Protokoll der Sitzung vom 06.10.2011

Häufige Tatorte rechter Gewalt waren Kiel mit 73, Lübeck mit 69, Neumünster mit 42, Rendsburg mit 29, Husum mit 25, Elmshorn mit 17, Flensburg mit 17, Ratzeburg mit 16, Eckernförde mit 15, Pinneberg mit 15, Heide mit 14, Uetersen mit 12 und Steinburg mit 11 Urteilen zu Gewaltstraftaten. Insgesamt wurden in 123 Gemeinden und Städten in Schleswig-Holstein Gewaltstraftaten durch Nazis verübt. Für eine Stadt wie Neumünster mit 79.000 Einwohnerinnen und Einwohnern kommt also eine Tat auf 500 Einwohnerinnen und Einwohner.

Mit am entlarvendsten an den Antworten der Landesregierung ist, dass sie offensichtlich nicht die geringste Ahnung hat, wie viele Menschen in Schleswig-Holstein Opfer rechter Gewalt wurden. Das ist eine Bankrotterklärung.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Gipfel aber ist das bewusste Wegschauen der Landesregierung bei Neofaschistinnen und Neofaschisten in Ehrenämtern. Die Landesregierung antwortet auf unsere Frage dazu:

„Von einzelnen Angehörigen der rechtsextremistischen Szene ist bekannt, dass sie ehrenamtlich tätig sind, ohne dass diese ihr Engagement zu rechtsextremistischen Aktivitäten nutzen. Eine planmäßige Erfassung von Rechtsextremisten in Ehrenämtern erfolgt jedoch nicht.“

Hier wird ganz deutlich: Die Landesregierung hat das, was die NPD den Kampf um die Köpfe nennt, bereits aufgegeben.

(Unruhe)

Neofaschistinnen und Neofaschisten in der Zivilgesellschaft als Trainerinnen und Trainer in Sportver

einen, als Helferinnen und Helfer in Altenheimen oder als Betreuende von Schülerinnen und Schülern an Ganztagsschulen sind niemals trennbar von ihren politisch widerwärtigen Einstellungen.

(Glocke der Präsidentin)

Ihre Antwort auf unsere Frage ist in unseren Augen ein Skandal ohnegleichen.

Herr Abgeordneter, einen kleinen Augenblick bitte. - Ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit für den Redner.

(Serpil Midyatli [SPD]: Das ist schwierig! - Zuruf von der FDP: Das ist sehr schwer!)

- Dennoch sage ich: In der ersten Reihe sehr lautstark Gespräche zu führen, ist einfach zu hinderlich.

Sie müssten in Bildung investieren, Sie dürften nicht bei der Jugend und bei den Zuschüssen für antifaschistische Projekte kürzen, Sie müssten den Kampf um die Köpfe wieder aufnehmen. DIE LINKE wird weiterhin kompromisslos gegen Faschismus kämpfen. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

(Beifall bei der LINKEN und des Abgeord- neten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Werner Kalinka das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKEN war mit viel Arbeit verbunden. Man darf durchaus den Mitarbeitern der Landesregierung danken, dass sie uns erkenntnisreiche Auskünfte gegeben haben. In Bezug auf die Aussagen, die Landesregierung habe keine Ahnung oder es sei ein Skandal - das habe ich kurz vor dem Abtritt noch gehört -, kann ich nur sagen: Die Berichte der Landesregierung aufgrund objektiver Erkenntnisse sind nicht dazu da, vorgefertigte politische Urteile zu verfestigen, sondern uns die Tatsachen über die Erkenntnislage mitzuteilen. Das ist die Aufgabe einer Landesregierung, und das hat sie in angemessener Weise gemacht.

(Björn Thoroe)

(Beifall bei CDU und FDP)

Es ist so, dass wir uns mit diesem Thema nicht zum ersten Mal befassen. Zuletzt war es während der letzten Landtagstagung zum Thema Verfassungsschutzbericht. Was hier steht, ist in Kontinuität dieses Berichts. Anders könnte es ja auch gar nicht sein, als ob man innerhalb von vier Wochen zu nachhaltig anderen Ergebnissen kommen könnte.

Die einschlägigen Aussagen des Verfassungsschutzberichts, die sich auch hier finden, zeigen folgende Punkte. Die Zahl und öffentliche Präsenz von Rechtsextremisten in Schleswig-Holstein ist rückläufig - gutes Ergebnis. Die bedeutendste rechtsextremistischste politische Kraft ist die NPD. Sie beschäftigt sich allerdings auch schwerpunktmäßig mit sich selbst. Darüber müssen wir nicht traurig sein. In Schleswig-Holstein erzielt sie derzeit keine bedeutenden Wahlerfolge. Auch die DVU spielt keine wichtige Rolle. Im Jahr 2010 gibt es einen Rückgang rechtsextremer Straftaten im Vergleich zu den Vorjahren. Das sind Ergebnisse, bei denen wir sagen sollten: Die Aufmerksamkeit, die wir der Arbeit bei diesem Thema gewidmet haben, zeigt eine gute Wirkung. Darüber können wir uns gemeinsam freuen.

Diese Entwicklung wird jetzt durch die erfreulichen Ausführungen zur Großen Anfrage ergänzt, die Sie, Herr Kollege, offenbar nicht selbst bis zum Ende genau durchgelesen haben. Es gibt keine bekannten Bestrebungen, Rechtsextremes zu tun, mit der Rocker-Szene systematisch in Kontakt zu treten. Es gibt keine Bestrebungen, dies mit der HooliganSzene zu tun. Es gibt keine Bestrebungen, sich systematisch an Fußballklubs anzudocken, jedenfalls nicht bei uns - das ist auch ein wichtiges Thema. Im Bereich der Neonazi-Szene in Schleswig-Holstein sind keine planmäßigen Verflechtungen mit anderen Ländern bekannt.

Ich denke, das sind Dinge, die durchaus interessante Aussagen beinhalten. Die Zahl rechtsextremer Versammlungen - laut der Antwort auf die Anfrage - liegt in Schleswig-Holstein etwa bei zehn. Die größte war die in Lübeck mit 250 Teilnehmern. Auch dies sagt etwas darüber aus, dass hier die Situation durchaus unter Kontrolle ist. Dies ist zwar noch immer nicht das, was wir uns wünschen, aber ich darf auch sagen: Bürgergesellschaft in diesem Land funktioniert. Das ist eine positive und gute Zwischenbilanz.

Natürlich gibt es auch im rechtsextremistischen Raum die Absicht, wieder stärker zu werden. Deshalb ist das Thema Rechtsextremismus natürlich

nach wie vor ernst zu nehmen, und es verdient Aufmerksamkeit. Selbstverständlich ist es jedem Kollegen unbenommen, da seine Schwerpunkte in der politischen Diskussion zu setzen. Es kann allerdings nicht sein, dass wir im Zusammenhang mit politischem Extremismus nur noch über eine Erscheinungsform, nämlich die von rechts sprechen. Andere Formen des Extremismus, die es auch gibt und die nicht weniger gefährlich sein können - der Innenminister hat schon etwas dazu gesagt -, erhalten von manchen merkwürdigerweise weniger Aufmerksamkeit.

(Beifall des Abgeordneten Karsten Jasper [CDU] - Zuruf des Abgeordneten Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Das hat nichts mit „jedes Mal“ zu tun. Es hat etwas damit zu tun, dass jede Form des Extremen von uns eine klare Absage verdient und dies auch zum Ausdruck gebracht werden muss. Ich glaube, dies darf man in einer solchen Debatte durchaus tun.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

Ich sage es auch deswegen, weil zum Vergleich auch gehört, dass die Anzahl linksextremer Gewalttaten in Schleswig-Holstein derzeit höher liegt als die rechtsextremer.

(Ulrich Schippels [DIE LINKE]: Reden Sie zum Thema!)

- Damit rede ich doch zum Thema. Wozu rede ich denn sonst?

(Ulrich Schippels [DIE LINKE]: Nicht zum Thema!)

- Ja, dann will ich Ihnen noch eine Ergänzung hinzusetzen. Es ist schon der Aufmerksamkeit wert, dass - wenn ich an die Lübecker Demonstrationen denke - die dort vorgefundenen Gesetzesübertretungen aus einem ganz bestimmten Bereich gekommen sind. Das gehört auch zu der Wahrheit, mit der man sich auseinandersetzen muss. Ob es einem gefällt oder nicht, ist gar nicht die Frage.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

Aber es gehört zur Wahrheit. Dies will ich ergänzend hinzusetzen.

(Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Kein Generalverdacht!)

Es kann die Bewegung gegen den Rechtsextremismus insgesamt auch schwächen, wenn eine kleine Gruppe linksextremer Täter offenbar meint, dass es so etwas wie gute oder schlechte Gesellschaft gibt.

(Werner Kalinka)

Ich kann es nur wiederholen: Es sind von allen Demokraten strikte Abgrenzungen gegen jede Form des Extremismus erforderlich. Das ist auch das gemeinsame Band, das wir bei solchen Debatten durchaus betonen sollten. Ich finde es am heutigen Tag besonders gut zu hören, dass der Bundesinnenminister ein Aussteigerprogramm nicht nur für Linksextreme, sondern auch Rechtsextreme neu aufgelegt hat - immerhin mit 24 Millionen € für Präventionsprogramme. Ich denke, das ist eine gute Nachricht zum heutigen Tage, die zeigen soll, dass dieser Staat handelt und sich den Feinden dieser Demokratie wehrhaft entgegenstellt.

(Beifall bei CDU, FDP und der Abgeordne- ten Birgit Herdejürgen [SPD])

Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Serpil Midyatli das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte auch ich mich im Namen meiner Fraktion für die Beantwortung der Großen Anfrage bedanken. Dies gilt umso mehr, da man sich doch die Frage stellen muss: Was soll das?

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall des Abgeordneten Gerrit Koch [FDP])

Keine Frage: Alle demokratischen Parteien - vorneweg die beiden großen Volksparteien - tragen hier eine große Verantwortung, Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus in allen seinen Formen zu bekämpfen. Anti-Demokraten, die unsere demokratische Grundordnung zerstören wollen, muss entschieden entgegengetreten werden.

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall des Abge- ordneten Flemming Meyer [SSW])

Dies tun wir, indem wir uns mit den Ursachen, den Erscheinungsformen und den Gefahren des Rechtsextremismus auseinandersetzen und uns dabei auch kritisch fragen, welchen Beitrag wir selbst zu der Entwicklung geleistet haben und was wir besser machen müssen, um rechtsradikalen Brandstiftern das Handwerk legen zu können. Wir tun es, indem wir uns mit den Argumenten und Parolen der Rechtsextremen beschäftigen, damit wir ihren Vereinfachungen, Vorurteilen und Scheinlösungen widersprechen können und ihnen nicht kampflos die

Hoheit über Stammtische überlassen. Wir zeigen in der Öffentlichkeit Präsenz, indem wir uns an gewaltlosen Demonstrationen gegen rechtsextreme Aufmärsche und Aktionen beteiligen und hierzu auch öffentlich aufrufen. Wir unterstützen die Arbeit der Polizei, die nach unserer Erfahrung und Überzeugung den braunen Mob in Lübeck oder anderswo genauso abstoßend und ekelerregend findet wie wir, jedoch an Recht und Gesetz gebunden ist und daher die Demonstrationsfreiheit für alle zu gewährleisten hat.

Wir organisieren Veranstaltungen, in denen wir für mehr Toleranz und Vielfalt in unserem Land werben, über Vorurteile aufklären und uns dagegenstellen. Wir tun es mit Informationsveranstaltungen in den Schulen, mit der Finanzierung von Demokratie-Initiativen, Beratungseinrichtungen und Aussteigerprogrammen. Wir beteiligen uns an den Runden Tischen gegen Rechtsextremismus dort, wo der Rechtsextremismus nicht nur abstrakt, sondern konkret vor Ort vorhanden ist und das friedliche Zusammenleben der Menschen gefährdet.

Jetzt fragen Sie sich sicherlich, was das mit der Großen Anfrage zu tun hat. - Zu Recht! Die Große Anfrage ist aus meiner Sicht entweder ein erschreckendes Dokument der Hilf- und Einfallslosigkeit einer Fraktion, die in ihrer Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus bereits an den Begrifflichkeiten scheitert,

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Birgit Herdejürgen [SPD])