Protokoll der Sitzung vom 27.01.2012

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kubicki, erst einmal möchte ich feststellen, dass es schon im letzten Jahr einen gemeinsamen Antrag gab, der im Landtag einstimmig beschlossen wurde. Von daher ist das, was wir heute erleben, eher ein Rückschritt.

(Zurufe)

Ich bin bei der Verbotsdebatte tatsächlich auf der Seite des Innenministers,

(Zurufe)

der in der Zeitung gesagt hat, man müsse es zumindest versuchen und dokumentieren, auch für die öffentliche Debatte, dass man die Nazi-Demo nicht haben will, das könne man auch dadurch dokumentieren, dass man zum Verwaltungsgericht geht.

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE] - Unruhe)

Natürlich sollte man nicht im Vorhinein dafür sorgen, dass die Chancen schlechter werden. Das ist auch eine Aussage. Es ist auch keine Schande, wenn man vorm Verwaltungsgericht verliert, weil man damit zumindest dokumentiert hat, dass man alles in seiner Macht Stehende versucht hat, um die Demonstration zu verbieten und die Faschistinnen und Faschisten in Lübeck nicht laufen zu lassen.

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Auch das ist ein starker Ausdruck.

Ich möchte kurz auf den Unterschied zwischen den beiden Anträgen hinweisen. Mir ist es nach wie vor schleierhaft, warum man immer noch die Extremismuskeule herausholt und in der Überschrift formuliert: „Dem politischen Extremismus ein klares Bekenntnis zur freiheitlichen Demokratie entgegensetzen“. In meinen Augen ist das eine Art von Gleichsetzung von Links und Rechts, die nicht statthaft ist.

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Herr Abgeordneter Thoroe, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Habeck zu?

Wenn es Ihre Auffassung ist, dass wir politische Gerichtsurteile fällen sollen, warum hat dann Die LINKE ihren ursprünglichen Antrag zurückgezogen?

(Gerrit Koch [FDP]: Ja, sehr glaubhaft! - Weitere Zurufe)

- Wir haben den Sinn unseres Antrags nicht geändert. Es stand vorher drin: Der Innenminister soll eine Weisung an den Bürgermeister erteilen, dass die Demonstration verboten wird beziehungsweise der Verbotsantrag gestellt wird. Jetzt steht immer noch die Forderung nach einem Verbot im Antrag. Daher kann ich da keine riesengroßen Unterschiede ausmachen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie sind da über- fordert! - Gerrit Koch [FDP]: Wo steht denn das drin? - Weitere Zurufe)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Thoroe. - Herr Abgeordneter Thoroe, ich bitte Sie, im Rahmen Ihres Dreiminutenbeitrags fortzufahren.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Aber ich bin jetzt auch zum Ende gekommen.

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich der Frau Fraktionsvorsitzenden Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jenseits des Ziels dieser Debatte, gegen Rechts an

(Wolfgang Kubicki)

zugehen bei der Demonstration Ende März in Lübeck, muss ich noch einmal an den Ablauf erinnern. Da bin ich dann bei dem Kollegen Kubicki. Ich finde, es ist katastrophal, zu sagen, es ist keine Schande, vor Gericht nicht weiterzukommen, vor Gericht nicht zu obsiegen. Diese Einstellung ist nicht eine Einstellung, die unserem Rechtsstaat dient. Darum sage ich, das ist katastrophal.

(Beifall bei SSW, CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man kann nicht einfach einen Probeballon losschicken und sagen: Schauen wir einmal, wo der hinfliegt. Das geht nicht.

Zu dem Ablauf muss ich noch sagen: Das war mir schon ein Anliegen in meiner Rede. Ich fand, es war bemerkenswert, dass der Innenminister des Landes ohne Not - es bestand keine Eile, keine Hektik - Anfang dieses Jahres in einem Interview in den „Lübecker Nachrichten“ die Botschaft verbreitete, man müsse jetzt die Demonstration verbieten. Er hat das in die Öffentlichkeit hineingetragen. Wenn es um die Sache gehen würde, dann hätte er mit dem Bürgermeister in Lübeck telefoniert. Dann hätte er gesagt: „Ich schaue einmal vorbei. Dann sehen wir mal, was gemacht werden kann.“ Dann hätte man das vertraulich gemacht, und dann hätte man die Öffentlichkeit erst informiert, wenn konkrete Fakten vorgelegen hätten. Das wäre doch der richtige Weg gewesen.

(Beifall beim SSW sowie vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Herr Minister Schlie, ich bin in dieser Sache wirklich nicht Ihrer Auffassung. Ich bedauere sehr, dass Sie diesen öffentlich wirksamen Weg gewählt haben. Das muss ich Ihnen klar und deutlich sagen. Das ist nicht der Sache dienlich.

Ich muss auch noch zu der LINKEN und dem letzten Beitrag des Kollegen Thoroe sagen: Die Linken wollten ursprünglich nicht einem gemeinsamen Antrag beitreten. Das wolltet ihr nicht. Dann kann man sich nicht hier hinstellen und sagen: „Okay, wir hätten das auch gern.“ Es hat Gespräche gegeben; das ist ganz klar.

Ich muss auch noch einmal sagen - diese Diskussion hatten wir auch im letzten Jahr -: Wenn man immer nur mit Maximalforderungen kommt, die der eigenen politischen Position entsprechen, dann kommt man nicht weiter. Dann wird es nichts Gemeinsames geben. Und das, was aus Ihrem Antrag als Botschaft hervorgeht, ist nicht etwas, womit ich mich identifizieren kann.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei der FDP)

Es gibt einen weiteren Dreiminutenbeitrag, und zwar des Herrn Abgeordneten Peter Harry Carstensen.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es kommt selten vor, dass ich auch in der Tendenz den Ausführungen des Fraktionsvorsitzenden der SPD, die dann auch von Herrn Kubicki unterstützt worden sind, folge.

Wenn ich mir vorstelle, ich gehörte zu den Menschen, die da draußen mit dieser rechtsradikalen Auffassung Politik machen wollen, Bewegung machen wollen, und wenn ich mir vorstelle, ich würde die Debatte, den kleinen Streit, der aus dieser Debatte entsteht und der uns nicht zusammenschweißt, sondern in einzelnen Feinheiten wieder auseinanderbringt, beobachten, dann würde ich fragen: Was sind das eigentlich für Demokraten?

Als einer, der 1947 geboren ist, der zu Hause erlebt hat, was über die Zeit gesagt worden ist, die meine Eltern intensivst mitgemacht hatten, in der mein Bruder, der den Namen Harry trug, gefallen ist, worüber aber selten gesprochen worden ist, der aber erlebt hat, wie Flüchtlinge über ihr Schicksal gesprochen haben, der Hunger miterlebt hat, nicht selbst, sondern gesehen hat, wie Leute in Schleswig-Holstein angekommen sind, die Hunger hatten, die aufgrund der Verbrechen leiden mussten, und der in seiner ganzen politischen Zeit viel darüber nachgedacht hat, wie man reagieren würde, wenn man selbst in eine solche Situation hineinkäme, als einer, der das als verantwortungswürdig empfindet, was da draußen propagiert wird und wofür dort demonstriert wird, bin ich ein bisschen betroffen, wenn er diese Debatte in dieser Art sieht und erlebt.

Ich wäre sehr, sehr dankbar, wenn es jetzt nicht um die kleinen, feinen Unterschiede ginge, sondern wenn wir wesentlich deutlicher herausheben würden, was uns in dieser Sache eint, nämlich der Kampf gegen diese extremen, unanständigen Menschen.

(Beifall im ganzen Haus)

Da geht es wirklich, Herr Thoroe, auch um politischen Extremismus. Ich habe nichts gegen politisch extreme Meinungen, aber wenn Sie sich getroffen fühlen durch den -

(Anke Spoorendonk)

(Der Abgeordnete Ulrich Schippels [DIE LINKE] schüttelt den Kopf)

- Entschuldigen Sie, Herr Thoroe hat das gesagt; da müssen Sie doch nicht den Kopf schütteln. Vielleicht wollten Sie nicht, dass er das sagt, aber er hat es gesagt. „Dem politischen Extremismus ein klares Bekenntnis zur freiheitlichen Demokratie entgegensetzen“.

Ich finde, hinter diesen Titel können wir uns alle stellen, wenn wir uns denn zur freiheitlichen Demokratie bekennen. Ich finde, das sollten wir alle, die das wollen.

Ich habe noch in guter Erinnerung, Frau Midyatli, nicht Ihre Rede von heute, sondern Ihre Rede zu diesem Thema, die Sie vor Kurzem in eigener Betroffenheit gehalten haben. Sie hat mich außerordentlich beeindruckt. Ich finde, wenn wir in der Lage sind, einen ähnlichen Eindruck aus diesem Parlament nach draußen zu geben, dann haben wir unsere Pflicht erfüllt, aber nicht, wenn wir uns darüber unterhalten, wer was in der Zeitung gesagt hat und was irgendwo sonst geäußert worden ist, sondern wenn hier deutlich gemacht wird, dass wir alle das Ziel haben, dass diese Nazis, diese Verbrecher über uns nie wieder das Sagen bekommen.

(Beifall im ganzen Haus)

Für die Landesregierung erteile ich jetzt Herrn Innenminister Klaus Schlie das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Versammlungsrecht ist ein hohes Gut unserer Demokratie und grundrechtlich verbrieft. Um dieses Grundrecht einschränken zu können, bedarf es daher guter, rechtsstaatlich abgesicherter Gründe. Einem Versammlungsverbot muss daher eine eingehende Prüfung der rechtlichen und tatsächlichen Situation vorausgehen. Das ist die Aufgabe einer örtlichen Versammlungsbehörde. Es ist Aufgabe und Pflicht eines Innenministers - gemeinsam mit denjenigen, die im Innenministerium für Versammlungsrecht zuständig sind, mit unseren Sicherheitsbehörden, dem Verfassungsschutz, dem Staatsschutz und der Polizeidirektion in Lübeck, die dazu beitragen können, dies rechtssicher zu machen -, dies auch zu tun.

Weil es wichtig ist, dass von diesem Haus ein gemeinsames Zeichen ausgeht, bin ich selbstverständlich gern bereit - dabei werde ich auch selbst

mitstimmen, dass auch der Punkt 1 des Antrags mit beschlossen wird -, dass wir als Innenministerium selbstverständlich gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden dem Lübecker Bürgermeister alle Informationen zur Verfügung stellen werden, die es übrigens bis kurz vor der Demonstration auch noch weiterhin gilt zusammenzutragen, damit er dann gemeinsam mit uns - gemeinsam mit uns! - die abschließende Prüfung durchführen und die Entscheidung treffen kann, ob er ein Versammlungsverbot aussprechen kann. Das ist sozusagen nicht nur eine Aufgabe, die wir haben, sondern es ist die Pflicht der Sicherheitsbehörden und natürlich auch der staatlichen Organe insgesamt.

Nun spielt hier die Frage eine ganz entscheidende Rolle, ob es richtig gewesen ist, dass ich als Innenminister die zuständige örtliche Versammlungsbehörde, in Person den Bürgermeister der Hansestadt Lübeck, aufgefordert habe, das gemeinsam mit uns auf den Weg zu bringen. Außerdem spielt auch die Frage eine Rolle, ob ich dazu eine Erkenntnislage habe - dazu gibt es Gremien, in denen das vorgetragen wird; übrigens auch im Schleswig-Holsteinischen Landtag und auch in Zukunft -, die das Verbot auch rechtswirksam durchtragen lassen. Warum ich das getan habe, will ich Ihnen gern noch einmal sagen. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland und in Schleswig-Holstein aufgrund der rechtsterroristischen Morde und aufgrund anderer Dinge, auf die ich gleich noch eingehen werde, eine andere Situation als in den Vorjahren, um diese Versammlung, die in Lübeck wiederum von einem NPD-Funktionär beantragt worden ist, tatsächlich auch in anderer Weise und mit anderen Mitteln mit den Mitteln, die sich jetzt aus der Situation und der Lage ergeben - und den Fakten, die wir dazu haben, zu begutachten.

Es ist doch tatsächlich ein wenig absurd, wenn mir als Innenminister vorgeworfen wird, dass ich in der Pflicht, in der ich stehe und unter dem Eid, den ich hier geleistet habe, ein Versammlungsverbot in diese Richtung fordere, dass ich alle Mittel, die wir als Sicherheitsbehörde und als Innenministerium haben, anbiete, um es tatsächlich rechtsstaatlich auf den Weg zu bringen. Dass das kritisiert wird, ist doch völlig absurd.