Protokoll der Sitzung vom 27.01.2010

Auch die Argumentation, wir würden hier etwas für die Kinder tun - das wissen Sie doch ganz genau ist vordergründig plausibel, aber falsch. Wir tun momentan etwas für die Kassen der Eltern.

(Zurufe von der SPD)

- Selbstverständlich! Sie argumentieren, Sie wollen keine Kindergelderhöhung, aber Sie wollen die Beitragsfreiheit behalten. Bei denen - das wissen Sie doch auch -, die sich das nicht leisten können, greifen Sozialstaffeln. Das heißt, eine Vielzahl von Menschen, die ihre Kinder in den Kindergarten schicken, zahlen gar keine Kindergartenbeiträge oder geringe Kindergartenbeiträge. Angesichts der Debatte, die wir geführt haben, wir wollen den Zu

gang erleichtern, waren Sie es doch, Herr Kollege Stegner, die SPD, die verhindert haben, dass das erste Kindergartenjahr beitragsfrei gestellt wurde, sondern das letzte wurde beitragsfrei gestellt. Was ist denn mit den ersten beiden Jahren? Zahlen die da keine Beiträge? Das haben Sie doch in Ihr Programm hineingestellt.

(Unruhe - Anke Spoorendonk [SSW]: Keine Ahnung!)

- Kollegin Spoorendonk, welche Ahnung ich habe, sage ich hier gleich.

Der Kollege Dr. Stegner hat wie andere auch in der Föderalismuskommission II verhandelt - offensichtlich mit einem miserablen Ergebnis. Das Ergebnis der Föderalismuskommission II sieht vor, dass alle Länder eine Schuldenbremse einzuhalten haben, bis 2020 Haushaltspläne fahren müssen ohne Neuverschuldung. Null.

Es ist verhandelt worden, dass das Land SchleswigHolstein, das finanzschwach ist - es gibt fünf finanzschwache Länder; dazu gehören SchleswigHolstein, Berlin, Bremen, Sachsen-Anhalt und Saarland -, Konsolidierungshilfen bekommt, weil erkannt worden ist, dass alle fünf aus eigener Kraft diesen Weg nicht bis 2020 durchhalten können. Voraussetzung für die Zahlung von 80 Millionen € pro Jahr ist, dass das Land Schleswig-Holstein mit dem Bund verbindlich in einem Vertrag Mitte des Jahres 2010 vereinbart, in welchen konkreten Schritten die Sparbemühungen umgesetzt werden. Darüber wacht ein Stabilitätsrat, dem SchleswigHolstein nicht angehört - das haben Sie verhandelt -, der nach einem Jahr feststellt, ob die Kriterien eingehalten worden sind. Wenn sie nicht eingehalten werden, gibt es die 80 Millionen € nicht. Das muss man wissen.

Nun muss man sich doch fragen, Herr Kollege Stegner - die Frage müssen Sie auch beantworten, auch in Ihren eigenen Reihen -, wie wir den anderen Bundesländern, die jetzt einen Beitrag leisten sollen, erklären wollen, dass in Schleswig-Holstein Leistungen angeboten werden, die ihren Bürgerinnen und Bürgern nicht angeboten werden. Konkret auch aus Rheinland-Pfalz wird mir regelmäßig die Frage gestellt: Wie verantwortet ihr das eigentlich, dass wir mit unseren Steuernmitteln, die wir unseren Leuten wegnehmen, Sozialleistungen in Schleswig-Holstein bezahlen, weil ihr erklärt, ansonsten könnt ihr die Konsolidierungsbemühungen nicht einhalten? Das ist die konkrete Frage, auf die wir eine Antwort finden müssen.

(Anke Spoorendonk)

(Zuruf von der SPD: Das ist das föderale System!)

- Das ist das föderale System, Herr Kollege; das finde ich sehr schön. Wenn andere sagen, okay, dann zahlen wir nicht, möchte ich mal sehen, wie Schleswig-Holstein mit diesem Problem fertig werden will.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner?

Selbstverständlich.

Herr Kollege Kubicki, ist Ihnen bekannt, dass die Verhandlungen in der Föderalismuskommission für das Land Schleswig-Holstein vom Ministerpräsidenten geführt worden sind und die Landtagsvertreter Kayenburg und ich nur Gäste waren und dass die Sozialdemokratie dafür eingetreten ist, dass wir weder der Föderalismusreform I noch der Föderalismusreform II zustimmen, weil sie kein befriedigendes Ergebnis hatten? Ist Ihnen das bekannt?

- Herr Kollege Stegner, ich habe Ihre und meine Haltung zur Kenntnis genommen. Wir waren in dieser Frage ja offensichtlich einer Meinung. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Ihre Kampfstärke in der SPD nicht ausgereicht hat, um zu verhindern, dass die SPD auf Bundesebene zugestimmt hat.

(Beifall bei der FDP)

So ist das gelegentlich, dass wir das, was wir wünschen, nicht gegen eine Mehrheit von anderen, auf die wir angewiesen sind, durchsetzen können. So ist das gelegentlich, und zwar in allen Bereichen.

(Zurufe von der SPD)

Diese Koalition hat sich in den Koalitionsverhandlungen darauf verständigt, im Rahmen einer Haushaltsstrukturkommission alles zu überprüfen und Ende Mai/Anfang Juni einen konkreten Vorschlag zu unterbreiten, und zwar nicht nur diesem Parlament - das muss hier ja diskutiert werden -, sondern auch dem Bund gegenüber, wie wir glauben, dass wir diese Schritte, zu denen wir gezwungen sind, vertragsgemäß einleiten und auch erfüllen können. Das hat mit Steuerschätzung überhaupt nichts zu tun. Das war nach den Koalitionsverhandlungen angekündigt worden, das wurde in der Re

gierungserklärung des Ministerpräsidenten angekündigt.

Das bedeutet, dass wir zunächst einmal wissen müssen, wie groß die Einsparpotenziale in bestimmten Bereichen sind, oder ob wir Argumente finden, warum wir uns anders verhalten als andere Bundesländer. Erst wenn das konkret auf dem Tisch liegt, können politische Entscheidungen getroffen werden, was wir uns wünschen und was wir uns nicht wünschen.

Selbstverständlich, Herr Kollege Stegner - Sie kennen das doch auch -, ich bin angerufen worden von Herrn Christen. Er sagte: Sie haben doch Überlegungen. Ich habe gesagt: Selbstverständlich haben wir Überlegungen. Es wäre ja dumm, wenn nicht. Auf die Frage, steht bei Ihnen die Sache auf dem Prüfstand, habe ich gesagt, es steht alles auf dem Prüfstand.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Armer Mensch!)

- Nein, nicht armer Mensch, aber, liebe Frau Kollegin Heinold, wir richten unsere Politik und unsere öffentlichen Äußerungen nicht nach Journalistenerklärungen aus, sondern nach den Notwendigkeiten dieses Landes. Das unterscheidet uns von Ihnen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Sie reagieren auf Erklärungen von Journalisten, wir reagieren schlicht und ergreifend auf die Lage, und wir werden sie bewältigen.

Ich bleibe bei Frau Spoorendonk: Sie verlangen immer ein Konzept und keine Einzelmaßnahmen. Dieses Konzept wird Ihnen vorgelegt werden. Also kommen Sie nicht regelmäßig mit der Erklärung, wir sollten jetzt mal die Hosen runter lassen, wir sollten jetzt schon sagen, was in den Schubladen ist. Wir werden das Ende Mai/Anfang Juni präsentieren, und bis dahin werden Sie warten müssen.

Ein letzter Rat an den Oppositionsführer aus meiner eigenen Zeit als Oppositionsführer, Herr Kollege Stegner: Man sollte das Pulver nicht am Anfang verschießen. Man sollte den Wahlkampf irgendwann einstellen und zur konkreten Arbeit übergehen, sonst nervt die Menschen draußen die Art und Weise Ihrer Argumentation. Es hilft dem Parlament auch nicht weiter; denn wir werden eine Vielzahl von schmerzhaften Entscheidungen in diesem Parlament gemeinsam treffen müssen, unabhängig davon, wer regiert. Ansonsten werden wir das von Verfassung wegen aufgegebene Ziel, 2020 einen Haushalt aufzustellen, der nicht mehr die kommenden Generationen belastet, nicht erreichen.

(Wolfgang Kubicki)

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Kollegin Anke Erdmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, die Drohung mit dem Hosen-runter-Lassen war sozusagen eine leere Drohung. Es sind Schülerinnen im Raum!

(Heiterkeit und Beifall bei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Herr Kubicki, dass Sie sich für die Argumente von Frau Heinold schämen, ist erstaunlich. Man ahnt gar nicht, dass Sie zu solchen Regungen fähig sind.

Wir führen heute eine Finanzdebatte, eigentlich keine Bildungsdebatte. Deswegen will ich diesen ersten Aspekt Finanzen noch einmal stärker betonen.

Herr von Boetticher, Sie kommen da nicht raus.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Ich will ja gar nicht raus!)

Sie kommen aus der Argumentation nicht mehr raus, beziehungsweise Sie müssen mal ein Argument bringen. Frau Spoorendonk hat Ihnen gesagt, es wirkt beliebig. Genau das ist es. 2005 - man erinnert sich vielleicht noch schwach daran - hat die CDU einen Wahlkampf geführt und hat gesagt: Sparen, sparen, sparen. Eigentlich stand kaum etwas anderes in Ihrem Programm. Sie haben nicht viel dazu erreicht, aber Sie haben ein Jahr vor der Wahl erklärt, wir machen ein kostenfreies KitaJahr. Dafür werden Sie ja Gründe gehabt haben. Das war ja keine sehr kurzfristige Entscheidung. Dafür gab es offenbar gute Gründe. Wir wissen zum Beispiel, dass es sinnvoll ist, vor der Einschulung möglichst viele Schülerinnen und Schüler zu erreichen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

60 % Migrantenkinder hier in Schleswig-Holstein werden überhaupt nur vom Kita-Angebot erreicht. Damit sind wir, wenn wir von bundesweiten Vergleichen sprechen, Schlusslicht. Die nächsten fangen bei etwa 70 % Erreichungsquote an. Was ist die Antwort des Ministeriums, nicht des Ministers, sondern des Ministeriums? - 60 %, aber wir haben auch wenig Ausländer in Schleswig-Holstein. Okay, ich finde, die MINT-Fächer sind nicht überall gut ausgestattet. Mathe ist nicht jedermanns Sa

che. Aber genau das war ein Grund, warum wir gesagt haben, wir wollen das kostenfreie Kita-Jahr, wir wollen in die Breite gehen, wir wollen gerade vor der Schule eine breite Basis bilden. Darauf müssen Sie eine Antwort finden, warum diese guten Argumente möglicherweise nicht mehr zählen.

Dann sagen Sie: tabulos. Okay, der tabulose von Boetticher, das könnte einem gefallen.

(Heiterkeit bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Zum kommenden Steuerpaket würde ich mir das wünschen. „Tabu“ rufen Sie nicht, wenn es um Steuererleichterungen geht. Da kommt die Frau Loedige von der FDP und sagt: Das finanziert sich alles von selber. Das ist natürlich ein altes Märchen. Schöne Grüße vom Institut für Weltwirtschaft. Steuersenkungen kosten natürlich eine ganze Menge.

Ja, ich lasse die Zwischenfrage zu, Herr Kollege Kubicki.

Sie gestatten eine Zwischenfrage, dann hat Herr Abgeordneter Kubicki das Wort.

Frau Kollegin Erdmann, ist Ihnen bekannt, dass von den 14 Milliarden € Entlastung aus dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz 10 Milliarden € Steuersenkungsentlastungen sind, die auf Beschlüsse der Großen Koalition von SPD und CDU zurückzuführen sind?

- Deswegen habe ich Sie auch gar nicht in den Fokus genommen. Ich habe mit Herrn von Boetticher gesprochen.

(Heiterkeit bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das, was ich schwierig finde, Herr von Boetticher: Sie haben aus der Debatte über die Schülerbeförderung überhaupt nichts gelernt. Sie machen das ganze Land kirre, nachher müssen Sie wieder die Zahnpasta in die Tube ziehen, wie Frau Spoorendonk das sehr treffend bemerkt hat. Sie bereiten auf der einen Seite vor, das kostenfreie Kita-Jahr abzubauen, und auf der anderen Seite arbeitet Herr Klug wahrscheinlich schon daran, Modellregionen für irgendwelche vorschulischen Einrichtungen zu finden, die natürlich auch nicht mit dem Preisschild null zu erreichen sind.