Protokoll der Sitzung vom 27.01.2010

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP]: Wer hat denn das gesagt?)

Ich sage Ihnen: Eine Politik, die vor der Wahl Dinge verspricht und nach der Wahl einkassiert, ist verloren. Das ist dreister Wahlbetrug.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

(Dr. Christian von Boetticher)

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, haben Sie vor der Wahl den Landeshaushalt nicht gekannt? Haben Sie nicht mitbekommen, dass wir in einer Wirtschaftskrise sind? Haben Sie nicht mitbekommen, dass wir von den Solidarbeiträgen der anderen Bundesländer leben?

Frau Kollegin Heinold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. von Boetticher? - Bitte.

Kollegin Heinold, könnten Sie uns freundlicherweise mitteilen, wer das Wort „Luxusleistung“ in diesem Zusammenhang gebracht hat?

Das Wort „Luxusleistung“ steht im „Hamburger Abendblatt“ und ist von einem Journalisten gebraucht worden.

(Lachen bei CDU und FDP - Zuruf von der CDU: Aber so in den Raum gestellt! Falsche Bilder gezeichnet!)

Ich habe nicht gesagt, dass Sie es als Luxusleistung bezeichnen. Sie können das sauber nachlesen. Sie haben das Wort „Wohltat“ hier gebraucht. Ich habe gesagt, dass auch von Luxusleistungen gesprochen wird und ich dies bei einer notwendigen sozialen Leistung als absolut unangemessen empfinde.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, als das beitragsfreie Kindergartenjahr eingeführt wurde, aber auch im Wahlkampf, da war uns allen die Haushaltslage des Landes bekannt. Die ist doch nicht neu. Dennoch gab es eine parteiübergreifende Verständigung darüber - das fand ich absolut wichtig, und das war ein Schritt nach vorn -, dass das beitragsfreie Jahr eine notwendige soziale Leistung ist. Es geht um Chancengerechtigkeit, es geht um Bildungsgerechtigkeit. Es rechnet sich auch volkswirtschaftlich, weil der Wiedereinstieg der Eltern in den Beruf wieder ermöglicht wird. Wir waren uns alle einig, dass es nicht sein darf, dass Kinder in diesem Land vom Besuch der Kita komplett ausgeschlossen werden, weil die Familie das Geld dazu nicht hat.

Meine Damen und Herren, ich gehe aber auch nicht sehr zart mit der Geschichte um. Es wurde ja gesagt, 20 Jahre unter der Sozialdemokratie gab es

das gar nicht. Das stimmt leider. An der Stelle muss man immer wieder sagen: Wir haben unter RotGrün mehrfach versucht, die Beitragsfreiheit einzuführen. Sie ist an der Sozialdemokratie gescheitert. Das war bitter.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Umso mehr habe ich mich in der letzten Legislaturperiode über diesen Durchbruch gefreut.

Dass es jetzt Ihre irrsinnigen Steuergeschenke sind, die dazu führen, dass die Beitragsfreiheit wieder auf den Prüfstand kommt, das ist eine gnadenlose Frechheit, und das ist verfehlte Politik.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie haben Land und Kommunen mit Ihren Steuergeschenken den letzten Euro aus der Tasche gezogen. Jetzt denken Sie sich ganz frech: Schicke ich doch die Rechnung an die Eltern.

(Zuruf von der CDU)

Sollen doch die Eltern mit ihren Kitagebühren die Geschenke an die Erben und an die Hotelbesitzer bezahlen. Das ist dreist, das ist familienfeindlich, das ist zukunftsfeindlich und kurzsichtig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es grenzt doch schon an Volksverdummung, wenn Sie den Menschen jetzt im Land erzählen, Sie müssten die Beitragsfreiheit wieder abschaffen, weil es die Schuldenbremse gibt.

Meine Damen und Herren, die ersten 70 Millionen € in diesem Land, die gestrichen werden müssen, um die Schuldenbremse zu erreichen, gehen auf Ihr Lobbyistenkonto der Steuergeschenke. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD - Zuruf von der CDU: Ja, Familien!)

Für sozialpolitische und bildungspolitische Streichorgien, die in diesem Land scheinbar stattfinden sollen, weil Sie vorher die Steuergeschenke verteilt haben, steht meine Fraktion nicht zur Verfügung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir bekennen uns klar zur Schuldenbremse. Ich sage Ihnen aber einmal, weil bei Steuergeschenken nie so genau gerechnet wird, was das eigentlich ist. 70 Millionen, 80 Millionen € - das kann sich gar keiner vorstellen.

(Zuruf von der CDU)

(Monika Heinold)

Wenn wir die 70 Millionen € mal als Haushaltszahlen sehen, dann ist das ein Jahr Beitragsfreiheit, dann ist das das Landesblindengeld, dann ist das die Verdopplung der Plätze im Freiwilligen Ökologischen Jahr. Dann haben wir immer noch 20 Millionen € für den Sparstrumpf, meine Damen und Herren. So sieht Ihre konkrete Steuerpolitik aus.

Wenn Sie jetzt so tun, als müssten wir dieses beitragsfreie Jahr einsparen, weil uns andere Bundesländer ja Konsolidierungshilfe leisten, dann sage ich: Diese Argumentation ist falsch. Die Föderalismuskommission hat uns zwar einen Rahmen vorgegeben, den wir einhalten müssen, aber die Föderalismuskommission hat nicht gesagt: Das bekommt ihr nur, wenn ihr bestimmte Standards abschafft. Deshalb empfehle ich dringend, verhandeln Sie auf Bundesebene über bildungspolitische Standards in allen Ländern, und bieten Sie nicht an, hier Sozialleistungen, die notwendig sind, abzubauen!

Meine Damen und Herren, wenn es einen Unterschied zum Saarland gibt, das auch das beitragsfreie Kita-Jahr hat, dann ist es doch der, dass es dem Saarland gelungen ist, den dreifachen Betrag an Konsolidierungshilfe nach Hause zu holen im Vergleich zu Schleswig-Holstein und zu unserem Ministerpräsidenten, der sich mit 80 Millionen € hat abspeisen lassen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie haben doch zusammen regiert, auch in Berlin!)

Meine Damen und Herren, für meine Fraktion sage ich: Kindertagesstätten sind kein Steinbruch. Es fehlt an allen Ecken und Enden, von einer vernünftigen Sozialstaffel bis hin zu einer Angebotserweiterung und einer Qualitätssteigerung. Ich stelle ganz nüchtern fest: Steuersenkungen können wir uns nicht leisten, gute Bildung müssen wir uns leisten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich der Frau Abgeordneten Antje Jansen das Wort.

Herr Kollege von Boetticher, als ich vorhin Ihre Rede gehört habe, habe ich gedacht: Als Sie im letzten Jahr dieses beitragsfreie Kita-Jahr mitbeschlossen haben, haben Sie hier gar nicht gesessen. Denn ich kann mir vorstellen, Sie wussten, wie teuer dieses beitragsfreie Kita-Jahr wird, und Sie kannten auch die Folgekosten. Denn das beitragsfreie

Kita-Jahr wird ja nicht nur ein Jahr oder ein halbes Jahr gelten, sondern die nächsten Jahre, wenn man das den Eltern verspricht.

Auf der anderen Seite sage ich Ihnen: Sie sprechen von sozialen Wohltaten, die Sie hier nicht verteilen können. Ich bin erschrocken. Sie hätten einmal im Wahlkampf diese Rede halten sollen, die Sie heute hier gehalten haben. Ich denke mir, da wären wir als LINKE doppelt so stark gewesen. Wir säßen hier nicht mit fünf Abgeordneten, sondern würden mit zehn Abgeordneten hier sitzen. Denn soziale Wohltaten haben Sie im Dezember an Hoteliers verteilt, aber nicht an die Kinder, die das letztlich brauchen.

Wenn Sie der Meinung sind, soziale Wohltaten verteilen zu müssen, wird das Land in den Ruin geschickt. Ich denke mir, wenn die Kinder keine gleichen Bildungschancen haben, ist das der Ruin für Schleswig-Holstein. So sehen wir das.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben sich noch vor einem halben Jahr - im Wahlkampf; darauf gehe ich jetzt auch ein - damit gebrüstet, etwas für die Bildung zu tun, speziell für die frühkindliche Bildung. Damals war Wahlkampfzeit, jetzt ist offenbar die Zeit, mit Zusagen und Beschlüssen der eigenen Partei zu brechen. Sie machen letztlich einen Kassensturz und sagen: Dieses beitragsfreie Kindergartenjahr muss auf den Prüfstand.

Aber das waren alles nur Versprechen, um die Bürger im Wahlkampf zu täuschen. Jetzt kommt die Ernüchterung.

(Ursula Sassen [CDU]: Die Ernüchterung kommt bei Ihnen auch noch!)

Sie machen Wahlversprechen. Sie wollen, dass für Bildung und für frühkindliche Bildung mehr getan wird. Aber das beitragsfreie Kita-Jahr, das schweren Herzens in einer Großen Koalition - die Diskussion haben wir von außen mitbekommen - beschlossen wurde, steht bei Ihnen jetzt zur Disposition.

Wir sind nicht der Meinung, dass dieses beitragsfreie Kita-Jahr reicht, sondern wir wollen mehr. Das ist noch ein anderes Thema, das hier am Freitag zur Diskussion gestellt werden wird. Wir sind der Meinung, dass für Bildung und gerade für frühkindliche Bildung mehr Gelder zur Verfügung gestellt werden müssen. Da gilt auch eine Schuldenbremse nicht. Bildungschancengleichheit für schleswig-holsteinische Kinder darf hier nicht zur Disposition gestellt werden.

(Monika Heinold)

(Beifall bei der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren auf der Regierungsbank, was wollen Sie denn jetzt den Eltern sagen? - Ein halbes Jahr haben sich die Eltern darauf eingestellt, keinen Beitrag zu zahlen. Der kostenlose Besuch der Kitas bedeutet nicht nur eine finanzielle Entlastung der Eltern, von ihm hängt auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ab. Außerdem wird andernorts sehr wohl wahrgenommen, ob es dieses so wichtige Bildungsangebot für Kinder in Schleswig-Holstein gibt. Es handelt sich dabei um eine bildungs- und familienpolitische Maßnahme, die eine gute Investition in die Zukunft darstellt.

Finanzschwache Familien und besonders Migrantenfamilien sind dadurch jetzt endlich in der Lage, ihre Kinder ein Jahr vor der Schule in einen Kindergarten zu schicken und ihnen damit die gleichen Förder- und Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen, wie sie für andere Kinder hier selbstverständlich sind. Meiner Meinung nach ist das aber immer noch zu spät, eigentlich müsste man das erste und zweite Jahr beitragsfrei machen und nicht nur das letzte.