Entsprechende Anträge wurden in den Ausschuss überwiesen, Anhörungen durchgeführt. Herr Minister Schmalfuß nahm den Fall zum Anlass, am 22. August 2011 öffentlich eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung nach dem Vorbild des § 25 a Aufenthaltsgesetz zu fordern.
In der vorletzten Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses präsentierte er uns schließlich einen konsensfähigen Vorschlag für eine Bundesratsinitiati
ve mit Eckpunkten. Unter anderem fordert er die Sicherung des Lebensunterhaltes durch aktive Teilnahme am Arbeitsmarkt, aber im Sinne einer überwiegenden Erwerbssicherung -. Das ist der erste Unterschied, Frau Damerow -: eine überwiegende Erwerbssicherung als Ergebnis des Anhörungsverfahrens. Zudem fordert er, dass Antragsteller unbestraft sein müssen - mit Ausnahme - hier ist der zweite Unterschied, Frau Damerow - solcher Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylverfahrensgesetz nur von Ausländerinnen und Ausländern begangen werden können.
Alles wunderbar, könnte man meinen. Dem ist aber nicht so. Denn die Fraktionen von CDU und FDP legten uns in der Sitzung ebenfalls einen Antrag vor, aus dem nicht eindeutig hervorgeht, wie die beiden Kriterien denn gemeint sind. Auf meine Nachfrage hin bekam ich von Kollege Gerrit Koch die Aussage, es handele sich um eine überwiegende Lebenssicherung. Dem widersprach jedoch die Aussage der Kollegin Damerow, man habe eine völlige Lebensgrundsicherung gemeint. Ähnlich unterschiedliche Auffassungen gelten auch für das Kriterium der Unbestraftheit. Gleichwohl haben Sie von den Regierungsparteien Ihren Antrag, über dessen Inhalt man offensichtlich völlig unterschiedlicher Auffassung ist, beschlossen.
Zugleich haben Sie den zuständigen Fachminister ihrer Landesregierung öffentlich brüskiert, da Sie dessen fachkundiges Urteil offenbar gar nicht interessiert. Wir haben jetzt die interessante Situation über ein gemeinsames Papier von CDU und FDP abstimmen zu müssen, über dessen Inhalt die Autoren höchst unterschiedliche Auffassungen vertreten. Schwarz-Gelb stellt uns immer wieder vor neue Herausforderungen. Wir sind der Auffassung, dass der Vorschlag des Ministers Schmalfuß der richtige Schritt zu einer Bundesratsinitiative ist und legen Ihnen heute den Vorschlag des Ministers - den Vorschlag des Ministers! - zur Abstimmung vor.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Das, was Sie uns hier vorgelegt haben, bringt uns keinen einzigen Schritt weiter. Wenn das so verabschiedet wird, wird keiner der betroffenen 1.800 Menschen in Schleswig-Holstein von der neuen Regelung profitieren können. Der Vorschlag des Ministers ist weder rot noch grün, auch nicht schwarz oder gelb. Zur Lösung eines immer wieder auftretenden Problems ist dies eine geeignete Lösung, bei der eine Gnadenentscheidung des Ministerpräsidenten durch eine klare gesetzliche Regelung ersetzt wird. Zwar sprechen wir dem
Ministerpräsidenten nicht ab, hier verantwortliche Entscheidungen zu treffen, aber das Prinzip Gnade vor Recht ist in einem Rechtsstaat keine gute Lösung. Mit der Zustimmung zur Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses sprechen Sie Ihrem Justizminister erneut das Misstrauen aus, nachdem Sie ihn bereits bei der doppelten Staatsbürgerschaft und dem Optionsmodell zurückgepfiffen haben. Welch ein erbärmliches Trauerspiel!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Trauerspiel ist nur, wie man immer wieder versucht, irgendwo Keile dazwischen zu treiben, wo schon kein Blatt Papier mehr dazwischen passt, nämlich zwischen CDU und FDP und unserem Justizminister.
(Vereinzelter Beifall bei FDP und CDU - Zu- rufe von der SPD und der LINKEN: Oh, oh! - Zuruf des Abgeordneten Dr. Kai Dolgner [SPD])
Es werden auch immer irgendwelche Behauptungen aufgestellt, die nun wirklich nicht nachzuvollziehen sind.
Ich skizziere noch einmal die Chronologie. Die Diskussion um die Bleiberechtsregelung für Geduldete hat in den letzten Wochen sehr an Schwung gewonnen, aber auch einige merkwürdige Wendungen genommen. Noch in der August-Tagung des Landtags waren sich alle - das wurde hier schon bestätigt - quer durch alle Fraktionen einig, dass es ein richtiger Vorstoß sei, das Problem der Kettenduldung endlich einer Lösung zuzuführen. Große Zustimmung gab es zu der Absicht, eine Bundesratsinitiative zu starten, um endlich zu einer verlässlichen, humanitären und dauerhaften Regelung zu kommen, statt von Jahr zu Jahr neue vorläufige Interimslösungen zu finden.
Wir waren uns hier alle in einem so hohen Maße einig, dass wir das Ganze ohne Aussprache in den Innen- und Rechtsausschuss überwiesen und zeitnah eine Anhörung durchgeführt haben. Uns allen war und ist bewusst: Die Sache drängt. Ende des Jahres läuft die letzte Übergangsregelung schon wieder aus.
Doch seit letzter Woche war Schluss mit der Einigkeit, aus Gründen, die rational kaum nachvollziehbar sind. Trotzdem möchte ich den Versuch unternehmen, den ursprünglichen Konsens wieder herzustellen.
- Die Tischvorlage ist ja nun auch schon wieder über eine Woche alt. Damit hätten Sie sich inzwischen befassen können.
Die Anhörung hatte unter anderem auch den Zweck auszuloten, welche Kriterien künftig bei einer Entscheidung über ein Aufenthaltsrecht für Geduldete eine Rolle spielen sollen. Der Justizminister konkretisierte zur Ausschusssitzung letzte Woche einige Kriterien. Zur selben Ausschusssitzung legten CDU und FDP ebenfalls Kriterien vor, die bei einer Bundesratsinitiative berücksichtigt werden sollen.
Auf einmal fand die Opposition jedoch Vorwände, um dem Vorschlag von CDU und FDP nicht zustimmen zu müssen. Ja, das ist wirklich bedauerlich. Denn bedauerlicherweise fanden die aus der Luft gegriffenen Behauptungen auch noch Widerhall bei den Medien und bei den Interessensverbänden, wie zum Beispiel dem Flüchtlingsrat.
Es ist also wichtig, noch einmal zu erläutern, was wir unter Kriterien verstehen. Wir verstehen sowohl die vom Justizminister als auch von CDU und FDP vorgelegten Punkte als Anhaltspunkte bei einer Entscheidung über jeden individuellen Einzelfall. Nicht alle Kriterien - einige schon - sind nach dem Prinzip Ja oder Nein, vollständig erfüllt oder nicht erfüllt zu sehen. Es gibt auch noch etwas zwischen schwarz und weiß.
Die Sicherung des Lebensunterhalts ist natürlich so zu verstehen, dass sich jeder Betroffene zunächst um den eigenen Lebensunterhalt durch Arbeit bemühen muss. Dabei müssen selbstverständlich das Alter und die gesundheitliche Verfassung eine Rolle spielen. Kinderarbeit - das wird gern als Beispiel angeführt - haben wir nie gefordert. Das macht auch nicht die CDU.
Natürlich soll keiner gezwungen werden, sich in einem Sportverein, Chor oder gar in einer Partei zu engagieren. Wenn jemand dies aber tut, soll dies auf seine Integrationsleistung positiv angerechnet werden. Genauso verhält es sich bei den Mitwirkungspflichten im aufenthaltsrechtlichen Verfah
Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion mag sich über einen vermeintlich guten Coup freuen, indem sie sich einfach ohne eigenes produktives Zutun die Kriterien des Justizministers zu eigen gemacht hat. Ich mag fröhliche Menschen. Vor lauter Freude haben Sie aber leider zweierlei übersehen. Zum einen stimmen die von CDU und FDP gewünschten Kriterien mit denen des Justizministers in der Lesart und fast wörtlich überein. CDU und FDP stellen im Ergebnis auch keine höheren Anforderungen als der Justizminister.
Zum anderen haben CDU und FDP in ihrem Änderungsantrag ausdrücklich vorgegeben, dass ein Aufenthaltsrecht stichtagsungebunden eingeräumt werden soll. Liebe SPD-Fraktion, wie Sie in Ihrem Antrag darauf kommen, dass wir an Stichtagen festhalten wollen, entzieht sich meiner Kenntnis. Wenn das aber der Grund Ihrer Ablehnung sein sollte, dann können Sie nach diesem diskreten Hinweis nun auch zustimmen.
Aus Sicht der Betroffenen kann ich nachvollziehen, dass man sich keine langwierigen Diskussionen, sondern eine rasche Lösung wünscht. Die jetzige heftige Diskussion zeigt aber, dass von der Opposition inhaltliche Unterschiede herbeigeredet werden, wo gar keine sind. Das bedauere ich sehr. Wenn das nicht Ihre Absicht ist, würde ich es sehr begrüßen, wenn Sie sich doch noch unserem Antrag anschließen würden.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich Schleswig-Holstein durch die beabsichtigte Bundesratsinitiative für eine integrationsorientierte Bleiberechtsregelung als Vorreiter bundesweit hervortun kann. Der Kriterienkatalog wird nicht allen der 1.800 betroffenen Geduldeten helfen können, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Denn dann brauchte man überhaupt keine Kriterien. Ich bin der festen Auffassung, dass der überwiegende Teil von ihnen aber eine Aufenthaltserlaubnis erhalten wird. Wir sollten hier Chancen aufzeigen und erfolgreiche Integration belohnen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Koch liegt nicht richtig mit seiner Prognose. Wir werden einen sehr großen Teil von Menschen ausschließen, wenn wir es so machen, wie Sie es vorgeschlagen haben.
Die Tatsache, dass wir uns heute überhaupt noch einmal mit dem Thema Bleiberecht befassen und nicht im Innen- und Rechtsausschuss zu einem Konsens gekommen sind, hat verschiedene Gründe. Wir hatten einen Konsens erhofft. Am Anfang sah es auch so aus. Die Gründe sind verschieden, in erster Linie - das haben wir nach den Beiträgen der Kollegin Damerow und der Kollegin Midyatli mitbekommen - sind sie eher parteipolitischer Natur. Das stört mich. Das macht mich auch traurig. Denn es macht keinen Sinn, darüber zu streiten, wer als erstes seinen Antrag zurückzieht, um dem gleichlautenden Antrag des anderen zuzustimmen. Deshalb mache ich es Ihnen einfach und sage Ihnen, dass meine Fraktion Probleme mit beiden Anträgen hat. Insofern werden wir auch beiden Anträgen nicht zustimmen.
Ich rufe für Sie noch einmal den Ursprungsantrag in Erinnerung: Der Ursprungsantrag kam von meiner Fraktion, und er hieß: Für ein humanitäres Bleiberecht. Auch wenn Herr Koch gesagt hat, wir wollen eine humanitäre Lösung finden, muss ich Ihnen leider antworten, dass Sie sich dafür wenig Platz in Ihrem Antrag gelassen haben.
Gleichwohl muss ich auch etwas Kritik in Richtung des Ministeriums geben. Denn mit dem Vorschlag für eine Bleiberechtsregelung sind Sie an die Öffentlichkeit gegangen, bevor wir in den parlamentarischen Diskussionsprozess gegangen sind. Das überschnitt sich mit unseren Anträgen und der Debatte im Landtag. Das hätte man besser regeln können und sich im Vorfeld schon auf einige grundlegende Sachen verständigen können. Das nur nebenbei bemerkt.
Ich kritisiere, dass wir uns zu wenig über das Humanitäre unterhalten haben. Das ist nachvollziehbar. Denn der Inhalt unseres Antrags wurde von Ihnen überhaupt nicht kommentiert, auch nicht diskutiert, selbst im Ausschuss nicht. Mit Nachfragen habe ich immer wieder versucht zu gucken, was mit Älteren, kranken und behinderten Menschen - aber auch mit Menschen, die mit schweren Traumata hierherkommen und über Jahre hinweg schon hier
sitzen und keine wirkliche Chance haben, Hilfe und Unterstützung zu bekommen und es aus eigener Kraft nicht schaffen, sich zu integrieren - ist. Es sind diese Menschen, die hier seit zehn Jahren leben und durch diesen Antrag nicht angesprochen werden. Das stört mich. Deshalb kann ich all den Vorschlägen nicht zustimmen.
Gleichwohl gibt es im Vorschlag des Ministeriums einige gute Punkte. Es ist gut, dass dies stichtagsunabhängig geregelt werden soll. Es ist gut, dass bisherige Täuschungshandlungen unter bestimmten Voraussetzungen unbeachtet bleiben können. Dass Sie sich vorstellen können, eine Aufenthaltsdauer von fünf Jahren ohne Differenzierung anzulegen, ist gut, auch wenn dies nicht auf die Zustimmung von Schwarz-Gelb trifft. Das sind Punkte, über die man dringend nachdenken sollte.
Schlecht finde ich aber den generellen Duktus und auch die Herangehensweise des Papiers sowie des Antrags von der CDU- und der FDP-Fraktion, denn herausgekommen ist dabei ein Vorschlag für ein Bleiberecht, das sich lediglich um eine Personengruppe kümmert. Die Menschen dieser Personengruppe müsste eigentlich - wenn wir uns dies einmal vor Augen führen - selbstverständlicherweise ein Bleiberecht bekommen,
wenn sie ihren eigenen Lebensunterhalt sichern können, wenn sie sich - whatever that means - zur freiheitlich demokratischen Grundordnung oder - wie haben Sie es vorhin formuliert - zu unserem gesellschaftlichen Zusammenleben bekennen und darüber Wissen haben, auch wenn wir dies an keiner Stelle fördern. Wenn all dies vorhanden ist, dann frage ich mich: Was spricht dagegen? - Wir sollten uns dann eigentlich darum bemühen, dass diese Menschen hierbleiben. Wir sollten dann gar nicht darüber nachdenken, dass sie weg müssen.
Herausgekommen ist - wie gesagt - ein Vorschlag, der nur eine kleine Personengruppe in den Blick nimmt. Wenn wir von Menschen verlangen, auf A2-Niveau Deutsch zu sprechen, dann sollten wir ihnen auch den bedingungslosen Zugang zu Sprachkursen gewähren. Ich finde, dass dieses Niveau zu hoch angelegt ist.