Protokoll der Sitzung vom 15.12.2011

(Monika Heinold)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei CDU, SPD, der LIN- KEN und SSW)

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Ulrich Schippels.

Vielen Dank. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Schuldenschnitt für Griechenland wie im Antrag der SPD - zu begrüßen, ist das eine. Dass es bisher gar keinen Schuldenschnitt gibt, ist das andere. Denn bisher diskutieren die Banken mit den Regierungen darüber, wie das realisiert werden kann. Das ist noch lange nicht in trockenen Tüchern.

Das Dritte aber ist, diesen Schritt als Meilenstein zu sehen und die Finanzkrise in Europa in den Griff zu bekommen - das ist wieder einmal eine sozialdemokratische Meisterleistung. Sie drücken sich unserer Meinung nach wie Frau Merkel um die Wirklichkeit herum.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Grundproblem ist doch, dass Sie sich - wie auch der Gipfel letzte Woche - mit Problemen befassen, die es gar nicht gibt. Wie mit Ihrer Zustimmung zur Schuldenbremse hier im Landtag befassen sich die sozialdemokratischen mit den konservativen und liberalen Regierungen in Europa mit der Frage, wie man in einem oder zwei Jahren, wenn alles gut ist, verhindern kann, dass Länder neue Schulden machen. Aber ist das ist gar kein Ansatz, um die Probleme, die Europa hat, zu lösen. Da besteht einerseits das Problem, dass Länder sich in einer Schuldenspirale befinden - keine Frage. Da kommen sie aber nur heraus, wenn die Zinsen niedrig sind. Das ist übrigens auch für SchleswigHolstein substanziell. Wenn wir in Schleswig-Holstein doppelt so hohe Zinsen zu zahlen hätten wie jetzt, stünden wir vor ganz anderen Problemen.

Da ist also die Frage zu beantworten: Wie bekommen wir jetzt heute Morgen sofort - in Europa die Zinsen in den Griff und dass die Länder ihre Zinsen zahlen?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Durch einen Be- schluss im Landtag wahrscheinlich!)

- Das ist absolut dringend, und dazu braucht es eine aktive Notenbank, Herr Kubicki.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Was macht die jetzt?)

Es geht nicht mehr um die Frage irgendwelcher Regulierungen, an denen Sie nun schon seit zwei Jahren scheitern, wie es auch schon gar nicht mehr um die Frage des Primats der Politik geht. Das ist viel zu abstrakt. Wir haben Griechenland an die Wand gespielt. Das Leistungsbilanzdefizit von Griechenland hat sehr viel mit unserem Exportüberschuss zu tun. Damit haben wir aktiv zur Verschuldung von Griechenland beigetragen. Jetzt spielen die Ratingagenturen Griechenland und letztlich auch den Euro kaputt.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki?

Gern doch.

Herr Kollege Schippels, da Sie erklären, wir hätten Griechenland an die Wand gespielt und wir müssten jetzt dafür Sorge tragen, dass schnellstmöglich die Zinsen auf ein angemessenes Niveau sinken, würden Sie freundlicherweise dem Hause erklären, wie hoch der Leitzins der Europäischen Zentralbank gegenwärtig ist und wie weit er noch sinken soll? Und würden Sie mir freundlicherweise erklären, wie groß der Leistungsaustausch zwischen Deutschland und Griechenland ist, wenn wir das Problem verursacht haben, dass Griechenland 350 Milliarden € Schulden hat?

- Herr Kubicki, das Problem ist, dass Sie zu forsch sind. Warten Sie meine Rede ab. Ich werde unsere Vorstellungen dazu ausführen.

Meine Damen und Herren, wir stehen unmittelbar vor dem Problem, dass wir aufgrund der sogenannten Konsolidierungsmaßnahmen in Europa am Rande einer Rezession stehen, die sich laufend verstärkt. Ein Land wie die Niederlande ist schon mittendrin in der Rezession. Wegen der Sparmaßnahmen ist die Prognose für das Strukturdefizit Großbritanniens von 6,5 % auf 8 % gestiegen. Das kostet zusätzlich 22 Milliarden £ pro Jahr. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete am 16. November 2011 über die Lage auf der Insel - ich zitiere mit Erlaubnis -:

(Monika Heinold)

„Das Produktionswachstum lässt nach, die Verbraucherstimmung bricht ein, und langsam sind die Konsequenzen der staatlichen Sparmaßnahmen zu spüren. Vor allem die Arbeitslosigkeit von Frauen im Dienstleistungssektor ist sprunghaft gestiegen - die Konsequenz der Entlastungen im öffentlichen Dienst.“

In Lettland fand vor wenigen Tagen ein BankenRun statt. „Die Zeit“ vom 18. Mai 2011 berichtete damals - ich zitiere nochmals mit Erlaubnis des Präsidenten -:

„Die Löhne im öffentlichen Dienst wurden um 40 % gesenkt. Lettland erhöhte die Umsatzsteuer auf 22 %, verkürzte die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld und kappte die Zuschüsse an den öffentlichen Nahverkehr“

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Jetzt haben laut Statistik von 600.000 lettischen Haushalten 120.000 Kredite aufgenommen. Davon kann inzwischen jeder Dritte die Raten nicht mehr regelmäßig bedienen.

In Irland, das als super-flexibel gilt, als wirtschaftsliberales Musterland sozusagen, ist die Arbeitslosigkeit im vergangenen Monat ungeachtet einer großen Auswandererbewegung um 14,5 % gestiegen. Die Steuereinnahmen sind im November in Folge um 1,6 % hinter den Zielen zurückgeblieben. Ich könnte das Gleiche zu Italien oder zu Österreich sagen.

Im August 2011 war der Monatsrückgang bei der Industrieproduktion in der Eurozone so hoch wie das letzte Mal im September 2009. In Deutschland sind die Exporte im Oktober stark zurückgegangen, und für Ende 2011 und Anfang 2012 werden deutliche Rückgänge des BIP in der Euro-Zone prognostiziert.

Meine Damen und Herren, Ihre Politik der Beantwortung nie gestellter Fragen neigt sich dem Ende zu. Wir dagegen sagen: Keine Opfer für den Euro! Kein Opfer für Ihre Konsolidierung! Wir sagen: Her mit europaweit höheren Steuern auf Erbschaften, Vermögen und höheren Einkommen! Her mit dem Programm für Europa, das öffentliche Investitionen fördert! Her mit Programmen, die öffentlichen Reichtum steigern, an Infrastruktur, an Bildung und allem, was die Welt lebenswert macht!

(Beifall bei der LINKEN)

Das funktioniert nicht mit einer europäischen Schuldenbremse, wie jetzt vereinbart. Sie kürzen Europa zu Tode. Ein letztes Wort - ich komme zum Ende -: Ich höre den Ruf der SPD nach Wachstum und Beschäftigungsprogrammen sehr gern. Aber Sie müssen sich schon entscheiden: Kürzen oder Investieren, Schuldenbremse oder Investitionen?

(Beifall bei der LINKEN)

Beides zusammen geht nicht, meine Damen und Herren von der SPD, es sei denn, Sie heißen Torsten Albig.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort für die SSW-Fraktion erteile ich der Fraktionsvorsitzenden Anke Spoorendonk.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich warte immer noch auf die Erklärung, wie hoch der Leit- zins ist!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vieles spricht dafür, dass sich der Europaausschuss des Landtages regelmäßig nach Brüssel begeben sollte, um sich vor Ort über europapolitische Themen zu informieren. Denn eines sollte uns bei unserem letzten Besuch bewusst geworden sein: Aus Brüsseler Sicht sieht das europäische Geschehen anders aus als aus Berliner oder aus Kieler Sicht. Auch der Informationsaustausch mit den schleswigholsteinischen Europaabgeordneten und den Mitgliedern des Europaausschusses auf Bundesebene sollte unbedingt intensiviert werden. Nur so wird es uns gelingen, eigene Einflussmöglichkeiten auszuloten und eine europapolitische Debatte zu führen, die unseren Ansprüchen als Parlament gerecht wird. Es reicht mir also nicht aus zu sagen: „Schön, dass wir einmal darüber geredet haben.“

Auch wenn wir uns als Landtag mit der Debatte zu den beiden vorliegenden Anträgen an der allgemeinen politischen Meinungsbildung beteiligen, wäre ein ambitionierteres Vorgehen unserer Meinung nach notwendig. Zum einen läuft das Gesetz zum Europäischen Stabilisierungsmechanismus auch über den Bundesrat. Schon im Sommer hatten sich die Bundesländer für eine umfassende und zeitnahe Unterrichtung ausgesprochen. Zum anderen wissen wir seit der Bundestagsdebatte zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin, dass die Beschlüsse des EU-Gipfels nicht ohne Probleme sind. Einige Presseberichte sprechen sogar davon, dass Angela

(Ulrich Schippels)

Merkel mit den Beschlüssen des Schuldengipfels an den Rand der Legalität gegangen ist. Fest steht, dass der Beschluss, die Kreditlinie des Internationalen Währungsfonds zu erhöhen - ein knappes Drittel davon kommt aus Deutschland - nicht ohne Weiteres umzusetzen sein wird. Man könnte nämlich zu Recht meinen, dass damit der Bundestagsbeschluss, wonach insgesamt nur 211 Milliarden € für die Währungsrettung ausgegeben werden dürfen, umgangen wird. Der Chef der Bundesbank machte öffentlich aus seinem Unbehagen keinen Hehl: Der Umweg über den IWF könnte als verkappte Staatsfinanzierung entlarvt werden. Genau dies ist den Notenbanken nicht erlaubt. Um aus dieser Zwickmühle herauszukommen, wünscht sich die Bundesbank, dass der Bundestag das Vorgehen absegnet. Damit geht der Sachverhalt auch uns als Landesparlament an.

Aus parlamentarischer Sicht ist ein anderer Punkt des Schuldengipfels aber von noch weitreichender Bedeutung. Sollte sich die Europäische Union zu einer Fiskalunion mit konkreten Eingriffsrechten für die Kommission und den Europäischen Gerichtshof weiterentwickeln, dann gibt es ein verfassungsrechtliches Problem, das nicht einfach von der Hand zu weisen ist. Im Grundgesetz steht, dass allein der Bundestag über den Haushalt des Bundes entscheidet. Das passt also ausgesprochen schlecht mit den Beschlüssen des EU-Gipfels zusammen, denn ohne Zugriffsrechte auf die Etats gibt es keine Möglichkeit, das überzogene Schuldenmachen klammer Staaten zu verhindern. Diese Grundsatzdiskussion wird auch auf europäischer Ebene zu führen sein. Sie wird schon in den anderen nationalen Parlamenten der Euro-Länder geführt.

Es ist sicherlich unumgänglich, dass die Europäische Union mit dem neuen Stabilitätspakt den Finanzmärkten signalisiert, dass die Zeit des ungehemmten Schuldenmachens vorbei ist und die Finanzwirtschaft viel stärker kontrolliert werden muss. Dazu gehört natürlich auch eine unabhängige europäische Ratingagentur. Man könnte sogar behaupten, dass der neue Pakt einen Kompromiss ermöglicht, der zum Inhalt haben könnte: Die EZB löst das Schuldenproblem der Vergangenheit, die Regierungen grenzen das Risiko für die Zukunft ein. Die Schwachpunkte in dieser Argumentation habe ich vorhin schon angedeutet.

Für den Schleswig-Holsteinischen Landtag sollten aber eben diese Schwachpunkte in den Mittelpunkt der Debatte gerückt werden. Hinzu kommt dann noch die ganz zentrale Frage über die Zukunft der Europäischen Union als Ganzes. Denn Fakt ist:

Seitdem Griechenlands Schuldenkrise und andere Pleitekandidaten die Euro-Zone belasten, ziehen sich durch die gesamte EU zahlreiche Risse. Das deutsche Vorgehen in der Krise kann dazu führen, dass die Europäische Union zerfällt. Es sollte uns Sorgen bereiten, dass die Bundesrepublik in den letzten Monaten ihre Europapolitik grundlegend geändert hat und damit zur Zersplitterung Europas beiträgt.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben eine EU der 27 - mit Kroatien bald der 28 -, eine Währungsunion der 17 und europäische Länder außerhalb der EU. Seitdem sich der britische Premierminister aus den Bemühungen um eine gemeinsame Fiskalpolitik der EU verabschiedet hat, haben wir zusätzlich eine „Koalition der Willigen“, 17 Euro-Länder und sechs anderer Staaten. Es wäre aus Sicht des SSW tödlich für die Europäische Union, wenn die 17 Euro-Länder jetzt auf Drängen Deutschlands und Frankreichs weiter gemeinsam vorpreschen und sich stärker politisch integrieren, denn dies führt ja nicht dazu, dass die zehn anderen dem früher oder später folgen und der Währungsunion beitreten. Es wird keine nationalen Mehrheiten für solche Änderungen

(Glocke des Präsidenten)

- ich komme zum Schluss, Herr Präsident - der EU-Verträge und der Verfassungen geben. Dies gilt erst recht für jene Länder, wo dafür Volksabstimmungen erforderlich sind. Das zeigt sich ja jetzt schon.

Das ist die Gemengelage. Darum sagen wir: Wir können nicht einfach den Parteitagsbeschluss der Bundes-SPD oder die Linie von Angela Merkel absegnen. Das geht nicht. Der SSW wird sich daher der Stimme enthalten.

Wir beantragen, dass beide Anträge im Europaausschuss weiterberaten werden, damit wir hoffentlich zu einem ambitionierteren Vorgehen kommen. Es könnte sogar sein, dass wir eine gemeinsame Position des Schleswig-Holsteinischen Landtages erarbeiten können.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner?

(Anke Spoorendonk)