Im Vergleich zum letzten Bericht gibt es wenig Neues. Das Arbeitspensum und die Arbeitsschwerpunkte von Frau Wille und ihrem Team haben sich kaum verändert. Aber der vorliegende Bericht ist in jedem Fall ein eindeutiger Beleg dafür, dass es heute nach wie vor enorme Probleme im Sozialbereich gibt. Für den SSW ist damit klar, dass ohne die wertvolle Beratungsarbeit der Bürgerbeauftragten noch viel mehr Bürgerinnen und Bürger an der Sozialgesetzgebung verzweifeln würden. Wir danken Frau Wille und ihrem Team ausdrücklich für die engagierte und couragierte Arbeit. Vielen Dank!
Leider scheint es damit für viele hier im Haus getan zu sein: Man ist zwar schockiert über die unverändert hohe Zahl der Petitionen und lobt das große Engagement der Bürgerbeauftragten, doch die Anregungen aus dem Bericht werden kaum umgesetzt. Über 3.700 Petitionen wurden von Frau Wille und ihrem Team im Jahr 2011 bearbeitet. Wieder haben wir es mit einer Steigerung von über 3 % im Vergleich zum Vorjahr zu tun. Und grundsätzlich wird deutlich, dass die Zahl der Menschen, die sich mit einem Problem an die Bürgerbeauftragte wenden, viel zu hoch ist. Natürlich ist es erfreulich, dass auch im letzten Jahr dem weit überwiegenden Teil der Petenten schnell und effektiv geholfen wurde. Doch wenn wir ehrlich sind, lässt diese Entwicklung mit über 3 % Steigerung nur einen Schluss zu: Bestehende Probleme werden nicht entschlossen genug angepackt. Missstände und Hürden für viele Bürgerinnen und Bürger im Land werden einfach nicht ausgeräumt.
Sicherlich haben viele der Probleme, mit denen die Menschen zu kämpfen haben, ihre Wurzeln auf Bundesebene. Aber die Bürgerbeauftragte nennt seit Jahren auch ganz konkrete Ansatzpunkte, um hier im Land zu notwendigen Verbesserungen zu kommen. So gibt es zum Beispiel bis heute nicht in allen Kreisen einen dringend benötigten Pflegestützpunkt. Außerdem sind wir weit davon entfernt, wirklich allen bedürftigen Kindern Zugang zu
den Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zu geben. Und der Durchbruch bei der längst überfälligen landeseinheitlichen Kita-Sozialstaffel ist nicht in Sicht. Der SSW fordert daher nicht zuletzt mit Blick auf diese Punkte, dass der Bericht zum Anlass genommen wird, um endlich konkrete Taten folgen zu lassen. Die bloße Kenntnisnahme ist uns zu wenig; denn damit ist keinem der Ratund Hilfesuchenden geholfen.
Eine traurige Erkenntnis, an der wir nicht vorbeikommen, ist, dass der Bereich rund um das Sozialgesetzbuch II unverändert Spitzenreiter unter den Eingaben ist. Damit wird deutlich, dass die Probleme beim Verwaltungshandeln und bei der Gesetzgebung nicht gelöst sind. Die zuständigen Behörden haben die rot-grüne Hartz-Reform offensichtlich auch nach Jahren nicht im Griff. Den Mitarbeitern in der Arbeitsverwaltung fehlt es bis heute an Orientierung und an Sicherheit im Umgang mit dem viel zu komplexen Regelwerk. Wir alle sind daher aufgefordert, diese Tatsache zu verinnerlichen und uns endlich ernsthaft mit den bestehenden Problemen auseinanderzusetzen.
Der Bereich rund um das Sozialgesetzbuch II muss im Sinne der Hilfebedürftigen grundlegend verändert werden. Die vergangenen kleinen Reformen der Reform haben am Grundproblem nichts geändert. Mitunter war sogar das Gegenteil der Fall, und die bestehenden Missstände wurden noch verschärft.
Ich will noch einmal daran erinnern, dass mit der Einführung der Hartz-IV-Gesetze nicht zuletzt das Ziel verbunden war, ein verbessertes Verhältnis zwischen den Komponenten „Fordern“ und „Fördern“ zu erreichen. Umso enttäuschender ist es, dass sich auch hier die Probleme so hartnäckig halten. Auch wenn diese Aufgabe mühsam erscheinen mag, ist dieser Ansatz zentral, wenn es darum geht, den Menschen echte berufliche Chancen zu eröffnen. Der SSW sieht hierzu überhaupt keine Alternative. Das bloße Verwalten der Arbeitsuchenden darf uns nicht genügen. Doch auch heute fühlen sich noch zu viele Ratsuchende alleingelassen und hilflos.
Ich denke, durch den vorliegenden Bericht wird eins völlig klar: Egal ob über den Weg einer Bundesratsinitiative oder durch Anstrengungen hier in Schleswig-Holstein, wir müssen die Hinweise von Frau Wille und ihrem Team endlich ernst nehmen und entsprechend Lösungen suchen. Baustellen gibt es ganz offensichtlich genug.
Ich schlage vor, den Bericht der Bürgerbeauftragten in der Drucksache 17/2300 zur Kenntnis zu nehmen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und SSW. Damit ist das einstimmig so beschlossen. Liebe Frau Wille, ich gehe nach den ganzen Wortmeldungen davon aus, dass in der neuen Legislaturperiode der Bericht erneut aufgerufen und beraten wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den Tagesordnungspunkt 39 aufrufe und den Stuhl für unseren Landtagspräsidenten Torsten Geerdts freimache, erlauben Sie auch mir ein paar wenige persönliche Worte. Denn auch für mich ist es das letzte Mal. Ich habe in den letzten Tagen und Wochen manchmal gesagt, jetzt, wo es mit mir zu Ende geht, da kommen noch einige und wollen das auf der Tribüne miterleben.
So war das die letzten Wochen. Irgendwann kommt der Zeitpunkt. Ich habe einmal gesagt - viele andere auch -: Man soll immer dann aufhören, wenn es am schönsten ist. Daraus mögen Sie entnehmen: Ich gehe - ich glaube, so kann man das sagen - mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Ich habe gerade die schriftliche Bescheinigung von Uwe Eichstedt bekommen - ich glaube, alle wissen, wer das ist -, dass es am 5. Juni 2012 16 Jahre und 45 Tage sein werden, die ich diesem Parlament angehören durfte, zuerst noch im alten Plenarsaal - einige von Ihnen waren mit dabei - und dann im neuen Plenarsaal. Diese Jahre waren wie das schleswig-holsteinische Wetter. Es gab Sonne, Wind, Wolken, Regen, Sturm und Orkan. Da war alles dabei, also ein lebhaftes, ein lebendiges Treiben. Alle haben dazu beigetragen. Ich möchte mich bei Ihnen
allen herzlich bedanken, bei allen Kolleginnen und Kollegen, die heute hier sind und auch bei denen, die nicht heute mit dabei sind. Es war eine wunderbare Zeit. Es war eine aufregende und spannende Zeit. Ich bin mit vollem Herzen Abgeordnete gewesen, und ich denke mit vollem Herzen und Dankbarkeit an diese Zeit zurück.
Richtschnur für mein Handeln waren immer die Mottos: „Suchet der Stadt Bestes“ und „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“. Wir haben gestern Morgen im Gebetsfrühstück darüber miteinander gesprochen. Ich glaube, das sind zwei Worte, die Richtschnur für jeden sein können, egal in welchem Glauben man steht und in welchen Überzeugungen man unterwegs ist.
Das ist eine gute Richtschnur zum Handeln für unser Land. Ich bin sicher, wenn das in diesem Haus beherzigt wird, wird weiter eine gute Arbeit aus diesem Parlament für Schleswig-Holstein geleistet. Das wünsche ich mir. Ich bin sicher, dass das so sein wird. Es ist wichtig, das über alle Fraktionsgrenzen hinweg zu tun.
Liebe Sandra Redmann, der erste Durchbruch für so ein Denken war die Parlamentsreise nach Moskau und Minsk, wo du mir hinterher irgendwann sagtest - ich sehe dich im Moment leider nicht; sagt es ihr bitte -: Du bist ja eigentlich ganz anders, als wir immer gedacht haben. Ich glaube, sie hat es positiv gemeint.
Das Nächste, was ich allen ans Herz legen möchte, ist das Gebetsfrühstück, das uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg zusammenhalten kann und denen, die dabei waren, Halt gegeben hat. Ich wünsche dem Gebetsfrühstück in Zukunft viele neue Mitglieder, die mitmachen, sich starkmachen und zusammenhalten wollen.
Ich freue mich auf die Zukunft. Ein Bundestagsabgeordneter hat neulich gesagt: Ich fürchte, du machst uns in Zukunft noch mehr Arbeit als bisher. Nehmt das nicht als eine Drohung, sondern als ein Zeichen! Es gibt bestimmt ein Leben danach. Ich freue mich darauf. Ich sage das auch all denen, die mit mir zusammen aufhören - zwei davon sitzen neben mir. Ich habe mit allen sehr gern zusammengearbeitet. Herzlichen Dank! Alles Gute!
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Abgeordneten Detlef Buder das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der fulminanten Rede der Vizepräsidentin ist es natürlich ausgesprochen schwierig, in das Thema Diskriminierung einzusteigen; ich möchte es trotzdem versuchen.
Diskriminierung hat viele Gesichter. Manche sind ganz augenfällig, wenn zum Beispiel ein junger Mann mit den Worten „Türken kommen hier nicht rein“ an der Tür einer Diskothek abgewiesen wird oder eine Frau im besten Alter in der Antwort auf ihre Bewerbung lesen muss: „Wir haben uns für eine jüngere Bewerberin entschieden.“ Andere Diskriminierungen kommen auf leisen Sohlen daher, versteckt hinter vermeintlichen Sachgründen, verborgen hinter ebenso vermeintlichen individuellen Entscheidungen oder verborgen hinter fiskalischen Ausreden.
Ein Schlüssel für das solidarische Zusammenleben aller Menschen in unserem Land ist der Kampf gegen Diskriminierung. Dazu gehört auch, dass man sehr genau darauf schaut, welche Folgen politische Entscheidungen haben.
Benachteiligt werden allzu oft jene, die sich am wenigsten wehren können. Als Vorsitzender des Petiti
onsausschusses habe ich seinerzeit zahlreiche Eingaben behandelt, bei denen es um strukturelle unzulässige Benachteiligungen ging. Diese Menschen hätten dringend Hilfen vor Ort gebraucht, die ihre Rechte schützen.
Vorgestern haben wir Vertreterinnen des Landesverbands Frauenberatung vor dem Landeshaus begrüßen dürfen. Diese Frauen arbeiten in Bereichen, die vielen von uns Angst machen: Sie beraten traumatisierte Frauen, sie helfen Opfern von Gewalt, oder sie unterstützen mehrfach benachteiligte Arbeitslose, die aus eigener Kraft keinen Wiedereinstieg schaffen.
Zur Belohnung für dieses Engagement wurden die Mittel für die Einrichtungen von CDU und FDP massiv gekürzt. Ihre Diskussionsbeiträge über das Ehrenamt halte ich in diesem Zusammenhang für zumindest fragwürdig. Warum wurde hier gekürzt? Weil man es mit ihnen machen konnte, weil diese finanziellen Mittel zu den sogenannten freiwilligen Leistungen zählen, weil Frauen nicht nur oft in prekären Arbeitsverhältnissen leben und arbeiten, sondern auch auf Hilfestrukturen angewiesen sind.
Solche Beispiele gibt es für alle Benachteiligungsmerkmale. Als Gesellschaft können wir sie uns nicht leisten, weder finanziell noch sozial.
Gerade als Flächenland braucht Schleswig-Holstein auch ein dezentrales Hilfsangebot, das vor Ort dazu beiträgt, Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
Wir haben in Schleswig-Holstein bereits einige Strukturen, die wir dafür nutzen können: Die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten leistet mit ihrer Einzelfall-Beratung hervorragende Arbeit - wir haben das eben gehört -, und sie bringt ihre Schlussfolgerungen in die Politik ein. Wir müssten - das sage ich auch ganz selbstkritisch - besser lernen, ihre dringenden Mahnungen aufzugreifen und daraus vernünftige Schlussfolgerungen zu ziehen.
Schleswig-Holstein verfügt - „noch“, möchte ich anmerken, denn die letzten Haushaltsjahre haben auch hier Spuren hinterlassen - über gute Beratungseinrichtungen. Sie helfen individuell, und sie sollen noch besser in die Lage versetzt werden, Benachteiligungen, die nach dem Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz verboten sind, zu erkennen, und dabei helfen, gegen sie vorzugehen. Als Zusammenschluss von Initiativen und Verbänden arbeitet der Antidiskriminierungsverband Schleswig-Holstein konkret an der Vernetzung und Stärkung dieser Angebote.
Zusätzlich werden wir eine Landesstelle „für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung“ einrichten, die auf den vorhandenen Strukturen aufbaut. Wir wollen mit den vorhandenen Akteuren gemeinsam daran arbeiten, zentrale Ansprechpartner in Ländern und Kommunen zu gewinnen, Beratungsmöglichkeiten vor Ort zu verbessern und gemeinsame Strategien gegen Diskriminierung zu entwickeln.