Protokoll der Sitzung vom 26.04.2012

(Anita Klahn)

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wenn wir später in Rente gehen - ich fürchte, die Wahrheit ist, aus Gründen der Generationengerechtigkeit und des demografischen Wandels wird daran kein Weg vorbeiführen -, dann muss es auch möglich sein, lange im Beruf zu bleiben und dabei gesund zu sein.

Deswegen fordern wir Grünen dringend eine inhaltliche Ausgestaltung des Gesetzes. Es ist schon seit 1. Januar 2012 in Kraft. Leider hat die Große Koalition keine ausreichenden Vorbereitungen getroffen, und die schwarz-gelbe Koalition hat sie nicht nachgeholt. Wieder einmal wurde der zweite Schritt vor dem ersten getan. Das ist fahrlässig und muss deshalb dringend nachgeholt werden.

Unter den heutigen Arbeitsbedingungen ist es für viele Menschen kaum vorstellbar, bis zum 65. Lebensjahr zu arbeiten, geschweige denn bis zum 67. Lebensjahr. Körperlich belastende Tätigkeiten sowie die Zunahme von Stress und psychischer Belastung am Arbeitsplatz machen viele Menschen krank. Deswegen sind bessere Arbeitsbedingungen eine unverzichtbare Voraussetzung, um länger gesund zu sein und arbeiten zu können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Rente mit 67 ergibt nur dann einen Sinn, wenn entsprechende Arbeitsplätze für Ältere zur Verfügung stehen. Deshalb muss sich die Bundesregierung aktiv dafür einsetzen, damit wir auch alle tatsächlich bis zum Rentenalter arbeiten können. Das tut sie aber nicht, und das ist der fatale Fehler bei der Sache.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nur mit einem begleitenden Konzept zur Integration älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt kann die Rente mit 67 funktionieren. Das war und ist unsere grüne Vorbedingung für eine Anhebung der Regelaltersgrenze.

Was also tun? Den Kopf in den Sand stecken, wie es CDU und FDP tun, hilft uns nicht weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen jetzt handeln und nach Lösungen suchen.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf ein paar Maßnahmen möchte ich kurz eingehen.

Erstens. Wir brauchen flexible Übergänge in den Ruhestand. Es ist besser, die Barrieren für Gesunde,

die länger arbeiten wollen, abzubauen, als andere zu zwingen, länger zu arbeiten. Wir brauchen eine Kultur der Altersteilzeit in den Betrieben und in den Köpfen der Beschäftigten.

Zweitens. Wir müssen das Arbeitsleben insgesamt so verändern, dass die Menschen bis 67 arbeiten können. Das bedeutet weniger psychische Belastungen, mehr Arbeitsschutz, mehr Gesundheitsprävention und mehr lebenslanges Lernen.

Drittens. Wir brauchen ein Mindestniveau bei der Rente. Wir Grüne wollen, dass alle eine Rente erhalten, die zum Leben ausreicht. Es kann nicht sein, dass jemand 30 Jahre lang hart arbeitet und dann auf die Grundsicherung angewiesen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Wir müssen dafür sorgen, dass es möglich ist, länger gesund am Arbeitsleben teilzuhaben. Hierzu habe ich im Namen meiner Fraktion im Sozialausschuss eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Wir machen aus der Opposition heraus genau das, was wir Ihnen im Oktober 2009 angekündigt haben, nämlich konstruktive Vorschläge. Sie aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, lehnen unseren Antrag ab, ohne eigene Vorschläge auf den Tisch zu legen. Das ist fahrlässig bei diesem Thema. Genau wie beim Betreuungsgeld begeben Sie sich in ideologische Schützengräben. Das ist bedauerlich und wird dem Thema nicht gerecht.

Ich bleibe dabei: Wir brauchen eine generationengerechte und armutsfeste Rente. Dafür wird sich jetzt die nächste Landesregierung einsetzen müssen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Für die Fraktion des SSW hat Herr Abgeordneter Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ältere Beschäftigte haben in Schleswig-Holstein schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Nur jeder Zehnte der 64-Jährigen hat überhaupt einen sozialversicherungspflichtigen Job. Ohne eigenes Verschulden, bloß weil sie den Personalchefs nicht in die Planung passen, landen Ältere in der Arbeitslosigkeit.

(Dr. Marret Bohn)

Zu der Aussortierung aus dem Arbeitsmarkt kommt eine zweite Diskriminierung hinzu. Die Älteren werden durch die neuen Rentenregelungen doppelt bestraft, indem sie saftige Abschläge kassieren, weil sie nicht vom ersten Arbeitsmarkt aus, sondern als Arbeitslose in die Rente eingetreten sind.

Das ist wie bei dem Blinden, der sich den Kopf gestoßen hat und zu hören bekommt, das komme daher, weil er das Warnschild nicht gelesen habe. Zunächst Altersdiskriminierung auf dem ersten Arbeitsmarkt und darauf beruhend Abschläge bei der Rente. So ist es bereits bei der Erwerbsminderungsrente diskriminierend geregelt. Dabei ergeben sich versicherungstechnische Abschläge für Erwerbsunfähigkeit, weil der Bezieher frühzeitig erwerbsunfähig geworden ist. Diese Widersinnigkeit versteht doch kein Mensch. Solche Regelungen sind faktisch nichts anderes als Rentenkürzungen

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit Älterer lehnt der SSW die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters ab, sofern damit eine Rentenkürzung verbunden ist.

Wir stimmen hingegen dem Änderungsantrag der Grünen zu, der unter anderem auf die Erwerbsintegration der Älteren abzielt. Wenn sich der Facharbeitermangel weiter zuspitzt, werden die Unternehmer ganz von allein ihren älteren Beschäftigten Teilzeitangebote machen. Auf diese Weise werden sie die Älteren als Reserve aktivieren. In diesem Zusammenhang spielen auch Konzepte der Personalentwicklung eine Rolle. Die Beschäftigten müssen weitergebildet werden, sodass sie im Alter andere Tätigkeiten ausführen als zu Beginn ihres Berufslebens. So kann eine Baufirma einen älteren erfahrenen Maurer als Bauleiter oder Koordinator gut einsetzen. Auf diese Weise gelingt die Erwerbsintegration der älteren Beschäftigten, die dann ohne Abschläge in die Rente gehen können.

Darüber hinaus unterstützt der SSW weitere Anstrengungen zur Humanisierung der Arbeitswelt. Auch in einem hoch industrialisierten Land wie Deutschland gibt es Millionen von Jobs, die Menschen zerschleißen. Wer zum Beispiel auf der Werft im Winter und im Sommer draußen arbeitet oder in einer Gießerei Staub einatmet, der hält nicht bis zu seinem 67. Geburtstag durch. Der ist vorher so kaputt, dass an eine Weiterbeschäftigung nicht zu denken ist. Diese Beschäftigten haben zwar ihr Leben lang Beiträge in die Rentenkasse gezahlt, oftmals viele Jahrzehnte lang, wenn sie dann aber nicht mehr können, werden sie mit Abschlägen ab

gespeist. Zynischerweise liegt ihre Lebenserwartung unter der Lebenserwartung von Akademikern, sodass sie nur ein paar Jahre lang ihre geschmälerte Rente genießen können.

Wenn wir über Rente sprechen, müssen wir auch über Arbeitsschutz und betriebliche Gesundheitsförderung sprechen. Diese müssen verbessert werden, damit die Beschäftigten eine echte Chance haben, gesund das Rentenalter zu erreichen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Trotz aller Argumente, Fakten und Zahlen, die niemand anzweifelt, hatte der Änderungsantrag von den Grünen keine Chance. Dieser wurde wider besseres Wissen aus rein taktischen Gründen im Ausschuss abgelehnt. Das bedauere ich. Ich kann nur hoffen, dass man für diese Inkonsequenz die Quittung bekommt.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für die Landesregierung erteile ich dem Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herrn Dr. Heiner Garg, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die schrittweise Anhebung der Altersgrenze auf 67 wird in 19 Jahren, also im Jahr 2031, abgeschlossen sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer uns heute sagen kann, welche Bedingungen ältere Arbeitnehmer im Jahr 2031 auf dem Arbeitsmarkt vorfinden, der könnte uns vermutlich auch die Lottozahlen vom kommenden Samstag sagen.

Es wird so getan, als sei die vor- und nachteilige Situation von älteren Menschen auf dem Arbeitsmarkt eine unbeeinflussbare Größe. Das ist aber nicht so. Die Rente mit 67 ist grundsätzlich ein fairer Ausgleich dafür, dass dank stetig gewachsener Lebenserwartung natürlich auch die Rentenbezugsdauer länger geworden ist. Das ist auch gut so, das muss allerdings - das haben die eine Rednerin oder der andere Redner in ihrem oder seinem Beitrag leider vergessen - auch gegenfinanziert werden. Diese Gegenfinanzierung kann nicht in unverändertem Umfang von denen geleistet werden, die in Zukunft arbeiten.

(Flemming Meyer)

Ich will das einmal anders ausdrücken. Ein Generationenvertrag, bei dem sich die Proportionen zwischen Leistungsempfängern und Leistungserbringern radikal verschieben aufgrund des Älterwerdens der Gesellschaft, ein solcher Generationenvertrag muss nachjustiert werden. Der springende Punkt dabei ist in der Tat die Frage, ob das neue Renteneintrittsalter nicht die Wirkung einer Defacto-Rentenkürzung hat. Ich kann diese Befürchtung von vielen Menschen im Übrigen sehr wohl verstehen. Ihre Sorge ist, dass es ab 60 Jahren aufwärts überhaupt keine Arbeit mehr gibt und die Rente mit 67 nichts anderes ist als größere oder höhere Rentenabschläge.

Würde die Rente mit 67 heute auf einen Schlag wirksam, dann wäre das auch so. Wir reden aber über einen Zeitraum von 20 Jahren. Und in diesen 20 Jahren wird der schon heute spürbar eingeschränkte Fachkräftenachwuchs zu einer flächendeckenden Herausforderung für die Unternehmen werden. Ich glaube, man braucht keine naive Strategie des Gut-Zuredens, um Unternehmer für mehr Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gewinnen. Unternehmerinnen und Unternehmer sorgen bereits heute dafür. Sie haben zum Glück das Potenzial älterer Arbeitnehmer erkannt.

Auch wenn man mit Blick auf die aktuell positive Arbeitsmarktentwicklung sicherlich feststellen muss, dass nach wie vor ältere Menschen unterdurchschnittlich davon profitieren, hat sich die Situation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt in den vergangenen zehn Jahren deutlich verbessert.

Es ist aber auch richtig: Wer mehr Beschäftigung älterer Menschen will, der muss dafür auch in den Betrieben die Voraussetzungen schaffen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

Das gilt für die Bereiche Gesundheitsförderung, Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitszeitregelung, aber eben auch für die Berücksichtigung altersspezifischer Kompetenzen. Kein Mensch kann, darf oder will hoffentlich den 65-Jährigen noch zum Dachdecken auf das Dach schicken.

(Vereinzelter Beifall bei FDP und CDU)

Die Landesregierung tritt deshalb mit Nachdruck für eine flexible und vor allem bereichsspezifische Ausgestaltung der Rente mit 67 ein.

Ich will auf einen weiteren Aspekt hinweisen. Das Arbeiten im Alter ist nicht immer nur eine Frage

des Müssens und sollte auch nicht nur als eine Frage des Müssens behandelt werden, sondern das ist auch eine Frage des Wollens. Altersgrenzen sind immer auch eine Frage von Altersdiskriminierung. Was das angeht, können sich die Antragsteller vielleicht auch einmal bei dem einen oder anderen in ihren Reihen überlegen, was das bedeutet. Frau Jansen, fragen Sie doch einmal Oskar Lafontaine, was er von der Idee hält, aus Altersgründen nach Hause geschickt zu werden!

(Vereinzelter Beifall und Heiterkeit - Wolf- gang Baasch [SPD]: Vorruhestandsrege- lung!)

- Ja, Herr Kollege Baasch, auch die gibt es.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich fände es wünschenswert, wenn diese Entscheidungsfreiheit kein soziales Privileg bleibt. Ich finde, statt einer Angstkampagne hat das Thema Arbeit im Alter mehr Offenheit verdient.