Es ist doch tatsächlich ein wenig absurd, wenn mir als Innenminister vorgeworfen wird, dass ich in der Pflicht, in der ich stehe und unter dem Eid, den ich hier geleistet habe, ein Versammlungsverbot in diese Richtung fordere, dass ich alle Mittel, die wir als Sicherheitsbehörde und als Innenministerium haben, anbiete, um es tatsächlich rechtsstaatlich auf den Weg zu bringen. Dass das kritisiert wird, ist doch völlig absurd.
Es ist auch absurd, dies hier zu diskutieren. Denn wir leben in einer bestimmten sicherheitspolitischen
und auch rechtlichen Situation zu dieser Frage in der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt einen Beschluss, einen einstimmigen Beschluss der Innenministerkonferenz.
„Die Innenminister und -senatoren der Länder und der Bundesminister des Innern sind sich darin einig, dass die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) eine Partei ist, die nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet ist, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen und zu beseitigen. Ihre Ideologie ist menschenverachtend, fremdenfeindlich, antidemokratisch und antisemitisch.
Die Innenminister und -senatoren der Länder und der Bundesminister des Innern streben daher ein erfolgreiches Verbot der NPD an.“
„Die IMK sieht dabei mit Blick auf die hohen verfassungsrechtlichen Hürden, die durch das Bundesverfassungsgericht konkretisiert wurden, sowie auf die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die Notwendigkeit, zuvor die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen eines Verbotes aufzuzeigen, abzuwägen und zu bewerten.“
Das ist die Aufgabe, die selbstverständliche Aufgabe, die wir als staatliche Organe und Sicherheitsbehörden haben.
„Die jahrelangen Erfahrungen mit Vertretern der NPD, auch in mehreren Landtagen sowie in Kommunalvertretungen und darüber hinaus belegen, dass die NPD eine rassistische, fremdenfeindliche Partei ist, die aggressiv und systematisch Kernelemente der Wertordnung unseres Staates ablehnt und missachtet; die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder halten sie deshalb für verfassungswidrig. … Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder streben ein erfolgreiches NPD-Verbot an.“
Das ist die jeweils einstimmige Beschlusslage der Ministerpräsidentinnen und der Ministerpräsidenten sowie der Innenminister und -senatoren. Und Sie werden doch wohl nicht sagen wollen, Frau Abgeordnete Spoorendonk, dass ich vor diesem Hintergrund, dieser öffentlichen Beschlusslage - ich gehe nicht auf die politische Diskussion ein -, als Innen
minister des Landes Schleswig-Holstein nicht verpflichtet sei, wenn ein NPD-Funktionär eine derartige Demonstration beantragt, mich öffentlich dazu dahingehend zu äußern, dass diese Demonstration auch aufgrund anderer Erkenntnislagen, die ich habe, die ich aber nicht öffentlich vortragen werde, selbstverständlich verboten werden muss, wenn am Ende dieses Prozesses, den wir gemeinsam mit dem Lübecker Bürgermeister und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchführen werden, die Erkenntnis haben, dass dies rechtssicher geschehen kann. Das ist meine Pflicht.
Erneut - das sage ich Ihnen zum wiederholten Male - haben rechtsextreme Personen und Organisationen Lübeck zum Ziel ihrer menschenverachtenden Propaganda erkoren. Wie in den vergangenen Jahren, versuchen sie, besondere Ereignisse des Kriegsgeschehens des Zweiten Weltkriegs für ihre Zwecke umzudeuten. Das ist schlichtweg unerträglich. Das erfordert einerseits das gemeinsame Handeln der Demokraten, aber eben auch das entschlossene rechtsstaatlich abgesicherte Handeln der Sicherheitsbehörden, der staatlichen Organe und der kommunalen Ordnungsbehörden. Am Palmarum des Jahres 1942 haben alliierte Kräfte Lübeck aus der Luft bombardiert. Dieser Angriff hat unzählige Opfer gefordert und bleibt ein furchtbares Ereignis für die Stadt und seine Menschen. Mit dem geplanten Aufmarsch der Rechtsextremisten und Neofaschisten am 31. März dieses Jahres unter dem Hinweis auf den sogenannten - ich zitiere wörtlich „Alliierten Bombenterror“ sollen die Opfer des Nationalsozialismus bewusst verschwiegen und herabgewürdigt werden. Es kommt zu einer Verdrehung der historischen Fakten, die zu einer Verhöhnung der Opfer des NS-Regimes führt. In dem die Alliierten als Terroristen dargestellt werden, wird das NS-Regime verharmlost und gerechtfertigt.
Die in Lübeck durch den Bombenangriff vom 28./29. März 1942 gefallenen Kriegsopfer sollen auf diese Weise im Sinne der menschenverachtenden nationalsozialistischen Ideologie für rechtsradikale Zwecke instrumentalisiert werden. Es ist für mich daher eindeutig und absolut unverzichtbar, dass die Hansestadt Lübeck als Versammlungsbehörde alle rechtlichen Möglichkeiten für ein Verbot einer derartigen Versammlung ausschöpft. Sie kann sich dabei auf die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden sowie auf die aktuelle Rechtsprechung stützen.
Ich sage auch deutlich - ich bin Ihnen, Herr Dr. Stegner, für Ihren Beitrag sehr dankbar -, das geschieht mit der notwendigen Zurückhaltung. Es ist überhaupt nicht hilfreich, wenn diese Erkenntnisse, die übrigens laufend bis kurz vor das Datum der Demonstration natürlich weiter erhoben werden, ständig öffentlich bewertet werden. Das ist wenig hilfreich.
Und es ist vor allen Dingen am wenigsten hilfreich, wenn das von denjenigen geschieht, die diese Erkenntnisse gar nicht haben.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 4. November 2009 die Regelung in § 130 Abs. 4 StGB für verfassungsgemäß erklärt. Damit werden Äußerungen unter Strafe gestellt, mit denen der öffentliche Friede in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch gestört wird, dass die Äußerungen die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigen, leugnen oder verharmlosen.
Die Versammlungsbehörde in Lübeck hat zu prüfen, ob angesichts der Tatsache, dass von der Art und Weise des geplanten Aufmarsches an einem für Lübeck und Schleswig-Holstein historisch bedeutsamen Tag erhebliche Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen, die Gefahr einer Störung des öffentlichen Friedens gegeben ist.
Hinzu kommt noch ein weiterer Ansatzpunkt für ein mögliches Verbot, nämlich die Aufdeckung der furchtbaren organisierten Verbrechen. Gemeint sind die bisher bekannt gewordenen zehn Morde der rechten Terroristen. Dies offenbart eine völlig neue Qualität rechtsextremistischer beziehungsweise rechtsterroristischer Gewalt und Kriminalität der schrecklichsten Art.
Es zeigt sich, dass durch rechte Propaganda angestachelter Hass auch nicht vor schwersten Straftaten haltmacht. Auch harmlos erscheinende Propaganda kann Folgen zeitigen. Den Neonazis muss daher die
Grundlage zur Darstellung ihrer gewalttätigen Ziele genommen werden. Es ist meine Pflicht, als Innenminister darauf hinzuweisen und dies zu tun, sehr geehrte Frau Abgeordnete Spoorendonk.
Aus diesem Grunde halte ich versammlungsrechtliche Maßnahmen gegen den Naziaufmarsch in dieser besonderen Situation mit den hier nur allgemein und beispielhaft dargestellten Begründungselementen für geboten.
Eine Weisung des Innenministeriums und des Innenministers an den Bürgermeister der Hansestadt Lübeck, die Versammlung zu verbieten, wird es nicht geben. Dazu besteht auch kein Anlass. Ich sage es noch einmal: Wir haben bereits zusammengesessen und den Fahrplan für den Kommunikationsund Informationsaustausch miteinander vereinbart, und zwar die von mir dargestellten Organisationen, die sicherheitsrelevanten Behörden und die Hansestadt Lübeck. Wir werden das auch weiterhin tun.
Ich habe - damit es kein Missverständnis an dieser Stelle gibt - volles Vertrauen, dass die Versammlungsbehörde in Lübeck in Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten eines Versammlungsverbotes prüfen und gegebenenfalls umsetzen wird. Dass eine solche Maßnahme letztlich einer gerichtlichen Überprüfung standzuhalten hat, ist doch selbstverständlich in einem Rechtsstaat. Dabei sollte sich niemand seiner Verantwortung entziehen.
Vielen Dank. - Herr Innenminister, ich teile den Appell des Ministerpräsidenten, dass wir zusammenstehen sollen. Ich teile auch Ihre Einschätzung, dass man mit öffentlichen Beurteilungen des verfassungsrechtlichen Verfahrens und der juristischen Prüfung zurückhaltend sein soll. Ich würde gern von Ihnen wissen, ob die von Ihnen in verschiedenen Interviews gemachten Andeutungen nicht genau das sind, nämlich öffentliche Äußerungen in einem laufenden Verfahren. Empfinden Sie diese Ihrer eigenen Logik folgend als wenig hilfreich?
Schleswig-Holstein wie in allen anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland erneut diskutiert worden ist. Vielleicht erinnern wir uns auch gemeinsam daran, wer in diesem Land zur Vorsicht riet, was die öffentliche Diskussion über ein mögliches NPD-Verbotsverfahren angeht. Vielleicht erinnern wir uns einmal daran, wer damals zur Vorsicht riet. Zur Vorsicht geraten haben die FDP, die CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und andere. Ich habe auch zur Vorsicht geraten, wenn ich das am Rande erwähnen darf.
Bevor wir das NPD-Verbotsverfahren zum Bundesverfassungsgericht geben werden und bevor das Verfassungsgericht darüber befinden wird, gab es die beiden von mir zitierten einstimmigen Beschlusslagen der Innenministerkonferenz und der Ministerpräsidentenkonferenz. Darin wird festgestellt, dass die NPD eine verfassungswidrige Partei ist.
Wenn diese Feststellung von der Innenministerkonferenz und der Ministerpräsidentenkonferenz getroffen wird, dann ist das doch völlig klar, dass der Innenminister eines Landes selbstverständlich gemeinsam mit der zuständigen örtlichen Ordnungsbehörde, wenn ein NPD-Mann eine Demonstration beantragt, diese Feststellung und andere Erkenntnisse berücksichtigt, von denen Sie zum Teil auch wissen, die ich hier aber nicht vortragen kann und auch nicht vortragen werde. Dann müssen wir selbstverständlich die notwendige Diskussion führen und dürfen nicht darauf warten, dass der Vorgang formal nach einer Checkliste abgearbeitet wird.
Deswegen ist diese Diskussion notwendig und muss auch bis zu einem bestimmten Punkt in der Öffentlichkeit geführt werden. Ich halte es allerdings für problematisch, dass wir uns laufend gegenseitig unterstellen, es gebe nicht genügend Argumente. In der derzeitigen Situation in der Bundesrepublik Deutschland, nach zehn rechtsterroristisch motivierten Morden, nach dem Vorfall einer neofaschistischen Gruppe in Ratzeburg, bei dem es zu Morddrohungen gekommen ist, müssen wir erkennen, dass es eine andere Ausgangslage gibt aufgrund der Fakten, die zusammenzutragen sind, um tatsächlich zu einem rechtsstaatlichen Verbot dieser Demonstration zu kommen.
- Sehr geehrter Dr. Habeck, das war die Antwort auf Ihre Frage. Aus weiteren Erörterungen mit mir wissen Sie, dass das alles ist, was ich in der Öffentlichkeit dazu sagen werde.
Ich möchte noch etwas hinzufügen, weil ich es für wichtig halte, über den Tag hinaus zu denken. Deshalb will ich auch das aufgreifen, was Sie gesagt haben, Frau Abgeordnete Amtsberg. Wenn es möglicherweise - wovon ich nicht ausgehe - nicht zu einem rechtskräftigen Verbot der Demonstration in Lübeck kommen wird, werden Sie mich dort auch sehen, genauso wie Sie mich am 1. Mai in Neumünster sehen werden.
Die Landesregierung hat die verabredete Redezeit um acht Minuten und 42 Sekunden überschritten. Diese steht jetzt allen Fraktionen zur Verfügung. Ich schaue in die Runde. - Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Ich schließe die Beratung. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist alternative Abstimmung beantragt worden. Ich schlage Ihnen daher vor, den vorliegenden Änderungsantrag der Fraktionen von CDU, FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW, Drucksache 17/2216 (neu), zu einem selbstständigen Antrag zu erklären und darüber alternativ abzustimmen. - Ich vernehme keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren.
Wer dem Antrag der Fraktionen von CDU, FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW, Drucksache 17/2216 (neu), seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW sowie einige Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE.
Wer dem Antrag der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 17/2154 (neu), seine Zustimmung geben möchte, den bitte jetzt ich um das Handzeichen. Das sind zwei Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE.