Protokoll der Sitzung vom 28.01.2010

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen ersten Lesung der drei vorliegenden Gesetzentwürfe zur Änderung unserer Landesverfassung beschäftigen wir uns erstmals mit dem Thema Schuldenbremse in all seiner Komplexität, und - um es gleich vorweg zu nehmen - für uns ist die Verankerung einer Schuldenbremse in der Landesverfassung eine gemeinsame Aufgabe des Parlaments.

Wir stehen also heute vor einem neuen Anlauf, eine wirkungsvolle Schuldenbremse in der Verfassung zu verankern, die grundlegend ausgeglichene Haushalte vorsieht, in konjunkturellen Auf- und Abschwüngen antizyklisch wirkt und Ausnahmeregelungen in Notsituationen zulässt. So einfach, wie sich diese drei Punkte aufzählen lassen, ist die Umsetzung so einer Schuldenbremse allerdings noch lange nicht.

Ich erinnere auch daran, dass wir eigentlich schon eine Schuldenbremse in der Landesverfassung stehen haben: In Artikel 53 ist bekanntlich festgelegt, dass Einnahmen aus Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten dürfen, dass eine höhere Kreditaufnahme nur erlaubt ist, wenn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist. Wir wissen alle zur Genüge, dass diese Bestimmungen nicht dazu geführt haben, die Aufnahme von Krediten effektiv zu begrenzen. Dafür gibt es Gründe mehr gute als schlechte. Und wer sagt, dass dieser Staat über seine Verhältnisse gelebt hat, unterhält sich immer nur mit der einen Hälfte der Gesellschaft. Die andere Hälfte hat nicht über ihre Verhältnisse gelebt.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Aber um der ausufernden Staatsverschuldung von Bund und Ländern Herr zu werden, brauchen wir

(Heinz-Werner Jezewski)

eine Schuldenbremse. Mit der Grundgesetzänderung des Bundes sind dafür nun Weichen gestellt worden. Konkret bedeutet diese Weichenstellung für Schleswig-Holstein: Ab 2020 darf das Land keine Schulden mehr aufnehmen. Bis dahin muss das Defizit jährlich um 10 % reduziert werden. Ausnahmen sind nur aufgrund von Konjunktureinbrüchen, Seuchen, Katastrophen und Kriegen möglich. Ob ein solcher Fall eintritt, muss dann der neu zu bildende Stabilitätsrat entscheiden, der sich aus allen Finanzministern und dem Bundeswirtschaftsminister zusammensetzt. Das sind die Rahmenbedingungen, das sind die Regeln, und die sind bestechend klar und einfach.

Ich habe aber immer noch ein Rede von Karl-Martin Hentschel, dem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, von vor der Landtagswahl im Ohr, wo er überzeugend darlegte, dass wir in Schleswig-Holstein, wenn wir alle Kräfte anspannen, seiner Meinung nach bis 2020 maximal 400 Millionen € an Einsparungen erreichen würden. Das ist die Hälfte dessen, was nötig ist.

Hinzu kommt, dass nichts darauf hindeutet, dass wir auf wesentlich mehr Einnahmen hoffen können. In früheren Debatten zu diesem Thema ist von uns und von anderen in diesem Hause immer wieder darauf hingewiesen worden, was die Konsequenzen sind, wenn zum Beispiel in allen Bereichen das Landespersonal zusammengestrichen wird.

Wir wissen - auch das möchte ich ganz klar wiederholen -, dass wir eine Wachstumsquote von 3 % brauchen, um die Arbeitslosigkeit nachhaltig zu reduzieren. Es ist einfach naiv zu glauben, dass dies in den nächsten Jahren möglich sein wird.

Vor diesem Hintergrund bleibt der SSW bei seiner Forderung, dass die Landesregierung realistische Konzepte vorlegen muss, wie sie gedenkt, das Land aus der Schuldenkrise zu führen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Gibt es solche Konzepte nicht und ist das Land nicht in der Lage, sich selbst aus der Krise zu befreien, dann muss mit dem Bund neu verhandelt werden.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Ich gehe jede Wette ein, dass andere Bundesländer dann auch mit im Boot sitzen werden. Oder haben wir eine andere Alternative?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Darum ist es aus unserer Sicht auch wichtig, an dem Dreiklang Klage, Konzept und Verfassungsänderung festzuhalten. Das ist aus unserer Sicht der einzige Weg, um Schleswig-Holstein langfristig zu einem ausgeglichenen Haushalt zu verhelfen. Die Klage des Parlaments vor dem Bundesverfassungsgericht ist dabei schlichtweg eine Notwendigkeit, um als Land nicht entmündigt zu werden.

Nun zu den vorliegenden Gesetzentwürfen, wobei ich in erster Linie auf die Vorschläge von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingehen werde, weil diese Gesetzentwürfe - davon bin ich überzeugt zwei Aspekte aufgreifen, die in den weiteren Beratungen eine ganz zentrale Rolle spielen werden.

Wir begrüßen, dass die SPD eine sogenannte Nachhaltigkeitsklausel ins Spiel bringt. Wir meinen, die Bundespolitik hat in den letzten Wochen eindrucksvoll klargemacht, dass wir eine Art Konnexitätsprinzip auf Bundesebene brauchen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE])

Der Bund kann nicht den Ländern auf der einen Seite eine Schuldenbremse vorschreiben und ihnen auf der anderen Seite durch Steuergeschenke die Haushaltskonsolidierung unmöglich machen. Mit anderen Worten: Wir können uns nicht an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen, wenn uns der Bund ständig den Kopf kahl rasiert. Denn genau das ist es, was er derzeit tut.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Da die Diskussion um ein Konnexitätsprinzip auf Bundesebene eine lange Geschichte, einen langen Vorlauf hat - ich kann mich gut daran erinnern, dass diese Debatte von der CDU früher offensiv geführt worden ist -, habe ich die naive Hoffnung, dass es möglich sein wird, eine mehrheitsfähige Formulierung zu finden

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

zumal auch die Landesregierung ein Interesse daran haben müsste, ein transparentes Verfahren festzuschreiben. Denn es kann ja nicht sein, dass ihr als einzige Strategie vorschwebt, in regelmäßigen Abständen bei der Bundeskanzlerin auf der Matte zu stehen. Das mag ja spannende Bilder in den Medien

(Anke Spoorendonk)

bringen, mit nachhaltiger Finanzpolitik hat das aber nun wirklich nichts zu tun.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SPD)

Auch die Forderung der SPD nach der Einrichtung eines fairen Altschuldenfonds von Bund, Ländern und Kommunen ist richtig und notwendig. Über die Sinnhaftigkeit eines solchen Altschuldenfonds kann es in diesem Haus eigentlich keine zwei Meinungen geben, denn vor nicht zu langer Zeit haben wir uns gemeinsam dazu bekannt, dass eine Altschuldenregelung für die Sanierung des schleswig-holsteinischen Haushalts unabdingbar ist. Gleichwohl - auch das gehört redlicherweise dazu -: Die Föderalismuskommission ist in dieser Frage gescheitert.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das ist wahr!)

Außerdem - auch das ist ein neuer Aspekt - kommen wir - damit komme ich zu dem Gesetzentwurf der Grünen - bei einer seriösen Auseinandersetzung mit der Schuldenbremse und ihren Auswirkungen nicht darum herum, unsere Fürsorgepflicht den Kommunen gegenüber weiter im Blick zu behalten.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

Der Antrag der Grünen greift dieses Thema auf, obwohl ,,eine angemessene Ausstattung der Kommunen“ natürlich zu Interpretationen einlädt. Aus Sicht des SSW muss die Zielsetzung eines solchen Antrags klar sein, dass nicht in den kommunalen Finanzausgleich eingegriffen werden darf. Zu Recht fordert der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag, dass mit der Schuldenbremse nicht die Kommunen ausgebremst werden dürfen. Die Kommunen müssen handlungsfähig bleiben, weil ohne Investitionen auf kommunaler Ebene letztlich in Schleswig-Holstein auch kein Wirtschaftswachstum möglich sein wird.

Hinzu kommt, dass gerade die Kommunen für wichtige Zukunftsaufgaben zuständig sind: Ich rufe in Erinnerung den Ausbau der Kinderbetreuung, die Ganztagschulen, die Breitbandversorgung und die energetische Sanierung vieler öffentlicher Gebäude. Mit anderen Worten: Die Landesregierung steht auch den Kommunen gegenüber in der Pflicht, ein Konzept für eine Schuldenbremse vorzulegen - ein realistisches, wohlgemerkt.

Auch vor diesem Hintergrund ist es ein katastrophales Signal, wenn - wie gestern in der Aktuellen Stunde - das beitragsfreie dritte Kita-Jahr zur Dis

position gestellt wird. Aus kommunaler Sicht ist das eine Katastrophe.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Neben diesen großen Entscheidungen sind außerdem weitere technische Details zu beachten. Dazu haben wir uns in früheren Debatten ein bisschen eingelassen. Ich rufe in Erinnerung, dass immer noch nicht klar ist, wie Abweichungen von der Normallage und die Höhe des Defizits eigentlich festgestellt werden sollen und welche Auswirkungen eine restriktive Haushaltsführung auf das Land haben wird. Die Vermutung liegt nahe - da bin ich ganz bei dem Kollegen Habeck -, dass das eine Kahlschlagpolitik sein wird. Aber man muss das einmal analysieren. Man muss einmal belastbare Zahlen haben.

Unklar ist auch, ob die Schuldenbremse wirklich ein antizyklisches Verhalten möglich macht. Der Bund macht dies momentan vor, weil der Haushalt des Bundes voraussichtlich mit einer Rekordverschuldung beschlossen wird. Es ist aber überhaupt nicht ersichtlich, welche konkreten Anreize für Wachstum und Beschäftigung sich daraus ergeben werden. Unter dem Strich bleibt also immer noch der Eindruck bestehen, dass das beschlossene Wachstumsbeschleunigungsgesetz des Bundes sozialpolitisch, wachstumsmäßig und gesellschaftspolitisch mehr als eine mittlere Katastrophe ist und alle Bestrebungen der Länder zur Haushaltskonsolidierung konterkariert.

Für den SSW steht fest, dass mit einer Schuldenbremse auch Kürzungen und Einsparungen einhergehen. Allerdings sind wir nach wie vor der Meinung, dass diese nicht zulasten der Ärmsten in unserer Gesellschaft gehen dürfen und dass wir unser Land auch nicht gesundsparen können. Wir wollen keinen Wohltätigkeitsstaat, sondern eine solidarische Gesellschaft. Ich füge hinzu: Wir wollen einen Wohlfahrtsstaat so, wie wir ihn in den skandinavischen Ländern kennen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Wir wollen, dass soziale Gerechtigkeit gelebt wird.

In den letzten Wochen durften wir bereits erste Geschmacksproben von Kürzungsvorschlägen der neuen Landesregierung hören. Für den SSW kann ich sagen, dass diese einen sehr faden und bitteren Nachgeschmack hinterlassen haben. Trotzdem müssen wir aufeinander zugehen, um eine Zweidrittelmehrheit zur Verankerung der Schuldenbremse in

(Anke Spoorendonk)

der Landesverfassung zu erreichen. Alles andere ist nicht möglich. Dies muss also die Maßgabe der künftigen Beratung sein.

Sollte es uns nicht gelingen, eine Zweidrittelmehrheit hinzubekommen, dann müssen wir auch wissen, dass die Bundesregelung gilt. Dazu habe ich mich vorhin schon geäußert. Ich will nur noch einmal deutlich machen, dass es dabei für den SSW keine Friss-Vogel-oder-stirb-Lösung geben wird. Wir werden so eine Lösung nicht akzeptieren. Vorhin sprach ich an, dass dann mit dem Bund neu verhandelt werden muss. Wir können keinen Vertrag mit dem Bund akzeptieren, der nur sagt: Das müsst ihr akzeptieren, und sonst nichts. Also keine FrissVogel-oder-stirb-Lösung aus unserer Sicht!

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Auf der Besuchertribüne begrüße ich jetzt weitere Schülerinnen und Schüler des Friedrich-SchillerGymnasiums aus Preetz. - Herzlich willkommen hier bei uns im Landtag!

(Beifall)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Finanzminister Rainer Wiegard das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es gibt eine neue Schuldengrenze. Es gab bisher auch schon eine. Das ist richtigerweise von zwei Rednern bereits dargestellt worden. Der wesentliche Unterschied ist: Bisher waren Schulden grundsätzlich zulässig, wenn auch mit einer Grenze in Höhe der investiven Ausgaben. Die neue Regelung heißt: Schulden sind grundsätzlich nicht zulässig. Das ist der entscheidende neue Punkt, der es auch erübrigt, Diskussionen darüber zu führen, was eine Investition ist. Das ist der Punkt, Kollege Habeck, bei dem ich und wahrscheinlich die meisten hier Bauchschmerzen bei Ihrem Änderungsantrag habe, nämlich einfach irgendwelche anderen konsumptiven Ausgaben zu Investitionen zu erklären.