Protokoll der Sitzung vom 18.11.2011

Zweitens. Eine restriktive, verfassungskonforme und effektive Regelung zur Verwendung von Telekommunikationsdaten bei schwersten Straftaten.

Drittens. Eine bundesweite Verbunddatei über rechtsextremistische Straftäter, wie wir sie schon für Gewalttaten im Sportbereich haben.

Viertens. Notwendige Anpassungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes.

Ich will deutlich sagen, dass das Verbot der NPD ganz gewiss kein Allheilmittel ist. Zum einen wird damit aber die gesellschaftliche Ächtung rechtsextremen Gedankenguts verdeutlicht. Zum anderen verhindert es, dass Nazipropaganda mit Steuermitteln und öffentlicher finanzieller Unterstützung durch diese rechtsextreme Partei erfolgen kann. Deswegen sollten wir das tun.

Ja, wir brauchen V-Leute, aber wir brauchen sie nicht in den Führungsetagen der NPD. Wir brauchen sie nicht als Täter. Das ist ohnehin verboten. Dass sie verfassungsfeindlich sind, ist für uns auch keine neue Erkenntnis. Wir brauchen sie zur Gefahrenabwehr, damit nicht rechte Schläger Menschen irgendwo bedrohen können. Dazu muss man nicht zur Führungsetage gehören. Das ist meine feste Überzeugung. Das wäre nämlich ein klares Verfahrenshindernis für einen erfolgreichen Gang nach Karlsruhe. Ich bin mir mit Ihnen einig, dass ein solches Verfahren nicht scheitern darf. Das wäre eine Katastrophe für alle demokratischen Parteien.

Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung halte ich für einen sehr problematischen Begriff, weil es eigentlich nicht darum geht. Sondern es geht um die

(Dr. Ralf Stegner)

Frage, was in welchen Fällen verwendet werden darf. Das wird in meiner Partei auch sehr kontrovers diskutiert. Das müssen wir aufgrund der europäischen Rechtslage auch tun. Wir müssen das in einer Form tun, bei der die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts strikt beachtet werden. Es gibt Richtervorbehalte. Es geht um schwerste Straftaten gegen Leib, Leben und die sexuelle Selbstbestimmung und nicht etwa um kommerzielle Zwecke. Es muss immer gelten: je härter der Eingriff, desto höher die Hürde. Das muss unser Prinzip bleiben.

Mit einem bundesweiten Datenpool, einer Verbunddatei ,,Gewalttäter rechts“, könnte zum einen die notwendige bundesweite Zusammenarbeit gesichert werden, denn manches wird vor Ort auch falsch eingeschätzt. In diesem Zusammenhang nenne ich Schutzgeld oder die Mafia-Vermutungen in München. Außerdem könnte damit zum anderen bundesweiten rechtsextremistischen Vernetzungen Rechnung getragen werden.

Die Abschaffung von Verfassungsschutzbehörden der Länder ist dagegen Unsinn; denn organisatorische Schnellschüsse und Zentralisierungsvorstellungen aus Bundessicht helfen nicht. Wir müssen besser zusammenarbeiten. Das ist das Gebot der Stunde.

Ich glaube, ein Datenpool für rechtsextremistische Gewalttäter ist wichtig, weil so auf die spezifischen Hintergründe, Muster und Verhaltensweisen Rechtsextremer eingegangen wird und nicht einfach nur reflexartig gesagt wird, dass wir auch die Linksextremisten erfassen müssten. Hier gibt es ein spezielles Verhaltensmuster, um das wir uns kümmern müssen.

Außerdem brauchen wir verbesserte Rahmenbedingungen im Bundesverfassungsschutzgesetz für die Anwendung der NADIS-Datei. Das haben Sie erwähnt.

Alle diese Maßnahmen hätten diese Anschlagserie wohl dennoch nicht verhindern können. Manche waren schon vorher notwendig, konnten politisch aber bisher nicht durchgesetzt werden, oder sie treffen einfach nicht den Kern. Manchmal ist das auch bei der Frage der Strafverfolgung das Problem. Sie sind aber nicht zuletzt ein wichtiges Signal in Richtung der Familien und der verunsicherten Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund, dass wir die Gefahr ernst nehmen und dem menschenverachtenden Gedankengut entschieden entgegentreten. Auch deswegen sind sie wichtig.

Entscheidend für mich bleibt etwas ganz anderes nicht das, was wir im Detail technisch tun mögen,

ob wir uns da fachlich an allen Stellen einigen oder nicht -: Entscheidend ist und bleibt für mich die gesellschaftspolitische Herausforderung, der wir uns zu stellen haben. Generell gilt: Wir müssen die Kette von Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit, von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus unterbrechen, bevor sich hier dauerhaft rechtsterroristische Strukturen etablieren können, die aus diesem Sumpf hervorgehen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Lassen Sie mich schließen! Darüber kann es zwischen Demokraten überhaupt gar keinen Streit geben: In Deutschland darf es nie wieder so sein, dass Menschen vor alten oder neuen Nazis Angst haben müssen. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Gerrit Koch.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal danke ich dem Herrn Innenminister für seinen Bericht. Ich danke der Landesregierung und der Bundesregierung, dass sie sehr besonnen an die sich uns stellenden Probleme herangehen. Denn erst letzte Woche erreichte uns die schreckliche Nachricht: Eine Gruppe von Rechtsextremen zog offenbar seit zehn Jahren durch Deutschland, um ihrem verabscheuungswürdigen Hass gegen alles vermeintlich Undeutsche Ausdruck zu verleihen und Mitbürger kaltblütig zu ermorden.

Besorgniserregend ist, dass diese Taten offensichtlich nicht erfolgreich vonseiten der Sicherheitsorgane unseres Staates verfolgt beziehungsweise verhindert werden konnten. Die Bundeskanzlerin sprach angesichts der Morde von einer Schande für Deutschland. Meines Erachtens muss man aber betonen, dass 82 Millionen Deutsche für dieses abscheuliche Handeln kein Verständnis haben, sondern vielmehr Mitgefühl mit den Opfern und deren Angehörigen empfinden. Wir müssen deutlich machen: Das sind keine einfachen Morde. Wir müssen deutlich machen: Nazis sind nicht Deutschland.

(Beifall bei FDP und CDU)

(Dr. Ralf Stegner)

Ich schließe mich deshalb einem Vorschlag von Hans-Dietrich Genscher und Walter Scheel an, den sie heute machten, als Zeichen eine Trauerveranstaltung des Staates durchzuführen - ein Zeichen des Mitgefühls, aber auch ein Zeichen, dass wir diese Taten nie gutheißen werden.

Wir sollten sehr sorgfältig mit Begrifflichkeiten umgehen, um nicht falsche Effekte zu erzielen. Es wird in vielen Medien von Rechtsterroristen gesprochen. Terrorismus äußert sich aber nicht im Geheimen, sondern will eine politische Änderung. Überspitzt gefragt: Wurden wir elf Jahre lang terrorisiert, ohne dass wir es direkt bemerkten? - Die Gruppe nannte sich „Nationalsozialistischer Untergrund“ und agierte auch genau dort. Jede tote Kanalratte wäre da politisch auffälliger.

Es mag uns in Schleswig-Holstein scheinbar beruhigen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese neue Qualität von rechter Gewalt auch in unserem Land stattfindet. Dennoch geben die Vorfälle in Thüringen und die ersten Ermittlungsergebnisse Anlass, darüber nachzudenken, ob unser Staat insgesamt gut gegen Extremismus und Gewaltexzesse aufgestellt ist. Bevor wir in Aktionismus verfallen, sollten aber die schonungslose Aufklärung der etwas verniedlichend sogenannten „Döner-Morde“ Vorrang haben. Auch warum die Polizistin in Heilbronn sterben musste, muss zum Beispiel geklärt werden. Jeden Tag kommen neue Erkenntnisse hinzu.

Nur anhand der Ergebnisse werden wir in die Lage versetzt, Lösungen zu erarbeiten, um Gewalttätern jeglicher politischer Couleur von vornherein das Handwerk zu legen.

Wie können namentlich bekannte Nazi-Gewalttäter unbeobachtet ihrem abscheulichen Tun nachgehen? - Das kann ich nicht verstehen. Ich kann aber zum Beispiel auch nicht nachvollziehen, dass die Rolle des Landesverfassungsschutzes - hier speziell in Hessen - bis heute nicht eindeutig geklärt werden kann.

Eine Folgerung aus den Geschehnissen ist schon jetzt klar: Der Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlangt, dass mögliche Schwachstellen im System des Verfassungsschutzes schnell gefunden und nachhaltig beseitigt werden. Es ist richtig zu prüfen, wie eine besser abgestimmte Zusammenarbeit und ein besser abgestimmter Informationsaustausch aller Verfassungsschutzbehörden aussehen kann. Gut finde ich auch den Vorschlag, künftig anlassbezogen alle Informationen zügig zusammenzutragen.

Es werden nun wieder Stimmen laut, die ein Verbot der NPD fordern. Um es klarzustellen: Mir wäre es auch lieber, wenn es keine NPD oder ähnliche Parteien in Deutschland gäbe. Zurzeit kann ich aber keinen Erfolg versprechenden Weg zu einem Verbot erblicken. Wir haben es schon angesprochen: Die Problematik der V-Leute in NPD-Vorständen besteht nach wie vor. Ich bin da mit unserem Innenminister einer Meinung: Ein solches Verbotsverfahren sollten wir nur dann anstrengen, wenn es tatsächlich Aussicht auf Erfolg hat. Die Morde der Thüringer Gruppe werden für ein Verbotsverfahren vermutlich auch nicht herangezogen werden können, schließlich traten die Täter nicht als NPDLeute auf, sondern machten quasi ihr eigenes Ding. Wieso sollte das Bundesverfassungsgericht die NPD für die Taten dieser Mördergruppe verantwortlich machen? Geistige Brandstiftung reicht leider nicht aus. Im Übrigen wäre sicherlich kein einziger Mord verhindert worden, wenn die NPD schon verboten gewesen wäre.

Die Verbotsdiskussion haben wir vor einigen Monaten schon einmal in diesem Hause geführt. Ich respektiere alle damals und auch heute wieder angeführten Argumente. Wir Demokraten sind uns in unserem Ziel diesbezüglich immer einig: Deutschland darf nie wieder der Hort menschenverachtender und gewaltverherrlichender Politik werden.

Erlauben Sie mir dazu eine kleine Bemerkung in Richtung von Frau Amtsberg! Wir brauchen allerdings auch keine Aufforderung, uns zur Demokratie und gegen Rechtsextremismus aufzustellen und uns zu positionieren. Ich denke, das tun wir alle hier im Hause.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Zugleich befürchte ich aber, dass mit einer Zerschlagung der NPD auch die Strukturen der Rechtsextremisten zunehmend unkontrollierbar würden. Ein Parteienverbot würde außerdem lediglich die Symptome, nicht aber die Ursache des Rechtsextremismus bekämpfen.

Erlauben Sie mir noch einige Worte zum Antrag der LINKEN, den wir natürlich ablehnen werden. Sie schießen mit Ihrem Antrag nämlich einmal mehr übers Ziel hinaus. Wir reden hier über Mord und Totschlag, Sie fordern die Abschaffung der Extremismusklausel. Soll das heißen: ohne Klausel kein Terror?

(Ulrich Schippels [DIE LINKE]: Was soll das denn jetzt?)

(Gerrit Koch)

- Ja, was soll das denn jetzt? - Sie haben den Antrag gestellt! Sie fordern die Öffentlichkeit aller Beratungen der Gremien zum Verfassungsschutz. Sie nennen es Desinformation, wenn bestimmte demokratisch legitimierte Gremien, zum Beispiel das Parlamentarische Kontrollgremium, nicht öffentlich tagen. Ich nenne es Vertrauen in die dorthin entsandten, demokratisch gewählten Abgeordneten. Wenn wir nämlich davon reden, dass das Handeln dieser Gremien generell öffentlich kontrolliert werden müsse, dann kontrollieren eben nicht nur Demokraten, sondern leider auch Extremisten mit den entsprechenden Folgen für uns alle.

Zum heutigen Zeitpunkt ist also festzustellen, dass ein fortlaufendes Überprüfen und Überdenken der Strukturen der Sicherheit angebracht ist, aber nicht, um unseren freiheitlichen Staat zu schwächen, sondern um ihn zu stärken. Sobald die Gräueltaten der NSU und aller damit verbundenen Vorgänge vollständig aufgeklärt sind, macht es Sinn, weitere Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Wir sind bereit, daran mitzuwirken.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Herr Minister, für den Bericht. Ich habe festgestellt, dass wir uns in der Analyse relativ oft treffen, in den Folgerungen eher selten. Ich glaube, wir brauchen ein NPD-Verbot, aber das war auch schon so, bevor die Ereignisse, über die wir jetzt diskutieren, bekannt wurden. DIE LINKE fordert dies seit Jahren, zuletzt vor wenigen Monaten hier in diesem Haus.

Ich glaube im Gegensatz zu Ihnen, dass wir weder die Vorratsdatenspeicherung noch irgendwelche zentralen Register brauchen. Ich denke, wir müssen die vorhandenen Instrumente polizeilicher und ermittlungstechnischer Arbeit effektiv nutzen. Das sagt DIE LINKE auch seit Jahren.

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Bis zum Selbstmord der Mörder von mindestens zehn Menschen am 4. November 2011 - dem vermuteten Selbstmord; auch da werden schon Spekulationen laut, dass es gar keiner war - ging die bundesdeutsche Polizei davon aus, dass die sogenannten Döner-Morde mit Schutzgelderpressung und

dem Mafiamilieu in Zusammenhang stünden. Das war eine eklatante Fehleinschätzung, wie sich jetzt schnell zeigte, denn die Morde waren von Menschenhassern, von Menschenfeinden, von Nazis begangen worden. Das war eine eklatante Fehleinschätzung vor allen Dingen angesichts des Zeitraums, in denen diese Morde begangen wurden. Man könnte fast von einem Totalversagen der Ermittlungsbehörden sprechen.

Zumindest der Thüringer Verfassungsschutz hat die Täter aber schon seit vielen Jahren gekannt, vielleicht ohne zu wissen, dass es die Täter waren, denn einige Morde geschahen in der Zeit, als einer ihrer bezahlten Spitzel - das Wort gefällt mir besser als V-Leute - in der gleichen Organisation wirkte wie die Mörder, nämlich im Thüringer Heimatschutz.

Ob Verfassungsschützer auch daran beteiligt waren, den Mördern eine Legende zu verschaffen, ob sie es ermöglichten, dass die Mörder „wie vom Erdboden verschwinden“ konnten, wird aufzuklären sein.

Die polizeilichen Ermittlungsbehörden werden uns aber sagen müssen, was bei ihren Ermittlungen falsch gelaufen ist. Gab es etwa bewusste Informationen vonseiten der Geheimdienste? Gab es bewusste Informationen vonseiten der V-Leute? Wir müssen uns klarmachen, wenn wir dieses Wort immer so in den Mund nehmen, was es bedeutet. VLeute sind Vertrauensleute. Es sind Leute, denen wir vertrauen. Es sind Nazis, und es sind Mörder. Denen vertrauen wir. Ich bin nicht mehr bereit, diesen Begriff so zu benutzen. Das, Herr Minister, sind, glaube ich, die systembedingten Schwachstellen, von denen Sie gesprochen haben.

Ich glaube, wir müssen zu anderen Schlussfolgerungen kommen. Ich kann da gleich auf den Kollegen Koch eingehen.

Wir fordern eine umfassende und öffentliche parlamentarische Aufklärung auf Bundes- und Landesebene zu diesen Vorfällen. Zentral ist dabei nämlich der öffentliche und nicht geheime Charakter der Aufklärung, die unter Hinzuziehung von unabhängigen Fachleuten erfolgen muss. Kollege Koch, wir haben doch gesehen, wohin uns die Geheimniskrämerei geführt hat. Sie hat uns genau in dieses Dilemma hineingeführt. Deshalb sind wir der Ansicht, dass wir mit Öffentlichkeit und mit Transparenz dagegen angehen müssen.