Protokoll der Sitzung vom 24.02.2012

Die SPD weist zu Recht darauf hin, dass es nach dem SGB VIII Aufgabe des Landes ist, den Schutz von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien und den Einrichtungen zu regeln. Auch wenn die Ausführung bei den Kreisen und kreisfreien Städten liegt, ist es bei Weitem nicht so, dass dem Land hier bei dieser wichtigen Angelegenheit die Hände gebunden wären. Sowohl über das Jugendförderungs- wie auch über das Kinderschutzgesetz kann der Schutz von Pflegekindern verbessert werden.

Dabei sage ich für den SSW ganz deutlich: Diese Möglichkeit müssen wir dringend nutzen, wenn sich herausstellt, dass für die Gewährleistung des bestmöglichen Schutzes Änderungen notwendig sind.

Denn nach unserer Meinung muss sich durch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema zeigen, ob - und wenn ja, welche - Änderungen nötig sind. Dass dabei der umfassende Schutz von Kindern und Jugendlichen in Familienpflege und Einrichtungen das Maß aller Dinge sein muss, ist sicher allen klar.

Es ist allerdings nicht so, dass überhaupt keine landesweiten Vorgaben bei der Auswahl und Überprüfung von Pflegeeltern existieren. Hier ist der Antrag vielleicht ein bisschen missverständlich formuliert. Denn das Jugendförderungsgesetz nennt Kriterien für die Erteilung und den Entzug der Pflegeerlaubnis. Der SSW hat überhaupt keinen Zweifel daran, dass die Kommunen als örtliche Träger der Jugendhilfe ihrer Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen nachkommen. Das ist klar.

Doch leider gibt es in diesem Bereich wie in so vielen anderen auch erhebliche regionale Unterschiede bei der personellen und finanziellen Ausstattung. Einerseits stehen natürlich alle Kommunen unter einem gewissen Sparzwang. Dies bekommen nicht zuletzt auch die Jugendämter zu spüren. Andererseits ist und bleibt es aber auch immer eine Frage der politischen Prioritätensetzung vor Ort. Wir halten es in jedem Fall für sinnvoll, gemeinsam mit allen Beteiligten die Standards und Verfahren zur Anerkennung von Pflegefamilien und den jeweiligen Umgang mit ihnen genau zu prüfen. Nur durch die intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema können wir Schwachstellen aufdecken und beheben und damit den Kinderschutz effektiv weiterentwickeln.

Keiner von uns will, dass sich ein Fall wie der aus Hamburg wiederholt, weder hier im Land noch anderswo. Trotzdem sollten wir keine voreiligen Schlüsse ziehen. In einem ersten Schritt sehen wir den Sozialminister in der Pflicht, sich gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden einen genauen Überblick über die Situation der Familienpflege im Land zu verschaffen. Hierzu gehört auch, dass die regionalen Unterschiede bei der Begleitung und bei der Überprüfung der Familien genau erfasst werden. Natürlich halten wir es auch für naheliegend, hier über einheitliche Standards nachzudenken, wie es im Antrag formuliert ist. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass die Kreise auch in die Lage versetzt werden müssen, ihre Aufgabe zu erfüllen.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für einen Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Wolfgang Baasch das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zwei Punkte ansprechen, weil die Kol

legin Klahn wieder einmal sehr nebulöse Anschuldigungen oder Vorwurfe gemacht und insgesamt eine sehr nebulöse Rede gehalten hat.

Erstens: Aktionismus. Das ist kein Aktionismus, den wir hier betreiben, sondern wir greifen reale Vorfälle auf.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN - Zuruf der Abgeord- neten Anita Klahn [FDP])

Ich will das an zwei Punkten deutlich machen. Frau Klahn, hören Sie mir zu, das hilft beim nächsten Reden. - Der erste Vorwurf kommt vom Verband der Kinder in Adoptiv- und Pflegefamilien, der schlicht und ergreifend behauptet, intakte Strukturen in den Jugendämtern in Schleswig-Holstein würden kaputtgespart. Das ist ein Vorwurf dieses Verbandes.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Unsere Aufgabe ist es, das zu überprüfen. Das hat mit Aktionismus nichts zu tun.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Die zweite Frage, der man nachgehen muss, ist, dass Auswahl und Betreuung von Pflegefamilien zum Beispiel in Hamburg-Mitte einem freien Träger übertragen worden sind. Wir haben vom Verband gehört, dass das auch in Schleswig-Holstein an einigen Stellen so gemacht wird. Wir möchten gern wissen, wie die freien Träger ausgewählt werden, wie die Jugendämter mit den freien Trägern zusammenarbeiten, wie die Kontrolle der freien Träger vonstattengeht.

Auch das ist ein Punkt, den wir aufgreifen sollten. Das hat uns veranlasst, unseren Antrag in das Hohe Haus einzubringen. Das hat mitnichten etwas mit Aktionismus zu tun, es hat schlicht und ergreifend etwas damit zu tun, nicht darauf zu warten, dass es einen Vorfall wie in Hamburg gibt, der uns zwingt, daran zu arbeiten, sondern die Signale, die jetzt ausgehen, zu hören.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Zweitens: ihr nebulöser Vorwurf, irgendjemand hätte gesagt, Heimerziehung sei besser als Pflegefamilien. Auch da haben Sie wieder nicht richtig zugehört oder haben das hören wollen, was Sie für Ihre Reden gut gebrauchen können. Ich sage Ihnen noch einmal ganz deutlich: Pflegefamilien sind eine gute Einrichtung. Wir wollen das System der Pflegefamilien stärken, weil wir es richtig finden, dass Kinder in Liebe und Geborgenheit, die sie zu

(Flemming Meyer)

Hause, in ihrem eigentlichen Umfeld nicht bekommen, an anderer Stelle kriegen können. Viele Pflegefamilien leisten unendlich viel Gutes, und das soll auch in Zukunft so bleiben. Das schließt aber nicht aus, dass es stationäre Heimerziehung gibt, die durchaus ihre Berechtigung hat. Wenn in kleinen Heimen, in Wohngruppenart Heimat und ein Zuhause für Kinder geschaffen wird, ist das eine wichtige und notwendige Geschichte.

Entscheidend ist, dass jede Jugendhilfemaßnahme, egal, wie sie veranlasst wird, transparent und so gestaltet wird, dass sie dem Wohle des Kindes dient. Das wollen wir mit unserem Antrag und der Diskussion gewährleisten, nicht nebulös, sondern an der Sache orientiert.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Für die Landesregierung hat nun der Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herr Dr. Heiner Garg, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, in Wahrheit sind die Gemeinsamkeiten größer, als das vielleicht der eine oder andere Beitrag zum Ausdruck gebracht hat. Der tragische Tod der kleinen Chantal in einer Pflegefamilie in Hamburg hat viele Menschen betroffen gemacht, nicht nur in Hamburg, sondern auch in Schleswig-Holstein, wahrscheinlich bundesweit. Er hat uns betroffen und fassungslos gemacht. Es kann und darf nicht sein, dass ein Kind zu Schaden kommt, obwohl es sich in staatlicher Obhut befindet. Es spielt dabei überhaupt keine Rolle, ob das in Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern oder in Bayern passiert. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob der Sozialsenator ein rotes Parteibuch hat oder ein schwarzes oder ein gelbes oder ein grünes. Dass ein Kind, das sich in staatlicher Obhut befindet, zu Schaden oder - wie in diesem Fall - sogar zu Tode kommt, hat weder etwas mit Parteipolitik noch mit irgendeinem Land zu tun.

(Beifall)

Es ist deswegen vollkommen richtig und notwendig, dass nach Klärung von Ursachen und Verantwortlichkeiten in dem Hamburger Fall nach notwendigen strukturellen Konsequenzen gefragt wird. Voraussetzung dafür ist, dass der Fall in Hamburg aufgeklärt wird. Entscheidend ist dabei

die Frage, ob Vorgaben gefehlt haben oder ob vorhandene Vorgaben nicht beachtet wurden.

In Hamburg bestehen Leitlinien mit Auswahl- und Ablehnungskriterien für Pflegefamilien. Die Kollegin Bohn hat das vorhin ausgeführt: Ein Fall wie der von Chantal hätte ausgeschlossen sein müssen. In Hamburg wird deswegen auch darüber gesprochen, wie es passieren konnte, dass in der Pflegefamilie von Chantal nicht genug Betten für alle Kinder vorhanden waren und dies nicht schon längst als Alarmzeichen identifiziert wurde.

Es geht dabei auch darum - das prüfen und klären die Hamburger Kollegen -, ob ein sogenannter milieunaher, sozialpädagogischer Handlungsansatz den Blick für das Offenkundige verstellt hat. Es kann nicht sein, dass ein Jugendamtmitarbeiter nichts bemerkt, wenn man ihm nicht aufgeschrieben hat: Ein Kind braucht ein Bett. Diese Fragen müssen - wohlgemerkt ohne vorschnelle Schuldzuweisungen - geklärt werden.

Ich habe schon in der vergangenen Ausschusssitzung deutlich gemacht, dass ich mich mitnichten dazu hinreißen lassen würde zu behaupten, in Schleswig-Holstein sei alles völlig in Ordnung. Das könnte niemand, unabhängig davon, welches Parteibuch er hat.

Für Schleswig-Holstein gilt nach derzeitiger Bewertung: Wir sind sowohl nach geltender Gesetzeslage als auch nach der entwickelten Praxis der Kinderschutzkooperation gut aufgestellt. Nach den bundesgesetzlichen Vorgaben des Sozialgesetzbuchs VIII überprüfen die Jugendämter die Eignung der Person, die ein Kind oder einen Jugendlichen in ihren Haushalt aufnehmen will. Die Länder - das ist vollkommen richtig - können nach dem sogenannten Landesrechtsvorbehalt in § 49 SGB VIII die Regelung zur Pflegeerlaubnis konkretisieren. Genau das hat dieser Landtag getan. Sie finden sie in den §§ 37 bis 40 des Jugendförderungsgesetzes, und zwar die Voraussetzungen der Pflegeerlaubnis und die Pflichten der Pflegeperson im Sinne des Kinderschutzes.

So ist beispielsweise nach geltender Rechtslage in Schleswig-Holstein eine Pflegeerlaubnis zu versagen, wenn ausreichende erzieherische Fähigkeiten oder die persönliche Eignung der Pflegeperson nicht nachgewiesen sind, die Pflegeperson oder andere in ihrer Wohnung lebende Personen keine Gewähr dafür bieten, dass das sittliche Wohl des Pflegekindes ungefährdet bleibt. Darunter fiele zum Beispiel Drogenkonsum. Sie ist weiter zu versagen, wenn nicht ausreichender Wohnraum für das Kind

(Wolfgang Baasch)

oder den Jugendlichen und die in der Wohnung lebenden Personen vorhanden ist. Jetzt kann man selbstverständlich darüber diskutieren und muss darüber nachdenken, ob diese Aufzählung ergänzt werden muss. Das ist doch gar keine Frage.

Die Auswahl, Vermittlung und Betreuung von Pflegefamilien erfolgt in Zuständigkeit der Kreise und kreisfreien Städte bereits heute nach einem standardisierten Verfahren. Dieses Verfahren für eine sorgfältige Auswahl haben die Jugendämter in einer sogenannten gemeinsamen Empfehlung erarbeitet. Daran schließt sich eine ständige, engmaschige Beratung und Begleitung der Pflegefamilien an.

Ich will ganz deutlich sagen, dass manche in den letzten Wochen zu lesende Kritik an den Jugendämtern bisweilen auch eher von starker Polemik als von starker Sachkenntnis geprägt war. Erlauben Sie mir im Übrigen etwas auszusprechen, was Kolleginnen und Kollegen vor mir bereits auch schon getan haben. Pflegemütter und Pflegeväter reißen sich oft mehr als nur ein Bein aus, um auch in schwierigen Betreuungssituationen gute Entwicklungsbedingungen für die ihnen anvertrauten Pflegekinder zu schaffen. Sie verdienten daher Respekt und Anerkennung und keine mediale Pauschalverurteilung.

(Beifall des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Die Landesregierung setzt für den Kinderschutz auf Förderung und Unterstützung präventiv wirkender Hilfen sowie auf die fachliche Begleitung und Qualifizierung der Fachkräfte in Jugendämtern und bei freien Trägern. Das entspricht dem Handlungsansatz des integrierten Kinderschutzkonzeptes, das den Schwerpunkt gerade auf diesen präventiven Bereich legt.

Unser System des Kinderschutzes ist in der Lage, neben dem kontinuierlich stattfindenden multiprofessionellen Fachaustausch schnell und fachlich fundiert auf aktuelle Herausforderungen im Kinderschutz zu reagieren. Ich sage: Es kann auch gar nicht anders sein, als dass Kinderschutz ein sich ständig entwickelnder Prozess ist und sein muss. Selbstverständlich hat deshalb auch in SchleswigHolstein eine Diskussion der zuständigen Experten begonnen - besonnen und fundiert, angemessen.

Sie findet beispielsweise im Fachforum Kinderschutz statt, das das Landesjugendamt als überörtliche Expertenplattform für Kinderschutz in Schleswig-Holstein aufgebaut hat. Dieses Forum hat aus gegebenem Anlass die Befassung mit dem Thema

Pflegekinder und Pflegefamilien begonnen und wird sie selbstverständlich fortsetzen - gemeinsam mit Experten aus unterschiedlichen Institutionen, die Partner in unserem gut ausgebauten und vernetzten System präventiver Kinderschutzarbeit in Schleswig-Holstein sind. Dabei werden die hiesigen Regelungen und Verfahrensweisen zur Vermittlung, zur Begleitung und zur Kontrolle von Pflegefamilien vor dem Hintergrund der Hamburger Erkenntnisse auf den Prüfstand gestellt - wie könnte es anders sein. Das beinhaltet ebenfalls, dass sie gegebenenfalls weiterentwickelt und angepasst werden müssen, und zwar nach gründlicher, fachlicher und fundierter Beratung.

(Beifall bei FDP, CDU und SPD sowie ver- einzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Der Minister hat seine Redezeit um 2 Minuten überschritten. - Ich sehe, es wird von der Möglichkeit, weitere Redezeit in Anspruch zu nehmen, kein Gebrauch gemacht. Damit schließe ich die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 17/2259 (neu) dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? Das ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 A auf:

Wahl der Mitglieder zur 15. Bundesversammlung

Wahlvorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/2307

Wahlvorschlag der Fraktionen von SPD und SSW Drucksache 17/2310

Wahlvorschlag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 17/2316