Protokoll der Sitzung vom 15.12.2011

Herr Kollege Dr. Stegner, wenn Sie bei der Rede von Helmut Schmidt zugehört hätten, hätten Sie gehört, dass die Staatsschuldenkrise in Europa nicht überwunden werden kann ohne die Entfachung einer neuen Wachstumsdynamik. Ich hätte mir gewünscht, Sie würden einmal begreifen, was das Entfalten von Wachstumsdynamik fürs Land, für die Bundesrepublik Deutschland und auch für Europa bedeutet.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Es ist ärgerlich, dass versucht wird, ein wichtiges Thema auf rund 25 Zeilen zusammenzufassen, ohne bei den Menschen im Lande dafür zu werben, warum Deutschland in der Art und Weise Solidarität üben muss innerhalb Europas, wie wir es tun müssen und tun werden, und warum wir uns darüber unterhalten müssen, ob Maßnahmen, die vorgeschlagen werden in die eine oder andere Richtung, dem Ziel, dauerhaft eine neue Perspektive für Europa zu entwickeln, gerecht werden oder nicht.

Herr Kollege Dr. Stegner, Ihr Antrag ist nicht nur inhaltsleer, viel schlimmer, er führt nach meiner Auffassung zu mehr Politikverdrossenheit, da wir uns mit etwas beschäftigen, was wir auf Landesebene kaum beeinflussen können. Sie erklären den

Bürgerinnen und Bürgern nicht, warum die Rettungsmaßnahmen, die beschlossen worden sind, wichtig sind. Wir müssen doch die Menschen in Deutschland davon überzeugen, dass das, was an Maßnahmen ergriffen wird, richtig und vor allem wirkungsvoll ist. Es nützt nichts - das sage ich Ihnen ausdrücklich -, wenn man als Argument Euroromantik anführt. Wir müssen verdeutlichen, dass die Hilfe nicht ausschließlich aus Nächstenliebe und Solidarität erfolgt, sondern dass diese Hilfe auch für unseren eigenen wirtschaftlichen Erfolg und unseren eigenen gesellschaftlichen Wohlstand von essenzieller Bedeutung ist,

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

dass es darum geht, den Menschen zu verdeutlichen, was auch wir von einem gemeinsamen, sich fortentwickelnden Europa haben.

Deshalb bin ich Helmut Schmidt - ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, das öffentlich zu verkünden - von dieser Stelle aus außerordentlich dankbar, dass er in seinem Redebeitrag die historische Dimension der Einbettung Deutschlands in einem gemeinsamen Europa verdeutlicht hat. Das hat für uns schon an sich einen Wert, und es macht gleichzeitig deutlich, dass wir in Europa eine neue Perspektive entwickeln müssen, die über das hinausgeht, was immer noch in den Köpfen vieler ist, dass wir eine reine Wirtschaftsunion seien, ausgerichtet auf den Austausch von Gütern und Dienstleistungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird eine europäische Krise unterstellt, die in Wahrheit eine Staatsschuldenkrise ist. Europa hat gerade wegen der Union die einmalige Chance, gemeinsam mit der Kraft und Solidarität vieler großer Volkswirtschaften diese Staatsschuldenkrise zu meistern. Ich kann Ihnen garantieren, dass weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün, die vorher regiert haben, dazu beigetragen haben, dass sich die Griechen in dem Ausmaß außen verschuldet haben, wie es gegenwärtig der Fall ist. Wir hätten ein geringeres Problem, wenn sie eine Binnenverschuldung hätten. Sie haben aber in den letzten zehn Jahren - aus ihrer Sicht dankenswerterweise - das Problem von innen nach außen verlagert, und das macht die Dramatik deutlich, weil viele Länder von äußeren Entscheidungen abhängig geworden sind, und nicht die Möglichkeit haben, das in eigener Zuständigkeit zu regeln.

Herr Kollege Dr. Stegner, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Auch die FDP, auch wir machen uns stark für eine schlagkräftige Finanzmark

taufsicht, für klare Regeln. Denn ein Markt ohne Regeln ist keiner, da sich nicht ökonomische Vernunft, sondern Marktmacht durchsetzen würde. Wenn Sie von Neoliberalen reden - sie gehören für mich zu der Kategorie der Awoas; ich möchte das jetzt nicht weiter erklären -, dann muss Ihnen klar sein, dass es gerade Neoliberale waren, die Wettbewerbsregeln aufgestellt haben, die Kartellregeln aufgestellt haben, die erklärt haben, es darf kein Unternehmen geben, das so groß wird, dass sich der Staat im Zweifel nicht mehr gegen das Unternehmen wehren kann. Wenn Sie das begreifen würden, würden Sie verstehen, warum wir uns auch in Europa für gemeinsame Regeln einsetzen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist bemerkenswert, dass Mitarbeiter einer Ratingagentur mehr Einfluss auf das Wohl eines Staates haben als die Politiker des Landes, ja ganz Europas. Außer den Namen der Agenturen kennen die meisten die Akteure nicht einmal. Dem Einfluss amerikanischer Ratingagenturen müssen wir ein europäisches Pendant entgegensetzen und gleichzeitig ihre Macht beschneiden. Zusätzlich müssen wir dafür sorgen, dass diese Agenturen für Fehleinschätzungen verantwortlich gemacht werden, dass wir sie vor Gericht ziehen, dass sie Standards einhalten müssen.

(Beifall bei der FDP sowie vereinzelt bei CDU und SSW)

Nur dann werden wir feststellen, dass sie sich anders verhalten als gegenwärtig.

Herr Kollege Dr. Stegner, wir sind froh, dass EuroBonds nicht eingeführt werden. Das ist keine Frage, dass Angela Merkel abends eine Kerze ins Fenster stellt. Das macht momentan keinen Sinn. EuroBonds machen erst dann einen Sinn - auch da hätten Sie Helmut Schmidt zuhören sollen -, wenn wir eine gemeinsame, einheitliche Sozial- und Finanzpolitik haben.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich bin gleich fertig, Herr Präsident. - Solange wir eine solche Politik nicht haben, führen Euro-Bonds nur dazu, dass Länder mit einem besseren Rating die Schulden mitfinanzieren müssen, die Länder mit einem schlechteren Rating aufgenommen haben, mit der Folge, dass sich die Zinszahlungen verändern. Nehmen Sie die Warnungen wahr! Die Ratingagenturen werden sich am schlechtesten Teilnehmer und nicht am besten Teilnehmer orientieren, was zu einem Anstieg des Zinsniveaus für

alle führen wird, was niemand von uns wollen kann. Deshalb ist die jetzige Vorgehensweise sinnvoll, zunächst durch die Maßnahmen, die ergriffen worden sind, mit der Festschreibung einer Schuldengrenze in der Verfassung aller Länder für eine bessere Haushaltspolitik zu sorgen.

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Herr Präsident, mein letzter Satz. - Dann sollten wir zu einer gemeinsamen Finanz- und Sozialpolitik kommen, sodass wir den Euro-Raum aufrechterhalten können, und am Ende können Euro-Bonds stehen. Wer die an den Anfang stellt, der vernichtet den Weg, statt ihn wirksam zu beschreiten.

(Beifall bei FDP, CDU und des Abgeordne- ten Lars Harms [SSW])

Meine Damen und Herren, ich verweise darauf, dass der gegenüber einem Kollegen formulierte Vorhalt „Demagoge“ unparlamentarisch ist.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Ich erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abgeordneter Monika Heinold das Wort.

(Zurufe)

- Das Wort hat jetzt Frau Kollegin Monika Heinold.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer in diesen Tagen an Europa denkt, der denkt nicht an Frieden, kulturelle Vielfalt oder Reisefreiheit, sondern er macht sich Sorgen über den Euro und über die hohe Staatsverschuldung. Der europäische Gedanke droht, unter den Rädern der Finanzjongleure und unter den Schuldenbergen zermalmt zu werden. Expertenmeinung steht gegen Expertenmeinung. Es werden Rezepte vorgelegt, die unterschiedlicher und gegensätzlicher nicht sein könnten. Für uns Grüne war Europa immer mehr als ein gemeinsamer Binnenmarkt und mehr als bequemes Reisen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Meinungsfreiheit und Demokratie, kulturelle Vielfalt, Solidarität und der Abbau von wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichten - das ist es, was

(Wolfgang Kubicki)

den europäischen Gedanken ausmacht. Mit der Einführung einer gemeinsamen Währung sollte dieses Europa weiter zusammenwachsen. Wie riskant es war, die Währungsunion ohne die Gleichzeitigkeit der Wirtschaftsunion umzusetzen, haben die letzen Monate gezeigt. Jetzt muss Europa die Versäumnisse im Galopp nachholen, die Politik muss die Grundlage für solide Staatsfinanzen und für nachhaltiges Wirtschaften schaffen und Sozial- wie Steuerdumping einen Riegel vorschieben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Zaudern und Zögern der Bundesregierung muss ein Ende haben. Die Kanzlerin muss vom Bummelzug in den Intercity umsteigen und darf nicht länger heute ausschließen, was schon gestern notwendig war.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt bei der SPD und Beifall der Abge- ordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Trial and Error können wir uns in der derzeitigen Situation nicht leisten. Letzte Woche wurden nun endlich auf dem Gipfeltreffen notwendige Pflöcke eingeschlagen. Ich sage dies auch in aller Deutlichkeit, auch wenn dies nicht ganz dem entspricht, was meine Bundeskollegen gestern gesagt haben.

(Beifall des Abgeordneten Tobias Koch [CDU])

Die Entscheidungen waren richtig, und es ist auch richtig gewesen, sich nicht auf den Kuhhandel mit Cameron einzulassen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt bei SPD und CDU sowie Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Wer noch immer glaubt, die Finanzindustrie zulasten der Gemeinschaft schützen zu müssen, der missachtet die Lehren aus der Finanzmarktkrise sträflich. Die Zügel der Steuerung Europas gehören in die Hand der Politik, wir brauchen eine klare Regulierung der Finanzmärkte. Der Kollege Kubicki hat es eben angesprochen: Wir brauchen eine unabhängige europäische Ratingagentur. Dies ist zwingend, wenn die amerikanischen Ratingagenturen mit dem Euro Pingpong spielen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt bei CDU und SPD sowie Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Haushaltsdisziplin und Haushaltskontrolle sind richtig, helfen aber allein nicht weiter. Sie müssen Hand in Hand mit nachhaltigen Investitionspro

grammen gehen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist eine große Chance gerade für die südeuropäischen Länder. Das europäische Miteinander muss ein Geben und Nehmen sein. Die Währungsgemeinschaft ist eine Solidargemeinschaft. Das vom Sachverständigenrat vorgeschlagene Modell für einen Altschuldentilgungsfonds ist genauso richtig wie die Einführung von Euro-Bonds.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Die Rettung des Euro ist im nationalen Interesse und auch im Interesse Schleswig-Holsteins. Ein Exportland ohne Abnehmer sinkt wie ein Schiff, dem der Kiel voll Wasser gelaufen ist.

Was wir in dieser Debatte am allerwenigsten brauchen, auch das ist mir wichtig, sind pauschale Beschimpfungen ganzer Nationen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei SPD und SSW)

Nicht die Griechen sind verschwenderisch, sondern der griechische Staat hat die Misswirtschaft zu verantworten. Nicht die Briten scheren aus der europäischen Verabredung aus, sondern die konservative Regierung in Großbritannien hat diese Entscheidung zu verantworten. Und nicht die Deutschen sind arrogant, sondern es war ein einzelner Mann - Herr Kauder -, der mit seiner Bemerkung auf dem CDU-Parteitag, jetzt werde in Europa wieder Deutsch gesprochen, viele Menschen in anderen europäischen Ländern verprellt hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt bei der SPD und Beifall der Abge- ordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Wir Deutschen sind nicht die besseren Europäer. Auch wir haben Maastricht-Kriterien verletzt. Die Bundesregierung hat gerade eine hohe Nettoneuverschuldung beschlossen und eine Steuerreform auf Pump. Es gibt also keinen Grund, schulmeisterlich die Backen aufzublasen. Mehr Demokratie in Europa, ein starkes Europäisches Parlament, ein Europäischer Konvent, der transparent über die Weiterentwicklung der Europäischen Verträge debattiert, über Wirtschaft, Finanzen, über Soziales, über Demokratie - das ist die Zukunft Europas. Für Deutschland ist die europäische Integration ein großes und wertvolles Geschenk. Ich sehe uns alle in der Pflicht, dafür einzutreten, dass dies so bleibt.

(Monika Heinold)