Wir faseln nicht nur, wir handeln auch. Deshalb haben wir unseren Änderungsantrag gestellt, den wir sehr gern mit den weiteren Anträgen im Ausschuss beraten werden.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Kollege Koch, dass Sie den Unterschied zwischen der FDP und der LINKEN klargemacht haben. Die Linken machen einen Fehler und korrigieren ihn nach einer halben Stunde, Sie regieren jetzt seit zwei Jahren und machen die gleichen Fehler wie am Anfang.
(Beifall der Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE] und Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich will auch ganz kurz auf den Fall Tigran eingehen. Manche wissen, dass Kollegin Jansen und meine Bundestagesabgeordneten-Kollegin Cornelia Möhring sowie viele Mitglieder meiner Partei aus dem Raum Lübeck und Stormarn und ich uns eingesetzt haben. Es gab ein ganz breites Bündnis von Kirchen, von Sportvereinen, von Schulen und Eltern. Diese Unterstützung - das ist das, was mich überrascht hat - machte auch vor Parteigrenzen nicht halt. Mitglieder aller Parteien haben sich eingesetzt; zum Schluss offenbar - wie man es flüstern hörte - sogar der Ministerpräsident und der Fraktionsvorsitzende der FDP. Der Fraktionsvorsitzende der CDU hatte zu diesem Zeitpunkt offenbar anderes zu tun.
Dann kam es zu dem Punkt, dass der ganze Fall an den Justizminister ging. Da richte ich ein persönliches Wort an Sie, Herr Schmalfuß: Sie haben eine falsche Entscheidung getroffen - das passiert oft -, Sie haben es erkannt, und Sie haben sie korrigiert. Dafür gebührt Ihnen mein Respekt und - so glaube ich - der Respekt dieses Hauses. Das war nicht Schwäche, sondern Stärke, auch wenn es manchmal anders kolportiert wird.
Aber es ist schon gesagt worden: Tigran ist kein Einzelfall. So sehr wir uns freuen dürfen, dass es da gut gegangen ist, aus Schleswig-Holstein werden Kinder in Länder abgeschoben, die sie nur aus Erzählungen kennen, deren Sprache sie nicht sprechen. Menschen werden, nachdem sie jahrelang mit uns gelebt haben, zum Weggehen gezwungen.
Am Fall Tigran stellt sich für mich exemplarisch die Frage, wie es eigentlich um die Gesetzgebung steht, die so etwas nicht nur zulässt, sondern sogar erzwingt - zumindest dann, wenn sich nicht zufällig viele Menschen, viele „vernünftige“ Menschen finden und ein Justizminister, der Gnade vor Recht ergehen lässt.
Ich finde es schon bemerkenswert, dass gerade ein Minister dieser schwarz-gelben Regierung jetzt einen Vorstoß zur Änderung dieses ungerechten Rechts macht. DIE LINKE fordert seit Langem auf Bundes- und Landesebene ein Ende der Kettenduldungen und ein Bleiberecht, das diesen Namen auch verdient hat.
Herr Schmalfuß, Sie haben angekündigt, sich für einen neuen Aufenthaltstitel für gut integrierte Menschen einzusetzen. Das ist vernünftig, und das unterstützen wir. Allerdings stimmen Ihre Kriterien
nicht. Wie, so frage ich nämlich, soll man denn in einem Land ankommen und sich integrieren, wenn man jahrelang nicht weiß, ob man morgen abgeschoben wird? Wie soll man sich eigentlich in einem Land zu Hause fühlen, wenn man per Gesetz dazu verdammt wird, jahrelang in einer maroden Flüchtlingsunterkunft, abgeschnitten vom sozialen Leben der Bewohner dieses Landes zu hausen? Wie soll man seinen Lebensunterhalt selbst verdienen, wenn man jahrelang keine Arbeitserlaubnis bekommt? Und wie soll man Arbeit finden, wenn einem sein Berufs- oder Bildungsabschluss nicht anerkannt wird?
Und wie soll man am Ende seinen Lebensunterhalt bestreiten, wenn man nur nachrangig Zugang zum Arbeitsmarkt bekommt?
Deswegen muss das Prinzip gelten: Erst das Bleiberecht und dann die Integration, weil das Bleiberecht die Voraussetzung für die Integration ist und nicht deren Belohnung sein darf.
Grundsätzlich habe ich allerdings etwas dagegen, Menschen in wirtschaftlich Nützliche und wirtschaftlich Nicht-Nützliche einzuteilen. Ich glaube, dieser Weg führt uns böse in die Irre. An dieser Stelle möge sich jeder hier einmal fragen, ob es eigentlich seinem Menschenbild entspricht.
Herr Minister Schmalfuß, wenn es tatsächlich Ihr erklärtes Ziel ist, Kettenduldungen zu verhindern, müssen Sie die Kriterien an die Lebensrealitäten dieser Menschen anpassen. Ich denke, aus diesem Haus werden Sie dafür Unterstützung bekommen. Wenn Sie gut integrierten Menschen ein Bleiberecht verschaffen möchten, müssen Sie dafür sorgen, dass sich diese Menschen gut integrieren können, dann müssen Sie für Deutschkurse ab der ersten Stunde sorgen, für eine erleichterte Anerkennung von Berufs- und Bildungsabschlüssen und für ausreichende Qualifizierungsmaßnahmen. Und Sie müssen dafür sorgen, dass von Anfang an ein Bleiberecht besteht.
Das ist nicht nur im Interesse dieser Menschen, das ist auch im Interesse der Mehrheitsgesellschaft. Das
ist auch im Interesse der Wirtschaft und - wie man im Fall Tigran gesehen hat - von Sportvereinen, Schulen und vielen anderen.
Niemand darf Menschen in diesem menschenverachtenden Schwebezustand zwischen Abschiebung und Bleiberecht alleinlassen. Kettenduldungen sind inhuman, Kettenduldungen gehören abgeschafft!
Wir haben die Forderungen der LINKEN in einem Änderungsantrag formuliert, denn auch der Antrag der Grünen geht uns nicht weit genug. Ich sehe zumindest nicht deutlich genug, dass er die Logik infrage stellt, nach der Menschen in wirtschaftlich nützliche und überflüssige eingeteilt werden. Das Prinzip „die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ wird DIE LINKE in diesem Hause nicht mittragen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Staatsrechtlich ist das Bleiberecht ein Sonderfall im deutschen Recht - voller Lücken, großer Unterschieden in der Rechtspraxis der Bundesländer und nicht zuletzt mit seiner unzumutbaren Angewiesenheit auf Gnadenakte. Statt klarer und transparenter Regelungen haben wir es mit einem humanitären Desaster zu tun, weil die Rechte der Menschen, um die es geht, viel zu gering geachtet werden. Das gilt auch für den aktuellen Fall Tigran, wo die Familie ihre bereits gepackten Koffer wieder auspacken konnte. Die Verhinderung ihrer Abschiebung ist seit Wochen eine Geschichte mit Happy End, denn der Justizminister will generell aus der unwürdigen Härtefallregelung aussteigen - so gut, so richtig.
Damit erhalten wir endlich die Chance, diese Gnadenherrlichkeit des Ausländerrechts hinter uns zu lassen.
(Beifall bei der LINKEN und der Abgeord- neten Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Detlef Matthiessen [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])
Die Flüchtlinge werden im doppelten Sinne des Wortes an die Kette gelegt. Durch die permanente Bedrohung durch Ausweisung und die Aneinanderreihung von Duldungen können sie kein freies Leben führen. Die Ausweisung ist durch die Duldung lediglich augesetzt, sie hängt also wie ein Damoklesschwert über den Betroffenen und nimmt ihnen einen Teil ihrer Würde. Dabei spielt es keine Rolle, wie alt der Betroffene ist. Das ist insbesondere für Kinder eine unhaltbare Situation, der nur mit einer klaren Regelung beizukommen ist, nach der grundsätzlich allen Minderjährigen ein dauerndes Bleiberecht gewährt wird. So lautet ein entsprechender Vorschlag der Bundesjustizministerin.
Im Sinne aller Geduldeten, von denen auch bei uns in Schleswig-Holstein die Mehrheit schon länger als sechs Jahre in diesem Schwebezustand gebunden ist, ist schnellstmöglich eine eindeutige, klare und rechtlich einwandfreie Stichtagsregelung anzustreben, die in ein dauerhaftes Bleiberecht mündet. Einen entsprechenden Vorschlag haben wir mit dem vorliegenden Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereits in Händen.
An guten Vorschlägen und hehren Versprechen bestand bislang kein Mangel, sondern vielmehr am politischen Willen, das System der Kettenduldungen endgültig zu beenden. Da ist gebetsmühlenartig die Rede von Missbrauch und vom Aussitzen, als ob die Flüchtlinge es sich bequem machen würden, bis ihnen das Bleiberecht nach Jahren in den Schoß fällt. Das geht völlig an der Realität vorbei, denn bei Familien wachsen die Kinder in Deutschland auf und entwickeln fast zwangsläufig eine feste Beziehung zu ihrer neuen Heimat. Die Familien ändern sich im Laufe des Heranwachsens. Darum ist es gut, dass jetzt die Integration nach dem Willen des Justizministers belohnt werden soll. Nach Jahren der Diskussion und der Scheinlösungen muss endlich eine klare Regelung her. Beenden wir Dauerdiskussion, Provisorien und halbgare Stichtagsregelungen und schaffen endlich eine transparente Bleiberechtregelung ohne willkürliche Altersgrenzen!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte um die Schaffung einer neuen aufenthaltsrechtlichen Norm beziehungsweise die Ausgestaltung von bereits vorhandenen Regelungen für langjährig aufhältige Ausländerinnen und Ausländer begrüße ich ausdrücklich. Das wird Sie nicht wundern, nachdem ich bereits am Montag eine entsprechende Initiative angekündigt habe.
Es gibt eine Reihe von Gemeinsamkeiten bei unseren Ansätzen, im Detail jedoch da und dort auch deutliche Unterschiede. Lassen Sie mich mit den Gemeinsamkeiten beginnen. Ich nenne drei Punkte.
Erstens. Für integrierte Ausländerinnen und Ausländer fehlt es häufig an einer aufenthaltsrechtlichen Perspektive. Das wird schon allein aus der Struktur des Aufenthaltsgesetzes deutlich. Die unterschiedlichen Aufenthaltsrechte basieren jeweils auf einem Aufenthaltszweck, so der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung und der Erwerbstätigkeit und der Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären, politischen oder familiären Gründen. Ein Aufenthaltsrecht wegen nachhaltiger Integration gibt es nicht, obwohl die Verbesserung der Integration doch Ziel unserer gemeinsamen Integrationsdebatte ist.
Zweitens. Das Problem der sogenannten Kettenduldungen ist durch das Aufenthaltsgesetz nicht beseitigt worden. Noch immer gibt es in SchleswigHolstein rund 1.800 Geduldete mit überwiegend mehrjährigem Aufenthalt. Duldung bedeutet gemäß Gesetzesdefinition - das ist schon gesagt worden „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung”. Dies ist ein aufenthaltsrechtlicher Nichtstatus, der aus unterschiedlichen Gründen erteilt wird, wenn die Abschiebung der Person aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen noch nicht durchgeführt werden kann. Diese Situation hat für die betroffenen Personen Auswirkungen auf die Erwerbsmöglichkeiten und geht unter anderem einher mit dem Fehlen einer aufenthaltsrechtlichen Perspektive für die eigene Person, eventuell auch für die im Familienverbund betroffenen Ehepartner und Kinder. Nun darf nicht vergessen werden, dass die Duldung zumeist den Endzustand nach einem häufig viel zu lang andauernden asyl- und aufenthaltsrechtlichen
Verfahren darstellt, das meistens mit rechtskräftiger negativer Feststellung endet. Insoweit besteht sicherlich Einigkeit, dass auch aus Gründen der Rechtssicherheit Verfahren zügiger zum Abschluss gebracht werden müssen.
Die sogenannten Kettenduldungen sind letztlich Ausdruck eines festgefahrenen Verfahrensstandes zwischen Staat und Betroffenem, von dem weder kurz- noch mittel- oder langfristig irgendeine Seite profitiert.