Protokoll der Sitzung vom 24.02.2012

Herr Minister Dr. Garg, Sie sollten sich nicht immer hinter Gesetzen verstecken und die Verantwortung gänzlich abgeben.

(Zuruf von Minister Klaus Schlie)

- Das habe ich gehört, Herr Minister Schlie. - Das lassen die Gesetze auch nicht zu.

(Zuruf)

- Ja, Frauen-Multitasking.

§ 49 SGB VIII -

(Unruhe)

- Meine Herren, sind wir da vorne gleich durch? Sie können gerne mitentscheiden, wenn Sie möchten. Ich mache das so wie in der Schule. Ich bin so lange still, bis alle still sind.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

§ 49 SGB VIII enthält einen Landesrechtsvorbehalt, sodass das Nähere zu den Aufgaben im Abschnitt „Schutz von Kindern und Jugendlichen in Familienpflege und in Einrichtungen“ das Land regeln kann. Und § 82 SGB VIII besagt, dass die oberste Landesjugendbehörde die Weiterentwicklung der Jugendhilfe anzuregen und zu fördern hat. Die Länder sollen die Jugendämter bei der Arbeit und bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterstützen. Also gibt es genügend Spielraum, um unseren Landesverfassungsauftrag, nämlich den Schutz von Kindern und Jugendlichen, umzusetzen.

Aber auch die notwendigen Weiterentwicklungen durch das Bundeskinderschutzgesetz und die Emp

fehlungen zum Umgang mit Kindern und Jugendlichen bei sexuellen Übergriffen und Missbrauch erfordern ein Überprüfen aller Handlungsspielräume. Dafür war der erste Runde Tisch im Sozialministerium ein erster Schritt.

Unser Antrag ist auch eine Reaktion auf Äußerungen und Berichte, dass in Schleswig-Holstein im Pflegekinderwesen unterschiedlich agiert wird. Wir wissen nun, dass es Empfehlungen der Kreise und kreisfreien Städte für die fachliche Arbeit im Bereich des Pflegekinderwesens gibt. Doch es bleibt festzustellen, dass nicht überall die Empfehlungen gleichermaßen umgesetzt werden. Hier finden wir - gibt es noch Handlungsbedarf.

Wir fordern daher verbindliche Standards für einen besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Wir wollen und können nicht einfach die Verantwortung abgeben. Wenn was passiert, dann sind ganz einfach die örtlichen Jugendhilfeträger schuld. Wir wollen, dass freie Träger die Jugendämter in ihrer Arbeit unterstützen. Daher halten wir es für sinnvoll, dass sich im Pflegeelternwesen alle Akteure im Land auf allen Ebenen darüber verständigen, wie denn einheitliche Standards für Schleswig-Holstein entwickelt und verbindlich umgesetzt werden können. Dafür ist es auch wichtig, die Betroffenen einzubinden.

Ich betone, dass wir mit diesem Antrag niemanden vorverurteilen wollen. Wir sind dankbar für die Arbeit der Pflegeeltern. Ihre Hilfsbereitschaft, ein Kind aufzunehmen, ist sehr wichtig und verdient unsere Anerkennung und Unterstützung.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und vereinzelt bei der CDU)

Es gibt für viele Kinder die Gelegenheit, Liebe und Geborgenheit zu erleben, die ihnen leider im häuslichen Umfeld vorenthalten wurde.

Auch die Arbeit der Jugendämter ist nicht immer leicht und verdient unsere volle Unterstützung, aber auch unseren Einsatz für eine personell gut ausgestattete Hilfestruktur. Wir, die SPD-Fraktion mit Unterstützung der Grünen, wollen den bestmöglichen Schutz von Kindern und Jugendlichen in unserem Bundesland, und das verdient unser aller Einsatz.

32 Sekunden hätte ich noch.

(Serpil Midyatli)

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Ich begrüße auf der Tribüne Mitglieder der Seniorenunion Eutin. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Potzahr das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir bei diesem Tagesordnungspunkt über Konsequenzen aus dem Tod der 11-jährigen Chantal aus Hamburg diskutieren, möchte ich als Erstes unsere Bestürzung und Betroffenheit über diesen sinnlosen Tod und die skandalösen Begleitumstände zum Ausdruck bringen.

Es waren ähnliche Fälle, die den 16. Landtag veranlasst haben, ein schleswig-holsteinisches Kinderschutzgesetz zu beschließen.

Was aber ist nun heute 2012 die richtige politische Reaktion auf diesen tragischen Fall? - Was auf jeden Fall nicht hilft, sind politische Schuldzuweisungen. Weder die Kritik an Minister Garg vonseiten der SPD bringt uns weiter noch der Hinweis auf die Parteizugehörigkeit der Verantwortlichen auf Bezirksebene. Die Verhinderung von Kindeswohlgefährdung ist eben keine politische Streitfrage, sondern eine Aufgabe, der wir uns alle stellen wollen und müssen.

(Beifall bei CDU und FDP sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus meiner Sicht muss die öffentliche Diskussion dringend in eine andere Richtung gelenkt werden. Wir müssen aufpassen, dass ein zutreffendes Bild von Pflegeeltern gezeichnet wird. Einige Talkshows im Fernsehen haben leider ein einseitig verzerrtes Bild von raffgierigen Pflegeeltern gezeichnet, die sich nicht um die ihnen anvertrauten Kinder kümmern. Dabei braucht - Frau Midyatli hat das bereits gesagt - unsere Gesellschaft engagierte Pflegeeltern, die Kindern, die aus vielfältigen Gründen nicht mehr in ihrer Familie leben können, eine neue Familie bieten.

(Beifall bei CDU und FDP sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Den Menschen, die diese Aufgabe verantwortungsbewusst wahrnehmen, gebührt unser Respekt und unser Dank.

Wenn wir nun den konkreten Fall betrachten, muss man leider eines klar sagen: Die besten Leitlinien hätten bei dem überforderten Hamburger Jugendamt leider nichts genutzt.

Blicken wir nach Schleswig-Holstein. Uns liegen die bestehenden Leitlinien für fachliche Standards im Pflegekinderwesen von Landkreistag und Städtebund vor, die zwar nicht vollständig verbindlich sind, aber einen sinnvollen Rahmen für die konkrete Einzelfallentscheidung bilden. Was wir zu den vorhandenen Standards brauchen, sind ausreichend ausgestattete Jugendämter vor Ort, die das Kindeswohl auch in der Praxis in den Vordergrund stellen und jedem Hinweis auf Kindeswohlgefährdung nachhaltig nachgehen.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, wir sind in Schleswig-Holstein nicht schlecht aufgestellt, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ein jedes Jugendamt tragische Fälle wie diesen zum Anlass nehmen muss, sich intern zu fragen, ob man selber auch für ähnliche Problematiken ausreichend aufgestellt ist.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einige Sätze zu dem sagen, was wir aus unserer Sicht als Landtag tun sollten oder könnten, zumal wir den von RotGrün gestellten Antrag nicht für zielführend halten. Wir könnten die Jugendämter an einen runden oder an einen eckigen Tisch bitten und einen Erfahrungsaustausch über die Anwendung der geschilderten Standards anregen.

(Beifall bei der CDU)

Gleichzeitig könnte dieser Fall ein Anlass sein, unser Kinderschutzgesetz zu überprüfen und erneut einen Landeskinderschutzbericht anzufordern. Der ist zur Überprüfung des Gesetzes vorgesehen. Der von uns in dieser Legislaturperiode diskutierte war ja eigentlich der Bericht für die 16. Periode, und der dann von jetzt uns anzufordernde fällt dann leider der verkürzten Legislaturperiode zum Opfer. Aber das ist eine Aufgabe, die in der nächsten Legislaturperiode geleistet werden muss.

Lassen Sie uns im Ausschuss darüber diskutieren, welche Maßnahmen jetzt angebracht sind. Schnellschüsse führen uns nicht zum Ziel und sind kein wirksamer Beitrag zum Kinderschutz.

(Beifall bei CDU und FDP)

(Serpil Midyatli)

Für die FDP-Fraktion hat Frau Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte SPD! Offensichtlich misstrauen Sie Ihren eigenen Entscheidungen. Ich möchte daran erinnern, dass das für Schleswig-Holstein gültige Kinderschutzgesetz unter der Federführung der SPD-Sozialministerin Dr. Gitta Trauernicht 2008 entstanden ist. Und - auch das führe ich hier gern aus - es wird in Fachkreisen als gut bezeichnet, was natürlich nicht heißt, dass man es nicht noch optimieren könnte.

(Zuruf von der SPD)

Ihr Antrag basiert auf einem aktuellen Hamburgischen Vorfall. Genauso wie Sie fragten sich auch die die Regierung tragenden Fraktionen: Kann so etwas auch in Schleswig-Holstein passieren? Nach welchen Kriterien werden Pflegeeltern zugelassen? Und die dringend Frage lautet: Wie wird sichergestellt, dass die Betreuung von Pflegekindern qualitativ dauerhaft gut ist?

Auch wir Liberale führten Gespräche mit dem Verband Kinder in Adoptiv- und Pflegefamilien, kennen die Stellungnahme des Kinderschutzbundes und somit die Argumentationslinie nach einer zusätzlichen Fachaufsicht auf Landesebene sowie nach Standardisierungen zur Überprüfung von Pflegefamilien. Aus diesem Grunde bat die FDP-Fraktion für die letzte Sozialausschusssitzung um eine Stellungnahme des Ministeriums. Minister Dr. Garg hat dankenswerterweise ausführlich die rechtlichen Rahmenbedingungen im Pflegeelternwesen dargelegt.

Ich möchte gern noch einmal die wichtigsten Punkt hervorheben. Das ist bitte nicht damit gleichzusetzen, dass wir uns dahinter verstecken.

Allein die Einhaltung der bundesgesetzlichen Vorgaben des Zweiten Abschnitts des SGB VIII, speziell § 44, hätten dazu geführt, dass in keinem deutschen Bundesland einer Familie wie im Fall der Chantal überhaupt ein Kind zugesprochen worden wäre. Für Schleswig-Holstein wurden im Rahmen dieser Gesetzgebung landesrechtlich zusätzlich in § 38 Jugendförderungsgesetz die Versagungsgründe weiter spezifiziert und eindeutig klargestellt, wann Pflegeeltern eine Pflegeerlaubnis versagt werden muss. So ist die Pflegeerlaubnis unter anderem dann zu versagen, wenn die persönliche Eig

nung nicht nachgewiesen werden kann, wenn nicht die Gewähr für das sittliche Wohl des Kindes gegeben ist, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geordnet sind und wenn die Pflegepersonen nicht frei von ansteckenden Krankheiten sind sowie wenn nicht ausreichender Wohnraum vorgehalten wird.