Protokoll der Sitzung vom 17.11.2011

Wir haben hineinverhandelt - das ist mein letzter Satz -, dass dieser Mindestlohn nach OECD-Standards festzulegen ist, und OECD-Standard heißt auch armutsfest, heißt 9,64 €. Das wäre ein würdiger Standard.

Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Er gilt in Frankreich. Er gilt in anderen Ländern. Warum soll er nicht auch in Deutschland gelten?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Für die Fraktion DIE LINKE hat der Herr Abgeordnete Björn Thoroe das Wort.

(Christopher Vogt [FDP]: Da wurde die SPD von den Grünen korrigiert!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Anfang meiner Rede erst einmal eine Tatsache, die niemand leugnen kann. Es war die Linkspartei, die das Thema Mindestlohn 2005 als Erste aufgegriffen hat - vor der SPD,

(Beifall der Abgeordneten Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

vor den Gewerkschaften, vor den Grünen. Dass der Mindestlohn nun so breit diskutiert wird, ist der Beweis dafür, dass DIE LINKE wirkt.

Gerade für Schleswig-Holstein ist das Thema Mindestlohn von existenzieller Bedeutung.

(Zuruf des Abgeordneten Christopher Vogt [FDP])

In unserem Land arbeiten 27 % der Vollzeitbeschäftigten im Niedriglohnbereich. Vor allem Frauen verdienen hier viel zu oft viel zu wenig. Unglaubliche 41 % der vollzeitbeschäftigten Frauen arbeiten in Schleswig-Holstein für Niedriglöhne. Schleswig-Holstein ist mittlerweile das Bundesland mit den meisten Niedriglohnbeschäftigten. Das ist ein unglaublicher Skandal.

Diesen hart arbeitenden Menschen müssen wir aus der Armutsfalle helfen. Es muss gewährleistet sein, dass Menschen, die einen Vollzeitjob haben, von ihrer Arbeit leben können. Alles andere ist unwürdig. Dafür ist ein flächendeckender Mindestlohn unbedingt nötig, und zwar von mindestens 10 €.

Langfristig soll dieser Mindestlohn auf die Definition von Armutslöhnen der OECD steigen. Langfristig darf kein arbeitender Mensch in diesem Land weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens erhalten. So hat es DIE LINKE in ihr neues Bundesparteiprogramm geschrieben. Ich habe erfreut zur Kenntnis genommen, dass zumindest in SchleswigHolstein SPD und Grüne auf unserer Linie sind. Das wären im Moment übrigens nicht 9,64 €, sondern 12 €.

(Dr. Andreas Tietze)

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf der Abge- ordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

- Das ist der OECD-Standard, nach dem die Niedriglöhne berechnet worden sind.

Herr Callsen hat 1.800 € genannt. Das ist schon richtig. Das sind 12 € die Stunde. Ich freue mich, dass SPD und Grüne dies langfristig auch erreichen wollen.

Die Diskussion in der CDU über Lohnuntergrenzen ist dagegen eine Mogelpackung. Wer auch weiterhin Tarife von round about 3,50 € akzeptieren will, wer nichts daran ändern will, dass unsere Pförtner hier für weniger als 7 € arbeiten, hat sich aus der Debatte um menschenwürdige Löhne verabschiedet.

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Dieses pseudosoziale Gehabe ist eher als eine Verhöhnung zu bewerten.

Der Antrag von SPD und Grünen formuliert gute Ziele. Wer Vollzeit arbeitet, soll nicht mehr aufstocken müssen und soll im Alter nicht auf Mindestsicherung angewiesen sein.

(Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Sozialismus war auch schon mal besser!)

Wie das aber mit der Mindestsicherung im Alter funktionieren soll, wenn man 1.054 € netto verdient - das ist das, was raus kommt, wenn man 40 Stunden in der Woche für 8,50 € arbeitet -, ist mir rätselhaft. Dabei kommt eine Rente von unter 600 € raus.

Zur Wahrheit gehört auch - wir fordern in unserem Antrag, dies noch einmal festzustellen -, dass RotGrün durch die Hartz-Gesetze den ausufernden Niedriglohnsektor erst möglich gemacht hat. Unter Rot-Grün wurde der Arbeitsmarkt dereguliert. Die inflationäre Zunahme von Leih- und Zeitarbeit ist ursächlich auf die Hartz-Gesetze zurückzuführen.

(Christopher Vogt [FDP]: Das war alles Wolfgang Baasch!)

Hinzu kommt die unglaubliche Angst von Arbeitenden, in Hartz IV zu fallen und von den Behörden schikaniert zu werden. Die Hartz-Reform ist ursächlich für die Ausweitung des Niedriglohnsektors und mit der Grund, aus dem die Reallöhne in den letzten zehn Jahren nicht gestiegen, sondern sogar gesunken sind.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Stein- brück!)

Gleichzeitig sind die Vermögen in Deutschland immer weiter angewachsen. DIE LINKE bleibt dabei: Hartz IV muss weg!

(Beifall bei der LINKEN)

Mindestlöhne müssen her. Mindestlöhne werden übrigens umso wahrscheinlicher, je stärker DIE LINKE in Deutschland ist. Wir sind ja noch nicht am Ziel.

(Christopher Vogt [FDP]: Gott sei Dank! - Zuruf der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

DIE LINKE ist der Garant dafür, dass SPD und Grüne sich auch nach Wahlen noch an ihre Versprechen erinnern, denn es gilt: Je stärker DIE LINKE, desto sozialer das Land!

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, begrüßen Sie bitte mit mir Schülerinnen und Schüler der WilhelmKäber-Schule Hohenlockstedt und Kommunalpolitikerinnen aus der Politikwerkstatt Kreis Steinburg. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Das Wort für die SSW-Fraktion hat nun der Herr Abgeordnete Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist zwar schön, dass die CDU in ihren eigenen Reihen die Debatte über den Mindestlohn angestoßen hat, aber wenn man sieht, wie schnell daraus ein gesellschaftspolitischer Rohrkrepierer wurde, kann man sehen, dass die CDU anscheinend in Gänze doch noch nicht so weit ist, sich mit diesem Thema ernsthaft zu befassen.

Es gibt - grob gesagt - zwei Argumentationslinien in der Debatte, die beide für sich richtig sind. Erstens: Steigen die Löhne, sind Arbeitsplätze gefährdet. Zweitens: Gibt es einen Mindestlohn, steigen die Einnahmen der Sozialversicherung und damit wird der Staat entlastet. Beide Aussagen sind richtig, aber sie dürfen nicht isoliert gesehen und auch nicht ideologisch eingesetzt werden. Wir können derzeit feststellen, dass der Staat mit dem Aufstocken von Einkommen Unternehmen subventioniert, die bewusst Niedriglöhne zahlen. Das ist ei

(Björn Thoroe)

gentlich nicht Aufgabe des Staates, das hat nichts mit einem modernen Gesellschaftsbild oder mit christlich geprägten Vorstellungen zu tun. Die Feststellung muss also sein, dass ein flächendeckender Mindestlohn notwendig und überfällig ist.

Wir brauchen den Mindestlohn aber auch, um die Altersarmut zu verhindern. Nur bei guten Löhnen wird das Rentenkonto gefüllt, ansonsten droht für die Betroffenen der Gang zum Sozialamt und damit wieder zum Staat.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Ein Skandal!)

Es geht hier also nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie. Die Frage, die sich für uns stellt, ist nur noch die, wie dieser Mindestlohn festgelegt werden soll. Nach unserer Auffassung sollte diese Lohnuntergrenze nicht von der Politik festgelegt werden, sondern ein unabhängiges Gremium aus Tarifpartnern, Wirtschaftsvertretern und Wissenschaftsvertretern sowie von Vertretern aus der Sozialwissenschaft sollte dies tun. Hierfür brauchten wir eine neue gesetzliche Grundlage, die genau das ermöglicht. Die haben wir nämlich noch nicht. Wir glauben schon, dass sich, wenn wir ein Gremium einrichten würden, das den Mindestlohn festlegt, dieses Gremium dann auch an der Vielschichtigkeit der gesellschaftlichen Diskussionen orientieren würde und müsste. Man könnte im Gesetz auch Kriterien festlegen, nach denen sich die Mindestlohnfindung der Expertenkommission zu richten hätte. Es geht also darum, einen Mindestlohn festzulegen, der das Abstandsgebot zu den Sozialleistungen wahrt; es geht auch darum, das Aufstocken von Niedriglöhnen zu beenden; und es geht darum, gerechte Löhne zu zahlen.

Wie ich eben sagte, sind wir nicht der Auffassung, dass der flächendeckende Mindestlohn vom Gesetzgeber im Vorwege festgelegt werden sollte, sondern wir wollen hier schon die unabhängige Expertenkommission nutzen. Es ist mitnichten so, dass wir eine Lohnuntergrenze brauchen, die sich ausschließlich an marktwirtschaftlichen Gegebenheiten orientiert - wie CDU und FDP meinen. Diese Art der Orientierung bei der Lohnfindung haben wir nämlich schon heute, und sie ist heute schon unzureichend.

Vielmehr muss sich die Lohnfindung daran orientieren, dass das, was heute als menschenwürdig angesehen wird, auch durch den Mindestlohn abgesichert ist. Am besten sollte noch etwas draufgelegt werden. Ein Orientierungsmaßstab für die unabhängige Expertenkommission würde dabei sicherlich der Hartz-IV-Satz für einen Alleinstehenden

oder auch für eine Familie mit zwei Kindern sein. Letztendlich muss sich aber die Expertenkommission selber einen Rahmen geben, in dem sie entscheiden will. Eine solche Entscheidung, die nicht an politischen Zielsetzungen, sondern an sachlichen Grundlagen orientiert ist, wäre tragfähiger als alles, was der Gesetzgeber - quasi par ordre du mufti entscheiden würde. Wir wären hier dann nicht mehr abhängig von politischen Mehrheiten, sondern die Expertenkommission beschlösse anhand von sachlichen Grundlagen. Ich bin mir sicher, dass die untere Grenze für Löhne in Schleswig-Holstein und Deutschland dann sogar über 8,50 € liegen würde. Ich glaube, dass man mit 8,50 € nicht auskommen würde.

Basierend auf einem flächendeckenden, durch die Expertenkommission festgelegten Mindestlohn könnte man dann natürlich auch noch nach Branchen und Regionen differenzieren. Das heißt, wenn das Existenzminimum plus X deutschlandweit garantiert ist, sollte es auch möglich sein, regionale und branchenspezifische Mindestlöhne oberhalb des flächendeckenden Mindestlohnes festzulegen. Wir kennen diese Vorgehensweise auch schon heute, weil wir mit Allgemeinverbindlichkeitserklärungen sowohl branchenspezifisch als auch regional Lohnuntergrenzen einziehen können. Dieses bewährte Instrument sollte weiter ausgebaut werden.

Mit unserem Vorschlag wollen wir flächendeckende existenzsichernde Mindestlöhne möglich machen und legen dabei gleichzeitig Wert darauf, dass die Tarifautonomie eben nicht - auch nicht teilweise - außer Kraft gesetzt wird. Was wir hierfür aber benötigen, ist eine ehrliche Debatte darüber - auch in der CDU -, wie wir eine gesetzliche Grundlage schaffen, die genau dieses ermöglicht. Denn an vernünftigen Mindestlöhnen kommt keine politische Partei in der Bundesrepublik Deutschland mehr vorbei.

(Beifall beim SSW sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Werner Kalinka das Wort.