Manche sagen, es sei eine rein semantische Nebensächlichkeit, ob man von Mindestlohn oder von Lohnuntergrenze sprechen würde. Ich sage Ihnen: Das ist falsch. Entscheidend ist, dass die Festlegung einer Lohnuntergrenze, also einer unteren Auffanglinie, unter Wahrung der Tarifautonomie geschieht. Diese Landesregierung und ich, wir möchten die Tarifautonomie stärken. Ich möchte die Tarifautonomie nicht unterlaufen; auch nicht mit einem gesetzlich festgesetzten Mindestlohn, der im Zweifel im Deutschen Bundestag beschlossen werden soll.
Mir kommt es darauf an, dass die Tarifpartner nach wie vor in die Lohnfindung eingebunden werden, und zwar mit einem entscheidenden Gewicht. Dort, wo die Tarifautonomie nicht gelebt werden kann, weil es weiße Flecken gibt, dort muss die Tarifautonomie wieder gestärkt werden. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Lohnfindung in die Hände der Tarifparteien gehört. Genau deswegen habe ich das Modell einer Lohnfindungskommission vorgeschlagen; ein möglichst politikfern gestaltetes Gremium aus Vertretern von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Wissenschaft, das sehr wohl unter die Lupe nehmen und selbstständig entscheiden kann, ob ein allgemeiner, flächendeckender Mindestlohn die richtige Antwort auf das von mir skizzierte Problem ist, oder ob Regional- oder Branchenspezifika mit bei der Lohnuntergrenzenfindung herangezogen werden können. Ich halte das nach wie vor für den richtigen Weg.
Ein gesetzlicher Mindestlohn ohne Blick auf die Unterschiede in den Regionen kann gerade im gering qualifizierten Bereich sehr wohl zu einem Abbau von Arbeitsplätzen führen. Ich glaube, wir haben die Pflicht, auch das im Auge zu haben.
Meine Damen und Herren, es bleibt dabei. Bei aller Emotionalität und bei dem Wunsch, die Urheberschaft des Themas gefunden zu haben: Wichtig ist, dass die Debatte in der Gesellschaft angekommen ist, dass es ein Missstand ist, dass tatsächlich Niedrigstlöhne gezahlt werden, von denen sich im Übrigen auch ein Alleinstehender mitnichten ernähren könnte. Die Zahlen wurden vorhin genannt. Zweitens ist angekommen, dass es Unternehmen gibt, die dies systematisch ausnutzen. Das hat mit Wettbewerb und Marktwirtschaft nicht das Geringste zu tun. Es ist auch angekommen, dass wir einen
marktwirtschaftlichen Mechanismus finden müssen, der dem entgegenwirkt. Wenn die ideologischen Barrieren abgebaut werden, dann könnte ich mir vorstellen, dass man gemeinsam zu einer vernünftigen Lösung kommt, die beschäftigungspolitische Entwicklungen genauso berücksichtigt wie die Würde des Menschen, der seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Dies in einen Einklang zu bringen, ist eine Herausforderung, bei der man mit ordentlichen Ausschussberatungen einen ordentlichen Schritt vorangehen kann. Auf diese freue ich mich.
Der Herr Minister hat seine Redezeit um 3 Minuten 45 Sekunden überschritten. Diese Zeit steht den Fraktionen zusätzlich zu den Dreiminutenbeiträgen, die schon angemeldet wurden, zur Verfügung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Garg, ich habe mich auf Ihre Rede hin zu Wort gemeldet. Sie sind hier eingestiegen, indem Sie die Linken darüber belehrt haben, was das Grundrecht der Tarifautonomie bedeutet. Ich möchte Sie darauf hinweisen: Der Staat greift natürlich ein, wenn seine Bürger über die Stränge schlagen. Sie sind wahrscheinlich auch nicht gegen ein Tempolimit in der geschlossenen Ortschaft oder gegen Tempo 30 vor einer Schule. Der Staat greift ein. Lieber Herr Kollege Garg, im Übrigen haben wir Artikel 20 des Grundgesetzes. Darin gibt es das sogenannte Sozialstaatsgebot. Das sagt im Grunde genommen, dass eine aktive Sozialpolitik und eine aktive Arbeitsmarktpolitik in die Wirtschaft eingreifen können. Den Umfang bestimmen übrigens schon seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland die Politik und die Parlamente.
Lieber Herr Kollege Garg, wir haben hier zwei Versagensmomente, nämlich ein Staatsversagen und ein Marktversagen. Wenn es im Friseurhandwerk Dumpinglöhne von 2,75 € gibt, dann müssen Sie sich damit auseinandersetzen. Sie halten das Prinzip der Tarifautonomie so hoch, dass Sie diese Ungerechtigkeit in Kauf nehmen. Wenn Sie dem Staat dann das Recht absprechen, dort einzugreifen, dann sind Sie für mich marktradikal.
Das ist die typische FDP-Position. Sie sagen: Markt geht vor Staat. Das ist auch das, was Sie in Ihrem Antrag formulieren. Das kann man nicht so stehen lassen.
Ich möchte Ihnen sehr deutlich sagen: Befassen Sie sich mit der Thematik! Im Friseurhandwerk gibt es mittlerweile Tarifverträge, die sich nicht mehr nach einem Mindestlohn richten. Sie können dort lesen, dass die Mitarbeiterin mindestens 100 pro Tag umsetzen muss. Setzt sie nur 99 €, dann kriegt sie gar kein Geld. Wenn das die Form von Lohndumping ist, die wir in Deutschland hervorrufen, dann haben wir hier ein dringendes Lösungsproblem. Dann muss der Staat eingreifen. Der Staat muss Rahmengesetze bilden. Der Staat ist dafür da, dass er die Rahmengesetzgebung so ausgestaltet, dass dieser Missbrauch aufhört. Das ist das Ziel. Das ist auch der Weg, den die Mindestlöhne beschreiten, denn es ist die Würde des Menschen aus Artikel 1 des Grundgesetzes, die hier mit Füßen getreten wird. Deshalb müssen wir dies deutlich beschneiden. Deshalb müssen wir in Deutschland für Mindestlöhne streiten, und das tun wir. Sie tun das nur halbherzig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich nach dem Beitrag des Herrn Sozialministers zu Wort gemeldet. Ich glaube, wir haben es im Moment damit zu tun: Alle erkennen irgendwie, dass die Bevölkerung sowohl für Mindestlöhne als auch für Tarifautonomie ist. Weil die Bevölkerung mit ganz großer Mehrheit dieser Auffassung ist, benutzt man diese Begriffe. Das, was Sie Mindestlohn und Tarifautonomie nennen, enthält weder Mindestlohn noch Tarifautonomie, denn es ist keine Tarifautonomie, wenn Verträge mit Scheingewerkschaften, Lohndrückervereinen und Dingen ausgehandelt werden, die an keiner Stelle ausreichen. Das ist der Punkt. Das hat mit Tarifautonomie und dem Respekt davor überhaupt nichts zu tun.
Sie vergleichen Luxemburg und Deutschland miteinander als Beispiel dafür, wie das mit dem Arbeitsmarkt und dem Mindestlohn sei. Das ist ebenso sinnvoll, als würde man den THW Kiel und die HSG Tarp-Wanderup, was Arbeitsmärkte und das Spielniveau angeht, miteinander vergleichen. Beide haben nichts miteinander zu tun.
Nebenbei bemerkt: Die Behauptung, wir seien dafür, dass die Politik die Löhne festlegt, ist völlig falsch. Wir sind der Meinung, dass 8,50 € die absolute Untergrenze sein sollen. Ansonsten wollen wir, dass starke Gewerkschaften und starke Unternehmensverbände ordentliche Löhne miteinander aushandeln, von denen man nicht nur leben kann, sondern die mit sich bringen, dass die Arbeitnehmer auch Anteil an dem Fortschritt und an dem Wohlstand in unserem Land haben. Das ist nicht der Fall.
Nebenbei bemerkt: Das ist nicht einmal die Idee von Herrn Garg. Die Anträge, die die SPD-Bundestagsfraktion zum Mindestlohn gestellt hat, enthielten immer den Vorschlag von Low-Pay-Commissions nach dem englischen Vorbild, die dort ansetzen und dies festlegen. Das ist gar nicht Ihre Idee, Sie haben sie nur abgeschrieben. Das war ein Bestandteil des Punktes, den Ihre Partei uns im Deutschen Bundestag abgelehnt hat.
Zum Schluss würde ich gern noch eines sagen: Sie reden immer davon, man müsse das regional unterschiedlich machen. Es ist nun einmal so, dass wir bei Friseuren nun wirklich nicht von Wettbewerb sprechen können, wenn man nicht gerade in der Nähe zur polnischen Grenze wohnt und zum Haare schneiden nach Polen fährt. Ansonsten können Friseure in Deutschland nicht von 4,50 € pro Stunde leben. Es ist eine Frechheit, ihnen einen solchen Lohn zu bezahlen. Friseure muss man ordentlich bezahlen.
Sie reden immer davon, dass Sie die Koalition seien, die so besonders auf die Staatsfinanzen achte. Das ist der Zusammenhang, über den wir reden müssen. Sie sollten einmal bedenken, dass Menschen, die ordentlich arbeiten und ordentliches Geld dafür verdienen, Steuern und Abgaben bezahlen und nicht permanent Steuergelder brauchen, um das auszugleichen.
Dies bezieht sich sowohl auf die Subventionierung von Dumpinglöhnen als auch auf die Subventionierung von Armutsrenten. Nebenbei bemerkt sind es die Kommunen, die das auszubaden haben. Sie be
strafen also diejenigen, die genau das Gegenteil tun sollen. Das ist nicht verantwortungsvoll. Sondern das ist das Gegenteil. Im Grunde sind wir die Marktwirtschaftsparteien, die so etwas fordern. Sie hingegen sind für staatliche Misswirtschaft, weil der Staat das aus Ihrer Sicht subventionieren soll. Das ist die Wahrheit.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal muss man genau auf Ausdrucksformen, auf den Stil und auf sonstige Bemerkungen in einer Debatte achten. Deshalb will ich das noch einmal genauer analysieren.
Ich möchte folgende kurze Anmerkung machen. Eine Mindestlohndebatte betrifft nur den, der unter Tarif zahlt. Ich möchte ausdrücklich für mich in Anspruch nehmen, zu keinem Zeitpunkt redliche Handwerker und Unternehmer genannt zu haben, die davon betroffen sind. Das möchte ich in aller Klarheit feststellen. Ich möchte das nicht zurückweisen; denn ich kann nur etwas zurückweisen, was ich anders gesagt habe. Ich möchte mich dagegen verwahren, in eine solche Ecke gestellt zu werden.
Nun zum Thema Friseure! Ich würde einmal darüber nachdenken, warum Friseurinnungen inzwischen Mindestlöhne für erforderlich halten. Heute sagen Innungen: Wir brauchen Mindestlöhne; denn so kann es nicht mehr weitergehen. Wir können unsere Leute doch nicht weiter so behandeln. - Das ist die Wahrheit. Deshalb lasse ich es mir auch nicht bieten, dass gesagt wird, ich hätte keine Ahnung.
Wir müssen uns die Frage stellen, ob der Staat Rahmenbedingungen setzen will oder ob alles frei sein soll. Das ist die Kernfrage. Man kann sagen, dass alles frei sein soll. Dann muss man das aber auch öffentlich sagen. Dann muss man ganz klar sagen: Das ist unser Verständnis dieser Dinge. - Ich bin aber anderer Meinung.
Herr Kollege Garg, ich dachte, wir waren uns einig, dass man vom Lohn leben können muss. Bisher haben wir einen Stundenlohn von 9,30 € als Grenze
angesehen. Von 14 € war bisher nicht die Rede. Bislang dachte ich, dass wir uns in diesem Grundsatz einig sind. Jedenfalls ist das die Beschlusslage der CDU. Es ist zu fragen, ob wir uns einig darüber sind, ob man von seiner Hände Arbeit leben können muss. Ich halte das für einen wichtigen Wert.
Ich halte es für einen wichtigen Wert einer Gesellschaft, dass der Mensch, der arbeitet, weiß - er kann ja einmal unterstützt werden müssen -, dass seine Arbeit so viel wert ist, dass er davon leben kann. Ich finde, das ist nicht zu viel verlangt.
Herr Kollege Kalinka, geben Sie mir Recht, dass es monetär einen Unterschied macht, ob ich nur für mich selbst verantwortlich bin oder ob ich auch eine Familie zu ernähren habe? Der Hinweis darauf, dass es sich um zwei unterschiedliche Größen handelt, hat überhaupt nichts mit der Einigkeit darüber zu tun, dass ein Mensch von dem, was er arbeitet, im Zweifel auch leben können muss.
- Herr Kollege Garg, hören Sie sich meine Argumentation doch einmal an! Im Übrigen möchte ich es gar nicht zu einem Disput zwischen uns kommen lassen. Das war nicht meine Absicht.
Es ist doch so, dass einer oder zwei in einer Familie arbeiten, und zwar unabhängig davon, ob es zwei oder drei Kinder gibt und ob es eine Patchworkfamilie ist. Das Einkommen, auch wenn es von einem erwirtschaftet wird, muss aber doch im Prinzip reichen, um die Familie und die Angehörigen und damit auch den einen in der Familie ernähren zu können. Wo ist da die Unlogik?