für eine vernünftige Regelung.

(Minister Klaus Schlie)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, neben der angestrebten verpflichtenden Einführung von Seniorenbeiräten - warum eigentlich nur in Gemeinden mit mehr als 8.000 Einwohnerinnen und Einwohnern? - halte ich auch die angedachten Änderungen bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid für bedenklich, die die Funktionsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung dann beeinträchtigen würden, wenn Sie kleinen Minderheiten Mittel an die Hand geben, die Umsetzung von Entscheidungen demokratisch legitimierter Organe zu blockieren.

Im Gesetzentwurf der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zählen viele Vorschläge ausschließlich auf eine Gemeindegebietsreform. Zudem enthält er Vorgaben, die in keiner Weise nachvollziehbar sind. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass die Vorschläge der Grünen auf möglichst schnelle Veränderungen ohne klare Konzepte abzielen. Sie haben die Konzepte zwischenzeitlich ja mehrmals geändert. Ich habe einmal versucht, das alles nachzuvollziehen.

(Zurufe)

- Nein, ich halte das für legitim, nicht dass Sie denken, das würde ich kritisieren.

(Zurufe)

Ich selber habe ja auch einen Veränderungsprozess in meinen Vorstellungen durchgemacht, allerdings basiert mein Änderungsprozess auf der Vorstellung von mindestens 2.500 Kommunalpolitikern, Ihrer auf der von ungefähr 12.

(Heiterkeit und Beifall bei CDU und FDP)

Aus fachlicher Sicht - ich meine das wirklich ernst, ich habe das gemeinsam mit denjenigen diskutiert, die sich intensiv mit dieser Frage im kommunalen Raum beschäftigt haben - ist im Entwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN leider nichts Brauchbares zu finden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gesetzentwurf der Landesregierung ist das Ergebnis intensiver Erörterungen mit zahlreichen Vertretern der kommunalen Ebene. Dieser Aufwand - davon bin ich überzeugt - hat sich gelohnt. Das Ergebnis setzt nun nicht nur verfassungsrechtliche Vorgaben rechtssicher um, sondern hat dazu auch bei den kommunalen Landesverbänden und in der Breite der kommunalen Vertretungen viel Zustimmung erfahren. Mehr kann ein Innenminister nicht erwarten. Wenn auch Sie dem nun noch alle zustimmen, bin ich glücklich.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Robert Habeck das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin dem Minister außerordentlich dankbar, dass er deutlich gemacht hat, dass wir nicht einer Meinung sind, wie man nach dem Vortrag des Kollegen Rother den Eindruck hätte haben können.

Meine Damen und Herren, ich bin in Heikendorf groß geworden. Ich weiß, wie es sich anfühlt, gegen Schönkirchen zu verlieren. Ich habe mich mit Schönbergern geprügelt. Ein Laboer hat mir einmal eine Freundin ausgespannt, und die Brodersdorfer waren sowieso bescheuert, weil sie immer in der Schule die Klasse dichtgemacht haben. Mit anderen Worten: Ich weiß, wie es sich anfühlt, in einem Dorf aufzuwachsen, aber frage mich: Sind das starke politische Argumente? - Nein, das sind sie nicht.

Ich habe die letzten zehn Jahre in Großenwiehe gelebt, auch ein nicht besonders großes Dorf. Ich weiß, wie wir jahrelang hämisch über das Gewerbegebiet in Wanderup gelacht haben, bis in Wanderup auf einmal die ganzen Solarscheunen entstanden sind und wir eifersüchtig geguckt haben, wie sich Wanderup entwickelt. Ich frage mich: Ist der Streit zwischen Gemeinden ein starkes politisches Argument?

Ich weiß von dem Streit zwischen Gemeinden über Oberstufenzentren an Gemeinschaftsschulen, ich weiß um die Auseinandersetzungen bei der Genehmigung neuer Baugebiete und den Streit mit den zentralen Orten, die meist auch nicht größer sind als die Orte, die die Baugebiete haben wollen. Aber ist es klug, sich von seiner Eifersucht und Häme leiten zu lassen? - Die Antwort kann doch nur lauten: Nein, es ist nicht klug.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Meine Damen und Herren, wir brauchen zu Beginn der Debatte einen starken Begriff von kommunaler Selbstverantwortung. Worüber reden wir eigentlich? Das ist mehr als nur Rhetorik. Kommunale Selbstverantwortung bedeutet, dass in der Kommune die Menschen über die Angelegenheiten, die

(Minister Klaus Schlie)

sie unmittelbar betreffen, direkt entscheiden sollten. Das ist das Prinzip der Debatte. Wenn das nicht eingehalten wird, wenn nicht mehr Aufgaben vorliegen, die das Leben in der ersten staatlichen Instanz direkt betreffen - Schule, Kita, Kultur und später das Altersheim -, dann haben wir keinen starken Begriff mehr von kommunaler Selbstverantwortung. Wenn die Aufgaben in Gremien entschieden werden, wo kein direkter demokratischer Einfluss gegeben ist, geben wir den Begriff von starker kommunaler Selbstverwaltung preis. Das muss verhindert werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Herr Minister Schlie, es ist leicht, „alle Macht den Dörfern“ zu rufen, wenn die Dörfer faktisch ohnmächtig sind. Dann nützt es auch nichts, auf 2.000 Kommunalpolitiker zu verweisen. Es geht um Strukturen und einen starken, einen normativen Begriff von Kommunalpolitik. Ihre Gesetzesvorlage das gebe ich gern zu - heilt den Verfassungsverstoß, den das Landesverfassungsgericht festgestellt hat, für den Moment, aber er geht nicht von einem starken Begriff kommunaler Selbstverantwortung aus, er stellt die Frage gar nicht, sondern höhlt diese nur immer mehr aus, indem er sich einzig von der Form leiten lässt und auf Verfahren konzentriert, er geht nicht auf die Substanz von Kommunalpolitik ein.

Was schlimmer ist: Er ist nicht zukunftsfest. Das war eher noch Ihr alter Entwurf, der die Streichung von § 5 Gemeindeordnung vorsah. Um das zu belegen, zitiere ich einen starken Leumund gegen den Innenminister, nämlich den Innenminister Schlie selbst, der in der Zeitung „Die Gemeinde“ des Schleswig-Holsteinischen Landkreistags ausgeführt hat, als er noch auf einem anderen Trip war - dem ist nichts entgegenzusetzen -:

,,Angesichts all dieser Rechtsunsicherheiten wird mit einer Kataloglösung kaum sicherzustellen sein, dass kein einziges Amt den Charakter eines Gemeindeverbandes erlangen kann… Im Ergebnis weist daher eine Kataloglösung nicht aus sich heraus die notwendige Flexibilität aus, sondern müsste ständig überprüft und gegebenenfalls regelmäßig in einem erneuten, entsprechend aufwendigen Gesetzgebungsverfahren an gesellschaftliche Veränderungen angepasst werden, um über einen längeren Zeitraum hinweg rechtssicher Bestand haben zu können.“

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört, hört!)

Herr Innenminister, genauso ist es. Genau das machen Sie jetzt, und das nennen Sie Bürokratieabbau à la Schwarz-Gelb. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist der Vorschlag, den Sie uns vorlegen. Sie sagen, die Gemeinden dürfen aus einem Katalog von 16 Selbstverwaltungsaufgaben fünf Aufgaben zur Übertragung aussuchen. Die Antwort auf die Zukunft der Struktur der Kommunalpolitik lautet: Fünf aus 16! Das ist die kommunale Zukunft, das ist das politische Angebot dieser Landesregierung an die Gemeinden! Herr Minister, das ist doch kein Angebot, das ist Lotto! Mich erinnert das an die Reise per Anhalter durch die Galaxie, wo die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest lautet: 42. Das ist die Antwort auf alle Fragen. Sie nennen nur Zahlen, Sie geben keine inhaltliche Antwort.

Meine Damen und Herren, um zur SPD zu kommen: Der Spitzenkandidat Torsten Albig schlug jüngst vor, den 120-Millionen-Eingriff in den kommunalen Finanzausgleich zu kompensieren, indem man ein Viertel der öffentlichen Aufgaben abbaue. Im NDR-Interview präzisierte er dann, dass Denkmalschutz und Stadtplanung abgebaut werden könnten. Einmal abgesehen von der Sinnhaftigkeit, Denkmalschutz und Stadtplanung abzubauen, und dem ewigen Rumgehacke auf dem Denkmalschutz - es gibt in beiden Bereichen zusammengenommen vielleicht hundert Stellen im ganzen Land auf allen Ebenen. Selbst wenn wir gar keine Stadtplanung und gar keinen Denkmalschutz mehr machen würden - was rechtlich wie praktisch gar nicht geht -, fehlten noch immer 24.900 Stellen beziehungsweise 99,6 % der anvisierten Aufgabenkritik.

Dabei ist der Vorsatz von Herrn Albig ja richtig, nämlich Verwaltungsvereinfachung, sie ist nötig. Liebe SPD, nur ist sie systematisch falsch beantwortet. Wir haben im kommunalen Bereich eine Ebene zu viel. Hier muss Aufgabenkritik ansetzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei CDU und SSW)

Unterhalb der Kreise sollte es nur noch eine kommunale Verwaltungsebene geben. Genau das sieht Ihr Gesetzentwurf aber nicht vor. Er passt nicht zu den Vorschlägen von Herrn Albig.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kai Dolgner?

(Dr. Robert Habeck)

Herr Dolgner, Sie haben das Wort.

Herr Kollege Habeck, können Sie mir bitte mitteilen - Sie haben gesagt: kommunale Verwaltungsebene -, wie viele kommunale Verwaltungsebenen es unterhalb der Kreise gleichzeitig für den Einwohner gibt?

- Ich habe die Frage akustisch nicht verstanden.

Sie haben gesagt: Eine kommunale Verwaltungsebene unterhalb der Kreise ist zu viel.

- Ja.

Das bedeutet also, dass es Ihrer Meinung nach mindestens zwei Verwaltungsebenen unterhalb der Kreise geben muss.

- Ja.

Sagen Sie mir bitte, wo es zwei Verwaltungsebenen unterhalb der Kreisebene gleichzeitig gibt.

- Es ist doch der Kern der Debatte, dass wir über Ämter und Gemeinden reden. Sie werden das in der Fortführung meines Vortrags gleich hören.

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Die Gemeinde hat keine - -)

Herr Kollege, keine Dialoge. Sie haben die Möglichkeit, eine Nachfrage zu stellen.

Herr Kollege Dr. Habeck, wenn Sie die Kommunalebene neu ordnen wollen: Ist Ihnen bekannt, dass eine amtsangehörige Gemeinde keine eigene Verwaltungsebene hat, die Sie streichen können?

(Zuruf des Abgeordneten Günther Hilde- brand [FDP])

Es geht darum, nur eine Sitzung für die jeweiligen Probleme zu haben. Darum geht es. Das werde ich jetzt ausführen.