Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Ich eröffne die Sitzung, begrüße Sie sehr herzlich und wünsche Ihnen einen guten Morgen. Begrüßen Sie mit mir bitte ganz herzlich Schülerinnen und Schüler sowie ihre Lehrer der Gemeinschaftsschule Viöl/Ohrstedt, Nachwuchsführungskräfte der Bartels-Langness-Handelsgesellschaft und vom Finanzministerium die Jahrgangsbesten des mittleren und gehobenen Dienstes.
Erkrankt sind die Abgeordneten Jens-Christian Magnussen, Mark-Oliver Potzahr, Anita Klahn, Dr. Marret Bohn und Silke Hinrichsen. Beurlaubt ist Frau Ministerin Dr. Rumpf ab 15 Uhr.
- Ich bitte um etwas mehr Ruhe auf allen Bänken. Wenn jetzt Ruhe eingekehrt ist, rufe ich die Tagesordnungspunkte 18 und 39 auf:
b) Schleswig-Holstein in Europa: Europapolitische Schwerpunkte der Landesregierung 2011 - Europabericht 2011
Wird das Wort zu Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich bitte um Aufmerksamkeit und erteile dem Herrn Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Europa, das ist für mich bis heute die beste Entscheidung, die mutige Staatsmänner nach dem Zweiten Weltkrieg getroffen haben.
Ich liebe meine Heimat, ich liebe mein Land, und ich bin deshalb ein überzeugter Europäer, auch wenn ich auf die Biografie meiner Eltern schaue: Mein Vater wurde im Ersten Weltkrieg verwundet und geriet in Gefangenschaft, mein ältester Bruder, den ich nie kennen gelernt habe, starb im Zweiten Weltkrieg 1944 bei Riga. Ich bin der Erste in meiner Familie, der keinen Krieg mehr erleben musste. Dafür bin ich bis heute dankbar, dankbar auch klugen Politikern: Konrad Adenauer für die West-Öffnung, Willy Brandt für die Ost-Öffnung, Helmut Kohl für die Wiedervereinigung. Das waren kluge Männer, die sich für Europa eingesetzt haben.
Frieden und Freiheit nach Jahrhunderten der Kriege, das ging nur in einem geeinten Europa. Wir Deutschen haben heute allen Grund, uns für Europa starkzumachen. Ohne Europa kein Wirtschaftswunder, keine deutsche Einheit, auch oder besser gerade wegen Europa spielt Deutschland international eine gewichtige Rolle sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik.
Wir Deutsche haben viel von Europa profitiert, so viel, dass wir die Letzten sind, denen die Zukunft Europas egal sein darf.
Wir sollten stattdessen die Ersten sein, die mithelfen, damit aus der europäischen Staatsschuldenkrise keine Krise der europäischen Idee wird.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund ist die Debatte zum jährlichen Europabericht der Landesregierung weit mehr als nur eine Pflichtübung. Mit Bedacht hat der Ältestenrat die Aussprache um die Beratung des Antrags der SPD und der Änderungsanträge der anderen Fraktionen erweitert. Es ist doch so: Die Sorge um die Stabilität des Euro beherrscht die Nachrichten, das beschäftigt die Menschen selbstverständlich. Deshalb gehört das auch in die deutschen Parlamente.
Ohne Frage steht Europa vor einer historischen Prüfung. Dabei wird häufig übersehen, was Europa, die USA und die internationalen Finanzmärkte auf Trab hält. Das ist keine diffuse Finanzkrise, es ist nicht weniger als eine Staatsschuldenkrise. Wir erleben gerade, wie eine unrühmliche jahrzehntelange finanzpolitische Tradition zu Ende geht: das Finanzieren von Ausgaben auf Kredit. Hieß es nicht immer, Staaten könnten nicht pleitegehen? Erstmals erleben wir, dass die Gläubiger genau das infrage stellen.
Zu hoch erscheinen mittlerweile die Schulden, die viele Staaten angehäuft haben. Es war stets der einfachere, der bequemere Weg, Wohltaten auf Pump zu verteilen. Dieser Weg hat direkt zu dem Schlamassel geführt, in dem jetzt Länder wie Griechenland, aber auch andere stecken, und die Schulden der Vergangenheit bedrohen die Zukunft des Euro.
Auch bei uns steht längs nicht alles zum Besten. Das traurige Lied von den Landesfinanzen brauche ich nicht anzustimmen, Sie können es selbst am besten pfeifen.
Meine Damen und Herren, Rettungsschirm, Schuldenschnitt, Eurobonds, Ausschluss aus der Eurozone, geregelte Staatsinsolvenz - welche Medizin hilft denn nun? Ich kann die Menschen verstehen, die sich angesichts dessen nach einfachen Antworten sehnen. Doch das Thema ist außerordentlich komplex, und es gibt keine einfachen Antworten. Sicher scheint: Die Medizin wird bitter schmecken, doch wir können um Deutschland keinen Graben ziehen in der Hoffnung, damit unsere eigene Burg zu retten.
Allenfalls eine europäische Lösung sichert unseren Wohlstand, schließlich gehen noch immer gut 60 % unserer Exporte in den europäischen Binnenmarkt.
Die Kanzlerin hat recht: Scheitert der Euro, dann ist Europa in Gefahr, und dann ist auch Deutschlands Wohlstand gefährdet. Europa muss deshalb den Leistungstest bestehen.
Bundestag hat sich in der vergangenen Woche intensiv mit dieser Frage befasst. Ich gehe davon aus, die Antwort des Parlaments wird Ende des Monats die klare Zustimmung zum Eurorettungsfonds sein.
Kurz zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht die Griechenlandhilfe und den Eurorettungsschirm gebilligt und damit die Politik der Bundesregierung bestätigt. Das war ein wichtiges Signal an Europa. Aber die europäische Solidarität ist auch keine Einbahnstraße. Deutschland muss weiter auf Haushaltskonsolidierung und strukturelle Reformen in den Krisenländern drängen. Das Beispiel Griechenland zeigt: Der Druck muss hoch bleiben, alle Möglichkeiten zur Sanierung der Haushalte müssen genutzt werden. Mittlerweile scheinen alle Euroländer bereit zu sein, für den Erhalt unserer Gemeinschaftswährung Opfer zu bringen. Mit Spanien und Italien haben die ersten Länder eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild beschlossen.
Eine kluge Wirtschaftspolitik muss nun dazu kommen. Schließlich ist Wirtschaftswachstum noch immer die beste Quelle für Steuermehreinnahmen, wie wir in diesem Jahr auch in SchleswigHolstein erkennen können. Die Frage ist, ob darüber hinaus Eurobonds her müssen? Die SPD-Fraktion zumindest fordert das in ihrem Antrag. Die Landesregierung lehnt die Einführung von Eurobonds ab
Die Menschen haben nämlich ein gutes Gespür, was wirklich hinter der Idee der Gemeinschaftsanleihe steckt. Eurobonds machen das Schuldenmachen für diejenigen billiger, die bisher schon nicht mit Geld umgehen konnten. Für alle anderen in Europa wird Finanzpolitik dagegen teurer.
Ich will das einmal auf Schleswig-Holstein herunterbrechen. Die erste Ratingagentur hat angekündigt, sie würde Euroanleihen auf Griechenlandniveau und damit auf den Ramschstatus setzen. Deutschlands Zinskosten würden explodieren. Das mag natürlich nur Theaterdonner sein. Doch selbst die größten Optimisten rechnen mit zusätzlichen Zinslasten im zweistelligen Milliardenbereich. Sollten unsere Finanzierungskonditionen aufgrund der
Einführung von Eurobonds nur um einen Prozentpunkt steigen, bedeutete das eine zusätzliche jährliche Belastung für den Landeshaushalt in Höhe von 40 bis 45 Millionen €.
- Bitte? - Entschuldigen Sie einmal, wenn Staatsanleihen teurer werden, meinen Sie, wir wären eine Insel und würden davon ausgenommen? WelcheVorstellung haben Sie eigentlich von gemeinsamer Politik und insbesondere von gemeinsamer Finanzpolitik? Woher sollten wir dieses Geld nehmen?
Europa ist allgegenwärtig, auch in Schleswig-Holstein. Europas Sorgen sind auch unsere Sorgen. Das zeigt diese Debatte. Aber Europas Chancen sind auch unsere Chancen. Das zeigt der Europabericht der Landesregierung. Der Bericht legt offen, wo Europa in Schleswig-Holstein konkret eine Rolle spielt, wo die Chancen und wo die Herausforderungen liegen. Ich will das an drei Themen festmachen.
Erstens die Wettbewerbspolitik. Welche Dienstleistungen dürfen und werden auch künftig kommunal organisiert? Wie sieht beispielsweise die Zukunft von Stadtwerken aus? Bleibt den Kommunen noch ein ausreichendes Maß an Flexibilität bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben? - Wie wir den weiteren Wettbewerb im Binnenmarkt ausgestalten, wird mit darüber entscheiden, ob und wie sich bewährte Strukturen der kommunalen Daseinsvorsorge verändern werden. Entscheidungen auf europäischer Ebene werden künftig das Gesicht unserer Städte und Gemeinden mit prägen.
Zweitens die europäische Energie- und Klimapolitik. Sie wird mit über den weiteren Ausbau unserer Energienetze und darüber entscheiden, wie schnell wir das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen. Deswegen ist es eine Investition in die Zukunft, dass wir uns an RENREN, dem regionalen Netzwerk für erneuerbare Energien, beteiligen. Hier schließen sich die Regionen Europas zusammen, die besondere Kompetenz bei den erneuerbaren Energien besitzen. Ich will nur deutlich machen, dass es auch bei der Diskussion über die 600 und wie viel Kilometer an neuen Leitungen, die wir in Schleswig-Holstein als 380-kV-Leitungen an der Westküste verlegen, es selbstverständlich und notwendig ist, eine solche Leitung nicht an der Grenze aufhören zu lassen, sondern die Westküste insgesamt dort mit anzubinden. Ich habe dieses Angebot der dänischen Regierung gemacht, und sie hat es angenommen; gestern sind dort Wahlen gewesen